Über 1800 Mitglieder der „international film community“ fordern Lars Henrik Gass, dem Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, auf sich von einer israelsolidarischen Stellungnahme zu distanzieren. Gass hat das jedoch nicht vor.
Es war der 20. Oktober, als Lars Henrik Gass, der Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, auf der Facebook-Seite des Filmfestivals über dem Aufruf zur Teilnahme an der großen Solidaritätsdemonstration in Berlin, auf der auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach, postete: „Eine halbe Million Menschen sind im März 2022 auf die Straße gegangen, um gegen Russlands Überfall auf die Ukraine zu protestieren. Das war wichtig. Bitte lasst uns jetzt ein mindestens genauso starkes Zeichen setzen. Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamasfreunde und Judenhasser in der Minderheit sind. Kommt alle! Bitte!“
Gass ist unter den Filmfestivalleitern Deutschlands eine Ausnahmegestalt. Die Kurzfilmtage leitet er schon seit 1997 und hat das Festival seitdem immer wieder erneuert: Schon lange sind dort Musikvideos zu sehen, das Programm kann gestreamt werden und Gass betiligte sich immer wieder an Debatten wie der über die Abwehr rechten Einflusses auf die Kulturlandschaft.
Doch dass er sich solidarisch mit Israel zeigte, mochte ihm eine zunehmend von postmodernem und postkolonialem Denken geprägte Kulturszene nicht verzeihen: Am 1. November erschien im Netz eine von über 1500 „influential artists and curators from around the world“ unterzeichnete Stellungnahme, in der Gass aufgefordert wurde, sein Posting über dem Kundgebungsaufruf zurückzunehmen. Der Grund: „Neukölln, der von Gass erwähnte Berliner Bezirk, ist die Heimat einer großen palästinensischen Gemeinde. In den letzten Wochen kam es zu einem erheblichen Anstieg der Polizeirepression gegen öffentliche Versammlungen, legitimiert durch eine wahllose Vermischung von Mahnwachen und Protesten gegen die Belagerung des Gazastreifens, die Bombardierung und Zwangsumsiedlung der Zivilbevölkerung mit Antisemitismus.Der Gebrauch einer Sprache, die dazu dient, die Palästinenser und jeden, der sich mit ihrem Überleben solidarisiert, zu entmenschlichen und zu stigmatisieren, darf nicht zugelassen werden.“
Zur Erinnerung: Es war im Berliner Bezirk Neukölln, wo am Tag, als Hamas-Terroristen in Israel einfielen und Juden abschlachteten, Süßigkeiten verteilt und das Massaker gefeiert wurde.
Gass reagierte auf die Vorwürfe und veröffentlichte einen zweiten Post auf Facebook:
„Seit über die Facebook-Seite des Festivals zur Veranstaltung des Zentralrats der Juden am 22. Oktober in Berlin aufgerufen und Gruppen verurteilt wurden, die nach Bekanntwerden des Terrorangriffs vom 7. Oktober in Berlin Feste gefeiert hatten, sind Festival und ich Kritik ausgesetzt und mit einem Aufruf konfrontiert, der zur Distanzierung von Festival und meiner Person auffordert. Der Post verurteilte die Ereignisse vom 7. Oktober und die antisemitischen Reaktionen darauf. Meine Absicht war nicht, die palästinensische Bevölkerung pauschal zu stigmatisieren, weder in Deutschland noch darüber hinaus. Ich bedauere, dass dieser Eindruck entstanden ist. Es handelte sich um einen spontanen Aufruf, in dem sich Trauer, Empathie, Entsetzen und Wut über den Terror vom 7. Oktober artikulierten. Das Festival bleibt ein Ort des freien Denkens und der Diskussion, von dem sich niemand seiner politischen Einstellung oder kulturellen Herkunft wegen ausgeschlossen fühlen soll. Antisemitische, rassistische und kriegsverherrlichende Haltungen haben hier keinen Platz. Wir wünschen uns, dass der Dialog fortgesetzt wird.
Lars Henrik Gass
Festivalleiter
Internationale Kurzfilmtage Oberhausen“
Damit war geklärt, was eigentlich keine Klärung bedurfte. Auch in seinem Posting vom 20. Oktober hatte Gass weder Araber noch Palästinenser erwähnt, aber so etwas interessiert den postmodernen Mob nicht, der auch in Deutschland dabei ist, immer weitere Teile der Kulturszene zu übernehmen. Gass soll widerrufen und sich vor den Hetzern in den Staub werfen. Wird er es tun? „Nein“, sagt Gass im Gespräch mit diesem Blog, „weil in der Sache nichts falsch ist und auch nichts missverständlich.“ Teile der Filmszene haben mittlerweile damit begonnen, zum Boykott der Kurzfilmtage aufzurufen: „Die Auswirkungen spüren wir heute schon: Filme werden für die Wettbewerbe und andere Programme zurückgezogen, eine Kooperation mit europäischen Partnern wurde bereits aufgekündigt, und eine Filmemacherin, der wir eine Werkschau widmen wollten, hat ihre Zusage zurückgezogen.“ Durch den aktuellen Stand der Absagen sei das Festival jedoch nicht auf der Kippe: „Aber es steht die Drohung von Personen und Institutionen wie Verleihern im Raum, sich zurückzuziehen. Selbst das aber wird die Durchführung des Festivals nicht gefährden.“ Gass Vorteil ist, dass er Rückendeckung hat: „Die Gesellschafterin, die Stadt Oberhausen sowie die Förderer, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) stehen hinter uns.“
Und seit gestern wurde auch ein „Offene Brief von 250 deutschen Filmschaffenden“ veröffentlicht. „Die Pogrome des 7. Oktober 2023 und die Morde und barbarischen Verbrechen an mindestens 1400 ZivilistInnen aus Israel und anderen Ländern dieser Welt erschüttern auch uns deutsche und deutschsprachige Filmschaffende.(…) Wir stehen vorbehaltlos solidarisch an der Seite aller an Leib und Leben bedrohten Jüdinnen und Juden in der Welt.“ Unterschrieben unter anderem von Iris Berben, Meret Becker, Rosa von Praunheim, Edgar Reitz und dem unseren langjährigen Lesern noch als Teil der Wattenscheider-Schule gut bekanntem Schauspieler Patrick Joswig, geht der Brief auch indirekt auf die Hetze gegen die Kurzfilmtage und ihren Leiter ein: „Angriffe, sowie Relativierungs- oder Einschüchterungskampagnen haben in den letzten Wochen auch deutsche Filmschaffende, sowie Film-Institutionen und ihre MitarbeiterInnen konkret betroffen.“
Es ist nicht der erste Versuch eines israelfeindlichen Milieus, das die Ideen und Vorgehensweisen der antisemitischen BDS-Kampagne, deren Ziel die Vernichtung Israels durch Boykottmaßnahmen ist, in Deutschland Fuß zu fassen: Auch hier sollen keine israelischen Künstler mehr auftreten und alle, die solidarisch mit Israel sind, beruflich zerstört werden. Das Pop-Kultur-Festival Berlin wehrt sich seit Jahren erfolgreich gegen diesen Mob, und bei der Ruhrtriennale scheiterte die Szene am Land Nordrhein-Westfalen, dem wichtigsten Geldgeber des Theater- und Musikfestivals.
Nun sind die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen im Visier des Mobs. Gass zeigt Rückgrat und wird von der Stadt Oberhausen, dem Land und dem Bund nicht allein gelassen. Klar muss allerdings sein: Fällt ein Festival, könnten auch die anderen fallen, wird die Meute erst recht weitermachen. Denn am Ende geht es auch um Stellen für die eigene Szene, Geld und Einfluss.
[…] der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zu fordern, weil deren Leiter Lars Henrik Gass sich mit Israel solidarisiert hat und, wenn man schon einmal dabei ist, auch einen Waffenstillstand im Gazakrieg, der nur der Hamas […]
[…] Boykottaufruf gegen die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen wegen Solidarität mit Israel […]