I need a space….
Gabriel will der SPD das Lächeln beibringen
Wenn man sich Mut anklatschen kann, hat die SPD schon wieder halb gewonnen. Vier Minuten Applaus für Franz Müntefering nach dessen starkem Abtrittsauftritt, sieben Minuten gar – rhythmischen, popstargerechten – Applaus für Sigmar Gabriel! Womöglich hätten die Sozialdemokraten bis zum nächsten Wahltag weitergeklatscht, hätte ihr zu diesem Zeitpunkt noch künftiger Vorsitzender sie nicht zur Ordnung gerufen – nachdem er sowohl Müntefering als auch Kurt Beck geherzt, Greta Wehner umarmt, Jochen Vogels und Erhard Epplers Ritterschlag entgegengenommen hatte: „Das nützt nichts,“ rief er den Delegierten des Dresdener SPD-Parteitags zu: „Ihr müsst noch wählen!“ – Vom SPD-Parteitag in Dresden berichtet unser Gastautor Uwe Knüpfer.
Das hat er gut gemacht. Die SPD hat wieder einen Vorsitzenden, der klug ist und zuschlagen kann, und das mit Witz. Von Willy lernen heißt siegen lernen, hätte die heimliche Überschrift seiner eindreiviertelstündigen, doch immer kurzweiligen Rede sein können. Unter Willy Brandt habe die SPD die Deutungshoheit im Streit um gesellschaftlich wichtige Themen erobert. Heute sei diese Hoheit verlorengegangen. Und damit der Kampf um die Mitte, die „nie ein fester Ort war.“
Union und SPD stellten sich heute als Regierung der „bürgerlichen Mitte“ dar, dabei sei ihre Politik „weder liberal noch bürgerlich“. CDU und FDP, „das ist die demokratische Rechte dieses Landes!“ Selbst Ludwig Erhard und dessen Soziale Marktwirtschaft will Gabriel der CDU streitig machen. Er will definieren, was und wo die Mitte ist, nämlich links und rot, jedenfalls so rot wie die SPD.
„Macht Euch auf was gefasst,“ rief er zur Freude der Truppen, die im Laufe seiner Rede immer mehr zu seinen Truppen wurden, der schwarzgelben Regierung zu: „Wir kämpfen wieder!“
Kritik an vergangener SPD-Regierungspolitik bringt Gabriel stets elegant und ohne Namensnennung vor. Er sagt nicht, die SPD habe sich unter Schröder zum Büttel von Kapitalinteressen machen lassen oder ihre Ideale verraten, sondern: „Statt die Mitte zu verändern, haben wir uns verändert.“ Schröder wusste schon, warum er Dresden ferngeblieben ist.
Wenn Gabriel zu verstehen geben will, dass viele SPD-Ortsvereine überaltert und selbstgefällig vor sich hin brüten, sagt er: „Wir müssen raus ins Leben! Dort wo es brodelt, auch stinkt, und wo es anstrengend ist.“ Da klatschen dann auch die, die Pickel kriegen, wenn sie mit Menschen reden sollen, die anders aussehen, denken und reden als sie: Internetfreaks, Existenzgründer, Handwerker, Zugewanderte. Gabriel fordert: „All denen müssen wir zuhören!“
Anstrengend werde das, versprach Willy Brandts politischer Urenkel: „Mehr Basisdemokratie heißt mehr Arbeit.“ 66 Redner hatten in einer immer sachlichen, durchaus dichten Debatte immer wieder auch gefordert, die Parteiarbeit der SPD neu zu organisieren und Politik von unten her, von den Kommunen aus zu organisieren. Auch das griff Gabriel auf. Wenn er ernst meint, was er in Dresden gesagt hat, will er nicht weniger, als die SPD neu erfinden.
Dabei wird er allerdings im Parteivorstand umgeben sein von vielen altvertrauten Gesichtern. Wie Gabriel das findet, bei aller Nicht-Kritik an denen, die vor ihm Verantwortung trugen, lässt eine Episode gleich zu Anfang seiner Rede erahnen. Die Parteitagsregie hatte das Rednerpult mitten in den Saal gestellt. Das führt dazu, dass, wer redet, die nicht ansehen kann, die auf dem Podium hinter ihm sitzen: die Hochwürdenträger der Partei. Gabriel, sich dabei ein wenig ungelenk windend: „Ich fühle mich gestärkt durch Euch im Rücken – aber derzeit sähe ich Euch lieber Auge in Auge.“
Einen neuen, starken, geistreichen, schlagfertigen Vorsitzenden hat die deutsche Sozialdemokratie jetzt, nun muss sie sich nur noch selber verändern. Laut zu klatschen wird dabei nicht reichen. Gabriel weiß das genau. Zermürbt und verknirscht gäbe sich der typische Genosse gern. Auch das müsse anders werden, denn – und er ließ ein chinesisches Sprich- sein Schlusswort sein: „Wer nicht lächeln kann, soll keinen Laden aufmachen.“
472 von 503 stimmberechtigten Delegierten haben Sigmar Gabriel am Ende gewählt, gerade noch rechtzeitig zur Tagesschau. Das waren 94,2 Prozent. Nicht schlecht für einen Bissigen. Und nicht schlecht für eine Partei, die eben noch verwundet und zerrissen war.
Das Hohelied auf die Pharmaindustrie
Flickr.com / planetmoore
Wenn in diesen Tagen über die Schweingrippe und über das Impfen gesprochen wird, kommt in meinen Augen ein Aspekt zu kurz. Wie toll ist es, dass wir Menschen heute einen Stoff haben, der uns vor einem Virus beschützen kann. Wie wahnsinnig ist die Entwicklung. Vor 2000 Jahren haben unsere Ahnen im Winter Baumrinden geknabbert und sind an Schnupfen verreckt. Heute wird ein neuer Virus in Mexiko entdeckt, breitet sich über Welt aus und gleichzeitig sitzen unsere Forscher über Mikroskope und Petrischalen und Spektrometern und suchen einen Stoff, den Virus zu bekämpfen. Diese Männer und Frauen haben Erfahrung. Sie wissen, was sie tun müssen. Und sie tun genau das. Nach sechs Monaten haben sie den Stoff gefunden und produziert, mit dem sie uns impfen können. Damit wir nicht krank werden.
Kann sich einer vorstellen, was für ein gigantischer Apparat dahinter steht, damit Millionen Impfdosen produziert werden können. Allein die Vorstellung, dass Hunderttausende von Hühnereier bebrütet werden müssen mit dem Virus, Tag ein Tag aus. Da werden ganze Häuserblocks aus dem Boden gestampft, Maschinenparks erfunden und eingerichtet. Tausende Facharbeiter, jeder eine Spezialist auf seinem Gebiet, müssen genau das richtige tun und dürfen keine Fehler machen, damit mein Junge die richtige Dosis in den Arm gespritzt bekommt, damit ich beruhigt schlafen kann.
Dieser gigantische Apparat kann nicht nur die Schweinegrippe bekämpfen. Er produziert Mittel gegen Krebs. Er erfindet Kopfschmerztabletten und Antibiotika. Selbst Aids kann er mittlerweile behandeln, weil irgendwo im Apparat eine Armee von Spezialisten forscht und sucht und findet.
Sie haben einen Bandscheibenvorfall? Vor Jahrzehnten wären Sie ein Krüppel geworden. Heute gibt es bewegliche Spritzen, die in den Hals gestochen, unter einem Magnetresonanztomograph im Spinalkanal hinab an den Brustwirbeln ausgerichtet werden, um genau da, wo es wehtut das Mittel gegen die Entzündung am Rückgrat zu platzieren. Irre.
Irgendwer im Apparat konnte sich den Magnetresonanztomograph ausdenken, weil ein anderer herausgefunden hat, was Magnetkräfte sind und wie man diese aufzeichnet.
Irgendwer konnte das Mittel gegen die Entzündung produzieren, weil ein anderen herausgefunden hat, was bei einer Entzündung im Körper passiert.
Heute meckern viele darüber, dass der Impfstoff gegen die Schweinegrippe nicht genug erprobt sei. Man, seid doch froh, dass ihr überhaupt Impfstoff habt. Die Mittel sind ausreichend getestet, die Forscher haben Erfahrung. Ich vertraue ihnen. Und wenn einer beim Impfen ins Gras beißt, tut es mir leid für ihn. Aber das immer noch besser als wenn hunderte ungeimpft ins Gras beißen.
Andere meckern darüber, dass nicht genügend von dem Mittel da ist. Mein Gott, der Apparat produziert, was er kann und wird noch mehr liefern. Am Ende wird es genug für alle geben.
Ich muss sagen, ich bin froh, hier zu leben und nicht in Weißrussland oder in Afrika, wo die meisten Menschen nur beten können. Wir haben Tabletten und Spritzen.
Das hier alles klappt, erscheint mir immer noch wie ein Wunder, das ich kaum begreifen kann.
Dabei ist das Prinzip einfach. Ich hab eine Krankenkasse. Die bekommt von mir Geld. Auf der anderen Seite ist jemand scharf auf dieses Geld. Wenn er was sinnvolles organisieren kann, nämlich den Apparat, der Heilmittel schafft, dann kriegt er das Geld. Damit werden Forscher und Malocher bezahlt, die das Geld für ihre Arbeit und für ihr Leben brauchen. Natürlich machen die Menschen in der Industrie die ganze Arbeit nicht nur wegen des Geldes. Aber das Geld hält die Industrie in Gang. Das Geld sorgt dafür, dass genügend Werkzeuge da sind, dass es im Winter in den Labors warm ist und im Sommer kühl.
Manche meckern, die Pharmaindustrie würde sich an der Schweinegrippe bereichern. Ich kann nur sagen, Gott sei Dank wollen die Menschen in der Pharmaindustrie sich an der Schweinegrippe bereichern. Denn deswegen tun sie, was sie tun. Nämlich uns allen helfen. Ich hoffe die Pharmaindustrie will sich an möglichst vielen Krankheiten weltweit bereichern.
Ich habe noch nie so gerne wie heute meine Krankenkassenbeiträge bezahlt. Ich danke den verstorbenen und mir unbekannten Gründern der Pharmaindustrie und der Krankenkassen. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Und ich bedaure alle Menschen auf der Welt, die nicht in einem solchen System leben dürfen.
Ruhrpilot
Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet
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Studi-Protest II: Bochum protestiert am Dienstag…Der Westen
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Müntes Abschied wohnt ein Anfang inne
Es gibt historische Momente, es gibt historische Taten, es gibt womöglich auch historische Reden, doch bisher selten gehört wurde ein historischer Applaus. Franz Müntefering hat ihn bekommen, heute früh in Dresden, auf dem Bundesparteitag der SPD. Das letzte Wort – „Glückauf!“ natürlich – war kaum ausgesprochen, da standen die ersten und klatschten. Sie applaudierten ihrem doch eigentlich gescheiterten, jetzt Ex-Vorsitzenden, ganze vier Minuten lang, stehend. Von unserem Gastautoren Uwe Knüpfer auf dem SPD-Parteitag in Dresden
Das schien nicht jedem auf dem Podium so wirklich recht zu sein. Denn was als „Müntes“ Abschiedsrede angekündigt war, klang mehr wie eine Bewerbung um die Wiederwahl. Bald 70 ist der Sauerländer jetzt und kein bisschen müde. Allemal wirkt er in Dresden um vieles belebter als so mancher, der oder die vom Alter her sein Nachwuchs sein könnte. Heidi Wieczorek-Zeul etwa, die mal als „Rote Heidi“ galt, schlurfte wie eine Untote durch die Dresdener Messehallen. Was kaum aufgefallen wäre, hätte sie nicht immer noch, obwohl endlich nicht mehr Ministerin, einen Lakaien, der ihr ein Köfferchen hinterherrollen lässt.
Kritisch, in Maßen auch selbstkritisch, kämpferisch, aber auch nachdenklich, zurückschauend, vor allem aber nach vorne blickend, klug, aber auch die Herzen erwärmend: so soll wohl eine Programmrede eines Parteivorsitzenden sein. Franz Müntefering hat am Freitag in jeder Kategorie mächtig gepunktet. Und die Latte damit hoch gelegt für Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, die ja angeblich jünger und unverbrauchter sind als er.
„Was uns damals (1998) den fulminanten Wahlsieg brachte, ging auf der Strecke schief.“ So kurz und knapp und klar hat ein Parteivorsitzender selten seine eigene Leistung und die seines Kanzlers auf den Punkt gebracht. Den Namen Gerhard Schröder nahm Müntefering übrigens nicht in den Mund. Auch nicht: Helmut Schmidt. Willy Brandt hingegen wurde gleich mehrfach zitiert: „Mehr Demokratie wagen Teil 2 ist fällig!“
Und die Bundestagswahl 2009? Wo die SPD einen neuen, durchaus achtbaren Kandidaten hatte und ein diskussionswürdiges Programm, volle Säle auch, zumindest hier und da, und mehr Geld ausgab, als die Kasse hergeben hat? „Wir waren einfach nicht interessant genug. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Wir waren für zu viele die von gestern.“
Noch, meint „Münte“, sei der Trend nicht wieder Genosse. Aber er werde es wieder: „Siege gelten auf Zeit, Niederlagen aber auch.“ Also: „Wir kommen wieder!“
Aber wie? Nach Müntefering durch eine Rückbesinnung auf das Eigentliche. „Wir haben das Soziale und das Demokratische in die Geschichte gebracht.“ Dass Leistung sich lohnen müsse, „das ist sozialdemokratisch.“ Die Kernidee der Sozialdemokratie – „Die Idee stimmt!“ – sei es, jeder und jedem die Chance zum Aufstieg und „zu einem guten Leben“ zu geben. „Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber jeder muss die Chance dazu haben.“
So einfach klingt das, und ist doch so schwer. Einmal sei es fast mal so gewesen, in den Goldenen Jahren des späten 20. Jahrhunderts, als „alles die Tendenz hatte nach oben und nach vorn.“ So sei es aber heute nicht mehr. O-Ton „Münte“: „Das Faustrecht ist nicht tot.“
Man fragt sich nur, warum das Faustrecht eine Renaissance erleben konnte, während doch Sozialdemokraten regierten; ausgerechnet. Vermutlich fragt sich Franz Müntefering das auch, aber nicht laut.
Irgendwann haben die Genossen ihren Kompass verloren. Vielleicht finden sie ihn ja in Dresden wieder. Irgendwo in der Nähe von August Bebels historischer Uhr.
1990 war der Abstand zwischen Union und SPD genauso groß wie heute, rechnete Müntefering vor, worin ein Trost stecken könnte, denn 1998 lag die SPD dann schon fünf Prozentpunkte vor der Union. So viel lässt sich in nur acht Jahren bewegen! In acht Jahren, das wäre also 2017. Die übernächste Bundestagswahl.
Seit 1998, auch das verschwieg Müntefering nicht, hat die SPD, haben alle Volksparteien Millionen von Wählern an die Vertreter von Partikularinteressen verloren, auch an fotogene Schaumschläger und Schickimickipolitiker. Eine „latente Berlusconisierung“ nennt Müntefering diesen Trend, für sich durchaus glaubhaft versichernd: „Wir wollen nicht so sein!“
Als wäre der „Brioni-Kanzler“ nicht Mitglied der SPD gewesen.
Der scheidende Kapitän gab dem Tanker SPD jedenfalls den Kurs zur Wiederkehr vor. Erstens: „Zurück an die Quelle, und die ist vor Ort!“ Was ja wohl heißt, den Kommunen wieder Luft zum Atmen zu geben, also Geld. Was in elf Jahren SPD-Regierung nicht gelungen ist.
Zweitens: „Diesen Kapitalismus stoppen!“. Was ja wohl heißt: das Bankenunwesen regulieren, Spekulationen besteuern, Boni beschränken. Also vieles zurückdrehen, was regierende Sozialdemokraten soeben erst „dereguliert“ haben.
Ob bei dem von ihm nun ausgerufenen Projekt 2017 auch Franz Müntefering noch eine Rolle spielen wird? Lassen wir ihn selber sprechen:
„Ich bin dabei. Ich bin Sozialdemokrat. Immer.“
Das war heute früh in Dresden sein vorletztes Wort.
Unschuld ist eine Illusion
Fotos: Marc Oortman
Am Dienstag war es wieder soweit: die Essener Lichtburg hatte sich schick gemacht und zur Premiere des Films „This is Love“ geladen. Im größten Lichtpalast Deutschlands konnten die Zuschauer für kleines Geld den neuen Film von Matthias Glasner in Augenschein nehmen und dabei auf Tuchfühlung mit dem Macher selbst und den Darstellern gehen.
Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Lichtburg strahlend hell. Menschen drängen sich erwartungsvoll links und rechts um die Abzäunung. Journalisten, Schaulustige, Fans. Manche treten von einem Bein aufs andere: sei es wegen der Kälte oder wegen der Aufregung. Schließlich werden Jürgen Vogel, Corinna Harfouch und Matthias Glasner erwartet. Einige Minuten und einige Glühweine später – denn die haben sich Durstige genehmigt – ist es endlich soweit. Die erste Limousine öffnet ihre Türen und Glasner schwingt sich gut gelaunt aus dem Wagen. Seine Kollegen, Harfouch und Vogel tauchen Minuten später auf. Auch gut gelaunt. Geduldig stehen Sie Rede und Antwort. Posieren für Fotografen und Fans. Dann folgt der Film.
Es ist ein nervenaufreibender Plot. Der Zuschauer merkt schnell, trotz des Titels „This is Love“, hält der Film keine Romantik, keine Poesie bereit. Die Liebe wird auf eine schmerzliche Weise ironisiert, indem gezeigt wird, was dieses Gefühl mit und aus uns machen kann. Wie wir sind, wenn unsere Liebe unerfüllt, vergebens, einseitig in uns zurück bleibt. Regisseur Glasner katapultiert den Zuschauer in eine Geschichte, die von gebrochenen Herzen, von schuldigen Individuen, ja man möchte sagen von verstörten Existenzen, handelt. Es geht um Pädophilie, Alkoholismus, Gewalt. Letzteres vor allem psychischer Art. Immerzu schwebt die Frage der Schuld über den Szenen. Sie kreiert eine zerreißende Spannung im Zuschauer. Wer hat Schuld an wessen Leid? Es ist kaum zu beantworten. Vielmehr scheinen sich alle Figuren in „This is Love“ schuldig zu machen. Die Schuld ist Leit(d)faden in Glasners Filmen. Auch sein heiß diskutiertes Werk „Der freie Wille“ kreiste um diesen Begriff.
Später verrät Glasner mir, warum er glaubt, dass es den Zustand der Unschuld für Menschen gar nicht gibt: „Wenn man behauptet es gäbe unschuldige Menschen, dann ist das eine Art des Selbstbetrugs. Unschuld ist nur eine Behauptung, die wir aufrechterhalten, weil wir es nicht aushalten, dass wir uns ständig schuldig machen. Wir machen uns schuldig, weil wir so viele unterschiedliche Triebe in uns haben. So viele unterschiedliche, negative, destruktive Wünsche. So viel Ehrgeiz. Wenn ich einen Film drehe, fühle ich mich schon schuldig. Allein durch den Ehrgeiz, es machen zu wollen. Etwas schaffen zu wollen. Diese Eitelkeit – darin besteht für mich immer schon irgendwie Schuld. Es ist eine Hybris zu glauben, dass wir etwas wollen dürfen. Wir müssen erkennen, dass wir schuldig sind. Das ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Dieses Thema werde ich in den nächsten Filmen noch vertiefen.“
Jürgen Vogel drückt sich da spartanischer aus. Auf meine Frage, was Schuld für Ihn bedeute, kontert er: „Ich will das nicht erklären, dafür mache ich ja Filme. Um zu zeigen, was ich fühle. Ich will das nicht eins zu eins erklären. Das ist mir zu langweilig.“ Schuld hin oder her. Der Film schenkt dem Zuschauer auch schöne und lustige Momente. Vor allem ist es die gnadenlose Ehrlichkeit mit der die Geschichte es schafft, tiefe Emotionen zu wecken. Die Authentizität der Schauspieler, allen voran Corinna Harfouch, überzeugt. Mir erzählt sie, dass sie gar nicht weiß, wie es ihr gelungen ist, voll und ganz in die Rolle hineinzuschlüpfen. Sie lasse sich einfach fallen und gäbe sich dem Schauspiel hin.
Am Ende wird das Publikum nicht mit Werturteilen bestückt. Wie wir es uns gerne wünschen. Vielmehr gibt Glasner die Frage der Schuld an uns weiter.
Mick Hart
Mick Hart, Samstag, 14. Dezember, 20.00 Uhr, Subrosa, Dortmund
Karstadt-Rentner sind pleite
Foto: flickr.com / cosmo flash
Freiwillig sind sie aus dem Essener Konzern ausgeschieden – doch die zustehende Abfindung werden viele Mitarbeiter nie erhalten
Mehr als zwei Jahrzehnte hat Hans-Dieter Friedrich für Karstadt gearbeitet. Nun ist der Essener Konzern "die bitterste Erfahrung seines Lebens". Der insolvente Traditionskonzern, so der 61-Jährige aufgebracht, schuldet ihm "unbesorgte Rentnerjahre". Friedrich ist einer von rund 700 Gläubigern denen in dieser Woche in Essen der erste Sanierungsplan für die Warenhauskette vorgelegt wurde. Friedrich, ein hagerer Mann mit zurück gegelten Haaren, verließ im vergangenen Dezember nach 21 Jahren freiwillig seinen Job im Archiv der Essener Hauptverwaltung. "Dafür wurde mir persönlich gedankt". Die Abfindung über 15 000 Euro hat er bis heute nicht erhalten. Seine Kündigungsfrist lief erst Ende Juni aus – zwei Wochen nach der Insolvenzanmeldung. "Ich bin auf das Geld angewiesen", sagt er. Im kommenden Jahr erhält er mit dem Arbeitslosengeld nur noch 60 Prozent seines bisherigen Lohnes. Friedrich und 40 weitere Betroffene haben einen Brief an den Personalleiter und Insolvenzverwalter geschrieben. Eine Antwort haben sie nicht erhalten. "Altgediente Mitarbeiter werden fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel."
Nicht nur Frührentner Friedrich ist betroffen. Deutschlands Innenstädte werden die Karstadt-Insolvenz bald spüren: Sechss Karstadthäuser, darunter das große silberne Warenhaus in Dortmund, werden schon zum Jahresbeginn 2010 geschlossen. Nun geht gerade im Ruhrgebiet mit seiner kaufschwachen Bevölkerung der schwarze Peter um: Elf weitere Häuser stehen auf der Prüfliste. Diese sind allerdings "aus Schutz" für die Betroffenen noch nicht namentlich bekannt. "Das Ziel ist ihre Fortführung", so Insolvenzverwalter Görg. "Dies gelingt aber nur, wenn vom Vermieter bis zum Beschäftigten alle nennenswerte Beiträge zur Rettung leisten."
Dabei haben die Mitarbeiter schon in den vergangenen vier Jahren mehrmals auf Lohn und Weihnachtsgeld verzichtet. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Hellmut Patzelt hat mit der gesamten Belegschaft am Wochenende erneut ein Sparpaket über 150 Millionen Euro beschlossen. Es ist das dritte innerhalb von vier Jahren. "Das schmerzt uns sehr", sagte Patzelt. Schließlich verdienen Verkäuferinnen ohnehin nur wenig.
Von der größten Insolvenz in der deutschen Wirtschaftsgeschichte sind mehr als 33 000 Personen betroffen. Darunter finden sich eben die Mitarbeiter, die auf ihren Lohn oder Weihnachtsgeld warten, Lieferanten, die noch kein Geld für ihre Produkte bekommen haben oder Coaches, deren Kurse nicht beglichen wurden.
Beate Güllner hat in ihrem Essener Reisebüro abends und am Wochenende unentgeltlich gearbeitet: Mehr als 1000 Euro schuldet ihr der Essener Karstadt-Konzern für in diesem Jahr gemachte Überstunden. Auch ihre Kolleginnen haben noch ein Anrecht auf Weihnachtsgeld und Leistungsboni. Gebündelt haben sie ihre Forderungen an einen Bevöllmächtigten gestellt. "Wir haben immer alles gegeben", sagt die 55-Jährige mit den blond gesträhnten Haaren und der Schmetterlingsbrille. Immer — das bedeutet in ihrem Fall tatsächlich fast das ganze Leben. Mit 15 Jahren wurde sie in einem Karstadt-Reisebüro zur Reisebürokauffrau ausgebildet und arbeitet seit vier Jahrzehnten bei Karstadt. "Früher war das so sicher wie ein Beamtenjob", sagt sie.
Früher. Vor wenigen Jahren noch war Karstadt in beinahe jeder Innenstadt das wichtigste Geschäft. Gründer Rudolph Karstadt hatte 1881 noch für die damalige Zeit revolutionäre Ideen: Er führte die sofortige Zahlung ein und schaffte das Feilschen an der Kasse ab. Solch neuen Ideen fehlten dem Management von Karstadt in den vergangenen Jahren. Für ihre eigene Abfindung aber waren sie kreativ genug: Sowohl Thomas Middelhoff als auch sein Nachfolger und letzter Chef des Konzerns Eick konnten Millionen nach Hause nehmen. Zwangsrentner Friedrich aber bekommt von seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber nichts.
NRW-Umweltministerium unter Druck. Abteilungsleiter gibt Falschaussage zu
Auf WDR.de hat Johannes Nitschmann enthüllt, dass der für Personal und Organisation im NRW-Umweltministerium zuständige Abteilungsleiter Hans-Jürgen H.eine Falschaussage gemacht hat. Nitschmann zitiert aus einem achtseitigen Schreiben des führenden Umweltministeriums-Mannes, in dem H. sich selbst der Falschaussage bezichtigt. "Tatsächlich ist es zur falschen Wiedergabe von Sachverhalten gekommen."
Bei seiner Zeugenaussage hatte sich der Abteilungsleiter von Landesumweltminister Uhlenberg (CDU) in erkennbare Widersprüche verwickelt. Zunächst erklärte er, er sei über das Ausmaß der bundesweiten Strafermittlungen gegen seinen ehemaligen Abteilungsleiter-Kollegen Harald. F. wegen des Verdachts der banden- und gewerbsmäßigen Korruption überrascht worden. Nach etlichen Vorhalten von Ausschussmitgliedern der SPD und Grünen räumte der Zeuge schließlich zögerlich ein, die Korruptions-Vorwürfe seien bereits im Juli/August 2006 Gegenstand von Gesprächen und Vermerken im Umweltministerium gewesen. Bei seiner Zeugenvernehmung am 26. Oktober 2009 vor dem Untersuchungs-Ausschuss habe H., "wiederholt den Eindruck" gehabt, "neben mir zu stehen", heißt es in dem WDR.de vorliegenden Schreiben des Personalchefs von Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU).
Aufgrund einer Herzerkrankung könne es bei ihm gelegentlich zu „Blackouts“ kommen. Deshalb habe er seiner Zeugenvernehmung „nicht aufmerksam folgen und die Fragen richtig einordnen“ können. Die „Komplexität des Sachverhalts“ habe dazu geführt, dass er „Zusammenhänge verwechselt“ habe.
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Beerdigen CDU und FDP den Ruhrbezirk?
Auch mit der Forderung nach einem Ruhrbezirk, nach der Modernisierung der abstrus aufgeblasenen Verwaltung des Landes NRW, hat die Union die Landtagswahl 2005 gewonnen. Nun rücken FDP und CDU von dieser Forderung immer deutlicher ab, dabei ist sie Teil des Koalitionsvertrages.
Rolle Rüttgers beim Ruhrbezirk
Münsters Regierungspräsident Peter Paziorek will, dass die Union Rücksicht auf die Westfalen nimmt. „Die Kritik insbesondere aus dem westfälischen Landesteil an den Plänen zu einer Dreiteilung zeigt, dass die landsmannschaftliche Identität und das regionale Selbstverständnis entgegen anderen Vermutungen noch immer sehr ausgeprägt sind“, sagte der CDU-Mann Paziorek der Ibbenbürener Volkszeitung. Wenn es nur Paziorek wäre, wäre das kein Problem: Dass ein Regierungspräsident, ein westfälischer zudem, kein Freund der Reduzierung der Zahl der Regierungsbezirke von fünf auf drei ist, ist nicht weiter überraschend. Das Dumme ist nur: Paziorek ist nicht der Einzige. Auch der Chef der Ruhrgebiets-CDU, Oliver Wittke, spricht nicht mehr von einem Ruhrbezirk und selbst Norbert Lammert, der Übervater der Ruhrgebiets-CDU hält sich zurück. FDP-Fraktionshef Papke hat schon im vergangenem Jahr verkündet, dass die FDP nichts mehr davon hält, Verwaltung und Kosten abzubauen.
Es gibt nicht ein vernünftiges Argument gegen die Neuaufteilung der Bezirke und ein Schleifen der Landschaftsverbände in NRW: Allein die Kosten dieser Überverwaltungen sind Grund genug, damit aufzuräumen. Das Geld für so große Beamtenbespaßungsanstalten ist einfach nicht mehr da – heute schon nicht und in der Zukunft erst recht nicht.
Die Dreiteilung des Ruhrgebiets, ein Relikt aus dem frühen 19. Jahrhundert, macht auch gar keinen Sinn. Gut, dass wir jetzt für uns jetzt selbst planen und nicht mehr von Arnsberg, Düsseldorf und Münster Pläne vor die Nase gesetzt bekommen, ist ein wichtiger Schritt – aber er bleibt inkonsequent, wenn der Schritt der Reduzierung der Regierungsbezirke und die Schaffung eines Ruhrbezirkes nicht erfolgt.
Das Rheinland will einen eigenen Bezirk. Westfalen will keinen, denn die Verantwortlichen in Westfalen fürchten ohne die Ruhrgebietsstädte einen Bedeutungsverlust. Deswegen haben sie in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Lobbyarbeit geleistet, für die nun alle Bürger des Landes zahlen dürfen.
Und das Ruhrgebiet? Hat keinen Druck aufgebaut, um die Landesregierung auf ihre Versprechungen festzunageln. Im Gegenteil, Heinz-Dieter Klink (SPD), der von SPD und Grünen gewählte "Chef" des Regionalverbands Ruhr, wetterte bei jeder Gelegenheit gegen die Pläne der Landesregierung. Auch aus den Städten – selbst aus den CDU regierten – kam wenig Unterstützung. Und von Seiten der Bürger? Die fordern – ehrenvoll, aber nicht gerade realistisch, eine Ruhrstadt, anstatt sich politisch für einen Ruhrbezirk stark zu machen, der es zumindest auf die Agenda der Politik geschafft hatte. Und Rüttgers will die Landtagswahl gewinnen: Nach anhaltend schlechten Ergebnissen der Union im Revier will er keine Stimmen in Westfalen verlieren – und mit dem Ruhrbezirk, das ist wohl die Einschätzung in die CDU-Zentrale in Düsseldorf, wird man im Ruhrgebiet nichts gewinnen.
Von da an ist wieder einmal eine historische Chance verpasst worden -. aber im Chancen verpassen ist man ja im Ruhrgebiet ziemlich gut. Nur die Chancenverwertung, die will irgendwie nie klappen.