Da ich nun häufig gehört habe, die Bundestagswahl am 22. September sei im Grunde schon entschieden – zugunsten von Angela Merkel – , und gefragt worden bin, ob ich das auch so sehe, kommen hier sechs Gründe, warum dem mitnichten so ist. Von unserem Gastautor Uwe Knüpfer.
1. Die angeblich überwältigende Beliebtheit von Angela Merkel ist ein Mythos. Ein mediengemachter Mythos. Wer seine Ohren offenhält, erfährt sehr schnell: Frau Merkel wird dafür bewundert, dass sie Kanzlerin ist – und ungezählten Platzhirschen das Geweih genommen hat. Die Bewunderung erstreckt sich aber weder auf ihr Auftreten, noch auf ihr Redetalent, noch auf ihre Personalführungsqualitäten noch gar auf ihre Politik. Sie hat einen Daseins-Bonus, keinen Kanzler-Bonus.
2. Schwarzgelb wird allgemein als Desaster gesehen. Diese eine Konstante weisen alle Umfragen der letzten Monate auf: es gibt keine Mehrheit, die eine Fortsetzung der CDU/CSU/FDP-gelben Koalition möchte. Das ist ein verheerendes Zeugnis für die von Frau Merkel geführte Regierung – und grundsätzlich anders als 2009: Damals gab es in der Folge der Bankenkrise eine verbreitete Zufriedenheit mit der Performance der Großen Koalition. Diese Zufriedenheit trug Frau Merkel zum Sieg.
3. Die Union steht mitnichten geschlossen hinter Frau Merkel. Sie tut nur so. Und sie beweist im So-Tun beachtliche Disziplin. Wer sich jedoch unter Unionswählern bewegt, hört oft harsche bis vernichtende Urteile. Kritik bezieht sich auf die Profillosigkeit der Merkel-Union im Allgemeinen, auf ihre Familien-, Finanz- und Europapolitik im Besonderen. Die Kritik an der Finanz- und Europapolitik der Regierung ist insbesondere unter den Kernwählern der Union stark ausgeprägt: im Mittelstand und dem Besitzbürgertum
4. Merkel-Kritiker haben Alternativen. Die verbreitete Erwartung, Frau Merkel werde ohnehin gewinnen, lässt die Bereitschaft unter frustrierten Unionswählern wachsen, sich der Wahl zu enthalten oder gar an fremder Stelle ihr Kreuzchen zu machen. Sie haben dabei ungewöhnlich viele Möglichkeiten: die Alternative für Deutschland, die Freien Wähler, nicht zuletzt Peer Steinbrück, dem auch Unionswähler zumeist finanz- und europapolitisch mehr Wissen und Können zutrauen als der eigenen Kanzlerin. Die sonst übliche Standard-Alternative, die FDP, leidet in diesem Wählersegment unter einem mindestens so großen Ansehensverlust wie die Merkel-CDU.
5. Das verbreitete Steinbrück-Bashing fordert zum Trotz heraus. Mindestens unter SPD-Sympathisanten, auch kritisch eingestellten, wächst der Ärger über die mediale Behandlung des SPD-Kanzlerkandidaten. Hier baut sich, jenseits aller Umfrageergebnisse, etwas auf. Dazu ein anekdotischer Beleg: auf dem (außerordentlich gut besuchten) SPD-Deutschlandfest am 18. August musste ein ARD-Team ein Interview mit Sigmar Gabriel vorzeitig abbrechen, weil zufällig Dabeistehende auf Fragen des Reporters nach Koalitionsabsichten im Fall der zu erwartenden Niederlage mit spontanen Buh-Rufen reagierten. Auch ein „Ihr schreibt ja alle voneinander ab!“ war zu hören. Weitere Belege finden sich in Leserbriefspalten der Zeitungen und online-Kommentaren.
6. Am 15. September wählen die Bayern einen neuen Landtag. Erwartet wird ein klarer Sieg der CSU. Sollte dieser Sieg weniger klar ausfallen als derzeit medial vermittelt – oder gar ausbleiben -, entsteht eine Woche vor der Bundestagswahl eine völlig neue Dynamik. Denn der mediale Standard-Reflex auf solche Ereignisse ist: Hochschreiben, was unten ist (die SPD,Steinbrück) / Runterschreiben, was oben war (Merkel).
Also: Nicht abschalten! Der Ausgang dieser Wahl ist völlig offen. Es kann sehr spannend werden.
Uwe Knüpfer war Chefredakteur der WAZ und des SPD-Mitgliedermagazins Vorwärts.
Niemand will unseren sprechenden Hosenanzug heiraten oder adoptieren. In punkto Personalführung, Durchsetzungsvermögen innerhalb einer Haifisch-Partei und einer Koalition sowie Anerkennung im wichtigen Ausland ist ihr halt *zur Zeit* quer durch die Parteienlandschaft wirklich Niemand gewachsen. Und gewählt wird eben, wer *zur Zeit* den Job nachweislich am besten macht. War schon immer so und heißt deswegen auch Kanzlerbonus.
Ich bin nicht oft mit einem SPDler einer Meinung, aber auch ich sehe das Rennen noch lange nicht gelaufen. Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis der Piraten in Bayern und dann wird die letzte Woche vor der Bundestagswahl ein Selbstläufer.
Es ist wichtig, dass weder schwarz gelb noch eine große Koalition unser Land in den nächsten 4 Jahren regiert. Piraten im Bundestag könnten hier eine wichtige Rolle spielen.
Lieber Herr Knüpfer, auch wenn Ihnen diese Einsicht als Betroffener schwer fallen sollte: die SPD gewinnt – vielleicht! – eine Wahl gegen Frau Merkel, wenn sie sich mal zur Aufstellung einer Frau entschliessen kann. Derzeit macht sie den Eindruck, als wenn sie sich lieber selbst entleibt, als das zu tun.
Als ehemaliger Vorwärts-Chef waren Sie doch selbst nah dran an den Jungs, die sich lieber untereinander bekriegen, als miteinander zu reden, geschweige denn zu kämpfen.
Ach ja die Hoffnung stirbt zuletzt. Real werden die Systemmedien die Mutti schon wieder ins Kanzleramt schreiben und mit ihr die gelbe Pest. Tatsächlich ist es aber auch egal. CDU, CSU; FDP, Grüne und SPD wie auch die Freien Wähler sind austauschbar. Egal, wen von denen man wählt, am Ende herrscht weiterhin das Großkapital.
@Jochen In allen (demokratischen) Parteien gibt es vernünftige Leute (sogar in der FDP). Mal mehr, mal weniger.
2 Dinge sind wichtig: wählen gehen und sein Kreuz einer Partei geben, die der eigenen Überzeugung am nächsten kommt. Selbst wenn zB. die Piraten nur 4,8% holen sollten, wird das schon einiges an Druck auf die Altparteien ausüben. Die Dinge werden sich nicht sofort zum Guten wenden, aber wenn man schon vorher aufgibt, dann ändert sich erst recht nichts.
Druck bedeutet, dass die vernünftigen Politiker mehr Gewicht bekommen und nicht die Lobbyfinanzierten.
Die Hoffnung stirbt wirklich zuletzt und die hab ich noch lange nicht aufgegeben.
@ #5 | Dieter McDevitt
Ich habe bereits gewählt, musste eh ins Rathaus. Wie immer das kleinste Übel (z.Zt. für mich die Linke) und selbstverständlich fordere ich alle zum wählen auf. Seit Jahrzehnten. Aber es gibt keinen Druck auf die Altparteien. Dem steht unser Wahlrecht und die Medien entgegen.
Solange wir nicht alle Kandidaten direkt und unabhängig von den Parteien wählen, wird das nichts mit der Demokratie. Aber auch ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Interessant dazu:
https://www.wahl-o-meter.com/Willkommen.html
https://www.rhein-zeitung.de/nachrichten/netzwelt/news_artikel,-Studie-Viele-Tweets-bedeuten-viele-Wahlstimmen-_arid,1022164.html
Umfragen sollte es eh viel weniger geben. Man sollte Güllner nicht so viele Gelegenheiten geben, zahlen zu erfinden.
Bin gespannt wie die Wahl ausgeht. Laut Umfragen muss es viele Menschen geben, die die CDU Politik schlecht finden, aber wegen Merkel CDU wählen. Ich weigere mich zu glauben, dass das so stimmen kann. Müsste ja heißen, dass Menschen Inhalte egal sind, solange sie nett verkündet werden.
Naja. Die SPD hat aber auch selbstgemachte Probleme. Sowohl kulturell als auch programmatisch spräche alles für eine Fusion wenigstens aber Koalition auch mit den Linken. Die Unterschiede sind nicht größer als zwischen CDU und CSU.