Wir leben bekanntlich in komplizierten Zeiten. Und das auf sehr vielen Ebenen. Politik ist nur eine davon. Wie viele Millionen anderer Menschen in diesem Lande auch, tue ich mich zunehmend schwer damit, mich an Wahltagen für eine Partei zu entscheiden.
Früher war das mal anders. Ich komme ursprünglich aus einer typischen SPD-Familie aus dem Ruhrgebiet. Einige Verwandte arbeiteten in meiner Kindheit noch aktiv auf der Zeche, andere verdingten sich als kleine Angestellte oder mittlere Beamte. Da war eigentlich immer klar, wen man an Wahltagen zu unterstützen hatte. Die Interessen der ‚Arbeiter‘, der einfachen Leute, die vertrat die SPD damals noch eindeutig am besten.
Die Zeiten änderten sich. Spätestens mit der Einführung der Agenda 2010 fühlte auch ich einen wachsenden Riss zwischen mir und der Einstellung großer Teile meiner Familie auf der einen und der SPD auf der anderen seite wachsen. Irgendwann war dann bei mir persönlich auch Feierabend bei der Unterstützung. Ich brachte es irgendwann rund um die Jahrtausendwende nicht mehr über das Herz mein Kreuz am Wahltag bei dieser Partei zu machen.
Für einige Jahre wechselten meine politischen Sympathien zu den Grünen. Bei diesen wurde ich sogar zwischen 2010 und 2012 kurzzeitig Mitglied, saß für diese einst sogar kurzzeitig im Stadtentwicklungsausschuss meines Wohnortes. Doch irgendwann fühlte ich mich auch dort politisch nicht mehr heimisch.
Ich entdeckte in der Folgezeit zunehmend meine Sympathien für die Linke. Dort schienen mir die Interessen der ‚kleinen Leute‘ noch am ehesten vertreten zu werden. Und als ein ebensolcher ‚kleiner‘ fühlte ich mich immer noch. Die Schere in unserer Gesellschaft, sie öffnete sich aus meiner Sicht im Laufe der Jahre einfach zu stark.
Die Kluft zwischen Arm und Reich, sie wurde mir viel zu groß. Daher konnte ich anfänglich auch über die teilweise extremen Auswüchse innerhalb dieser Partei hinwegsehen. Bei insgesamt steigendem Frust über Politik und Entwicklung dieser Gesellschaft, sah ich bei den Linken trotz allem immer noch die größte Übereinstimmung mit meinen Vorstellungen und Werten.
Bei der Europawahl 2019 war es dann auch im Fall der Linken mit meiner Unterstützung am Wahltag vorbei. Ich trieb meine Entwicklung zum Wechselwähler auf dem eher linken Spektrum weiter voran, entschied mich damals für die PARTEI. Nicht weil ich deren Angebot so überzeugend fand, sondern schlicht, weil ich die anderen Angebote nicht unterstützen wollte, eine Art Protestwahl für mich persönlich ausrief. Damals erschien mir das angemessen und nötig, auch weil in diesen Tagen vermehrt über Enteignungsphantasien (Vonovia etc.) der LINKEN berichtet wurde, die ich ganz und gar nicht teilen konnte.
Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl 2021, stecke ich erneut in einem ganz ähnlichen Dilemma. Wirklich überzeugt hat mich zuletzt keine Partei, keiner der offiziellen Kanzlerkandidaten. Überall finde ich mich ein Stück weit wieder, was sich auch in meinem Ergebnis beim Wahl-O-Mat wiederspiegelt, bei dem alle großen Parteien bei mir auf niedrigem Niveau nahezu gleichauf liegen.
Für eine weitere Protestwahl ist mir die Lage aktuell aber deutlich zu ernst. Die kommenden Jahre werden sehr wichtig für Deutschland und die Welt werden. Die Folgen der Pandemie, der Klimawandel, die wirtschaftlichen Herausforderungen, all das und noch mehr muss gemeistert werden. Ein ‚Weiter so‘ darf es dabei aus meiner sicht aber nicht geben. Es muss ein Wechsel her, eine Trendwende zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und kritischem Denken.
Und das ist es dann auch, was mich dazu gebracht hat, am kommenden Sonntag trotz diverser Bauchschmerzen u.a. in Bezug auf ihre Außenpolitik erneut die LINKE zu wählen, wie ich es schon bei den vergangenen Wahlen auf Bundesebene getan habe.
Der aus meiner Sicht wichtigste Punkt, die größte Herausforderung wird sein diese Gesellschaft wieder zu vereinen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verkleinern, sie zumindest nicht weiter auseinanderreißen zu lassen. Das gelingt wohl am ehesten mit dem, was sich diese Partei für die kommenden Jahre vorstellt.
‚Kleine Leute‘, wie wir es in meiner Kindheit und Jugend immer waren, müssen endlich wieder deutlich gestärkt, ihre Lage spürbar verbessert werden, ihre Interessen müssen von der Bundesregierung mehr berücksichtigt werden. Die in den vergangenen Jahren mehr und mehr geschrumpfte ‚Mittelschicht‘, sie gehört unterstützt und nach Möglichkeit wieder vergrößert.
Also unterstütze ich am 26. September, trotz aller Bedenken, die LINKEN. Gründe für Ablehnung und Widerspruch finde ich, wie beschrieben, auch dort. Sogar gar nicht so wenige, um ehrlich zu sein. Aber das ist bei näherer Betrachtung der anderen Parteiprogramme und Äußerungen auch nicht anders.
Ich wähle damit nach reiflicher Überlegung am Sonntag die Partei, deren Grundausrichtung am ehesten meiner Erziehung und Sozialisierung entspricht, die sich meiner Einschätzung nach am deutlichsten für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft einsetzen will.
Und das ist trotz der zuletzt durchaus positiven Entwicklung mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz eben nicht die SPD, das ist schon gar nicht die mir vom Wahl-O-Maten sogar auf Platz 1 empfohlene Union von CDU und CSU und das sind noch immer nicht, die mir im Laufe des Lebens zugegebenermaßen immer sympathischer gewordenen Liberalen der FDP. Diese Wahl des kleinere ‚Übels‘, das ist für mich die zugegebenermaßen häufig sehr widersprüchliche, manchmal etwas über das Ziel hinausschießende Partei DIE LINKE.
Wirklich glücklich bin ich mit dieser Entscheidung nicht. Aber ich tröste mich über diese Verunsicherung einfach mal mit dem Gedanken hinweg, dass es damit eigentlich ja auch nur eine Partei ist, die in sich ähnlich widersprüchlich ist, wie die aktuelle Lage in diesem Lande. 😉
Die Positionen zur Nato , das Abstimmungsverhalten bei der Evakuierung aus Kabul, die absurd hohen Steuersätze, die hohe Anzahl an Ideologen usw.
Nö, das ist keine Realpolitik. Im Einzelfall mag es natürlich durchaus kümmere etc geben, insgesamt passt bei der Partei einfach zu wenig.
Alle Achtung!
Bei mir kam die CDU/CSU weit hinten. Dass bei Ihnen das ganz anders war und Sie diese Wahlentscheidung getroffen haben, zeigt mir, dass der Wahl-O-Mat, wie auch das gesamte mediale Wahlkampf-Theater, eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen, die soziale Gerechtigkeit, nicht so wichtig nimmt, wie es eigentlich notwendig wäre. Da ich Ihre Artikel seit langer Zeit mit steigendem Interesse lese, wundert es mich nicht so sehr, dass der W-Mat uns andere Empfehlungen gibt, es freut mich aber, dass Sie, vielleicht aus sozialdemokratischer Prägung, der einzigen relevanten Partei Ihre Stimme geben, für die Soziale Gerechtigkeit nicht nur ein leerer Slogan ist.
Gestern noch einmal den Wahlomaten bedient. Diesmal nur die 5 Parteien zugelassen, die bereits im Bundestag vertreten sind. Zusätzlich streng nach Gefühl doppelt gewertet. dabei kam zu meiner Überaschung heraus SPD und Linke 59% bzw. 58% und der Rest war deutlich darunter 54% Grüne und die anderen leicht tiefer, bis sogar unter 50%. Von einer 70% Zuneigung bin ich aber weit entfernt. Ich mag sie alle nicht.
Rot-Rot braucht aber noch einen Koalitionspartner. Der könnte dann Gelb, Grün, oder Schwarz sein. Mir egal. Ob mit Laschet Rot-Rot-Schwarz ginge?
#3
Wenn Laschet Kanzler wird, wird für ihn alles gehen
Die Linke in NRW für mich bei der BTW nicht wählbar, solange auf Platz eins diese National Sozialdemokratin steht.
Dieser feuchte Traum aller Querfront/denkerInnen.
Schade
Bei mir ist es jetzt auch so, dass die soziale Kompetenz der Linkspartei auch die tw. häßlichen Nebengeräusche überlagert. Das Umdenken in Sachen Wahlentscheidung bei mir begann mit einem Aufmacher in der FAS vor drei Wochen. Das klang alles recht vernünftig,was da aus der Linkspartei berichtet wurde.
Ich wollte zunächst, frei nach Tucholsky, nicht zur Wahl gehen, habe mich dann aber für Laschet entschieden. Er ist der einzige Kanidat, der willens und in der Lage ist unsere fragmentierte Gesellschaft zu defragmentieren. Und da ich mich weigere männerfeindliche Parteien zu wählen, kommen SPD und, Die Grünen, für mich erst gar nicht infrage.
@ Manfred Michel
"männerfeindliche Parteien": was bist du denn für eine Frau?
@Karla, @Ke, ich finde die Idee amüsant, daß es zu einer Rot-Rot-Schwarzen Koalition unter Kanzler Laschet kommen könnte. Denn es ist doch DIE Lösung für die CDU, wenn sie unbedingt Rot-Grün-Rot verhindern will- Selber dabei sein anstelle der Grünen kann helfen. Denn dabei sein ist alles.
Und Janine Wissler hat während der TV-Sendungen die den nicht zum Triell geladenen Parteien (Katzentisch-TV) auch nicht die CDU direkt angegriffen, sondern nur die Parteien, die dabei mitmachen durften. Das werte ich schonmal als Signal für Rot-Rot-Schwarz.
Wissler hat ihr Anliegen übrigens gut vorgetragen. Die Linke hat also nicht nur Sahra Wagenknecht, die wohl an der derzeitigen Richtung ihren Anteil hat. Diese Partei entwickelt sich zur echten SPD. Ich kann die Gedanken von Robin Patzwald, der die Linke wählen will, gut nachvollziehen.
Bleibt aber immer noch, wie Jupp Schmitz richtig erwähnt, "diese National Sozialdemokratin" und ihr Ehemann. Die letzten Interviews, die ich von Lafontaine las, fand ich haarsträubend. So wie Westerwelle einst Geringverdienerinnen gegen Hartz-IV-Empfänger gegeneinander aufhetzen wollte, macht es Lafontaine heuer mit Hartz-IV-Empfängerin und Migranten. Unter Kipping war Die Linke zweistellig, mit diesem eierigen Lafontaine-Wagenknecht-Kurs hingegen ist sie fast auf die 5-Prozent-Hürde gefallen…
@ Sneaking beauty Das beste Ergebnis bei BTWs hat die PDS/ Linke unter Lafontaine-Wagenknecht erreicht, knapp 12%(2009) Vorher und nachher war man immer einstellig.
Also ich könnte dieser links-populistischen Bewegung keine Stimme geben. Die „hässlichen Nebengeräusche“ dieses Vereins sind eben keine Nebensache, sondern überlagern alles, was die an vermeintlich Vernünftigem von sich geben.
Mir ist ein Rätsel, wie man glauben kann, eine Koalition aus linksreaktionärem stalinistischen Mief, SPD-Sektierern und fortschrittsfeindlichen Grünen können eine Antwort auf die Fragen der nächsten Jahre finden. Mit Umverteilung und Geldgeschenken lassen sich zwar keine Probleme lösen, aber dafür die eigene Klientel bestens bei der Stange halten. Der Umbau zu einem Agrarstaat ist kein Bollwerk gegen die Klimaerwärmung, ebenso wenig die bevorstehende Abschaltung von Atomkraftwerken, die auf der Habenseite wenigstens kein CO2 erzeugen. Gegen ein immer aggressiver auftretendes China kennt die RRG-Verbindung nur eine Antwort: Unterwerfung. Die immer loser werdenden Verbindungen zu freien Staaten wie USA, Kanada, England, Australien werden noch brüchiger, weil die EU ausschließlich auf Mauscheleien und kurzfristige ökonomische Vorteile setzt, statt einen Plan gegen die kommenden Zumutungen zu entwickeln. RRG wird alle negativen Entwicklungen noch verstärken.
Zum Glück geht die Welt nicht unter, wenn RRG gewählt wird – wir verlieren nur wieder vier Jahre, die besser genutzt werden könnten.
[…] ergibt sich sowohl für die Liberalen als auch für die Linken eine kniffelige Situation, die sie einerseits zu einem begehrten politischen Partner macht, andererseits aber eben auch ein […]
[…] Bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst traf ich meine Wahlentscheidung letztendlich nur mit großen Bauschmerzen. Doch jetzt, gut ein halbes Jahr später, fällt mir die Auswahl noch einmal deutlich […]