Böhning Antrag gescheitert

Der SPD-Parteivorstand hat den Antrag von Björn Böhning für den morgigen Bundesparteitag kassiert.

Keine wirkliche Überraschung: Björn Böhning ist mit seinem Antrag gegen Netzsperren schon im SPD-Parteivorstand gescheitert. In einem neuen Beschluss setzt die SPD auf "Löschen vor Sperren" was besser klingt als es ist, weil auch auf diesem Weg die  Internetsperren kommen, die später ausweitet werden können. Die SPD hat sich nicht getraut, gegen die Netzsperren Stellung zu beziehen. Die Angst vor einer schlechten Presse und einer sicher erfolgten Kampagne der Union war zu groß. Man wollte den PR-Bundesparteitag nicht mit einem kontroversen, aber aus Sicht der Parteiführung eher randstänigem, Thema belasten. Böhning gab sich auf  Twitter enttäuscht: "SPD-Parteivorstand hat meinen Antrag gegen #zensursula-gesetz abgelehnt. Beschluss verbessert, aber ich kämpfe weiter gegen Gesetz!" Der SPD-Internetexperte Jörg Tauss hält den Beschluss zumindest für eine gute Diskussionsgrundlage. Auch Jens vom Pottblog hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Der Grüne Bundestagsabgeodrnete Volker Beck brachte es allerdings auf den Punkt: "Manche Sachen kann man nicht gut machen, sondern nur lassen" und ergänzte: "Wiefelspütz hat es doch schon ausgeplaudert, was selbstverständlich ist: wer anfängt macht weiter. Gegen Terrorismus, Extermismus…"

Der Einstieg in die Netzsperren ist also beschlossene Sache.  Einen schönen Satz formulierte der Blogger Jens Ohling auf Twitter: SPD beschliesst Wahlkampf gegen das Internet

Demo gegen Pro NRW Landesparteitag In Gelsenkirchen

Alle Klagen der Stadt Gelsenkirchen waren umsonst: Morgen findet der Landesparteitag von Pro NRW in Gelsenkirchen statt.

Grafik: Malte/Hometown Glory

Begleitet wird er von ganztägigen Protesten: Von 9.00 bis 16.00 Uhr finden auf dem Markplatz von Horst Aktionen und Demonstrationen gegen Pro NRW statt. Der Markplatz liegt genau gegenüber vom Schloss Horst, dem Ort des Landesparteitages. Mehr Infos hier.

Wer mehr über die Hintergründe von Pro NRW lesen möchte und was für Verbrecher sich dort rumtreiben, kann diesen Artikel von David aus dem April zum Thema lesen.

Vor ein paar Tagen habe ich Flugblätter von PRO NRW gesehen. Die hatten irgendwelche Typen in die Briefkästen der Stadt gesteckt. Auf den Flugblättern war ein roter Kreis, mit einem roten Querbalken. Im Kreis, eine Moschee. Darüber der Spruch "Nein zu Minaretten und Muezzinruf" Darunter: "Islamistische Terrorgefahr bekämpfen:"

Mit dieser Rechts-Propaganda versucht PRO NRW Stimmen bei den kommenden Kommunalwahlen zu gewinnen.

Pro NRW. Das ist ein rechtsdrehender Verein, der mit übler Propaganda versucht, Dummköpfe zu ködern. Der Verfassungsschutz beobachtet die Bande. Fast wie unter einer Tarnkappe schleichend will die Truppe landesweit bei den kommenden Kommunal- und Landtagswahlen antreten. Ortsverbände gibt es schon in Gelsenkirchen, Bottrop, Nettetal und Warendorf.

Hinter Pro NRW steckt die fast gleichnamige Gruppe Pro Köln. Hier in der Domstadt, da haben die Populisten ihren ersten Erfolg gefeiert. Sie sitzen im Stadtrat. Dank ihrer verquasten Hetz-Sprüche.

Die „Pro Köln“-Aktivisten nennen sich "seriös“ und „demokratisch“. Es soll scheinen, als gehöre man zur politischen Mitte, sei sogar die „Stimme der schweigenden Mehrheit der einheimischen Bevölkerung“. Kritik wird als „billige propagandistische Masche“ des Establishments abgetan. „Werden Sie misstrauisch, wenn irgendjemand den Eindruck zu erwecken versucht, Pro Köln würde mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache machen“, heißt es auf der Pro-Köln-Homepage.

Tatsächlich aber laufen im Umfeld der Gruppe und ihres politischen Vorläufers der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ haufenweise dubiose Figuren herum.

Da ist der glühende Hitler-Verehrer Thomas Adolf etwa.

Adolf fuhr den damaligen Liga-Aktivisten und heutigen Pro-Köln-Stadtrat Manfred Rouhs zu Veranstaltungen. Später machte er als „Killer von Overath“ von sich reden. Mit einer Schrotflinte erschoss er einen Anwalt, dessen Frau und Tochter.

Manfred Rouhs selber ist auf einem Foto zu sehen, wie er auf einer Demo für die Jungen Nationaldemokraten redet.

Jungen Nationaldemokraten – hinter dem Titel verbirgt sich die Jugendorganisation der rechtsextremen NPD.

Der Neonazi-Führer Axel Reitz gab schon mal als Berufswunsch „SA-Standartenführer“ an. Seine politischen Gegner wollte er mit eigenen Worten eines Tages auf den „Marktplatz stellen und erschießen."

Für Pro Köln hat Reitz nach eigenen Angaben eine Kundgebung organisiert – was die Kölner Rechten bestreiten.

Das sind die Kumpane, mit denen sich der Jupp Scholand oder Kevin G. Hauer,eingelassen hat.

Jupp Scholand, Ex-Bergmann, Diplom-Ingenieur, 53 Jahre, baut mit offenem Bezug auf die Kölner Truppe den Kreisverband der Neodumpfer in Bottrop auf. Kevin Hauer, Bummelstudent, sitzt den dubiosen Rechtsauslegern in Gelsenkirchen vor.

Scholands Thema ist: "In Köln und Duisburg hat die Bevölkerung massive Kritik am Bau von Groß-Moscheen geäußert. Schon morgen kann es Bottrop treffen."

Hauer und Scholand sind nicht mehr als Hetzer im "seriösen" Kleid.

Kreis Recklinghausen: Huhu, hier sind wir

Der Kreis Recklinghausen fühlt sich von den Städten im Zentrum des Ruhrgebiets an die Wand gedrückt. Auf einer Podiumsdiskussion wollten die Landratskandidaten und –kandidatinnen das künftig ändern.

Die Kandidaten: Oben: Dohmann, Hovenjürgen. Unten: von der Beck, Süberkrün

Alle waren sie sich am Mittwoch auf einer vom BVMW veranstalteten Podiumsdiskussion in der Recklinghäuser Kneipe Boente einig: Der Kreis Recklinghausen findet innerhalb des Ruhrgebiets viel zu wenig Beachtung. Und die Kandidaten Cay Süberkrüb (SPD), Josef Hovenjürgen (CDU /MdL), Sabine von der Beck – (Bündnis 90 / Die Grünen) und Christine Dohmann (FDP) wollen das ändern.

Das wollte auch der Amtsinhaber Jochen Welt (SPD), der nicht mehr zur Wahl antritt und seiner Partei mit dubiosen Abrechnungen von Heilpraktikerbüchern und Isis-Kugeln einen netten, kleinen Frühlingsskandal beschert hatte, der die Wahlchancen der Sozialdemokraten deutlich schmälern dürfte.  Ein großer Erfolg war ihm dabei nicht beschieden, was vielleicht auch daran lag, dass Welt zwar immer für einen starken Kreis Ruhrgebiet plädierte, bei zahlreichen Sitzungen des damaligen RVR-Vorstandes allerdings durch Abwesenheit glänzte.

Josef Hovenjürgen: „Die Städte im Kreis müssen zusammen halten, wenn sie in der Region wahrgenommen werden sollen.“ Dafür müssten die sich jedoch erst einmal dem Kreis zugehörig fühlen, der für die meisten Städte nicht viel mehr als eine ungeliebte Klammer ist. Mit seinen fast 640.000 Einwohnern lässt der Kreis Recklinghausen zwar, was die Einwohnerzahl betrifft, lässig Dortmund und Essen hinter sich – aber er hat die gleichen Probleme wie das Ruhrgebiet als Ganzes: Der Landrat ist gegenüber den zehn Bürgermeistern in einer eher schwachen Position und kann nur agieren, wenn er vorher einen Konsens mit und unter ihnen hergestellt hat.

Bei der gemeinsamen Klage gegen die Gemeindefinanzierung hat das funktioniert – pleite sind sie immerhin alle. Aber schon wenn es darum geht, städtische Aufgaben gemeinsam anzugehen, sich Arbeit zu teilen um Kosten zu sparen, vielleicht sogar mal ein Amt zusammen zu legen, ist Schicht im Schacht: Jeder Bürgermeister definiert sich auch über die Größe seiner Verwaltung und die Fülle der Aufgaben, die in seinem Rathaus erledigt werden. Welt ist mit seinen Plänen, eine freiwillige Kooperationskultur zwischen den Städte zu schaffen, weitgehend gescheitert. Dabei gibt es zu der, von Teilen der Union als Pläne zur Schaffung einer Veststadt verspotteten engen Kooperation und zur Zentralisierung von Aufgaben , kaum eine Alternative: Viele der Städte im Kreis Recklinghausen sind kaum noch lebensfähig. In Marl und Waltrop wurden in den vergangenen Jahren vom Land Sparberater zwangseingesetzt, weil Räte und Verwaltungen die Haushalte nicht mehr in den Griff bekamen.

Dem Selbstbewusstsein der Städte tut das alles keinen Abbruch. Die Vorstellung ganz ohne Kreis klar zu kommen, ist vielen sympathisch. Vermissen würden die meisten ohnehin nichts: Der Kreis spielt im Alltag der meisten Bürger kaum eine Rolle. Kreispolitik findet in den Medien vieler Städte kaum statt. An der gefühlten Bedeutungslosigkeit des Kreises, die allein wegen seiner Rolle als Aufsichtsbehörde über die Haushalte der Städte ein Trugschluss ist, wird auch ein Welt-Nachfolger nicht viel ändern können. (Auch wenn mich niemand fragt: Ich glaube, dass es Hovenjürgen schaffen wird.) Damit wird sich aber auch an der notorischen Unzufriedenheit mit dem  Kreis nur wenig ändern. Vielleicht sind die Kreise ja in einem zusammenwachsenden Ruhrgebiet wirklich überflüssig. Vielleicht könnten ja einige Aufgaben von den Städten gemeinsam und andere von einem reformierten RVR übernommen werden. Ob das ein realistisches Szenario ist? Nein, einen solchen Reformwillen besitzt niemand. Und die meisten Bürgermeister sind zu solchen Kooperationen nicht in der Lage.

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Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Foto: Flickr.com / wef

Arcandor: Middelhoff – Vom Retter zum Versager…Handelsblatt

Linkspartei: Linksrutsch in NRW…Der Westen

Mülheim: Polizei ermittelt gegen Bürgermeister…Der Westen

Theater: Personal-Kahlschlag in Dortmund…Ruhr Nachrichten

Dortmund: Teures Klinikum…Der Westen

Netzsperren: Bundesrat unzufrieden…Spiegel

Netzssperren II: von der Leyen hat gelogen…Indiskretion Ehrensache

Netzsperren III: Wer ist schon gegen Kinderpornogegner…Bildblog

DJ: Mal Sandock gestorben…Ruhr Nachrichten

Echo Beach wird 15

Mit Echo Beach ist nicht der gleichnamige Song von Martha & the Muffins gemeint, obwohl Nicolai Beverungen, der seit 15 Jahren von Hamburg aus das gleichnamige Dub-Label macht, eben diesen bereits mehrfach durch die Dubmühle geschickt hat. Wie so oft gilt der Prophet im eigenen Lande weniger als in der weiten Welt. Dies gilt auch für Echo Beach. Das Ganze soll jetzt nicht in eine Lobhudelei ausarten, sondern nur kurz auf die neue CD aus dem Hause hinweisen. File Under: Wie gehört bei Fiehe am Sonntag Abend

Weltreisen duch die Dubmusik gleich, finden sich auf dem Album Formationen mit obskuren Namen, hinter denen sich oft Mitglieder bekannter Bands verbergen, die bekannten Songs ein neues, ein Dub-Gesicht geben. International Observer zum Beispiel, hinter dem sich Tom Bailey von den Thompson Twins verbirgt, machen einen Dub-Reggae Mix Version mit dem Titel "House of the Rising Dub". Natürlich bedienen sie sich hier Eric Burdons Hit aus den 60ern.

Es gibt Songs, die regelrecht danach schreien, einen Dub aus ihnen zu mixen. Oftmals sind es sogar die, wo man es am wenigsten erwartet. "Private Life" von Chrissie Hynde und den Pretenders ist so einer. Bereits in den 80er hatte Grace Jones gemeinsam mit der Reggae Musikern Sly Dunbar und Robbie Shakespeare einen entspannten Dub aus diesem New Wave Klassiker gemacht. Auf der neuen CD aus der King Size Reihe ist es der Dubvisonist, der "Private Life" der noch mehr Tempo aus der Nummer nimmt und einen Slow-Motion Dub daraus zaubert.

Ein anderes Beispiel geben die aus Australien stammenden Junglehammer. Sie mixen "Live and let die" von den Wings zu Dubsoße.Oder Dub Spencer & Trance Hill nehmen sich Falcos Hit Jeanny vor. Im Grunde nicht mehr wiederzuerkennen. Auf diese Art versammelt Echo Beach seit anderthalb Jahrzehnten, kleine Kapriziösen auf seinen Compilations und das lange bevor man von Bastard Pop und Mash Up sprach.

 

Mal Sondock ist tot

Mal Sondock ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Wahrscheinlich können nur Menschen zwischen 40 und 50 nachvollziehen, wie stark dieser Mann meine Jugend mitgeprägt hat. Von unserem Gastbaron Mario Herrmann

Mal Sondock. Foto: Fanpage

So etwa mit zwölf Jahren (1974) begann ich mich für Musik zu interessieren. Damals gab es im Fernsehen nur zwei monatliche Sendungen, wo internationale Popmusik lief: „Disco“ mit Ilja Richter (da fand ich die albernen Sketche zwischendurch überflüssig) und „Musikladen“ mit Manfred Sexauer. Später kamen dann zweimal im Jahr die legendären „Rockpalast-Nächte“, wo von Samstagabend bis Sonntagfrüh live aus der Grugahalle drei spektakuläre Konzerte hintereinander übertragen wurden. In den Umbaupausen gab es Backstage-Interviews, geführt von einem stets entweder angetrunkenen oder bekifften Alan Bangs. Oft haben wir kleine Partys aus diesem Anlass organisiert und mit mehreren Leuten bei Bier und Chips um den Fernseher gesessen.

Aber das eigentliche Popmusikmedium war das Radio. Heute hat EinsLive die Rolle des Jugendsenders, in den Siebziger und Achtziger Jahren war das WDR 2. Täglich gab es von 19.05-21.00 Uhr die Sendung „Fünf nach Sieben – Radiothek“. Auch nachmittags liefen legendäre Programme wie die „Dave-Coleman-Show“. Spätabends Sendungen wie „Rock-In“ (progressiver Rock) oder „Schwingungen“ (elektronische Musik). Im Rahmen der „Radiothek“ gab es zwei Pflichtsendungen pro Woche: Samstags die „Schlagerrallye“ (die hieß nur so, da liefen aber keine deutschen Schlager) mit Wolfgang Neumann, wo man per Postkarte seinen Favoriten für die folgende Sendung wählen konnte. Unter allen Einsendern wurden jede Woche Platten verlost. Ich hab’ da mal eine Alice-Cooper-LP gewonnen.

Und Mittwochabends lief die „Diskothek im WDR“ mit eben jenem Mal Sondock, der sich immer als „euer guter alter Jockdiscy M. A. L.“ vorstellte. Die Sendung wurde live mit Publikum produziert. Platz 15 bis 1, dazu fünf Neuvorstellungen, von einer Jury aus dem Publikum mit „Hit oder Niete“ bewertet und eine kleine Oldieecke. Ich glaube, die Sendungen, die ich zwischen 1974 und 1980 verpasst habe, lassen sich an einer Hand abzählen. Das war ein absoluter Pflichttermin! Auch da konnte man mittels Postkarte abstimmen, auch da habe ich einmal gewonnen: Eine LP von Showaddywaddy mit Original-Autogrammen! 😉
 
Aber Mal Sondock war auch ständig mit seiner „Mal Sondock’s Road Show“ unterwegs in NRW. Da gab’s dann so was wie ein großes Schützenfestzelt, wo der schwergewichtige Meister Platten auflegte, das Publikum bespaßte und ständig irgendwelche Gimmicks und Autogrammkarten in die Menge warf. Im zweiten Teil fand dann immer ein Livekonzert statt. Ich habe zum Beispiel mal eine dieser Road Shows mit Smokie-Konzert in Gladbeck auf dem damaligen Festplatz erlebt. Das war da, wo heute die verwaisten Gebäude von Mercedes Lueg stehen.
 
Tja, so merkt man, dass man älter wird. Die prägenden Leute aus der Jugend sterben langsam weg…

Rettet den Blätterwald (6) – Heute: Galore

So, das war es jetzt für die Printausgabe von Galore. Im Netz geht es weiter. Schönen Dank an Valeska Bogatzke für das Rezensionsexemplar, der Autor strickt diesen Artikel mal "live", also während des Lesens quasi, zur Feier des Tages und im Gedenken an die ursprünglichen Werte des Rock’n’Roll, sozusagen. "Rettet den Blätterwald", liebe Neuleser/innen? Ist eine lose Artikelserie (siehe z.B. hier) über Printpublikationen und deren (fragwürdige) Sinnhaftigkeit, exklusiv bei ruhrbarone.de. (Kann aber ausgedruckt werden.)

Schlingensief sieht gut aus, fast nicht erkannt. Auch auf dem Cover: Ein Kölner Model in Japan, Eismacher (??), Talese, Dafnäs, Dath. Mühe, von Otter, Everett. Zwei erste Eindrücke: Genau, die Filmbeilage wirkte schon immer etwas wie wilder Aktionismus gegen Auflageeinbruch. Und: Auch und gerade in der letzten Ausgabe sieht es mal wieder aus, als wollten sich Journalisten ein paar persönliche Interviewwünsche wahr machen. Das ist natürlich erlaubt, erinnert den Autor dieser Zeilen aber direkt daran, wie er Galore immer gesehen hat: Von Verlagsseite eine nette Idee für Visions-Leute jenseits der 30, aber kaum ein auf Dauer tragbares Konzept. Die zweite vom Schreiber gelesene Nummer nach der Erstausgabe wird also die letzte Printausgabe sein. Ab in’s Heft.

Ja: Die Nouvelle Vague Alben werden auch nicht gerade immer besser. Schöne Anzeige auf der U2 also. Und Michael Lohrmann verabschiedet das Blatt und ruft zum Reinklicken auf. Nun gut. Erste echte Doppelseite: "Smalltalk". Bitte? Es geht irgendwie um Showbiz-Interna wie Filz bei MTV und Fotografen. Dann verabschiedet sich der Chefredakteur, ein Dieter Grabbe, "präsentiert von Wii Fit", beantwortet eine Frage (?) zum Thema Fitness und Wellness und es gibt Möbel- und andere Produktinformationen. Das ist etwas weniger spannend als die BUNTE bisher. "Neu im Kino" folgt als weitere Unterrubrik von "Smalltalk". Der Artikel über Cannes wirkt dafür leicht am Thema verhoben, macht nichts, danach wird im Rahmen eines Interviews ein Berater für Führungskräfte und Psychologe vorgestellt. Gewährt uns das jetzt Einblicke in den Verlag, die wir gar nicht wollten? Zitat: "In anderen Ländern ist es heute selbstverständlich, nach drei oder vier Jahren den Job zu wechseln und was Neues zu machen." Außerdem ist der Interviewpartner Autor des Buches "Neu auf dem Chefsessel – Erfolgreich durch die ersten 100 Tage". Das kann keine Selbstironie sein, dafür sind die doch viel zu ehrlich und volksnah in dem Verlag, oder? Befremden.

Erstes großes Interview: Klaus Lemke. Kennichnich. Aha, Mark Oliver Everett ist der Sänger der Band The Eels! Überschrift: "Ich glaube ich habe das Schlimmste hinter mir." Zurückblättern: Bei Lemke war es "Style kommt nicht mit der Post." Bei Everett lesen sich die ersten Fragen alle etwas nach oldschool-Ami-Journalismus: Familie, Kindheit. Irgendwie kommt man dann auf Sex, Hunde und Musikinstrumente. Hoffen auf den nächsten Interviewpartner, Dietmar Dath. Der wird darauf angesprochen, dass er die aktuelle Weltwirtschaftskrise (wenn man das so nennen will) in seinem Buch "Maschinenwinter" quasi vorhergesehen hat. Guter Einstieg, aber auch hier hat man den Eindruck eines etwas zu vertrauten Kaffeeklatsches. Bis auf saublödes Fragen wie "Spüren Sie als Marx-Anhänger (…) Genugtuung, wenn Sie aus dem Fenster schauen oder die Tagesschau sehen?" Vielleicht gehören viele Redakteure doch im Grunde ins Fernsehen – kommen sie ja jetzt via Internet dann auch irgendwie, und zum Glück gibt es da recht viele "Sender".

Anna Maria Mühe: Schauspielerin. Christoph Schlingensief: "Künstler" genannt. Erstmal nicht viel Neues von ihm, es geht tatsächlich immer noch bis zum Ende um die Krankheitsverarbeitung. Hoffentlich lässt man Schlingensief aus der Ecke bald mal wieder raus. Die beigelegte DVD: "La Antena". Sieht nach einem feinen Retro-Vergnügen aus, danke! Dann Jürgen Schadeberg, Fotograf und "Südafrika-Zeitzeuge". David Schumann: Das (andere, haha) Model vom Cover. Peter Lind, der Eis-Entwickler. Ein Blick des Schreibers auf den Preis: fast sieben Euro wollten die dafür haben? Weiter. Eine Reportage über Philadelphia, vielleicht so etwas das beim Zweitdurchblättern an einem langweiligen Sonntag gelesen würde. Hm, unwahrscheinlich. Anne Sofie von Otter: Opernsängerin. Michael Gantenberg: Autor. Welche Zielgruppe hatten die im Auge? Frühvergreiste bis 50? Sorry, mal was Positives: Die Anzeigen (Filme, Musik, Bücher) machen alle einen sehr soliden Eindruck. Helmut Pfleger: Schachkommentator! Adolfo Cambiaso: Polo-Spieler!! Lars Defnäs: Design-Chef von IKEA!!! Helmut Oehring: Komponist. Gay Talese: "Erfinder des New Journalism". Er erläutert am Ende auf Anfrage "drei Grundregeln, die ein Journalist nie vergessen darf": "Erstens: Seien Sie skeptisch. (…) Zweitens: Schreiben Sie über diese Informationen so, dass der Leser es verstehen kann. Und drittens: Verfälschen und übertreiben Sie nicht. (…)" Dem Schreiber wird gaaanz müd und langweilig.

Erstaunlich viele Kurzartikel über DVDs. CDs? Placebo, Phoenix, Manic Street Preachers, La Roux, Elvis Costello, Green Day,… Reinhard Mey!!!! Prefab Sprout, Björk, Rolling Stones, Götz Alsmann? Es muss fürchterlich sein, heutzutage für die Zielgruppe 30 – 55 im deutschen Markt für Musik zuständig zu sein! Da ergreift einen ja das kalte Grausen!! Oder die Melancholie, denn bei "Literatur" (ja, genau, gähn) ist Cees Nooteboom an der Reihe. Und Judith Hermann schreibt über den Tod. Irvine Welsh. Helge Schneider – um nur klare Namen zu nennen. Zum Schluss eine Seite mit Namen, als Dank an alle Interviewten, eine taz-Anzeige, eine Anzeige für einen Mini Cabrio. Das ist alles keine Weltwirtschaftskrise, es ist eine Depression. Sagt der Kritiker. Man muss ja immer alle Entschuldigungsmöglichkeiten geltend machen. Freuen wir uns auf galore.de mit neuer Chefredaktion ab dem 6. Juli!

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Europa muss entspannen – Für neue Beziehungen zum Iran

Foto: Flickr.com / camden olive

Demokratie ist toll. Auch im Iran. Heute wird in dem Vielvölkerstaat gewählt. Und dies wird sich auf Europa und Deutschland auswirken.

Es deutet viel darauf hin, dass im Iran die Weichen für die Politik im mittleren Osten neu gestellt werden. Im Wahlkampf zwischen den beiden aussichtsreichen Präsidentschaftkandidaten Mahmud Ahmadinejad und Mir Hussein Mussawi wurde das Land polarisiert.

Es schält sich immer deutlicher heraus, dass Ahmadinejad an Popularität verliert. Nicht nur in den Städten, wo das konservative Regime vielen gerade jungen Leuten mit seinen teils absurden Vorschriften auf die Nerven geht, sondern auch auf dem Land. Ahmadinejad hat seine Versprechen nicht gehalten. Es gab weder mehr Arbeit für die Bauern, noch bessere Straßen oder mehr Elektrizität. Vor einigen Tagen gab es einen spannenden Bericht über den eitlen Mann und seinem gebrochenen Verhältnis zur Bevölkerung im WDR. Die Doku von Peter Lom hieß Erdbeeren und Atomkraft. Peter Lom war der einzige Ausländer, der den Präsidenten auf dessen Wahlkampftour begleiten durfte. Die Sendung ist Spitze. Lom beschreibt die hoffnungsvollen Briefe, die von den verzweifelten Menschen an den Präsidenten geschrieben wurden – und die ausbleibenden Antworten.

Der Wind des Wandels ist wieder in der Luft. Es scheint, als wird sich etwas ändern – ändern müssen. Denn so wie es war, geht es nach Ansicht vieler Menschen im Iran nicht weiter.

Damit zeigt sich, dass Iran nicht ein böses Land ist, beherrscht von Wahnsinnigen, ähnlich wie Nord-Korea. Sondern dass dort eine Art Demokratie herrscht, mit Abstimmungen und Meinungsumschwüngen, wie auch bei uns. Natürlich gibt es dort die für uns nicht nachvollziehbaren Religionshüter, die weitreichend ins Leben der Menschen eingreifen. Aber immerhin lassen die Leute es nicht zu, dass der Iran zu einer totalitären Diktatur wird. Ein Wandel im Frieden ist scheinbar möglich.

Dies hat für uns in Europa weitreichende Auswirkungen. Sollte es gelingen, den neuen Iran-Präsidenten davon zu überzeugen, Israel anzuerkennen und auf Atomwaffen zu verzichten, dann steht dem Handel nichts mehr im Wege. Die Beziehungen zu den USA würden sich normalisieren und damit auch die Beziehungen zur EU.

Das allerdings würde gerade uns in Europa voranbringen. Iran ist einer der größten Energielieferanten der Welt. Es geht nicht nur um Öl. Es geht vor allem um die Erdgasreserven des Golfstaates. Denn diese sind mit denen Russlands zu vergleichen. Bei einer Entspannung dürften unsere Konzerne im Iran Gas kaufen. Damit könnte die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas gelockert werden. Ein unschätzbarer Vorteil. Sowohl für die Energiepreise als auch die Versorgungssicherheit. Ein Streit zwischen der Ukraine und Russland könnte nicht mehr für kalte Wohnungen in Schwaben sorgen.

Bereits jetzt bemühen sich die Konzerne wie E.on und RWE das Verhältnis zum Iran zu entspannen. Dabei haben sie durchaus gute Argumente. Das Gas des Iran kommt auf den Markt – das ist ein Fakt. Warum sollen wir das nicht kaufen? Sollen wir die Reserven den Chinesen und Russen überlassen?

Zusätzlich hat der Energiehandel mit dem Iran weitere stabilisierende Folgen für den Mittleren Osten. Wer Geld hat, sein Land zu entwickeln, will weniger intensiv einen Krieg mit den Nachbarn führen, um alles zu ruinieren. Selbst auf Afghanistan bezogen würde sich die Entspannung lohnen. Nur mit Hilfe des Iran lässt sich die Situation dort verbessern.

Wir könnten also einen Stück Frieden kaufen und Wohlstand bringen. Vielleicht sogar die weitere Demokratisierung des Iran voranbringen. Und im Gegenzug würden wir Energie erhalten. Wenn die Entspannung gelingt. Das hört sich doch nach einem guten Deal an, oder?

Selbst wenn Ahmadinejad die Wahlen gewinnen sollte, bleiben die Gründe für eine Entspannung weiter richtig. Deswegen hoffe ich, dass es dem Westen gelingt, den Iran nach den dortigen Wahlen aus der Schmollecke zu locken. Barack Obama hat in seiner Kairo-Rede die Signale gegeben, alte Feindschaften zu überwinden und Beziehungen neu aufzubauen. Diese Chance müssen wir nutzen.

Zumindest die Energiekonzerne scheinen auch überzeugt zu sein, dass dies gelingt. Nicht umsonst führt die Gaspipeline Nabucco bis an die Grenzen des Iran.

Noch dürfen die beteiligten Konzerne wie RWE keine offiziellen Gespräche über eine Verbindung mit dem Mullahstaat führen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bereits gedroht, in diesem Fall ihre Unterstützung für das Projekt zu entziehen.

Aber es ist klar, dass es in den kommenden Monaten Versuche geben wird, diese Blockade zu überwinden. Ich drücke die Daumen.

Zehn Geschichten über Klaus Steilmann

Grafik: ruhrbarone, Foto: klick

"Der schönste Tag in meinem Leben", war für Klaus Steilmann der 11. Dezember 1992 – und zwar um zwanzig nach neun. Die SG Wattenscheid hatte den VfL Bochum durch zwei Tore von Suleyman Sané besiegt. Sowieso eine gute Spielzeit für Steilmann: Am Ende der Saison stieg Bochum ab. Und Wattenscheid schaffte als 14. den Klassenerhalt.

Der zweitbeste Tag Steilmanns Leben war dieser gewonnene Grand ohne vier, im März 1984. Manchmal ärgert er sich noch heute, nicht Re gesagt zu haben.

Seine beste Tat, verriet der Textilunternehmer nur engsten Vertrauten, war die Verpflichtung von Michael "Ata" Lameck für seinen Betrieb und die Klaus Steilmann Traditionsmannschaft. Weniger weil Lamek ein passabler Mittelfeldspieler ist, mehr weil er den Bochumern ihren Kultspieler ausspannte. "Seit fast zwanzig Jahren hat er mir so manches Törchen aufgelegt", kichert sich Steilmann eins.

So richtig traurig war Klaus Steilmann nur einmal, vor einem Jahr, seither kann er Samstags nicht mehr Fußball spielen – die Kraft ließ nach. "Ich konnte nicht mehr schlafen".

"Was ich am Fußball mag?", antwortete der Sportmäzen einmal: "Gut geschnittene, aber preisgünstige Trikots".

Fast hätte sich Steilmann damals vergessen: Wenn Neujahr 1975 nicht die Geschäfte zu gewesen wären, wer weiß, was passiert wäre? Steilmann, der in Wattenscheid seine Heimat fand, freut sich an den rigiden Ladenöffnungszeiten in Deutschland: "Sonst wäre ich mit all den Messers und Pistolen wohl richtig lange in den Kahn gewandert", grinst er erleichtert.

Auf seine drei Töchter ist Steilmann echt stolz – nur Britta ging (nicht nur) ihm ganz schön auf die Nerven mit ihrer indianischen Baumwollwäschekollektion. Gut, dass sie jetzt in Ratingen als Dekorateurin arbeitet, murmelt der Unternehmer morgens beim Rasieren.

Steilmann hat jede Menge Auszeichungen bekommen, er weiß auch wofür. Nur warum sie ihn "Weltbürger aus Wattenscheid" nennen, ist ihm schleierhaft: "Ich bin doch aus Vorpommern."

Als er auf Italienreise war, erkundigte sich Steilmann beim Taxifahrer nach Fußballvereinen in der italienischen Hauptstadt: "Do you know a Club of Rome?" Als der Kutscher ihn an einem Kongresshotel heraus ließ, staunte er nicht schlecht, ließ sich aber nicht lange bitten, als ihm die gut gekleideten Herren sofort die  Mitgliedschaft antrugen. Nach ein paar Stunden Vorträgen über Nachhaltigkeit und die Grenzen des Wachstums wurde es Steilmann dann aber zu bunt; – und das will was heißen. Er rief "Where is the Whistleblower?". Die Gesellschaft stutzte, dann verstanden sie: Ihnen fehlte Insiderwissen, da kam der erfahrene Unternehmenslenker aus Wattenscheid gerade Recht. Mann, haben sie ihm die Schulter platt geklopft! 

Auf Klaus Steilmanns Schreibtisch finden sich immer noch ungewöhnliche Dinge aus anderen Erdzeitaltern: Zigarettenstangen der Marken Lux oder Atika. Anfragen vom Kardinal Hengsbach. Briefpapier der Stadt Wattenscheid. Lederfett. "Dabei hab ich das Rauchen leider dran geben müssen!", ärgert er sich.

Was Klaus Steilmann richtig wurmt, dass sein Betrieb ausgerechnet rund um seinen achtzigsten Geburtstag von Bochum, sorry: Wattenscheid nach Bergkamen verlagert wird. "Mit Italienern hab ich ja so meine Erfahrungen machen können", grummelte der schlanke Senior. Der Verkauf an den Modekonzern Radici geht dem Textilfachmann noch immer gegen die Naht.    

Und hier noch zwei Geburtstagslinks: klick, klack.