Seit heute läuft im Kino der Film über Carlos, den legendären venezuelanischen Terroristen, in Frankreich inhaftiert. Immer an seiner Seite war ein Kind des Ruhrgebiets.
Für Johannes Weinrich (Filmfoto) wird wohl eine der obskursten deutschen Webseiten geführt, das Sozialnetz in Berlin befasst sich mit dem Schicksal des Leidensgenossen. Listet dabei seine Lebensstationen auf. Brakel, Schwerte, Bochum. Und in Bochum hat sich der spätere Helfer von Carlos ziemlich lange aufgehalten. Und eingebracht. Weinrich gründete als SDS- und AStA-Mitglied meines Wissens ein örtliches Studentenwerk, eine der Vorgängerorganisationen des heutigen Akademischen Förderungswerks (Akafö).
Übrigens – das Akafö ist heute zuständig für Wohnheime, auch das, in dem einer der Selbstmordpiloten des 11. September bei seiner Freundin wohnte, kitschige Liebesbriefe austauschte, die so gar nicht an globalen Terror erinnern, der gleichwohl aber auch in Bochum in radikalen islamistischen Kreisen verkehrte.
Aber das ist natürlich nur ein seltsamer Zufall der Geschichte.
Bevor Johannes Weinrich in den Kampf für ein freies Palästina, gegen PLO und Weltimperialismus eintauchte, hatte er jedenfalls ein großes Herz für Mit-Studenten, der Akafö-Kindergarten an der Fachhochschule auch die Sozialbeiträge und einiges mehr gehen wohl auf das Wirken des heutigen Langzeitknackis zurück. Außerdem gründete Weinrich in Bochum eine politische Buchhandlung. Herausgegeben wurden an der Unistraße später Schriften gegen Zensur, für Gewalt und Solidarität mit politischen Gefangenen. Auch diesen Laden gibt es heute noch, seit genau 25 Jahren macht sich hier das Antiquariat Ubu breit, eher was für Freaks, Kiffer, Spontis, nichts für die radikale Sperrspitze der Bewegung.
Weinrich verstand sich, versteht sich vielleicht noch heute, als Mitglied der Revolutionären Zellen, die im Ruhrgebiet einige Spuren hinterlassen haben. Es ist heute nur noch schwer zu begreifen, aber der Terrorismus von RAF oder RZ hatte viele Anhänger. Ich habe 1986 mit einer Reihe von erklärten Sympatisanten das Studium begonnen. Die hatten ihr Abi am Dortmunder Kolleg im zweiten Bildungsweg gemacht, trugen sehr lange, wüste Haare, karierte Hemden, Zimmermannshosen, sahen ein bisschen aus wie Curt Cobain und führten in der Einführungsübung in die Politischen Wissenschaften eindrucksvoll vor, wie aus einem Seminar ein Tribunal wird.
Ich glaube, es ging um die Frage, ob Rauchen erlaubt sein darf, wenn es Anwesende gibt, die der Qualm stört. Klare Antwort: Natürlich! Die genaue Begründung der autonomen Radikalen habe ich vergessen, es wurde viel Gramsci zitiert – aber vielleicht erinnert sich Politikprofessor Klaus Schubert noch daran. Er resignierte irgendwann angesichts der genauso mitreißenden wie überlangen Wortbeiträge – und zündete sich eine an. Dabei wurde die Übung eigentlich meines Wissens nur gesprengt, weil einige die Hausaufgaben nicht gemacht hatten.
Während wir an der Ruhr-Uni in GC ziemlich wirre Nachmittage erlebten, wurde gleichzeitig eine Bochumer taz-Mitarbeiterin in der Innenstadt vor der Polizei gewarnt. Corinna Krawaters tauchte jahrelang unter, eine Odyssee durch Europa, schließlich stellte sie sich, bekam eine relativ milde Haftstrafe. Sie war wohl Mitglied der Roten Zora, die feministische Ausgabe der Roten Zellen, gab zu, einen Wecker der Marke besessen zu haben, die auch bei Sprengstoffattentaten zum Einsatz kam.
Die Rote Zora war im Ruhrgebiet stark, plante Anschläge auf einen Textilgroßhandel, fälschte Busfahrkarten und verschwand irgendwann von der Bildfläche wie auch die Revolutionären Zellen.
Terrorismus-Unter-Uns begegnete mir ein letztes Mal im AStA der Ruhr-Uni – ich war dort Nach-Nach-(…)-Nachfolger von Johannes Weinrich als Sozialdezernentreferent. Meine Kommilitonen aus der Erstsemesterübung saßen plötzlich auf der anderen Seite. Der AStA wurde für besetzt erklärt, gefordert wurde die „Zusammenlegung der politischen Gefangenen“, für die der verdreckte, zwischen autonomen, sponti- und gewerkschaftlichen Linken aufgeteilte AStA nicht ganz der richtige Ansprechpartner war. Trotzdem zog sich die Besetzung in die Länge.
Ich erinnere mich noch an die echte Verzweifelung der Sympatisanten, an ihre Todesangst um die inhaftierten Genossen und an diese tiefe Abscheu gegenüber uns Pseudo-Linken, die sich mit Dingen wie der Beibehaltung des Nachschlags in der Mensa befassten und nicht mit der Bekämpfung des Schweinesystems.
Dabei hatte selbst Johannes Weinrich mal so angefangen.
Allerbeste Infos zum Terrorismus Marke Carlos, mit O-Tönen vom Schakal, heute noch mal um 14 Uhr auf arte, hier der trailer. Danach in den unermesslichen Weiten des Netzes.
Was haben sie mich damals schon genervt. Diese ständig überbetroffenen und strukturell weinerlichen Sendungsapostel aus mehr oder weniger gutem Hause die von Anfang an nicht zwischen Religion und Politik unterscheiden konnten und wollten.
@Schuri:
Der AStA wurde für besetzt erklärt, gefordert wurde die “Zusammenlegung der politischen Gefangenen”, für die der verdreckte, zwischen autonomen, sponti- und gewerkschaftlichen Linken aufgeteilte AStA nicht ganz der richtige Ansprechpartner war. Trotzdem zog sich die Besetzung in die Länge.
Hihi, ich erinnere mich. Ihr wart ziemlich genervt. (Vor allem Steffi L. 🙂
Ich erinnere mich noch an […] diese tiefe Abscheu gegenüber uns Pseudo-Linken, die sich mit Dingen wie der Beibehaltung des Nachschlags in der Mensa befassten und nicht mit der Bekämpfung des Schweinesystems.
Nö, ich nicht. Ich war auch für die Beibehaltung des Nachschlags in der Mensa 😉
Gruß
tom*
Carlos’ wichtigster Komplize war Johannes Weinrich alias “Steve”
Steve’s wichtigster Komplize war Thomas Kram alias “Lothar”
Kann es ein Zufall gewesen sein, dass sich “Lothar” am Tag des schlimmsten Terroranschlags der italienischen Geschichte am Tatort aufhielt?
https://aron2201sperber.wordpress.com/2010/11/02/carlos-komplizen/
Tja, die einen verschwanden im Untergrund oder im Knast, die anderen in den warmen Stuben der Redaktionen oder Vortragspulten der Universitäten jenseits der „Barrikaden“. Darüber sollten Sie glücklich sein und nicht auf diejenigen hauen, die in den Augen der Karrieristen und Konformisten das schlechte Gewissen darstellen.
An die Buchhandlung an der Lennershofstraße kann ich mich noch gut erinnern. Später meine ich, war da etwas mit Reha oder Orthopädie drin.
Die Freundin eines der 9/11-Attentäter wohnte in der Stiepeler Straße in einem privaten Appartment-Haus. Es war nicht direkt das Wohnheim Stiepeler Straße.
Zu den Aktionen Weinrichs, heißt es, zählte ein Anschlag mit einer Flugabwehrrakete auf eine Passagiermaschine, die auf dem Flughafen von Paris landete.
Ich schätze, es waren viele Leute aus dem Umfeld der RAF auch mal hier und da in den Wohngemeinschaften am Hustadtring. Die WGs waren unüberschaubar. Nach der Ermordung Schleyers verteilte die Polizei viele Handzettel in der Hustadt.
Ein Bruder Brigitte Mohnhaupts ist heute ein bekannter Anwalt der linken Szene in Bochum.
Politische Arbeit sollte ohne Waffen stattfinden. Aber de facto war sie auch waffenfrei, die Kriminalisierung wurde durch Polizeigewalt angestossen. Das sollte sich so nicht wiederholen dürfen.