Der BVB steht heute vor dem schweren Spiel bei Chelsea in der Champions League. Ob die siegreiche Serie der Borussen reißt? Peter Hesse und Thommy Junga schauen sich die individuellen Fähigkeiten des BVB nochmal genauer an, sprechen über Schalke und wägen die fußballerischen Fähigkeiten in den Karnevalshochburgen Köln, Mainz und Hoffenheim ab. Oder wie Udo Lattek schon orakelte: „Wer in der Bundesliga hat schon Freunde?“
Peter Hesse: Plötzlich gelingen Borussia Dortmund sogar „schmutzige“ Siege. Das schwarzgelbe Team ist längst nicht immer besser als der Gegner, im Gegenteil. RB Leipzig trumpfte am vergangenen Freitag in weiten Teilen des Spiels fußballerisch stärker, beherzter und offensiver auf. Aber Borussia Dortmund tritt derzeit in jeder Partie mit bedingungslosem Einsatz bis zum Anschlag auf – und behält so die Punkte. Die Wochen der Wahrheit beginnen heute mit Chelsea in der Champions League, Schalke, Köln, Bayern und Union Berlin in der Liga, sowie ein Auswärtsspiel in Leipzig im DFB-Pokal. Stehen die Borussen an Ostern an der Tabellenspitze und können vielleicht sogar Meister werden?
Thommy Junga: Die Borussia ist derzeit der Überperformer der Liga. Schaut man sich die Expected-Goals-Werte der vergangenen Monate an, so waren einige Partien dabei, die nicht unbedingt hätten so glücklich laufen müssen. Dortmund kassiert derzeit Punkte, wo eigentlich keine sind. Das erinnert ein bisschen an die Überraschungsmeisterschaft in der Premier League von Leicester City in der Saison 2015/16. Da wollte bis vier Spieltage vor Schluss auch keiner wahrhaben, was dann doch wahr wurde. Dass Dortmund die individuellen Fähigkeiten im Kader vereint um guten Fußball zu spielen war immer klar – die Vehemenz mit der die Terzic-Elf jetzt auftritt ist allerdings beeindruckend. Endlich könnte es mal wieder bis zum Schluss spannend werden, denn die Leistungssteigerung einzelner Akteure wie Emre Can oder Julian Brandt ist unübersehbar. Insbesondere im Mittelfeld wirkte das zuletzt alles viel stabiler und reifer, das tut der Mannschaft insbesondere in den Umschaltmomenten gut.
Peter Hesse: Erster Auswärtssieg nach 38 vergeblichen Versuchen, nur ein Gegentor in der Rückrunde, nach vier Monaten nicht mehr Letzter: Der FC Schalke 04 ist wieder da – und wird von seinen Fans gefeiert, als wären sie ein Kandidat für die internationalen Wettbewerbe. Hat da jemand LSD ins Gelsenkirchener Trinkwasser gekippt oder wie ist diese Freude zu werten?
Thommy Junga: Ohne verpflichtende Dopingtests an den Stadionausgängen lässt sich da leider nur weiter spekulieren. Ohne Frage bedeuten die jüngsten Ergebnisse natürlich Dopaminalarm auf allen Schalker Synapsen. Welches Erfolgsmittelchen Thomas Reis den Seinen in den Trainingstee gerührt hat, würde mich allerdings schon interessieren, denn ohne Torschuss in Bochum zur Pause zu führen ist auch eine Leistung. So leicht wie die Bochumer wird es den Knappen bis Saisonende wohl aber niemand mehr machen. Es bleibt ein Kampf auf Biegen und Brechen zu erwarten – gut für die Schalker, dass sie in dieser engen Tabellensituation zu einer guten Kompaktheit gefunden haben.
Peter Hesse: Der Mainz 05 gewinnt auch sein viertes Spiel in Folge. Auch wenn der Spielverlauf beim 1:0 Heimsieg gegen Hoffenheim eher zähflüssig, kaum Torchancen und wenige spielerische Höhepunkte hatte, hat es für einen Sieg gereicht. Das Team aus der Karnevalsstadt steht jetzt auf Platz 7 in der Tabelle. Was macht Mainz-Trainer Bo Svensson besser als andere Kollegen seiner Kragenweite?
Thommy Junga: Der Mainzer Übungsleiter steht angeblich bereits bei einigen englischen Klubs auf der Shortlist. Die verpflichten in der Regel fertige Trainer und die liefert Mainz 05 in schöner und zuverlässiger Regelmäßigkeit in der Fußballwelt ab. Das war schon so bei Klopp und Tuchel – und ist jetzt wieder genauso im Fall des Dänen. Mainz ist mit seiner finanziellen Sicherheit, dem guten Scouting und einem quasi nicht vorhandenen medialen Druck die ideale Entwicklungsnische für Trainertalente. Bo Svensson hat hier alle Zeit und Muße seinen aggressiven Powerfußball zu entwickeln: giftig bis gallig in der Balleroberung, schnörkelos und athletisch im Spiel nach vorn. Der Druck liegt nicht so schwer auf dem Team, das merkt man dieser Mannschaft wie kaum einer anderen an, sobald der direkte Abstiegskampf keine Bedrohung mehr darstellt. Das hat dann mit fußballerischer und eben auch taktischer Qualität zu tun.
Peter Hesse: Vor 32 Jahren wechselte der heutige Köln-Trainer Steffen Baumgart vom DDR-Ligisten Dynamo Schwerin in die ostfriesische Provinz zur SpVg Aurich. Was wie ein sportlicher Rückschritt anmutete, war das Sprungbrett zu einer veritablen Profi-Karriere. Über weitere ungewöhnliche Wechsel gelang der Mann mit der Mütze auf den Trainerstuhl in die Domstadt – wo er sehr verehrt und bewundert wird. Was hältst du von dem Fußballfachmann, der vor seiner Profi-Fußballzeit in Schwerin bei der Bereitschaftspolizei gearbeitet hat?
Thommy Junga: Steffen Baumgart verkörpert alle Attribute des eigentlich verlorenen geglaubten ehrlichen Fußballs. Mit der Attitüde eines rotzig-spaßigen Verbandsligatrainers steht er in der Domstadt an der Linie und blökt nach dem Spiel genervt ins Pay-TV-Mikro. Baumgart ist einer von uns, wirkt den Fans näher als dem Vorstand und damit fast ein wenig aus der Zeit gefallen. Sein „Tut’s weh? Kannst du stehen? Dann kannst du auch spielen!“ zu einem schauspielernden Gegner ist für mich immer noch der Grund, warum Feldmikrofone erfunden wurden.
Peter Hesse: Auch der Trainerwechsel von André Breitenreiter auf Pellegrino Matarazzo sorgt nicht für eine schnelle Wende bei Hoffenheim. Der millionenschwere SAP-Club ist nach 11 sieglosen Bundesligaspielen knietief in die Abstiegszone gestürzt. Warum können Kräfte wie Dolberg, Kramaric oder Delaney derzeit nicht ihr volles Leistungspotential abrufen?
Thommy Junga: In Hoffenheim scheint man sehr nach Aktenlage entschieden zu haben. Sämtlich Upgrade-Transfers haben die Anmutung von Neuverpflichtungen als Verwaltungsakt: Dolberg, fraglos einst riesiges Knipsertalent mit Entwicklungspotenzial, muss jetzt Bälle an der Mittellinie abholen, war aber noch nie für seine Laufarbeit bekannt. Delaney, ebenfalls Däne und in der Bundesliga wohlbekannt, ist einer dieser Formkrisenspieler, die Sevilla gerne holt um sie wieder aufzupäppeln. Dieser Prozess war offensichtlich nicht abgeschlossen. Und zu guter letzt wäre da noch John Anthony Brooks, ebenfalls mit Bundesligavergangenheit. Formal eine gute Defensivverpflichtung, aber ebenfalls ohne jede Spielpraxis eingeflogen. Ich überlasse es deiner Phantasie den immensen Effekt einer Matarazzo-Rede in der jeweiligen Spielvorbereitung einzuschätzen. Wir hatten gerade Steffen Baumgart als Thema, da liegen dann wohl Welten dazwischen. Und Zeit zum Entwickeln, wie in Mainz, hast du hier auch nicht. Ich bin da wenig aus dem Häuschen, haut mich alles nicht vom Stuhl und im Zweifel wird es verdammt eng für die TSG.