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150 Meter trennten sie von ihrem Leben, zwei Meter Beton von ihrem Tod. Alla Ananieva hat die Massaker von Irpin überlebt. Was sie berichtet, ist grauenvoll. Und voller Liebe.
Eine Szene auf der Straße: Der Vater, seinen Sohn auf dem Arm, die Mutter mit dem Koffer, sie schießen dem Vater in den Kopf, der Sohn liegt im Blut seines Vaters. Dann eine Szene im Bunker, die Granate griffbereit an der Tür, Matratzen auf dem Boden verteilt, 73 Erwachsene sind da und 13 Kinder, 15 Brote und ein paar Garnelen, und sie aßen alle und wurden satt. Zwei Szenen, horribel wie von Hieronymus Bosch gemalt und wundersam wie aus der Bibel, Alla berichtet sie leise, besonnen, konzentriert. 52 Jahre alt, dreifache Mutter, Lehrerin für Physik, Geometrie und Kunst an einer Ganztagsschule in Irpin, ihre Tränen sind so diskret wie ihr Lächeln. Sie spricht ukrainisch, Liia (22) übersetzt, und hört man nur Allas Stimme, ohne zu verstehen, verströmt sie eine große Vornehmheit in dem, wie sie erzählt. Durch diese Vornehmheit hindurch aber lässt sich etwas anderes hören, eine tiefe Verwunderung. Darüber, wie unmöglich es ist zu verstehen, dass Menschen solche Dinge tun, unvorstellbar grausame, unvorstellbar sinnlose.