„Envio-Prozess: Erstes Verfahren eingestellt“ „Endlich Ruhe“: Unter diesen Überschriften wurde über einen neuer Sachstand zum Envio-Strafprozess berichtet, jedoch war leider noch nichts über den Grad der Überzufälligkeit für die beobachteteten, gesundheitlich nachteiligen Veränderungen in der betroffenen Envio-Arbeiterschaft nachzulesen. Von unserem Gastautor Rudolf Uebbing.
Bedauerlicherweise konnte nicht berichtet werden, dass speziell die Staatsanwaltschaft Dortmund ein epidemologisch-kriminologisches Gutachten in Auftrag gegeben hätte, nämlich dazu, die festgestellten Gesundheitsbelastungen der betroffenen Gruppe von Arbeitern bei der Envio Recycling GmbH & Co.KG Ursachen bezogen aufzuklären und dies auf Basis der intensiven Datenerhebungen der Uni-Kliniken Aachen (Betreuungsprogramm HELPcB).
Stattdessen kann derzeit auf Grund der fehlenden Berichterstattung vermutet werden, dass zwar Einzelfälle intensiv erforscht werden, aber der ursächliche Gruppenzusammenhang nicht in der nötigen Intensität beleuchtet wird. In der allgemein wissenschaftlichen Erforschung stehen nicht unbedingt kriminologisch relevante Erkenntnisse an erster Priorität.
Angesichts der vorhandenen überzeugenden Offenkundigkeiten darf gemeint werden, dass für die Gruppe der betroffenen Arbeiter sich sehr wohl ein Indizienbeweis (nicht unzulässig gem. BGH) herbeiführen ließe, wenn die entsprechenden zielgerichteten Anstrengungen erfolgten, d.h. wenn ein derart spezialisiertes Gutachten erstellt würde.
Ein sehr gut denkbares Ergebnis wäre z.B. ein systematischer Ausschluss einer Zufälligkeitsursache und der Ausschluss anderer Ursachen – anstelle der bewiesenen firmenbezogenen Schadstoffbelastungen.
Der hier angesprochene Nachweis sollte erfolgen können mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, welche keinen vernünftigen Zweifel zulässt. Nun, auch in der Westfälischen Rundschau und anderswo ließ sich bislang nichts über ein derart beauftragtes Gutachten nachlesen.
Hingegen ist z.B. bekannt, dass im Contergan-Fall Anfang 1961 eine Zufälligkeitsursache mit 1:10 000, zum Jahreswechsel 1961/62 mit 1:10 Millionnen und zu Ende 1962 mit 1:10 Sextrilliarden (1 mit 40 Nullen) ausgeschlossen werden musste – warum gibt es im PCB-Fall keine derartigen bezifferbaren Ausschlussangaben, obwohl mittlerweile seit dem Stopp der PCB-Emission (Betriebsstilllegung) über 3 Jahre vergangen sind ?
Man darf genau wie im Contergan-Fall davon überzeugt sein, dass mit anhaltenden Analysen die Zufälligkeitsbeurteilung sich ähnlich entwickelt wie z.B. eins zu zehn, eins zu tausend usw. usw. …
Warum hierzu in der RN / WR keine Berichterstattung erfolgte – dies muss gefragt werden dürfen.
Hingegen klingen noch die Berichte über einige erlebte massive gesundheitlichen Belastungen
– nach der Schadstoff belasteten Arbeit bei Envio –
ziemlich unvergesslich in den Ohren:
Schwere Veränderung der Haut (mit Foto),
Pigmentstörung, Fleckenbildung, Taubheitsgefühl in
den Füßen und an den Beinen mit Haarausfall,
Krämpfe, Muskelzucken und Schmerzen nach Belastung;
Verlust des Feingefühls in den Händen und
nachlassende Motorik
(Perchlorethylen als Ursache mit hoher Wahrscheinlichkeit
– gem. ärztlicher Auskunft, so ein Betroffener).
Weiter wurde beobachtet oder festgestellt:
a) Veränderungen an den Schilddrüsen,
verminderte Nervenleitgeschwindigkeit und mehr.
b) Wissenschaftliche Feststellung des mit PCB
verbundenen Verlustes an ‚gesunden‘ Lebensjahren (QALYs)
bei den untersuchten Personen.
Bislang wurde in der RN / WR noch nicht berichtet,
dass die EPA (Umweltbehörde in den USA) Berechnungsvorschriften
zur bezifferbaren Krebsrisikobestimmung in Abhängigkeit
von PCB-Mengen schon seit langem veröffentlicht hatte
(Dosis-Wirkung-Beziehung).
Ziemlich beschämend ist, dass Menschen am unteren Ende der Lohnstufe, als Leiharbeiter, besonders hoch belastet wurden.
Die Folgen von PCB-Vergiftungen wurden von dem süddeutschen Umweltmediziner Dr. Kurt Müller grundsätzlich beurteilt – und man wünschte sich für die Betroffenen, die nachstehende Auskunft wäre unzutreffend: „Im weiteren Verlauf kommt es zur Störung der Immunleistung, Störung des neurologischen Systems mit Hirnleistungsstörung, Konzentrationsstörung und schließlich auch zur Leberfunktionseinschränkung und zur Störung der Schilddrüse. Dass die Patienten antriebsarm werden, müde, leistungsschwach, niedergeschlagen, so dass man bei vordergründiger Betrachtung natürlich an eine psychische Symptomatik denken möchte, und nicht wenige Patienten würden, wenn man die Sache nicht kennt, mit der Diagnose einer Depression belegt werden. …“.
Ferner äußerte sich Dr. K. Müller über die Höhe der Wahrscheinlichkeit von chronischen Erkrankungen.
Zu den hier wichtigen Bemessungen von Dosis-Wirkung-Beziehungen wird zukünftig das Aachener Forschungs- und Betreuungsprogramm HELPcB (Uni-Klinik RWTH) bedeutsame Informationen beitragen können.
Beweisführungen im Wege des Ausschlussverfahrens können mittels geeignet umfassender Datenerhebung vorgenommen werden.- Warum hört man in der Öffentlichkeit nichts von derart zu beauftragenden Analysen und Anstrengungen ?
Nicht hingenommen kann werden, dass die Betroffenen für die erlittenen Nachteile und für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko keine Entschädigungsansprüche verwirklichen können.
Wo bleibt der nachhaltige Einsatz christlicher und sozialer Parteien, wenn es um die Rechte der betroffenen, schwerarbeitender Menschen geht, die nur gering entlöhnt werden wie die mit Schadstoffen belasteten Leiharbeiter bei Envio ?
Eine gerichtliche Feststellung im Sinne der betroffenen Arbeitnehmer der Firma Envio wird dazu beitragen können, künftigen Wiederholungen von Umweltverseuchungen und ähnlichen Schadstoffbelastungen der Menschen entgegenwirken zu können. (Auch sollte nebenbei gefragt werden, wann wieder endlich ohne Bedenken Grünkohl in den Schrebergärten der Hafenwiese angebaut werden kann.
Die gärtnerische Empfehlung der Bezirksregierung Arnsberg musste leider im Mai 2013 noch mal behördlich bestätigt werden.)
Wo bleibt das wissenschaftlich systematisierte Nachweisverfahren nach all den Fällen wie Contergan, Duogynon, PCP und PCB und anderen giftigen Stoffen – nach 5 Jahrzehnten schlimmer Erfahrung ?
Die Politik kann ein geeignetes Forschungsprogramm veranlassen, welches zukunftsorientiert besonders wichtig ist!