Im Fzw in Dortmund war in der letzten Woche viel los. Drei sehr unterschiedliche Bands präsentierten uns ihre aktuellen Alben, und ich war für euch vor Ort und habe jeden der drei Abende bildlich festgehalten.
Am Dienstagabend standen Earth aus Kalifornien auf der Bühne im Club. Begründer Dylan Carlson gilt alsPionier des Musikstils Drone Doome und war ein enger Freund des verstorbenen Curt Cobain. Earth blieben trotz ihrer Vorrreiterposition lange ein Geheimtipp im „Underground“ und inzwischen haben sie Deutschland schon wieder verlassen. Ihre nächsten Konzerte gibt die Band in England, Belgien, Griechenland und der Türkei.
Heute stellt Johan Simons, neuer Intendant der Ruhrtriennale, das Programm des Festivals der Künste 2015 vor. Höchste Zeit, sich einmal mit dem niederländischen Regisseur über Theater, Politik und über das Ruhrgebiet zu unterhalten. Simons wurde letztes Jahr mit einem der wichtigsten künstlerischen Auszeichnungen der Niederlande, dem „Kulturfonds Preis“ ausgezeichnet. Er blickt auf eine erfolgreiche Zeit an den Münchner Kammerspielen zurück, wo er im Dezember „Offener Prozess – Vier Tage zum NSU-Komplex“ zeigte. Simons ist nicht nur ein großer Theatermacher, sondern zeigt, dass Kunst nicht ohne gesellschaftlichen Zusammenhang möglich ist und unmittelbar aktuelle Ereignisse verhandelt.
Ruhrbarone: Sie haben seit vielen Jahren einen guten Draht zum Ruhrgebiet. Und auch die Ruhrtriennale ist Ihnen von vergangenen Inszenierungen bekannt.
Johan Simons: Ja, das stimmt, ich habe hier schon viel gemacht. Und ich wurde schon einmal gefragt, ob ich nicht die Intendanz übernehmen möchte, aber damals habe ich mich für München entschieden. Nachdem ich ein Theater in Gent geleitet hatte, wollte ich an einem anderen bedeutenden Stadttheater mit einem großen Ensemble arbeiten. Jetzt ist der Zeitpunkt für einen Wechsel richtig, zumal ich auch näher bei meiner Familie leben möchte. Da kam das Angebot der Ruhrtriennale, die Intendanz zu übernehmen, genau im richtigen Moment.
Hat Sie die Ruhrtriennale auch deswegen gereizt, weil hier viele verschiedene Plätze bespielt werden? Sie haben am Anfang Ihrer Regietätigkeit in Scheunen oder auf Marktplätzen und anderen ungewöhnlichen Orten inszeniert.
Ja, schon lange bevor es die Ruhrtriennale gab. Die hat das wahrscheinlich damals von mir geklaut. (Simons lacht.) Schon 1985 habe ich angefangen, mit dem Theater an andere Orte zu gehen. Hier gibt es Spielorte wie die Zechen oder die wunderschöne Jahrhunderthalle in Bochum, die sehr reizvoll sind. Die Jahrhunderthalle ist ja geradezu eine Kathedrale der Industriekultur. Man kann hier nicht einfach „normal“ Theater machen. Die ungewöhnlichen Spielstätten verlangen, dass man sich zu ihnen verhält und etwas ganz Spezielles für sie macht.
Besonders interessant sind die Spannungsfelder. In Dinslaken zum Beispiel ist für mich besonders reizvoll, dass wir auf der einen Seite ländlichen Raum und Provinz vorfinden und auf der anderen Seite der soziale Brennpunkt im Stadtviertel Lohberg direkt an das Gelände unseres neuen Spielortes, der Kohlenmischhalle der ehemaligen Zeche Lohberg, anschließt.
Ursprünglich kommen Sie ja aus der freien Theaterszene …
Ja, meine erste Theatergruppe Hollandia war ein freies Format, allerdings anders als in der deutschen freien Theaterszene, wurden unsere Projekte durch den Staat subventioniert. Aber das Interessante war unsere kollektive Arbeitsweise.
Bei meiner ersten Vorstellung am Theater in Amsterdam saßen viele Regisseure im Publikum, die dachten „Aha, wer ist denn dieser junge Simons?“ Ich fühlte mich ein bisschen wie in einer Prüfung am Gymnasium. Da dachte ich mir: „Schluss damit! Ich mache nur noch Theater für Menschen, die sonst nie ins Theater gehen.“ Die Aufgabe, Zuschauer fürs Theater zu begeistern, die eigentlich nicht ins Theater gehen, finde ich wichtig. Damit setze ich mich in meiner Theaterarbeit auseinander. Ich versuche es immer wieder, und auch die Themen der kommenden Ruhrtriennale haben viel damit zu tun. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, alle Menschen zu erreichen …
Dazu gehört auch, offen für sein Publikum zu sein. Ich gehe ganz leicht auf Leute zu und suche die Nähe zu meinen Zuschauern. Es ist wichtig, nicht abgehoben zu sein, man muss versuchen, greifbar zu bleiben. Ich komme selber aus sehr einfachen Verhältnissen. Die eigene Herkunft darf man nicht verstecken, ganz im Gegenteil, man kann sie zeigen und sich ihrer – gerade im Kontext der eigenen Arbeit – bewusst sein. Das bedeutet nicht, dass man sich an das Publikum anbiedert oder die Dinge nur auf eine einfache Weise erzählt. Das wäre eine Unterschätzung des Publikums. Johann Sebastian Bach berührt jeden!
Die Menschheit hat sich seit über 40.000 Jahren nicht mehr entwickelt. Ihre Evolution stagniert. Biologisch sind wir weiterhin Steinzeitwesen. Würde man aus diesem Blickwinkel die aktuellen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika oder der Ukraine betrachten, könnte man auf Verhaltensmuster stoßen, deren dumpfe Gruppendynamik im Kampf um Führungsanspruch, Höhlen, Siedlungs- und Wasserstellen altbekannt ist. Sogenannte ‚Kultur‘ wird, falls überhaupt, nur vorgeschoben. Ob dumpfe Eingebungen oder lichte Schauen von Schamanen, Koranphrasen aus dem 7. Jhd., oder ein formales Völkerrecht, dessen ‚Subjekte‘ nicht Völker, sondern Nationen sind, zumal es durch diverse Wanderbewegungen und Vermischungen gar keine Völker mehr gibt und jene Nationen aus Krieg, Kriegen und Krieg hervorgegangen sind. Jeder Friede beruhte auf Konventionen, die ihre Willkürlichkeit nicht verbergen konnten, ebenso wieder Krieg aufflammen ließen und lassen können. Der in Europa geschehene Dreißigjährige Krieg offenbart geradezu eine ‚kulturelle‘ Blüte der Menschheit.
Regisseur Paolo Magelli und Dramaturg Alexander Kerlin haben sich in der Inszenierung von „Elektra“ nach Euripides viel vorgenommen. Zu viel. Das Stück bietet ausreichend Stoff, um es in die moderne Zeit zu übertragen. Das über 2400 Jahre alte Stück ist immer noch relevant, in den vergangenen Jahrtausenden haben sich die grundlegenden Fragen des menschlichen Seins nur wenig verändert: Macht, Loyalität und Rache sind heute genauso aktuell wie damals.
Alles dreht sich um einen Königsmord, der an Agamemnon begangen wurde. Sein Sohn Orest kehrt nach seiner Flucht vor den Mördern nach Hause zurück, um den Tod seines Vaters zu rächen. Auch Elektra, die Tochter des erschlagenen Königs, will sich mit der Mordtat ihrer Mutter nicht abfinden. So ist voller Hass gegen ihre Mutter und jetzige Königin, die sich die Macht mit dem neuen König, ihrem Liebhaber, teilt. Regisseur Magnelli sieht in der Figur der Elektra das „Symbol der politischen Unzufriedenheit, die personifizierte, reine Revolte“.
Mit dieser Interpretation wird das Stück in die Jetzt-Zeit geholt. Regisseur Paolo Magelli, Intendant des Teatro Metastasio Stabile della Toscana, doch möchte keine soziologische Analyse auf die Bühne bringen, sondern: „Diese politische Klaustrophobie, die ich persönlich erlebe, kann ich nicht ertragen und muss daher versuchen (…) sie zu verarbeiten.“
Dramaturg Alexander Kerlin hält sich an die ursprüngliche Geschichte, krempelt sie aber gleichzeitig radikal um. Ein guter und interessanter Plan. Kerlin schrieb das über 200 Seiten starke Stück nicht nur umfassend um, sondern aktualisierte es bis zum letzten Probentag mit den sich überstürzenden aktuellen Ereignissen. In die Tragödie wurde work in progress der Mordanschlag auf Charlie Hebdot, die rechtspopulistische Pegida-Bewegung, die ansteigenden Flüchtlingszahlen, die IS-Morde in Syrien und im Irak und – ganz allgemein – die „ideologische Verwirrung“ angesichts uneindeutiger politischer Verhältnisse verarbeitet. Ein bisschen Kapitalismuskritik musste auch sein. Überraschend war schon eher das Zitieren von Bundespräsident Joachim Gaucks Statement: „Euer Hass ist unser Ansporn“.
Sebel ist ein wahres Multitalent: Musiker, und nebenbei Fotograf und Filmer. Er spielt mehrere Instrumente und ist damit in den letzten Jahren immer erfolgreicher geworden. Aus Wanne-Eickel stammend, zog er vor einigen Jahren nach Recklinghausen um. Im Interview erzählt er über seine Musik und darüber, was ihn immer noch im Ruhrgebiet hält.
Ruhrbarone: Du kommst aus Wanne-Eickel, wie hat dich das Ruhrgebiet in deiner Musik geprägt?
Sebel: (überlegt lange) Das ist schwierig zu sagen. Erst einmal ganz klar die Menschen. Da ist ein ganz bestimmter Schlag Mensch der hier lebt. Was mich auch sehr geprägt hat, vor allem auch bei den neuen Songs: Diese triste Melancholie und dass es hier doch kulturell und in vieler Hinsicht bergab geht. Ich wohne jetzt seit fünf, sechs Jahren in Recklinghausen und immer wenn ich wieder nach Hause nach Wanne-Eickel komm‘ und in die Innenstadt gehe frag ich mich: „was ist hier passiert? Wo sind die Läden hin, die es früher gab. Gibt es hier jetzt nur noch Handyläden und Apotheken?“. Alle sind hier sehr depressiv, kulturell ist hier viel schief
Das erste CORRECT!V-Bookzine ist auf dem Markt! Bei der Release-Lesung am Freitag, 20. Februar, werden Autoren des Magazins die aktuelle Ausgabe vorstellen. Mit dabei Sascha Bisley, gefeierter Blogger und Autor aus der Dortmunder Nordstadt, der gerade seine Autobiographie beim Ullstein-Verlag veröffentlicht hat, David Schraven, Gründer von CORRECT!V, ehemaliger Chef des WAZ-Recherche-Ressorts und Ruhrbaron, sowie Bastian Schlange, Magazin-Macher, Autor und Guerilla-Journalist der Wattenscheider Schule.
Moderiert wird der Abend von Martin Kaysh, dem unvergleichlichen Steiger und Geierabend-Veteran.
CORRECT!V entstand Mitte vergangenen Jahres als erstes gemeinnütziges Investigativ-Büro Deutschlands. Das Magazin, mit über 200 Seiten besser als Bookzine bezeichnet, ist eine freie Veröffentlichungsplattform, eine Experimentier- und Spielfläche, in dem sich Ideen erproben können, und frische Autoren, Grafiker und Fotografen mit erfahrenen Journalisten zusammenkommen.
Die Süddeutsche Zeitung hat über das Konzerthaus Bochum einen euphorischen Artikel geschrieben und dabei ein paar Fakten übersehen.
Sicher, das ist alles schwierig. Da lebst Du in Bayern in einer besseren Kreisstadt auf dem Land und dann kommst Du aus München ins Ruhrgebiet: Fünf Millionen Menschen, Dutzende von Stadtteilen, die so tun, als ob sie Städte wären, Autobahnen, Lärm – das verwirrt. Johan Schloemann, einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat das so verwirrt, dass er in seinem Artikel über das Konzerthaus, das zur Zeit Musikzentrum heißt, ein paar Fakten übersehen hat. Dummerweise genau die, die nicht in sein Loblied über das Konzerthaus passten:
Dabei fängt der Artikel halbwegs stimmig, wenn auch nicht gerade originell an:
Ein Alltagsmorgen, Nieselregen, in der Innenstadt vonBochum im Ruhrgebiet. Der VfL ist schon länger in der zweiten Liga, und das Opel-Werk macht zu. Sieht alles erst mal ziemlich trostlos aus.
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