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Die „bewegende Rede“ der Hambacher Forst-Besetzerin führt einem beispielhaft den zivilisationsmüden Kitsch vor Augen, mit dem sich in Deutschland von links bis rechts Millionen Herzen erwärmen lassen. Von unserem Gastautor Marcus Latton.
Während die Großeltern in der Hitlerjugend zu sich selbst kommen durften, schicken sich die Besetzer im Hambacher Forst an, weiter zum Urschleim zurückzukehren und sich wie die germanischen Vorfahren im sippenähnlichen Habitationsmodus sogar den Errungenschaften des Römischen Reiches stur zu verweigern.
„Sie denken wahrscheinlich, sie haben gewonnen, aber sie brauchen den Wald genauso“, heißt es. Für wen der eigene Horizont endet, wo die nächste Lichtung beginnt, braucht sich nicht um die Tatsache kümmern, dass die Waldfläche in Deutschland seit 2002 um mehr als 50.000 Hektar gewachsen ist und die Fachleute in den Forstämtern Baumpflege offenbar besser hinbekommen als jonglierende Aussteiger, die sich mit ihrem eigenen Stuhl landserhaft zuschminken und Sätze hinterschieben wie: „Sie werden nicht verstehen, wie es ist, mit Menschen zusammenzuleben, denen es scheißegal ist, wie du heißt, wie alt du bist oder welchen Schulabschluss du hast.“ Nun gibt es gute Gründe, sich vom urbanen Leben zu verabschieden und sein persönliches Glück in der Nähe von Birke, Moor und Marder zu suchen. Die meisten derer, die diesen Weg einschlagen, unterlassen es aber immerhin, den Rest der Gesellschaft für die eigene Unfähigkeit zu beschuldigen, außerhalb von Baumhäusern Freundinnen und Freunde zu finden, denen Kategorien wie Schulabschluss und Alter in der Tat scheißegal sind.
Der mythisierte Aktivismus zur „Rettung“ des deutschen Bodens wird auch dadurch nicht sympathischer, dass RWE ihn durch einen weiteren unappetitlichen Braunkohletagebau erst möglich macht. Andererseits zeigen sich nun die Kollateralschäden des überhasteten Atomausstiegs, den die Deutschen kaum erwarten konnten.