Brandt Brauer Frick: “Klingt wie eine Anwaltskanzlei”

Brandt Brauer Frick auf dem Haldern Pop Festival 2019 Foto (Ausschnitt): Alexander Kellner Lizenz: CC BY-SA 4.0

Klassische Musik, dachte man, sei zugeknöpft, alle Knöpfe perlmuttbelegt, das Leben durchlitten. Techno, dachte man weiter, sei schweißtreibend, die Körper entblößt, das Leben ein Rausch. Dann kamen BBF, seitdem ist Techno Klassik und die Klassik berauscht. Brandt Brauer Frick.

“Klingt wie eine Anwaltskanzlei”, sagen sie selber. Und werfen sich in Anzüge, warum? “Aus unserer Affinität zu Kraftwerk”, sagen sie, “musikalisch sind wir eigentlich genau das Gegenteil, aber vom Look her fanden wir sie ziemlich interessant, ihre übertriebene Ernsthaftigkeit.”

Alle drei sind klassisch vorgebildet, Paul Frick beispielsweise hat acht Jahre Komposition studiert. 2008 legten sie als Gruppe los, „wir wollten unbedingt Tanzmusik machen“. Tanzmusik? Rave! Im Berghain, wo auch sonst, und da, alle Körper dekontrolliert, bogen sie der Techno-Gemeinde bei, was es mit diesem Körper auf sich hat, dem eigenen: dass er nicht nur dazu taugt, sich von Musik bewegen zu lassen, sondern ebenso, selber Musik zu machen. Dass sich Techno auf klassische Weise erzeugen lässt, indem man Instrumente spielt, die man selber beatmen und befühlen muss …

So geriet der körpergemachte Dancefloor-Sound von BBF ins Ohr der Welt, immer im Schnittpunkt von Electronic und Dance, Minimal und Techno. In diesem Schnittpunkt haben sie auch ihre eigene Bruderschaft geschlossen: “Bei so einem Namen wie BrandtBrauerFrick wussten wir alle, dass keiner so einfach aussteigen kann …”

Daniel Brandt, Jan Brauer, Paul Frick. Heute eine Institution, zu der sind sie geworden, weil sie die eine entscheidende Idee verfolgen: „dass Menschen Musik spielen könnten wie Maschinen, aber doch die Seele von Instrumenten in sich tragen, die über Jahrhunderte entwickelt wurden”. Die Ahnen dieser Idee: Philip Glass, vor allem aber Steve Reich, die beiden Großmeister der Minimal Art. Daniel Brandt erzählt, wie sie „18 Musicians“ von Steve Reich gehört haben, „wir waren alle dabei, als dieses Stück vom Ensemble Modern und Steve Reich in der Kölner Philharmonie live gespielt wurde, das war vor unserer allerersten Aufnahmesession. Diese Schnittstelle zwischen Minimal Music und elektronischer Tanzmusik war für uns von Beginn an wichtig. Und die Einflüsse aus der Neuen Musik, die Frage, wie man Instrumente anders einsetzt, um einen bestimmten, einen ungewöhnlichen Sound zu erreichen  –  das war immer entscheidend für uns.”

Kurzer Blick in eine phantastische Karriere: Mit ihrem ersten Album „You Make Me Real“ machen BBF ihre Idee weltweit bekannt, ihr Video zu „Bob“   –  alle drei treten sie darin zugeknöpft auf bis obenhin, in seiner Kombi aus Kraftwerk-Strenge + neuer Musik + Selbst-Ironie ist das Video unerreicht  –  es öffnet sich auf Millionen Bildschirmen. Folgen Live-Auftritte auf den megagroßen Festivals wie Coachella und Mutek, sie beginnen, ihre Musik für ein 10köpfiges Ensemble zu arrangieren mit Geigen und Harfe und Klavier  –  und doch bleibt es, was es anfangs war: Techno, klassisch inspiriert.

Sie experimentieren weiter mit ihrer Idee, arbeiten sich an den Postpunk heran und ua mit Gudrun Gut zusammen, arbeiten sich in die Theater- und Medienwelt hinein, integrieren Kraut- und Wave-Elemente in ihre Musik, kehren 2019 mit ihrem Album „Echo“  –  live bei urban urtyp in der Christuskirche präsentiert!  –  in den Clubsound zurück. Und wenn man jetzt noch all die Solo- und anderen Projekte aufzählt, die sie verfolgen  –  Paul beispielsweise ist 2020 bei Tangerine Dream eingestiegen  – , gewinnt man eine Vorstellung von dem, was alles sich aus einer einsamen Idee heraus entwickelt hat:

dass Maschinen  –  durch uns Menschen hindurch  –  beseelt werden können, weil Menschen  –  durch die Maschinen hindurch  –  eine Seele in sich entdecken, die sie mit anderen teilen können.

Dann kam Corona.

Und jetzt, eine Ewigkeit später, muss man sich schon lange zurück erinnern an eine Zeit, „in der es ein echtes Abenteuer war, in einen Club zu gehen, die verrücktesten Leute zu treffen und verrückte Live-Shows in verschwitzten, dunklen Räumen zu sehen“, sagt Jan. „Jeder hat es total genossen! Vielleicht ist es nie wirklich passiert, aber wir wollten unbedingt wieder Musik machen, die auf diesem besonderen Gefühl aufbaut.”

Auf der Erfahrung, dass es etwas gibt, das alle einander verbindet  –  das Rave-Gefühl. Der Rhythmus, der alle ergreift außer ein paar, die sich erbittert dagegen wehren. Und ausgerechnet diesen paar sollte Corona zum Triumph jetzt verholfen haben? Undenkbar:

“Schon vor der Pandemie haben wir uns gefragt: Wo können wir uns noch treffen, austauschen, zusammenleben, ‘leben’? Welche Verbindungen sind in einer individualistischen Gesellschaft möglich? Wie muss eine Veranstaltung oder eine Situation beschaffen sein, damit jeder teilnehmen kann und respektiert wird? Wie kann Musik einen solchen Raum ermöglichen?“

Große Fragen. Anders aber wird der Club, der Konzertsaal, die Kirche, wird der Kulturbetrieb insgesamt nicht wieder auf die Beine zu bringen sein und die Beine nicht auf den Dancefloor: „Es gibt ein Vermächtnis an großen musikalischen Antworten”, sagen BBF, “wir müssen immer weiter nach neuen Antworten suchen.“

“Multi Faith Prayer Room” wird irgendwann jetzt veröffentlicht, so oder so geht die Musik von BBF dahin zurück, wo das Gefühl seinen Ursprung hatte, zurück in die Erfahrung des Clubs.

Brandt Brauer Frick treten am Freitag den 10. März um 20.00 Uhr in der Christuskirche in Bochum auf. An der Abendkasse gibt es noch Karten.

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