Donnerstag, 30. Juni 2011. Der erste Jahrestag. Ein Jahr lang ist er nun Bundespräsident, der Christian Wulff. Nachdem Horst Köhler, sein Amtsvorgänger, für alle etwas überraschend hingeschmissen hatte, war der Job des „Ersten Mannes im Staate“ erstmalig vakant, so dass Wulff direkt nach seiner Wahl das Amt anzutreten hatte. Und was das für eine Wahl war! Drei Wahlgänge, Hochspannung im völlig überfüllten Bundestagsplenarsaal im Reichstagsgebäude, Emotionen pur.
SPD und Grüne zogen in die Bundesversammlung, als ginge es in die Entscheidungsschlacht zur Rettung der Demokratie. Zur Ehrenrettung von Rot-Grün muss gesagt werden, dass man eigentlich nicht Christian Wulff persönlich zum großen Unhold „aufgebaut“ hatte. Doch die hübsche Idee, Kanzlerin Merkel mal eins auszuwischen, steigerte sich bis zur Besessenheit von dem Gedanken, dass einzig ein Präsident namens Joachim Gauck … – na was eigentlich?
Es hat nicht sollen sein. Merkel hatte ihren Willen bekommen und ist wieder einmal einen potenziellen innerparteilichen Konkurrenten losgeworden. Zumal sie bei dieser Gelegenheit gleich auch noch Ursula von der Leyen mit demolieren konnte, die zuvor in der Gerüchteküche als Unionskandidatin verheizt worden war. Jetzt ist Christian Wulff seit einem Jahr Bundespräsident, und auch in der SPD wundert sich inzwischen kein Mensch mehr darüber, dass trotzdem das demokratische Gefüge hierzulande immer noch leidlich funktioniert.
Nach einem Jahr im Schloss Bellevue ist der wesentliche Eindruck, den Wulff bislang hinterlassen hat, … Blässe. Doch auch dies ist ihm, der schon als Ministerpräsident seine Lieblingsrolle in Everybody´s Darling gesehen hatte, nicht allein anzukreiden. Nachdem er mit seiner Bemerkung, heute gehöre auch der Islam zu Deutschland, bei seinen Unionskollegen heftigen Widerspruch geerntet und sich seine schnelle Intervention in der Causa Sarrazin als ein juristischer Fehltritt erwiesen hatte, ist der gelernte Polit-Taktiker vorsichtiger geworden.
Auf die von Johannes Rau begründete Tradition der jährlich vom Bundespräsidenten gehaltenen Berliner Rede hatte Wulff kürzlich verzichtet, womit er sich beim Spiegel den gewiss nicht als Kompliment gemeinten Titel „Der sprachlose Präsident“ einhandelte. Was bleibt, ist sein gelungener Besuch in Israel, auf dem er sich von seiner Tochter und einigen ihrer Klassenkameradinnen begleiten ließ, womit er immerhin seinem selbst gesetzten Anspruch, ein „Präsident der mittleren Generation“ zu sein, eindrucksvoll gerecht geworden ist.
Und was ansonsten die Blässe betrifft: Wulff ist doch gerade erst einmal ein Jahr im Amt. Ein Jahr ist keine Ewigkeit, lehrte uns einst Michael Holm. Wulff hat also noch genug Zeit, in seinem Job Akzente zu setzen. Auch Rau, der die Aufgabe als Bundespräsident herbeigesehnt hatte, brauchte eine ganze Weile, bis er sich im Amt zurechtgefunden hatte. Heute, also genau zum Jahrestag, sieht es so aus, als starte Wulff erneut einen Anlauf, um Profil zu gewinnen.
In einer ganzen Reihe von Interviews beklagt Wulff, die Bundesregierung agiere insbesondere bei der Euro-Stabilisierung, aber auch bei der Energiewende am Bundestag vorbei. Parlamentarismus und die Demokratie würden ausgehöhlt, wenn so grundlegende Entscheidungen nicht im Parlament diskutiert und entschieden würden sondern in kleinen Kreisen und Sonderkommissionen, sagte Wulff. Die Frankfurter Rundschau zitiert SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann: „Das ist handfeste Kritik am Politikstil der Kanzlerin.“
So sieht es aus. Und man bedenke: auch nach der nächsten Bundestagswahl wird Wulff (mindestens) noch knapp zwei Jahre Bundespräsident sein. Er wird versuchen, dem Amt seinen Stempel aufzudrücken, und er wird sich – mangels attraktiver Alternative – um seine Wiederwahl bemühen. Wulffs Präsidentschaft könnte noch recht interessant werden. Alles Weitere wäre Spekulation.
Hahaha ! Danke für das fehlende „F“ !
@ Fred Alan Medforth:
Danke für den Hinweis! Huch, wie peinlich. Habe es – hoffentlich vollständig – korrigiert.
„Jetzt ist Christian Wulf seit einem Jahr Bundespräsident, und auch in der SPD wundert sich inzwischen kein Mensch mehr darüber, dass trotzdem das demokratische Gefüge hierzulande immer noch leidlich funktioniert.“
Es mag an meiner Auffassungsgabe liegen, doch der Sinn dieses Satzes ist mir nicht klar.
@ Gutartiges Geschwulst:
Bezieht sich auf den Absatz zuvor, in dem ich dargelegt habe, dass die Bedeutung der Präsidentenwahl von der SPD letztes Jahr maßlos übertrieben worden war.
@ Werner Jurga
Der Groschen ist gefallen. Danke.
Wulff ist imho der schlechteste Bundespräsident aller Zeiten.
@ Bert (#6):
Informieren Sie sich doch einmal über Heinrich Lübke, dem zweiten Bundespräsidenten (von 1959 bis 1969)! Die Satirezeitschrift „pardon“ hatte eine außerordentlich erfolgreiche Langspielplatte mit Redeauszügen Lübkes veröffentlicht. Hatte auch ich mir ab und an gern angehört, war sehr lustig. Heute weiß man, dass der Mann schon während seiner Amtszeit schwer hirnkrank gewesen war.
Seine Demokratieverachtung begann schon mit seinem Dank im Bundestag, er hat geflissentlich vier Mitbewerber nicht beachtet….