„Schwarz-Grün hat nichts mit Werten zu tun“

Stefan Zowislo unternimmt heute zum wiederholten Male den Versuch, schwarz-grünen Bündnissen höhere Weihen zu verleihen. Das ist unnötig, denn außer einer Elite, die ihre Zeit im Berliner Café Einstein mit dem Studium von Hochglanzmagazinen verbringt, verlangt niemand nach einer hohen moralisch-ethischen Begründung. Die Zeit der Koalitionsprojekte ist nämlich abgelaufen. Ein realistischer Blick verlangt mehr Nüchternheit.

Foto: Börje Wichert

Schwarz-Grün regiert. Im Ruhrgebiet in Essen und Duisburg. Auf Landesebene im Stadtstaat Hamburg. Bislang erfolgreich. Die Begründung dafür ist keine metaphysische, sondern ganz praktischer Natur. Es gibt weder qualitativ noch quantitativ andere Mehrheiten, die funktionieren können. Gäbe es die Option für eine funktionierende rot-grüne oder schwarz-gelbe Koalition, hätten die Akteure bei Grünen und in den anderen Parteien sie gestrickt, weil eine übergroße Mehrheit der Wählerinnen und Wähler dieser Parteien immer noch eine Präferenz für eine dieser Konstellation hat.
 
Wer CDU oder FDP wählt, will fast immer schwarz-gelb. Die Wählerinnen und Wähler der Grünen haben auch eine eindeutige Präferenz, und zwar für eine andere Konstellation. Nämlich für rot-grün. Das besagt die Wahlforschung eindeutig. Deshalb kann man den grünen Wählerinnen und Wählern auch kaum glaubhaft vermitteln, man solle diese Konstellation nicht eingehen, wenn sie möglich ist. Dieser letzte Halbsatz ist entscheidend. Rechnerisch scheidet rot-grün aus, wenn es nicht für die Mehrheit der Sitze reicht. Inhaltlich scheidet rot-grün aus, wenn man es mit einer Beton-SPD zu tun hat. Das war in vielen Revier-Städten viele Jahre der Fall. Manchmal geht rot-grün aus einem anderen Grund nicht: Es mangelt dann bei der SPD an Verlässlichkeit. Es mangelt dann am Verständnis dafür, dass Koalitionen Zweckbündnisse und keine Liebschaften sind. Nur, wenn auch Grüne Erfolge erarbeiten können und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe erfolgt, halten diese Konstellationen. Zweifeln die Wählerinnen und Wähler und grünen Mitglieder an der Tragfähigkeit eines Bündnisses, ist das Verständnis dafür recht groß, dass man auf schwarz-grün ausweichen muss. Das gilt es immer wieder zu beherzigen.
 
Nun sollte man weiter abschichten. Zowislo vermischt alle Ebenen des föderalen Staats zu einer unkenntlichen Ursuppe und garniert das ganze dann Habermas-Zitaten, die zwar eine gebildete Leserschaft beeindrucken, aber nichts weiter zum Verständnis beitragen.
 
Deshalb hier eine kurze chronologische, pragmatische Herangehensweise an die Dinge, die anstehen. Am Sonntag ist in NRW Kommunalwahl und die eigentliche Frage stellt sich jenseits des rot-grünen oder schwarz-grünen Diskurses. Was passiert denn, wenn zwei potentielle Partner gar keine Mehrheit haben ? Gibt es dann mehr Dreier-Konstellationen oder wechselnde Mehrheiten? Das lässt sich nicht generell sagen. Aber klar ist, dass der Faktor Verlässlichkeit entscheidendere Bedeutung gewinnt. Eine bisher verantwortungsunerfahrene Linke, FDP oder Wählergemeinschaft wird sich von den Akteuren vor Ort insbesondere auf ihr handwerkliches Können und die Integrität der  Neuen im Rat überprüfen lassen müssen. Werte im ethischen Sinne sind da nur insofern von Interesse, als dass sie sich nicht gegen die demokratische Grundordnung richten dürfen oder einen Minimalkonsens in einer potentiellen Koalition oder Kooperation unmöglich machen könnten. Prinzipiell müssen alle demokratischen Parteien miteinander koalieren können. Danach gilt es, die Basis von der Sinnhaftigkeit der sondierten Bündnisse zu überzeugen. Dabei müssen sowohl die herausgehandelten Inhalte als auch das Verhältnis im Duo oder in der Trias stimmen.
 
Bei der Bundestagswahl am 27. September liegen die Dinge komplett anders, als Herr Zowislo und auch manche Edelfeder glaubt. Schon strukturelle Gründe machen schwarz-grün unwahrscheinlich. Erstens sollte man sich vergegenwärtigen, welche Regionen die CDU dominieren. Das sind nicht die Großstädte und erst recht nicht die Metropolen. In Berlin zum Beispiel führt die CDU ein Schattendasein und hat es gerade geschafft, ihren Vormann, Friedbert Pflüger, zu vergraulen. In den Flächenländern holt die CDU ihre Stimmen gerade auf dem flachen Land. Hierher kommen auch die meisten Delegierten auf den Parteitagen, die möglichen Koalitionen zustimmen müssen. Den Cicero haben sie selten auf der Zugfahrt in die nächste Messehalle gelesen. Der Jubel für schwarz-grün wird also eher verhalten ausfallen.
 
Dann sollte man auch inhaltlich mal etwas genauer auf die Kompatibilität der Forderungen von schwarz und grün schauen. Ich glaube gern, dass die CDU die Atomdebatte nicht will. Sie schadet ihr ja auch. Fakt ist aber, und das schreibt Zowislo, dass die Union die Atomkraft will und intensiven Kontakt zu den Energieproduzenten pflegt. Das ist ehrlich und offenbart genau das Problem der CDU. Die Bindung an das Energiekartell ist viel stärker als die an die Verbraucher- und Umweltverbände. Das Festhalten an der Atomkraft ist ein no-go für schwarz-grün auf Bundesebene.
Die von Zowislo so gelobte Ursula bzw. Zensursula von der Leyen ist ein Garant für alles außer schwarz-grün. In den letzten Monaten hat sie sich durch die Durchsetzung ihrer wirren Idee der Netzsperren derart ins Abseits gestellt, dass sogar eine neue Partei Erfolge verbuchen konnte, von deren Existenz vorher nur Eingeweihte wussten. Einer der grünen Kernwerte, die Freiheit, hat die CDU hier, leider unter tätiger Mithilfe der SPD, mit Füßen getreten.
 
Schon fast kafkaesk wirkt Zowislos Auseinandersetzung mit dem Sozialen. Gerade hier macht er Tengelmann-Chef Haub zum Kronzeugen. Also einen der Gesellschafter der Unternehmensgruppe, die einer Berliner Kassiererin kündigte, weil sie angeblich einen Pfandbon im Wert von ein paar Cent unterschlagen haben solle. Unsozialer geht es wohl kaum. Säße Tengelmann nicht gerade in Mülheim, wäre das wohl nicht passiert.
 
Da wirkt es eher hilflos, wenn der geerdete NRW-Sozialminister Laumann an den virtuellen Verhandlungstisch gebeten werden soll. Mit ihm könnte man sicher recht schnell einen Nenner finden. Aber Laumann weiß eben auch, dass Politik kein philosophisches Oberseminar, sondern pragmatische Lösung von Problemen ist. Möglicherweise wird Laumann an einem schwarz-grünen Verhandlungstisch sitzen. Aber der wird dieses Jahr bestimmt nicht mehr eingedeckt. Und wenn überhaupt irgendwann, dann in Düsseldorf.
 
Mein Rat an alle Realpolitiker: Weniger über Werte reden, mehr nach Werten handeln. Sonst wird das eigene Denken, Schreiben und Handeln wenig Würdigung finden. Das musste Mechthild Hugenroth, Stefan Zowislos Ehefrau, über die er so gern schreibt, 2006 erkennen. Damals erreichte die ausgewiesene grüne Linke Daniela Schneckenbruger gegen Hugenroth, die „Kandidatin jenseits der grünen Flügel“ 75,3 % der Stimmen. Das war ein Realtest für eine diffuse Politik der „Meta-Werte“.
 
Börje Wichert ist Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Bezirksverband Ruhr

Schwarz-Grüne Bündnisse sind möglich – warum nicht im Bund?

Der CDU-Oberbürgermeisterkandidat für Mülheim, Stefan Zowislo, hat einen Bericht geschrieben über seine Erfahrungen mit Bündnissen von Schwarzen und Grünen. Und er sagt, sie sind möglich. Warum nicht auch im Bund? Ob kurz oder lang werden sie sowieso kommen. Dabei redet Zowislo nicht um den heißen Brei herum. Er benennt die Probleme etwa in der Atompolitik und mögliche Lösungen. Zowilso kennt sich gut aus mit schwarz-grün. Seine Frau war lange grüne Funktionärin. Er selbst ist ehemaliger CDU-Kreisgeschäftsführer und Manager des ersten schwarz-grünen Bündnisses in einer deutschen Großstadt. Das regierte nämlich bis 1999 in Mülheim an der Ruhr. Seit 2004 arbeitet Zowislo als Marketing-Chef der WAZ-Gruppe. Ich habe gestern über den spannenden Wahlkampf in Mülheim berichtet. Ich denke es ist interessant, Zowislos Ideen zu schwarz-grün kennenzulernen. Sie haben mehr zu bieten, als ein Feuerwerk. Deswegen veröffentliche ich hier seinen Bericht.

Die Zeit ist reif! Von Stefan Zowislo

Foto: Stefan Zowislo

Die Prozentzahlen der Europawahlen – oder auch jene von Umfragen – sind flugs addiert: Schwarz-Grün kann die Mehrheit bei der bevorstehenden Bundestagswahl erlangen. Was bedeutet das aus der Perspektive eines in den 1990er Jahre schwarz-grün erfahrenen CDU-Politikers (was ja schon fast einer Zeitzeugenschaft gleichkommt), der zudem in diesen Wochen in den Wahlkampf als Oberbürgermeister-Kandidat in Mülheim an der Ruhr zieht?

2005: „Wir wollen Schwarz-Grün“

Vor vier Jahren, nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl, haben meine Frau (die in den 1990er Jahren als Geschäftsführerin der europäischen Bündnisgrünen tätig war) und ich einen Artikel zur schwarz-grünen Lage für die politische Monatszeitschrift Cicero verfasst. Die neue Bürgerlichkeit, der Zusammenhalt der Gesellschaft als zentrales Ziel, nicht links oder rechts, sondern oben oder unten als die eigentlichen Koordinaten, ein Plädoyer für die Kategorie Sinn, die mehr aussagt als Geld oder Macht – um dies zu erreichen, war für uns klar: „Wir wollen Schwarz-Grün“.

Was kam, war die große Koalition, Jamaika oder Ampel blieben Blütenträume. Das Miteinander von CDU und SPD macht bis heute „üble Laune“, auch das stand schon 2005 in Cicero; doch nicht nur das: Der politische Wettbewerb, jener Ur-Nukleus des Fortschritts um die besten Ideen, blieb auf der Strecke. Es stimmt: Große Koalitionen werden zum „Gift, wenn sie über Legislaturperioden hinweg Bestand haben sollen“ (Norbert Röttgen).

2009: Ein neuer Anlauf?

Die CDU ist eine Volkspartei, aber auch sie stößt an eine Glasdecke des Wachstums. Viele Milieus lassen sich nicht mehr mir nichts, dir nichts mobilisieren, jedenfalls nicht für politische Ziele. Dafür bleibt man zunehmend „unter sich“, es fehlen die Themen, über die alle reden.

Das Verbindende innerhalb der CDU, die Sinnstiftung über christliche Werte, ist im Rückzug – und allzu kirchennah darf (und kann) es sowieso nicht mehr sein. Ist das Milieu der Kirchgänger zwar auch weiterhin wichtig für die Akzeptanz der Union – die Menschen dort werden weniger und modernisieren sich nur noch (dann ebenso kräftig wie kurzlebig) über Kirchen- und Katholikentage, was eine sonntägliche Gemeindearbeit jedoch kaum erreicht. Modernisierung aber ist unabdingbar für jedwede Erneuerung, auch die der Union. Genauso die Öffnung der CDU-nahen Milieus für neue und andere werteorientierte Fragestellungen.

Auf der „anderen Seite“, beim lange so genannten alternativen Milieu, dominieren Selbstgewissheit und das „Gutmenschentum“. Man gibt sich postmateriell, steht auf der Seite der Unterdrückten, macht sich auf die Suche nach der besseren Gesellschaft – und ist zugleich Bohème. Lebensstil als Vorbild – abseits von Bio-Kost – scheidet aus! Die Sinnfrage wird lautstark gestellt, man ist aber ungläubig, wenn sich ein christdemokratischer Politiker werteorientiert verhält. Höchste Zeit, sich der Floskel zu entledigen, dass eine schwarz-grüne Koalition angeblich aus „kulturellen Gründen“ ausgeschlossen sei.

Unabhängig von „ihren“ Milieus hat sich die Union in der Bundesregierung erfolgreich modernisiert und den Weg weiter beschritten, der einst in den 1980er Jahren mit der Thematisierung der Frauenfrage begann (dies nicht zuletzt dank Helga Wex, der langjährigen CDU-Politikerin aus Mülheim an der Ruhr, die 15 Jahre lang an der Spitze der Frauen Union stand). Nicht nur, dass die CDU die Kanzlerin stellt – das Modernisierungsprogramm für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfreut Mütter, Väter und Kinder.

Die Bündnisgrünen dagegen sind wieder – so wirkt es – in ihr angestammtes Milieu zurückmarschiert und haben den Weg von den Regierungs- auf die Oppositionsbänken dazu genutzt, verbal radikal zu bleiben, sich inhaltlich anzupassen und personell auf 1998er-Niveau zu verharren.

Im Zeichen der Krise

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ So hatte Bertolt Brecht in seiner „Dreigroschenoper“ den historischen Materialismus auf den Punkt gebracht. Im Angesichte von Hunger und Elend – und unter dem Eindruck der Lektüre von Karl Marx.

Ist es heute nicht viel mehr umgekehrt? Erst kommt die Moral, dann das Fressen? Trotz aller sozialpolitischen Verwerfungen, die in unserem Land herrschen? Für mich steht fest: Wir werden die sozial-moralischen Voraussetzungen unserer Gesellschaft benennen und erneuern müssen. Wenn es stimmt, was Karl-Erivan Haub, Gesellschafter der Mülheimer Tengelmann-Gruppe, beschreibt, dass wir „den höchsten Lebensstandard gemessen am Bruttosozialprodukt hinter uns haben“, dann muss das in der Politik „ankommen“.

Deshalb steht – im Sinne von Jürgen Habermas – die Debatte um die „Zivilgesellschaft“ auf der Tagesordnung. Wie beteiligen wir sie an politischen Prozessen? Die inzwischen hoch professionalisierte Politikmaschine muss für die Brücken von Parteien und Politikern zur Zivilgesellschaft sorgen, sie muss dem Subsidiaritätsprinzip – und damit dem „Recht der kleinen Lebenskreise“ – dringend eine neue Renaissance verschaffen.

Kommunalpolitiker können, ja, müssen, für diese Erneuerung Trendsetter sein. Sie werden an der Praxis gemessen. Ihre Parameter müssen sein: Ansprache, Akzeptanz und Augenhöhe. Oder: Solidarität und Subsidiarität. Denn, so formuliert es Peter Slotterdijk: Die Gesellschaft der Zukunft ist „zum Vertrauen verurteilt“.

Die schwarz-grüne Reform

Reichlich Arbeit für Schwarz-Grün. Die CDU mit der katholischen Soziallehre und dem Ahlener Programm im Gepäck, ist gewappnet für den sozial-moralischen Diskurs und für den Umbau einer Gesellschaft, die zivilgesellschaftliches Engagement in großer Vielfalt ermöglichen will. Und die weiß, wovon sie spricht, wenn sie verstärkt die Familien stärken und fördern will, „auf die in guten und in schlechten Zeiten Verlass ist“ (Ursula von der Leyen).

In einer schwarz-grünen Konstellation hat die CDU die Aufgabe, sehr konkret den sozialpolitischen Teil zu formulieren – aber auch zu repräsentieren. Gerade die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und an ihrer Spitze Karl-Josef Laumann (für den Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine die „beiden größten Vorsitzenden von populistischen Parteien in Deutschland“ sind) gehören bei schwarz-grünen Verhandlungen an den Tisch.

Im Zeichen der Krise kann es kein stures Festhalten an der „unsichtbaren Hand“ geben – dafür waren die sichtbaren Schäden zu groß. Nun wird es um die konkrete Umsetzung einer weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftsordnung gehen. Genug und gut zu tun für Schwarz-Grün.

Spaltpilz Atomkraft?

Die aktuelle Atom-Debatte ist von der CDU nicht gewollt. Sie hat eine klare Position für einen Energie-Mix, der die Atomkraft einbezieht. Die Union pflegt intensiven Kontakt zu allen Energieproduzenten und kommt in den Ländern ihrer Aufsichtspflicht gegenüber Atomkraftbetreibern nach – Ole von Beust aus dem schwarz-grünen Hamburg ist hier keinen Deut weniger eindeutig als Sigmar Gabriel. Kein CDU-Politiker wird sich von einem Energiekonzern die Glaubwürdigkeit nehmen lassen. Deshalb: ZEIT-Chefredakteur Bernd Ulrich liegt richtig, wenn er schreibt: „An der Atomkraft würde Schwarz-Grün nicht scheitern, vielmehr wäre Schwarz-Grün das endgültige Aus für die Atomkraft in Deutschland.“

Doch auch jenseits der Atomfrage wird die sozial-moralische Erneuerung nur dann gelingen, wenn sie die ökologische Perspektive beinhaltet. Der in den 1980er Jahren populär gewordene Satz (in so mancher WG schmückte er Küche oder Flur): „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“, verdient neue Konjunktur.

Forderungen des „Grünen Neuen Gesellschaftsvertrages“, mit dem die Bündnisgrünen in den Bundestagswahlkampf ziehen, sind in einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft jederzeit umsetzbar. Dass durch Umweltprodukte Arbeitsplätze geschaffen werden können, ist eigentlich nicht mehr als neuer Wein in alten Schläuchen. Die Diskussion um Solarenergie bekommt dank Desertec eine neue Dynamik; E.on-Manager verkünden hoffnungsfroh: „Wir steigen schrittweise auf erneuerbare Energien um.“

Vom Abschied der Romantik

Aus meinen Erfahrungen als CDU-Geschäftsführer des schwarz-grünen Bündnisses in Mülheim an der Ruhr (das erste in einer deutschen Großstadt) sei überliefert, dass die Grünen aus dem Staunen nicht herauskamen, dass die CDU sich an Vereinbarungen hielt, wenn man sie geschlossen hatte. Das führte zwar zu stets langwierigen Koalitionsrunden – aber anschließend war es perfekt. Grüne wunderten (und freuten) sich über Politiker, die sagen, was sie tun und tun, was sie sagen.

Eines wäre für mich bei einer schwarz-grünen Zusammenarbeit heute anders als einst in den 1990er Jahren in Mülheim: Es wäre kühler und nüchterner, das Romantische wäre perdu, von dem wir seit der großen Safranski-Studie wissen, dass es allzu sehr „die Intensität bis hin zu Leiden und Tragik sucht“ und damit „nicht sonderlich für Politik geeignet ist“. Aber ein wenig Romantik, in Maßen und wohldosiert, sei vielleicht gar nicht so übel – denn, so Rüdiger Safranski, „politische Vernunft und Realitätssinn ist zu wenig zum Leben“ und „Romantik macht neugierig auf das ganz andere“.

Und noch eines hat sich nach über einem Jahrzehnt verändert: Waren die Grünen damals ein wesentlicher Modernisierungsanstoß für die Christdemokraten – benötigte doch deren Pragmatismus die Prinzipientreue der Alternativen dringend zur Blickfelderweiterung –, so können wir heute vermelden: Selbstbewusst steht sie da, die Union, als Volkspartei der alten Schule mit neuer Öffnung und neuem Personal. Geradezu keck könnte sie den Grünen auch zurufen: Vorsicht, dass wir euch nicht davonlaufen! So zum Beispiel, wenn man im Vorfeld der Bundestagswahlen die Programmatik zum Thema Bürgergesellschaft der beiden Parteien vergleicht. Da attestieren Wissenschaftler Bündnis 90/Die Grünen, dass hier „kein Konzept für neue Formen des Regierens und Verwaltens“ zu finden sei und das „hohe Lied auf das bürgerschaftliche Engagement (…) kaum orchestriert“ werde. Lob dagegen für die Union: In deren Programm „werden alte und neue Engagementformen zu einer neuen Art von Gesellschaftspolitik zusammengeführt“, wenngleich – leider! – hier nach wie vor das „traditionelle Engagement mit traditioneller Motivation“ zu sehr im Mittelpunkt stehe. All das ist purer schwarz-grüner Humus!

Lernen aus der Krise

Das Vorhaben der sozial-moralischen Erneuerung unserer Gesellschaft benötigt – unter Führung der Union – zahlreiche Mitstreiter. Im Zeichen der Krise wird viel davon abhängen, wer sich wie lernfähig und engagiert erweist. Wer den Bankern in den Bars klar macht, dass Umkehr angesagt ist und es Grenzen und Maßstäbe gibt. Wer die Neuordnung der Finanzmärkte nach vorne treibt. Wer aus der Krise gelernt hat und – nur als ein Beispiel! – die Kirchen als Partner ansieht, erst recht nachdem der Papst mit seiner neuen Sozialenzyklika deutliche Worte gefunden hat.

Wir brauchen eine Neujustierung des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Wirtschaft ist gefordert, ihren diskursiven Beitrag zur sozial-moralischen Erneuerung zu leisten, auch wenn die Aktienkurse wieder steigen. Der ehrenhafte Beruf des Politikers hat in der Krise bereits viel geleistet. Fast schon vorbildlich. Ein funktionierendes schwarz-grünes Bündnis in Berlin wird die Ehre des Berufsstandes weiter mehren.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Arcandor: Eick ohne Sorgen…Spiegel

Arcandor II: Goldener Handschlag für Eick…Welt

Dortmund: Protest gegen Naziaufmarsch…Indymedia

Unna: Landrat verbietet Nazi-Aufmarsch…Der Westen

BVB: 100 Jahre Borussia…Ruhr Nachrichten

RWE: Bezirksregierung überprüft RWE-Einstieg…Der Westen

Bundestagswahl: SPD mit Modelproblem…Süddeutsche

Kommunalwahl: Dunkelrote Pott…taz

Kommunalwahl II: Kopf an Kopf Rennen in Kreis Recklinghausen…Der Westen

Kommunwahl III: Ich bin doch nicht blöd…Zoom

Kommunalwahl IV: Das große Zittern…Der Westen

Ruhr2010: Mehr Werbung…Bild

Dreck kommt zu Dreck und Saubere Luft bleibt sauber.

In Herten geben sich im Wahlkampf die Polit-Promis die Klinke in die Hand. Frank Walter Steinmeier (SPD) besuchte – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – das Wasserstoffkompetenzzentrum auf Ewald. Gregor Gysi (Die Linke) war wohl für viele auf der Hohewardhalde kaum erreichbar und Bärbel Höhn (B90/Grüne) diskutierte vor ein paar Tagen in der Revierstadt mit rund 20 Menschen über das „Müllklo der Nation“ – sprich die Müllverbrennungsanlagen der Abfallgesellschaft Ruhrgebiet vor Ort, die Anlagen RZR I und RZR II. Von unserem Gastautor Hans Heinrich Holland

Foto: Holland und Höhn Anfang der 90er. Ausriss: Hertener Allgemeine

Bärbel Höhn geht es bei ihrem Einsatz gegen die Verbrennungsanlagen für vor allem um eine Grundstruktur des Ruhrgebietes, die den Norden dazu verdammt, dreckig zu bleiben, und dem Süden schöne Wiesen beschert. Ihre These: Die Teilung in Schmutz und Schönheit stammt aus den Frühzeiten des letzten Jahrhunderts. Die Ruhr sollte als Trinkwasserreservoir geschützt werden, die Emscher als Kloake herhalten. Höhn sagte weiter: „Es gibt eine Zweiteilung im Ruhrgebiet.
Im Süden wohnen die Reichen, stehen die Villen und im Norden ballen sich die Umweltbelastungen.“ Tatsächlich sind längs der Emscher die Müllverbrennungsanlagen des Reviers zu finden und nicht in Essen-Werden.

Dieses Ungleichgewicht führe zu besonderen Belastungen der Bevölkerung. Angeblich leben die Menschen im Norden des Reviers fünf Jahre kürzer als etwa in Bonn. Laut Höhn würden die gesetzliche Vorgaben diese Entwicklung begünstigen. So darf eine neue Anlage die Umgebung nur mir einem Prozent mehr belasten als im Ursprungszustand. Genau das ist im dreckigen Norden eher einzuhalten, als im sauberen Süden. Eine
Ruhrgebietsspirale also: Dreck kommt zu Dreck und Saubere Luft bleibt sauber.

Und was noch schlimmer ist: die Überkapazitäten der Hertener Verbrennungsanlagen führen auch noch zu Abfallimporten.  Das Zeug kommt aus Italien, selbst aus Australien sollte Giftmüll zur Verbrennung rangeschifft werden. Dabei sind die Überkapazitäten laut Höhn für die Betreiber der Anlagen wirtschaftlich nahezu risikolos. Die Menschen müssen aufgrund des Anschluss- und Benutzungszwang sowieso die Zeche zahlen. Damit, so Höhn, würden auch noch die Abfallgebühren im ohnehin ärmeren Norden zu einem sozialen Problem. Toll.

Höhn befürchtet, dass durch dieses Situation bedingt, die Lage weiter schlecht bleibt. Die Strukturen im Pott seien durch wirtschaftliche Macht entstanden, und würden durch wirtschaftliche Macht, etwa durch E.on und RWE, zementiert. Höhn sagt, der heutige CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers würde nichts daran setzen, diese alten Strukturen zu verändern.

So würden die regenerative Energien nicht so fördert, wie es möglich wäre. Und dass, obwohl in dieser Branche derzeit viele neue Arbeitsplätze entstehen. Der Druck der mächtigsten Energiekonzerne in Deutschland würde dazu führen, dass NRW abgehängt werde. „Im Bundesgebiet sind 280.000 neue Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien entstanden, in NRW lediglich 20.000“, sagte Höhn. Und dass, obwohl NRW ein Industrieland ist. Weiter sagte die ehemalige NRW-Umweltministerin: Der Anteil der regenerativen Energieträger beträgt bundesweit 16 Prozent – in NRW liegt die Rate bei lediglich 6,1 Prozent, wovon 2 Prozent auch noch auf Energiegewinnung aus
Müllverbrennungsanlagen und Verwertung von Grubengas entfallen – mit regenerativer Energie habe das in Wahrheit wenig zu tun.

Hans Heinrich Holland ist Stadtverbandssprecher DIE LINKE. Herten

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FDP-Finanzierung – Bundestagsverwaltung versus Bundesrechnungshof

Die FPD Bundestagsfraktion bezahlt wie berichtet für Videos eine Firma und vertreibt die fertigen Spots dann über Youtube unters Wählervolk. Der Parteirechtler der Uni Düsseldorf, Prof. Morlok findet das ist eine zu Unrecht vom Steuerzahlern finanzierte Parteienwerbung, da diese Videos nicht die Inhalte der Fraktionsarbeit verbreiten, sondern lediglich Sympathiewerbung für die beiden beteiligten FDP-Granden Hermann Otto Solms und Otto Fricke beinhalten. Der eine ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, der andere Vorsitzender des Haushaltsausschuss. Zudem würde zumindest im Video: „Insel der Erkenntnis (FDP-Steuermodell)“ ausschließlich das FDP-Parteiprogramm beworben. Auch das ein laut Morlok No-Go für steuerfinanzierte Fraktionen. In ähnlichen Fällen kam es bereits zu Verurteilungen. Aber egal.

Ich hatte bei der FDP angefragt, wie teuer die Videos waren. Als Antwort gab es keine Auskünfte, sondern unter anderem diesen Hinweis von einem FDP-Fraktionssprecher: „Die entsprechenden Zahlen finden sich in den Akten, die der Rechnungshof einsehen kann – also sollten Sie sich, wenn Sie diesen Weg gehen möchten, bitte dorthin wenden.“ Ok, dachte ich, dann frag ich mal da. Offiziell wollten mir die Leute vom Bundesrechnungshof nicht sagen. Aber intern habe ich nachher erfahren, sehen die Leute dort den Fall genauso wie Prof. Morlok. Bald steht eine Prüfung an, dann wollen sie sich das Ganze mal genau ansehen, heißt es. Offiziell bekam ich nur die Auskunft, dass der Bundesrechnungshof nichts sagt und dass ich mich an die Bundestagsverwaltung wenden soll.

Gut, auch das tat ich. Hier allerdings heißt es zur Causa:

Die Filme weisen am Ende auf die Homepage der Fraktion hin, die Funktionen von Herrn Fricke und Herrn Solms in der Fraktion gehen daraus hervor und es ist kein Wahlaufruf zu Gunsten der FDP als Partei enthalten. Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die Bundestagsverwaltung keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Parteiengesetz.

OK. Damit ist der dräuende Skandal erstmal beerdigt, würde ich sagen. Aber ich bin mal gespannt, was die Bundestagsverwaltung sagt, wenn der Bundesrechnungshof die Filme in der kommenden Zeit prüfen sollte.

Mülheims Comeback-Kid oder kriegt CDU-Zowislo den OB-Job?

Foto: Stefan Zowislo

Wie gesagt, der Kommunalwahlkampf im Ruhrgebiet ist in seiner Endphase eigentlich nur noch in Essen, Bochum und Mülheim spannend. Dortmund und Duisburg scheinen entschieden. Während die CDU in Essen Probleme durch die dubiose Stadionfinanzierung für Rot-Weiß Essen bekommt – und die SPD so hoffen darf, wenn auch nicht die Ratsmehrheit, so doch wenigstens nach zehn Jahren wieder den Posten des Oberbürgermeisters zu erobern, sieht es in Bochum und Mülheim mit verkehrten Vorzeichen für die SPD schlecht und die CDU gut aus.

In Bochum müsste die Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) eigentlich abgewählt werden. Und zwar wegen der unglaublichen Aktenvernichtung im Rathaus, wegen der völlig überzogenen Philharmoniepläne und dem grandios gescheiterten Cross-Border-Leasing. Dies alles hat zu Schäden in Millionenhöhe für Bochum geführt. Wenn dort die Demokratie funktioniert würde, wäre Scholz weg – was aber wegen der Bochumer Verhältnisse ungewiss bleibt.

Anders sieht der Wettbewerb in Mülheim aus. Hier legte der Oberbürgermeisterkandidat der Konservativen Stefan Zowislo in der letzten Wahlkampfwoche einen beeindruckenden Endspurt hin, der auf höhere Weihen schließen lässt. Dies ist umso erstaunlicher, als Zowislo im Frühjahr nach seiner gescheiterten Attacke auf den ehemaligen Skandaloberbürgermeister von Mülheim und heutigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Jens Baganz, eigentlich als verbrannt galt.

Wie kommt es zum Comeback? Nun: zum einen liegt es an der Bräsigkeit der amtierenden Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD), die nicht zuletzt durch peinliche Videobotschaften ihrer Jusos aufgefallen ist, siehe linkes Bild. (klick) Gut, aber nicht gut genug. Da ist auch die Kampagne der SPD, die zwar hyperaktiv ist, mit duzenden Pressemitteilungen in der Woche, aber ohne echtes Pfund. Ich denke da zum Beispiel an die Fachhochschul-Posse, in der sich die SPD-Führung rund um Mühlenfeld nicht mal entscheiden konnte, einen Standort für die neue Schule ins Ministerium zu melden. Stattdessen versuchten sich gleich mehrere Spitzenleute der Kommune gemeinsam mit einen prominenten Bauunternehmer an der Immobiliengeschichte zu bereichern (aber Ok, das ist eine andere Geschichte, die ich bei Gelegenheit mal schreibe). Es bleibt dem Beobachter festzustellen, dass die SPD-Kampagne in Mülheim inhaltsarm ist. Aber diese Armut muss nicht jedem Wähler auffallen. Vor allem nicht im Wahlkampf, wo es meist sowieso nur um Schaukämpfe geht. Diese Gründe reichen also nicht aus, um Zowislos Comeback zu erklären.

Ich denke, es gibt drei Ursachen dafür, dass der Mülheimer Wahlkampf wieder spannend geworden ist. Ich zähle sie mal der Reihe nach auf.

Die SPD verhält sich in Mülheim arrogant, wie man es eigentlich nicht mehr im Ruhrgebiet gewohnt ist. Ich liefere mal ein Beispiel: So wurde die von Dagmar Mühlenfeld geführte Stadtverwaltung gezwungen, der SPD die privaten Daten von tausenden Bürgern aushändigen, damit diese mit Wahlwerbung überschwemmt werden können.

Das glauben Sie nicht? Ist aber so: Zwar darf die Stadtverwaltung den Parteien auf Antrag Daten von potentiellen Wählern liefern, aber eben nicht einfach alles, sondern begrenzt auf zwei Gruppen mit nicht mehr als zehn Jahrgängen. In Mülheim juckte das die SPD nicht. Sie ließen sich von Genossin Mühlenfelds Beamten die Daten aller 7500 Erstwähler liefern – was korrekt ist.

Sie ließen sich aber auch die Daten von 38.815 Menschen über 65 schicken – was überhaupt nicht OK ist, und ein fatales Verhältnis zum Datenschutz beweist. Zum Zwecke des Machterhaltes wurde mit den persönlichen Daten einer ganzen Stadtbevölkerung gehandelt, als sei das Privatbesitz der SPD. Genau damit wird der Kern des Datenschutzes verletzt. Nicht mit irgendwem, der einen Toaster verkaufen will und sich deswegen einen Datensatz einshoppt.

Die Stadt räumte übrigens mittlerweile den Verstoß gegen das Meldegesetz ein. Unerträglich – eigentlich. Aber genug um Zowislo zurück ins Rennen zu bringen? Eigentlich nicht, denn Skandale entscheiden nur selten Wahlen – Datenschutzskandale haben das noch nie getan, soweit ich weiß.

Es muss eine weitere Komponente hinzukommen. Und das nenne ich die Mülheimer Verhältnisse. Hier gibt es nämlich einen Sonderfall in der politischen Landschaft. Die SPD mit ihrer Arroganz hat in der Stadt schon vor über zehn Jahren für ein schwarz-grünes Bündnis gesorgt. Das zweite nach Gladbeck in einer Revier-Stadt, das erste in einer nordrhein-westfälischen Großstadt. Zowislo war einer der Architekten dieses Bündnisses. Die alten Bande bestehen noch. Gegen die Machtarroganz der Genossen stehen die Grünen weitgehend zum schwarzen Zowislo. Mehr noch. Selbst die mit den Grünen verfeindeten Mülheimer Bürgerinitiativen rund um Lothar Reinhard können sich mit dem Christdemokraten anfreunden. Er ist offener für neue Ideen und beliebter als ein Schulbus voller SPD-Ratsmänner. Aus diesem Lager kann also der CDU-Kandidat mit Stimmen rechnen.

Reicht das? Vielleicht – eher nicht. Um den Sack zu zumachen, setzen sich wirklich Mächtige aus dem ganzen Land für Zowislo ein. Es geht nämlich nicht nur um einen Oberbürgermeisterposten. Es geht um mehr. Es geht um einen Propagandaerfolg für die ganze CDU im Land.

Der Hintergrund ist einfach zu verstehen. Die SPD gewinnt auf jeden Fall den Posten des Oberbürgermeisters in Köln von der CDU zurück. Gleichzeitig hat sie gute Chancen in Essen zu siegen. Damit stehen die Sozialdemokraten vor zwei Erfolgen, die sie in der Wahlnacht präsentieren können. Ihr Absacken bei den Gesamtergebnissen in den Stadträten wird dahinter zurückfallen. Es wird nicht als schlimm wahrgenommen, wenn die SPD nur 30 oder 35 Prozent holt. Die Ausgangsbasis ist schlecht genug, da kann man nicht mehr viel verlieren.

Anders sieht das bei der CDU aus. Die Konservativen drohen gleich zwei entscheidende Großstädte zu verlieren. Mehr noch: Sie sind in Dortmund chancenlos. Selbst in Bochum ist bei allen Skandalen nicht sicher, dass die Wähler endlich die Stadt von Ottilie Scholz erlösen, siehe oben. Dazu dräuen erhebliche prozentuale Verluste. Es wird nach den Wahlen nicht mehr die Rede von der Arbeiterpartei CDU sein können. Ein Ergebnis von satt unter 40 Prozent wäre zudem ein mieses Signal für die Bundestagswahl. Gerade wenn die Christdemokraten nicht einen Sieg im Ruhrgebiet vorweisen können.

Und genau deswegen muss Zowislo siegen, scheinen Rüttgers und Konsorten zu denken. Und deswegen schicken sie Mann und Maus nach Mülheim. Allein heute und morgen kommen NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel war da und traf sich im Rahmen ihres Besuchs bei der Mülheimer Tengelmann-Gruppe mit Zowislo zum Gespräch.

Vielleicht wichtiger für die Bürger war aber die öffentliche Einladung zur Film-Martinee mit Horst Schlämmers Hauptwerk „Isch kandidiere“ am vergangenen Sonntag. Zowislo subventionierte den Eintrittspreis für alle auf den Kindertarif von 4,50 E runter.

Dazu wird im Hintergrund zugunsten des OB-Kandidaten geschoben, was das Zeug hält. Mir sind Telefonate bekannt, in denen SPD-Spitzenkräfte aus dem Land versuchten, prominente SPD-nahe Unternehmer zu überzeugen, Mühlenfeld zu unterstützen. Das ganze zu einer Zeit, in der die Manager schon mit CDU-Vormännern konkret über Parteispenden verhandelten. Die SPD-Spitzen wurden nach den Telefonaten von den Managern im Kreis der Zuhörer verspottet. Kein Scheiß, so erlebt. Ich verzichte hier mal auf Namen – nicht nur, um die Unternehmer zu schützen.

Damit aber nicht genug. Die SPD um Mühlenfeld wird noch peinlicher als die Bezeichnung Stadtkanzlei für die Schreibstube der  Oberbürgermeisterin überhaupt sein kann. Ich gebe ein Beispiel: So wollte auch NRW-Familienminister Armin Laschet (CDU) den Kandidaten Zowislo im Wahlkampf unterstützen. Er kündigte seinen Besuch an und wollte mit der lokalen CDU eine Schule besuchen und dort unter anderem mit örtlichen Caritas-Vertretern sprechen. Ungewöhnlich das? Im Wahlkampf? Nöö. Normales Business. Das machen alle Parteien so. Ich kriege jeden Tag Einladungen von Steinmeier und Co irgendwohin zu kommen, wo Spitzensozialdemokraten auftreten. Das ist absolut OK.

Nicht aber in Mülheim. Nachdem die SPD vor knapp zwei Wochen Wind vom anstehenden Besuch bekommen hatte, schrieb der Leiter der Stadtkanzlei Frank Mendack der Caritas einen Brief. Darin heißt es: „Die Oberbürgermeisterin freut sich, Herrn Minister Laschet in der Einrichtung als Vertreterin des Schulträgers, Hausherrin und verwaltungsfachliche Leiterin der staatl. unteren Schulaufsichtsbehörde begrüßen zu dürfen.“

Schlucken Sie das, atmen sie ruhig aus. Und denken Sie nach.

Das ist ungefähr so peinlich, wie der überraschende Besuch des ungeliebten und nicht eingeladenen Onkels auf der Hochzeit der Nichte. Das schlimme an dieser Vorstellung: Der Onkel säuft sich zu und lallt dann ins Mikro Unverschämtheiten über den Schwiegervater – so wie er es immer tut.

Das Reindrängeln in die Veranstaltung des politischen Wettbewerbers kam jedenfalls nicht gut an. Laschet sagte seinen Besuch pikiert ab. So wie es vor ihm in einem ähnlichen Fall CDU-Verkehrsminister Lutz Lienenkämper tat, als auch ihm die annährungswillige OB Mühlenfeld auf den Pelz rückte.

Reicht das für Zowislo aus, um in Mülheim zu gewinnen? Ich weiß es nicht. Vielleicht – ja.

UBP: Wahlkampfauto brannte heute Nacht

Wir haben ja an verschiedenen Stellen in diesem Blog über die rechtspopulistische Unabhängige Bürgerpartei (UBP) berichtet.  Heute Nacht brannte das Wahlkampftauto der UBP.

Hier die Pressemitteilung der Polizei, die uns auf Anfrage bestätigt hat, dass es sich um das UBP-Fahrzeug handelte:

"Am Mittwoch (26.08.) gegen 04.00 Uhr geriet auf der Dorstener Straße ein PKW in Brand. Die Feuerwehr hat den Brand gelöscht. Brandstiftung kann als Brandursache nicht ausgeschlossen werden. Die Höhe des Sachschadens steht noch nicht fest."

„Wir erleben einen digitalen Generationenkonflikt“

Philipp Mißfelder ist seit sieben Jahren Vorsitzender der Jungen Union und sitzt seit 2005 im Bundestag. Der gebürtige Gelsenkirchener bewirbt sich im September in Recklinghausen erneut um ein Mandat. Wir sprachen mit ihm über Netzsperren, Computerspielverbote und die Piratenpartei. 

Ruhrbarone: Bei Umfragen in Netzwerken wie StudiVZ liegen die Piraten weit vor allen anderen Parteien, und im Internet kursiert ein Spot der Union zur Piratenpartei. Nimmt die CDU, nimmt die Junge Union die Piraten als Wettbewerber ernst?
Philipp Mißfelder: Dass die Piratenpartei einen großen Zulauf hat, ist für mich nicht überraschend. Die Piratenpartei greift vordergründig Themen auf, die jungen Menschen am Herzen liegen. Wir sollten die Piratenpartei in ihrer Bedeutung nicht überschätzen, aber die Anliegen der Community sollten wir sehr ernst nehmen. Wir als Junge Union werben bereits intensiv dafür, dass in der Politik Themen der jungen Generationen wie Online- und Videospiele oder das Internet stärker aufgegriffen werden. Diskussionen wie die um das Verbot von Computerspielen werden meiner Ansicht nach sehr eindimensional geführt. Damit werden Gamer in eine Ecke mit Kriminellen gestellt, und das kann ich nicht unterstützen.

Vor allem Politiker von SPD und CDU sind schnell dabei, als Reaktion auf Verbrechen wie Schulmassaker ein Verbot von Computerspielen zu fordern, obwohl noch niemand bei Counterstrike gestorben ist. Woher kommt dieser Affekt?
Mißfelder: Zahlreiche Politiker, die sich zum Thema Computerspiele und Internet äußern, haben keine Ahnung und kennen die Bedeutung nicht, die Spiele und das Internet für viele vor allem junge Menschen haben. Sie wissen nicht, dass die Online-Community für viele heute ein Teil ihres normalen Lebens ist. Viele unterschätzen auch die Medienkompetenz von Jugendlichen. Denn die meisten können natürlich die virtuelle Realität eines Spiels vom realen Leben unterscheiden. Es ist nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, sondern in erster Linie die Aufgabe der Eltern, genau hinzuschauen, was ihre Kinder spielen. Verbotsdiskussionen sind absolut unrealistisch, gerade in Hinblick auf den grenzenlosen Datenaustausch im Internet. Wir erleben hier einen digitalen Generationenkonflikt. Viele Ältere, gerade auch in der Union, verstehen ihre Kinder in diesen Fragen nicht mehr.

Die mangelnde Kompetenz wird der großen Koalition ja auch in der Frage der Netzsperren vorgeworfen. Von Laien regiert bezieht sich ja nicht zufällig auf Familienministerin Ursula von der Leyen.  Die DNS-Sperren gelten bei IT-Experten als symbolische Ersatzpolitik und als Einstieg in weitere Zensurmaßnahmen. Wäre das Löschen von kriminellen Inhalten wie Kinderpornographie nicht sinnvoller als das Aufstellen von Stoppschildern, die jeder umgehen kann?

Ich habe die Internetsperren im Bundestag unterstützt, und wir werden jetzt erst einmal abwarten, wie sie funktionieren – das ist umstritten und wird diskutiert. In der Expertenanhörung des Bundestages, an der ich teilnahm, gab es von den Fachleuten kein eindeutiges Votum – weder in die eine noch in die andere Richtung. Es ist in der Community stark umstritten, aber Themen wie Computerspielverbote und Internetsperren dürfen nicht miteinander vermischt werden. Kinderpornographie ist ein schlimmes Verbrechen und damit etwas völlig anderes als Computerspiele. Es gab ja auch Politiker, die Internetsperren für Computerspiele vorgeschlagen haben – davon halte ich nichts.

Aber deren Zahl steigt: Immer mehr Politiker, gerade auch aus der großen Koalition, wollen die Sperren ausweiten.
Dazu gehört Frau von der Leyen nicht – mit ihr habe ich oft über das Thema diskutiert, und die Junge Union findet bei ihr auch Gehör. Ihr ist absolut klar, dass das zwei verschiedene Themen sind, und von ihr gibt es solche Äußerungen nicht. Wenn es sie doch geben sollte, werde ich mit ihr darüber reden. Aber die öffentliche Debatte um Kinderpornographie war notwendig. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und war es nie – aber manche in den Blogs tun so, als ob es das wäre. Es ist kein moral- und kein rechtsfreier Raum, und dass es das nicht wird, liegt auch im Interesse der Community.

Fanden sie es gelungen, dass von Guttenberg den Gegner der Netzsperren unterstellt hat, sie wären für einen freien Zugang zu Kinderpornographie, was ja nicht stimmt. Die Gegner der Netzsperren waren für Löschen statt Sperren – auch, weil sie die Löschung der Inhalte auf den Servern im Kampf gegen Kinderpornographie für effektiver halten.

Ich kenne die Aussage von zu Guttenberg nicht und glaube auch nicht, dass er sie so gemeint hat. Ich kann niemandem, der gegen Netzsperren ist, unterstellen, dass er für die Verbreitung von Kinderpornografie ist. Wir als Junge Union haben sowohl online auf Facebook und in anderen Netzwerken als auch auf unseren Ständen, wie zuletzt auf der Gamescom, ständige Diskussionen auch zu diesem Thema. Die JU ist Teil der Community, und wir müssen solche Themen offen diskutieren und nicht mit dem moralischen Zeigefinger daherkommen.

Wenn sich ihrer Ansicht nach erweisen sollte, dass die Kritiker der Netzsperren Recht haben, und sie nichts bringen, und es sinnvoller ist, die Inhalte auf den Servern zu löschen statt Stoppschilder aufzustellen, sollte das Gesetz dann geändert werden?

Für alle Gesetze, die wir im Bundestag machen, gilt, dass sie wirksam sein sollen, und wenn sie nicht funktionieren, geändert werden müssen. Ich kündige hier keine Novelle eines Gesetzes an, das gerade beschlossen wurde, aber wir warten jetzt ab, ob die Netzsperren funktionieren oder nicht – das ist ja umstritten. Die Internetgesetzgebung ist ein Bereich, der großen Veränderungen unterliegt – wenn sich die Technik ändert, wenn wir neue Erkenntnisse haben, werden wir darauf reagieren.

Mehr zu Philip Mißfelder:

Phillipp Mißfelder auf Wikipedia

Mißfelder Portrait im Spiegel: Der Schattenmann

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Ermittlungen gegen Reiniger eingestellt

Essens OB Wolfgang Reiniger

Das Verfahren der Staatsanwaltschaft Essen gegen OB Wolfgang Reiniger wurde heute eingestellt. Die Beamten hat wegen eines dubiosen Beratervertrages zwischen der kommunalen Grundstücksverwaltung Essen GmbH (GVE) und dem Manager des Fußballvereins Rotweiß-Essen (RWE), Thomas Strunz ermittelt, aber keinen hinreichenden Tatverdacht auf Untreue gesehen, da die Beteiligten öffentlich erklärt hätten, Strunz habe die städtische Firma tatsächlich beraten und nicht nur zwei drei Tipps gegeben. Er habe, mit anderen Worten, sein Geld auch verdient.

Vor wenigen Tagen haben wir in einem Artikel über zahlreiche Ungereimtheiten bei den Planungen und der Finanzierung des neuen Stadions des Viertligisten Rotweiß Essen (RWE) berichtet – auch darüber, dass die Staatswanwaltschaft gegen Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU) Ermittlungen prüft. Das hat sie jetzt getan und sich entschlossen, nichts weiter zu tun. Wie intensiv in so kurzer Zeit geprüft wurde, kann sich jeder selbst ausmalen. Die Vorgänge selbst bleiben wie beschrieben dubios. Hier die offizielle Erklärung der Staatsanwaltschaft:

Die Staatsanwaltschaft Essen hat das im Zusammenhang mit einem Beratervertrag zwischen der Grundstücksverwaltung Essen (GVE) und dem Manager des Fußballvereins Rotweiß-Essen (RWE) eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt.

Eine Privatperson hatte in der letzten Woche Strafanzeige gegen Dr. Wolfgang Reiniger und den Geschäftsführer der GVE erstattet und den Vorwurf erhoben, der Manager von RWE habe mit Billigung des Oberbürgermeisters der Stadt aufgrund eines Beratervertrages mit der GVE eine Vergütung von 7000 € monatlich erhalten, tatsächlich aber keinerlei Beratertätigkeit im Zusammenhang mit dem geplanten Stadionneubau erbracht. Zugleich war der Verdacht geäußert worden, durch diese Vergütung sei in Wahrheit das RWE-Gehalt des Managers finanziert worden.

Nach Prüfung der Strafanzeige fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für den behaupteten Untreuevorwurf. Das Vorbringen erschöpft sich in der Wiedergabe der bisherigen Berichterstattung über die Vergütung aus dem genannten Beratervertrag. Aus veröffentlichten Stellungnahmen der Beteiligten ergibt sich zudem, dass der Manager von RWE während der Dauer des Beratervertrages an Sitzungen und Besprechungen im Rahmen der Planung des Stadionneubaus teilgenommen hat und das vereinbarte Managergehalt seitens des Vereins gezahlt worden ist.

Gegenteilige Erkenntnisse, die die Aufnahme von Ermittlungen rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

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