Bücherverbrennen 1933: „Jahn-Geist ist Hitler-Geist“

Jahn-Denkmal in Berlin Neukölln by Neuköllner CC 4.0

 

Überall Jahn-Straßen und Jahn-Plätze, der „Turnvater“ steht fürs Bücherverbrennen, die Nazis haben ihn verehrt: „Jahngeist ist Hitlergeist“, schrieb die Deutsche Turnzeitung 1933 und im Jahr darauf, Hitler habe vollendet, „was Jahn als Seher kündete“. Lässt sich  –  Teil (II) der Frage  –   ein Denkmal stürzen, indem man es stehen lässt?

1856 Straßen in Deutschland sind nach Friedrich Ludwig Jahn benannt, im Frühjahr 1933 werden in rund 50 Städten Scheiterhaufen errichtet für Bücher: „Die Flammen, die zuerst über den Bücherhaufen prasselten, verschlangen später im Feuersturm unsere Städte.“

Schreibt Peter Suhrkamp 1947. Ähnlich Erich Kästner, der am 10. Mai 1933 zusammen mit wohl 70 000 anderen am Berliner Opernplatz steht und seine eigenen Bücher verbrennen sieht, zwanzig Jahre erklärt er: „Es begann mit Fackelzügen und endete mit Feuerbestattung.“

Die Metapher passt, solange mit ihr gemeint ist, dass es die Deutschen selber waren, die ihre Städte in Schutt und Asche gelegt haben. Das Problem mit solchen Vorhersagen im Nachhinein ist, dass sie die Sache selber als eine rein symbolische verstehen lassen, es führt in die Irre: Als hätte sich hier die Kulturfeindlichkeit der Nazis gezeigt. Nein, hat sie nicht, gezeigt hat sich, was gezeigt wurde.

Zunächst dies: Die Nazis stellen sich in eine Tradition. „Das Anknüpfen an das Wartburgfest von 1817 war unübersehbar gewollt“, urteilt Werner Treß, ähnlich Wolfgang Benz: „Stilbildend war das ‚Wartburgfest‘“, von Friedrich Jahn kuratiert.

In der Tat, ganz wie 1817 werden Hymnen gesungen, „Thesen“ proklamiert, „Feuersprüche“ geschwungen, man leiht sich Schlachtparolen und Kulissen aus, um eine neue Szene aufzuführen. Wieder ist es eine wunderlich gemischte Gesellschaft von Büchern, manche Autoren links, manche jüdisch, andere weder noch  –  es ist, als sollte alles althergebracht erscheinen, keinesfalls revolutionär.

Jeder kann mittun, jede ihren Beitrag leisten

Und ganz wie 1817 sind es erneut studentische Gruppen, sie agieren autonom: Die Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 sind eben nicht, wie man denken möchte, von Goebbels erdacht und staatlich organisiert, sie sind ein Projekt der Deutschen Studentenschaft (DSt), dem Plenum aller Allgemein Studentischen Vertretungen an den Universitäten, den ASten, und sind „völlig in eigener Regie durchgeführt“, so Werner Tress. Hintergrund:

Die DSt und ihre Studierenden sind schon in den frühen 20er Jahren nach ultrarechts gerutscht, ab 1926 gesellte sich der NS-Studentenbund hinzu, Anfang der 30er Jahre gehörten noch „maximal 5 % der Studenten Hochschulgruppen der demokratischen Weimarer Parteien an“, berichtet lwl.org über eine der ersten 5%-Klauseln in der deutschen Geschichte.

Im Frühjahr 33 stauen sich die 95%igen dann vor den Türen der Macht, es winken Stellen in den Behördenapparaten, soeben von den Nazis übernommen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ beispielsweise, mit dem politisch unzuverlässige Beamte  –  jüdische sowieso  –  ausgeschlossen werden, liest sich für Akademiker wie ein Stelleninserat.

Erlassen wird dieses Gesetz am 7. April, am 12. April startet die Kampagne der deutschen Studierenden, handwerklich sauber über vier Wochen hinweg aufgezogen: Einer „Aufklärungsaktion“ mit reichsweiter Pressearbeit und Plakatierung folgt eine „Sammelaktion“ und schließlich der „Verbrennungsakt“.

Auffällig hier die „Sammelaktion“, die Studierenden setzen auf Partizipation, sie wird das eigentlich Stilbildende jetzt:

Sammelstellen werden eingerichtet, studentische Stoßtrupps stöbern durch Buchhandlungen, jeder kann mittun und jede ihren Beitrag leisten. Die Bevölkerung wird aufgerufen, die eigenen Bücherschränke zu sichten, Leihbüchereien werden genötigt, die inkriminierten Bücher zur Abholung bereit zu stellen, noch Wochen später stürmen studentische Kommandos  –  eine frühe BDS-Bewegung  –  durch Bibliotheken, ziehen Stichproben aus dem Regal, drohen mit Boykott.

Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung von Micha Ullmann | Foto Luis Alvaz CC 4.0.

 

Höhepunkt des partizipativen Gedankens: der „Verbrennungsakt“, den Weg zum Feuer finden die Bücher, indem sie von Hand zu Hand eine Menschenkette entlang geleitet werden, der Rundfunk berichtet per Staffelschaltung wie WDR 2 vom Bundesliga-Samstag.

Diese Mitmach-Module sind neu im Vergleich zu Jahns Inszenierung 1817, es gibt andere historische Vorbilder für sie  –  Florenz 1497 beispielsweise, damals zog eine Art Kinderpolizei durch die Stadt, um Luxusgüter zu akquirieren, die das „Fegefeuer der Eitelkeiten“ gefüttert haben. Oder die Aktion „Gold gab ich für Eisen“, sprich: Schmuck für einen Eisenring, mit dem Erlös wurde 1813 der „Befreiungskrieg“ gegen Napoleon finanziert. Eine entsprechende Kampagne  –  „Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr“  –  rollte während des I. Weltkrieges durchs Land, und wer 1933 studiert hat, dürfte als Kind etwas mitbekommen haben davon, dass sich, wenn man die soziale Kontrolle anwirft, werthaltige Dinge einsammeln lassen.

Und auch solche, die als unwerthaltig gelten, nämlich die sog. Schund- und Schmutzliteratur: Mit gigantischen Auflagen erreichte sie ab den 1870er Jahren eine mehr und mehr lesefähige Gesellschaft, der trivialliterarische Sektor wies zeitweise höhere Umsätze und Beschäftigungszahlen auf als die gesamte restliche Branche. Das Volk der Dichter und Denker las Buffalo Bill.

Dagegen begehrten alle möglichen Initiativen auf, behördliche und schulische, kirchliche und gewerkschaftliche, Groschenromane wurden konfisziert und mit Pomp vernichtet wie etwa im Dezember 1921 in Berlin, ein Neuköllner SPD-Stadtrat ließ rund 40 000 sogenannte Schundhefte auf dem Tempelhofer Feld verbrennen“.

Zwölf Jahre später spricht auch Goebbels von „Schund und Schmutz“, als er von den Studierenden an den Berliner Scheiterhaufen eingeladen wird. „Kampf gegen Schmutz und Schund“ betiteln die Zeitungen ihre Nachberichte, „Heraus mit Schmutz und Schund“, „Gegen Schund- und Schmutzliteratur“ usw.

Kein Ersatz mehr fürs Handeln

Deutlich also: Nichts an der Kampagne 1933 ist originell, jedes Modul ist vertraut, alles scheint zu sein wie schon einmal gewesen. Die Bücher werden zum Schafott gefahren wie Louis XVI zur Guillotine und dazu Sprüche wie beim Hochamt deklamiert, überall borgt man sich aus und gibt sich basisbewegt. Was anders ist jetzt:

Die ganze Symbolik hat keine symbolische Bedeutung mehr.

Die Studierenden rücken  –  nahezu zeitgleich an fast allen Hochschulorten  –  in eine wirkliche Materialschlacht ein. Keine Makulaturen, echte Bücher. Hohe Auflagen. Komplette Bibliotheken wie die von Magnus Hirschfeld, sie besteht aus mehr als 10 000 Bänden. „Lastwagen rollten heran wie an eine Verladerampe“, schreibt Kästner.

Mit Symbolpolitik hat das nichts mehr zu tun, sie erfüllen ihren Auftrag bereits. Wie sie vor aller Augen Bücher sichten, sammeln und verladen und dann abtransportieren und einlagern und dann erneut verladen und erneut transportieren, nur um sie am Ende ins Feuer zu werfen, ist es kein Ersatz mehr fürs Handeln, sondern es selbst.

Ein paar Karrierejahre später werden die Juden Europas  –  der „jüdische Geist“ –  auf eben diese Weise eingesammelt, eingelagert und in Krematorien geworfen. Für die Bücherverbrennung 1933 gilt, was Shulamit Volkov über Hitlers Rhetorik schreibt, sie „zwang selbst dem Kern des Antisemitismus eine Bedeutungsveränderung auf.“

Deshalb trifft der Satz von Heinrich Heine  – „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ –  einerseits zu, wenn man ihn aus seinem Kontext löst und auf die Bücherverbrennung der Nazis anwendet, andererseits drängt sich so eine falsche Deutung auf: Auschwitz ist nicht das Ergebnis von Kulturfeindlichkeit.

Platz der Bücherverbrennung in Berlin: Königliche Bibliothek (li), Staatsoper (re) | Jan Künzel CC 4.0

 

Dort, wo man Bücher verbrennt, werden Bücher gepflegt und Opern gespielt, wo man Menschen verbrennt, werden Gedichte geschrieben und Filme gedreht. Die Nazis haben die „Judenfrage“ nicht länger verschieden interpretiert, ihnen kommt es darauf an, sie endlich zu lösen. Vermutlich habe Hitler, schreibt Volkov, „keinen klaren Plan gehabt, wie er die Juden behandeln würde, aber sein Antisemitismus war von Anfang an ganz und gar und bewusst eine Sache des Handelns.“

Dieses Primat der Praxis, die Fraglosigkeit der „Judenfrage“, habe den Antisemitismus von Grund auf verändert. Was eben noch symbolische Kommunikation gewesen ist  –  das Bücherverbrennen  –  wird jetzt „zu einem ganz neuen Material  –  explosiv, gefährlich, direkt in die Katastrophe führend.“

Stimmt er also, der Satz, „Jahngeist ist Hitlergeist“? Nein. Nur kam dem Jahngeist gegen diesen Hitlergeist nichts Anderes in den Sinn als mitzutun.

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Hier der erste Teil über Jahn und das Wartburgfest 1817: „Juden verachten, Bücher verbrennen: Warum wird Friedrich Jahn verehrt?“

Und der dritte und letzte: „Jahn in der Stadt: Alles eine Frage des Marketings?“

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Refael
3 Jahre zuvor

Vielen Dank, dass Sie Ihren Artikel geteilt haben. Es ist sehr hilfreich für mich.

Angelika, die usw.
Angelika, die usw.
3 Jahre zuvor

Vielen Dank für die beiden sehr interessanten Artikel.

Ali Mente
Ali Mente
3 Jahre zuvor

Das Löschen von Youtube-Videos ist die moderne Form der Bücherverbrennung.

Arnold Voss
Arnold Voss
3 Jahre zuvor

Alle guten Dinge/Menschen sind Drei. Auch ich möchte mich hiermit öffentlich für diese beiden Artikel zu Friedrich Jahn bei dir bedanken, Thomas.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

@ Alimente Da hast du so einiges im Artikel nicht verstanden.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Wie sich doch die Zeiten und Verhalten gleichen, wenn man an 68ziger (ebenfalls studentische Radikalisierung) und heutiger Cancelkultur denkt, sind die Parallelen mit umgekehrten Ideologischen Vorzeichen unübersehbar, hoffentlich nicht auch die Folgen.
Es hat sich nicht wirklich was geändert, außer den Etiketten für die man glaubt gerechtfertigt zu handeln.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

@Berthold Grabe, Zitat: "Es hat sich nicht wirklich was geändert, außer den Etiketten für die man glaubt gerechtfertigt zu handeln" Das stimmt aber nicht,ode nur halb. Hören Sie doch einfach mal in die alten Videos der 68iger Zeit rein. Glauben Sie wirklich, daß die heutigen Geisteswissenschaftler den damaligen studentischen Reden folgen können? Wenn ich die vielen Ein-oder Zweisatz- Kommentare lese, die fast immer als Kern das Wort Rechts oder Rassismus enthalten, bin ich sicher, daß diese Leute das nicht schnallen werden. Dazu kommt noch, daß ich heute noch viele Namen damaliger Studentenführer in Erinnerung habe. Heute sind alle anonym, die "Rechts" oder "Rassist" als ganzen Satz verstehen. Und wenn das damals inhaltlich auch fast alles Quatsch war, konnten die Studenten zumindest in einer hoch elaborierter Sprache sprechen. Ich wardamals noch zu jung, aber verstehen können, wollte ich das auch. Die Geschichte wiederholt sich trotz vieler Ähnlichkeiten nie ganz.

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