Sie ist im politischen Tagesgeschäft gefühlt etwas in den Hintergrund geraten in den letzten Tagen und Wochen. Nachdem sich das Pandemiegeschehen in Deutschland zuletzt zum Glück wieder etwas beruhigt hat, kam Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Tagen und Wochen nur noch relativ selten vor in den Medien. Das hat natürlich auch mit dem die politische Szenerie derzeit überlagernden Bundestagswahlkampf zu tun, der an der scheidenden Kanzlerin weitestgehend vorbeilief.
Und auch wenn sie sich dann in der Endphase des Wahlkampfs doch noch ein paar Mal mehr als von ihr wohl ursprünglich gedacht in die heiße Phase zu Gunsten des unerwartet schwächelnden Unions-Kandidaten Armin Laschet eingemischt hat, standen andere Politiker zuletzt bereits deutlich mehr im Mittelpunkt. Dabei hätte Merkel es durchaus verdient in diesen Tagen, so kurz vor dem Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit, noch etwas näher beleuchtet und auch für ihre Zeit im Kanzleramt gewürdigt zu werden.
Was wird, wenn die neue Bundesregierung in ein paar Wochen im Amt sein wird, von Angela Merkel rückblickend vor allem im Gedächtnis bleiben? Nun, viele denken bei ihrem Namen sicherlich noch immer in erster Linie an die Situation rund um die Flüchtlinge im Jahre 2015.
Die zuvor in der Öffentlichkeit im Vergleich zu ihren Vorgängern Kohl und Schröder von vielen als relativ blass und unscheinbar eingestufte erste Frau im Kanzleramt bewies in dieser kritischen Phase Rückgrat und setzte sich gegen erhebliche Widerstände durch, indem sie deutlich mehr Geflüchtete in Deutschland aufnehmen ließ als viele in der Bevölkerung das wollten. Das nötigte einem, ob man die Unionsparteien und ihre Politik in diesem Zusammenhang nun im Detail mochte oder nicht, zumindest ein gehöriges Maß an Respekt ab. Spätestens hier entwuchs Merkel dem Image von ‚Kohls Mädchen‘.
Merkel stand felsenfest zu ihren wichtigsten Überzeugungen und blieb ihnen auch bei zunehmendem politischem Gegenwind treu. Das war auch während der Corona-Pandemie wieder überwiegend der Fall. Ihr Kurs der Vorsicht, der vom Robert Koch-Institut gestützt wurde, führte Deutschland ohne Panik oder allzu große gesellschaftliche Verwerfungen durch das Jahr 2020. Im Vergleich zu vielen Nachbarländern sah es hier noch ganz gut aus.
Inzwischen hat sich das Lagebild etwas geändert. Der langsame Impfstart zu Jahresbeginn 2021 trübte das Bild mit dem sie uns allen in Erinnerung bleiben wird wohl ebenso deutlich, wie die ziemliche Planlosigkeit mit der die Bundesregierung insgesamt im Jahre 2021 im Hinblick auf das Corona-Virus und seine Auswirkungen auftrat. Dass Merkel sich zudem mit ihren diesbezüglichen Vorstellungen gegenüber der Runde der Ministerpräsidenten auch immer häufiger mal nicht durchsetzen konnte, (Stichwort Osterruhe) war in dieser Ausgeprägtheit ebenfalls ungewohnt.
Nun also naht mit großen Schritten ihr Abschied aus dem Kanzleramt. Sie übergibt ihrem Nachfolger bzw. ihrer Nachfolgerin in Kürze ein Land, das sich trotz ihrer häufig bewährten Politik der ruhigen Hand inzwischen in einer sehr schwierigen Phase befindet.
Die Folgen der Pandemie sind noch nicht abzusehen, die gesellschaftlichen Verwerfungen werden spürbar größer. Das mag auch zu gewissen Teilen an ihrer Politik der vergangenen Monate liegen. Nur kann das, was rund 15 Jahre lang aus Sicht großer Bevölkerungsteile ganz respektabel lief, ja nicht urplötzlich von einem Tag auf den anderen alles schlecht sein.
Könnte man Merkel persönlich fragen, und würde sie einem offen und ehrlich antworten, würde sie sicherlich selber einräumen, dass sie sich für ihre 16 Jahre ein anderes Ende erträumt hätte. Und selbst ihre Kritiker müssten wohl zugestehen, dass sie das für ihren Einsatz und die Leistungen der Zeit ab 2005 auch verdient gehabt hätte.
Merkel wirkte in den vergangenen Wochen und Monaten zunehmend müde und ausgelaugt. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen, die während der Pandemie an ihre psychischen und körperlichen Grenzen gegangen sind. Vor diesem Hintergrund ist ihr politischer Rückzug sicherlich alternativlos.
Auch an den Kandidaten für ihre Nachfolge im Amt sind die vergangenen Monate offenkundig nicht spurlos vorbeigegangen. Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock haben zuletzt in einer an vielen Stellen im Lande aufgeheizten Stimmung und einer insgesamt unruhigen Zeit einen intensiven Eindruck davon gewinnen können bzw. müssen, was ihnen demnächst dauerhaft ‚blühen‘ könnte, wenn sie sich in der Bundestagwahl 2021 als Kandidaten für den Regierungschef durchsetzen.
Angela Merkel musste das, auch wenn sie das alles natürlich wie die Bewerber um ihre Nachfolge natürlich völlig freiwillig tat, in ähnlicher Form jetzt schon rund 16 Jahre lang überstehen. Das alleine ist eine Leistung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.
Die Chance, dass Merkels Nachfolger(in) es in diesen unruhigen Zeiten noch einmal so lange im Kanzleramt aushält wie sie es tat, die ist vor diesem Hintergrund wohl nur sehr gering!
Robin,
es wird noch über eine sehr, sehr lange Zeit vielfältige Versuche geben, die "Verdienste von Frau Merkel" zu würdigen. Es besteht also kein Anlass, Versäumnisse zu bedauern.
Abgesehen davon, daß ich den in 16 Jahren installierten und praktizierten "Merkel-Ismus" in Gänze als schädlich für Deutschland und Europa halte, gehe ich von der Vermutung aus, daß man in 5o Jahren bei der Aufzählung "Großer KanzlerInnen" in Deutschland Frau Merkel nicht erwähnen wird, wohl aber Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl.
Zudem hoffe ich sehr, daß es zukünftig – nach Merkel – für niemanden die von Dir im letzten Absatz Deines Kommentars angesprochene (erhoffte ?) Chance auf eine 16 jährige Kanzlerschaft geben wird.
Da die zukünftige Regierungsbildung drei oder vier Parteien vervielleich dieeinigen muß, werden wir noch lange auf eine neue Kanzlerin warten müssen. Und solange bleibt uns Merkel als Kanzlerin erhalten. Also ist es zu früh, über ein Ende ihrer Kanzlerschaft nachzudenken. Vielleicht einigt man sich ja sogar auf sie.
Helmut Junge,
ja, es ist Vieles denkbar.
Eine "verlängerte Kanzlerschaft" von Merkel als sog. geschäftsführende Kanzlerin über den Tag des Zusammentrittes des neuen Bundestages hinaus, ist nicht unwahrscheinlich.
Denkbar, aber für sehr unwahrscheinlich halte ich es allerdings, daß Merkel vom Bundestag für weitere 4 Jahre erneut zur Kanzlerin gewählt wird.
Für die demokratischen Fraktionen im "neuen" Bundestag gibt es bekanntlich mehrere Möglichkeiten der Koaltionsbildung und damit für eine Kanzlerwahl.
Zu diesen Möglichkeiten gehört z.B. , daß die Grünen bereit sein könnten zu einer Koalition mit CDU/CSU und FDP, aber nicht mit Laschet als Kanzler, sondern z.B. mit Söder. Würden sich CDU/CSU einem solchen Verlangen der Grünen mit Aussciht auf eine erneute Kanzlerschaft widersetzen?
Und wenn "alle Stricke reißen sollten"?.
Der Bundespräsident könnte den Bundestag auflösen mit der Folge von Neuwahlen. Wer könnte das wollen, weil……?
Denkbar, aber m.E. ehe unwahrscheinlich.
Unwahrscheinlich angesichts der mehrfach unterschiedlichen Möglichkeiten von Koalitionsbildungen und auch angesichts der Möglichkeit, eine Kanzlerin/einen Kanzler wählen zu können, der/die nicht Scholz, Laschet oder Baerbock heißt.
"Was wird […] von Angela Merkel rückblickend vor allem im Gedächtnis bleiben?"
Die Flüchtlingskrise sicherlich. Möglicherweise die "Bankenrettung", deren Kosten wohl auch im nächsten Jahrhundert noch drückend sein werden.
Langfristig werden die Historiker wohl auf ihren "alternativlosen"Regierungsstil, geprägt von Hinterzimmermauscheleien, zu sprechen kommen, der an Parlament und Bevölkerung vorbei regierend, für Fakten sorgte. Und an die Kanzlerin, die soviele unfähige und in Skandale verstrickte Minister in ihren Kavinetten hatte wie nie zuvor in der Bundesrepublik.
Falls es ein stiller Abschied werden sollte, dann war der alternativlos. Das hat sie sich verdient.
Ich frage mich gerade, welcher der vorherigen Kanzler sich unbestritten 'besser' verhalten hat? Klüger? weniger Gemauschel? Kohl? Schröder? Ernsthaft?
Hätte, hätte Fahrtradkette!
Merkel hat die bewährten Grundlagen deutscher Fiskalpolitik über Bord geworfen und die Energiepolitik hinterher, um nur zwei ihrer vielen gravierenden Fehlentscheidungen zu nennen. Eine Eurorettung würde ich Kohl auch zutrauen, Schröder weniger, aber nicht den Rest. Frau Merkel dagegen hat stets das getan hat, was in der veröffentlichten Meinung grade populär war.
Jetzt hat sie ihre Schuldigkeit getan und kann gehen.
Dieses Land ist marode. Jeder, der mit offenen Augen durch durch Stadt und Land geht und fährt kann es sehen. Die Infrastruktur ist am Arsch, die Leute sind furstriert bis aggressiv und die pollitische Elite ausgelaucht, bzw. gar nicht mehr vorhanden. Daran ändern auch alle Sonntagsreden über Aufbruch und Wende ncihts.
Wir können alle froh sein, dass das Corona Virus nur für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung wirklich gefährlich war. Die verpennte Bürokratie dieses Landes hätte sonst noch viel mehr Tote auf dem gewissen. Und wer behauptet, dass das alles mit der Frau nichts zu tun hat, die dieses Land seit 16 Jahren durchgehend und hauptverantwortlich regiert, dem ist nicht mehr zu helfen.
Arnold,
ja, aber……..
Eine große Mehrheit der Bundesbürger -der Wähler- ist nicht willens -nicht fähig?- den von Dir beschriebenen Zustand zu erkennen und notwendige Konsequenzen seitens "der Politik" einzufordern; ganz im Gegenteil. Und "der Politik" fehlt es an Persönlichkeiten -auch in meiner Partei, der SPD-, die fähig und willens wären, aus dem von Dir beschriebenen Zustand eigenständig und eigenverantwortlich Konsequenzen zu ziehen, ggfls. gegen heftige Widerstände in der Gesellschaft. Ich befürchte , daß zu dieser gesellschaftspolitischen Verfaßtheit ganz wesentlich die auch von Dir kritisierten16 Jahre Merkel-ismus beigetragen haben und daran -bis auf Weiteres- auch die morgige Wahl nichts Fundamentales verändern wird.
Oder? Denkbar, aber derzeit ehe unwährscheinlich, daß mich die neue Bundesregierung unter welchem Kanzler auch immer (unter welcher Kanzlerin?) dieserhalb positiv überrascht.