Foto: Präventionsrat Hildesheim
Mit Kindern lässt sich Geld machen. Mit Kindern in Not lässt sich noch mehr Geld machen. Dies zumindest scheint die Hänsel & Gretel Stiftung zu denken. Sie vertreibt seit 2002 von Karlsruhe aus unter dem Namen „Notinsel“ ein Franchise-System an Kommunen deutschlandweit. Etliche Städte sind mit dabei. Gelsenkirchen, Bochum, Berlin, Karlsruhe oder Hamburg. Aufkleber an Geschäften sollen Kindern signalisieren: „Wo wir sind, bist Du sicher“.
Die Idee hört sich gut an: Statt eigener Konzepte für die Sicherheit der Kinder in ihren Gemeinden zu entwickeln, kaufen die Räte ein fertiges Konzept samt Bilder und Aufkleber bei der Stiftung ein. Egal wo ein Kind in Not gerät, weil ein Vergewaltiger es bedrängt oder eine Horde prügelnder Blagen, darf es in ein Geschäft flüchten auf das Logo „Notinsel“ prangt. Bei nahezu jeder Eröffnung jubeln die Lokalmedien über die kluge Stadtspitze, wenn sie dieses "innovative" Konzept einführen.
Doch was sich so schön anliest, ist auf den zweiten Blick kaum mehr als eine Geldfalle.
Zunächst ist der inhaltliche Nutzen fraglich. Egal, ob ein Kleber auf der Schaufensterscheibe pappt oder nicht. Wenn ein bedrängtes Kind in einen Laden flüchtet, muss der Krämer oder Metzger helfen. Dazu ist er gesetzlich verpflichtet.
Und dann verpflichten sich die Kommunen in Verträgen mit der Hänsel & Gretel Stiftung dazu, für jede Menge Geld Werbematerial einzukaufen, das an Geschäfte in der eigenen Stadt verteilt wird. Die Verträge sollen geheim gehalten werden. So heißt es in § 8 des Mustervertrages:
Alle Informationen, die der Franchisenehmer direkt oder indirekt in Bezug auf die Rechte des Franchisegebers und die Gestaltung und Entwicklung des Notinsel-Projektsystems durch schriftliche, mündliche oder sonstige Berichte erhält, sind einzelne und in ihrer Gesamtheit wertvolle Geschäftsgeheimnisse des Franchisegebers.
Warum die Geheimhaltung? Könnte es an den Kosten für die Kommunen liegen? Das weitere Studium der Papiere hilft. (Um den ganzen Vertrag zu lesen, einfach auf das Bild klicken.) Im Franchise-Paket schlummern nämlich erhebliche Zahlungsverpflichtungen. Da sollen die Gemeinden zum Beispiel teure Aufkleber im Handel der Stiftung einshoppen. Wer sich auf Augenhöhe eines Heranwachsenden begibt, der stößt schon heute allein in Bochum fast 450 Mal auf das gezeichnete Kind mit den großen Augen. Sei es an Apotheken, Arztpraxen, Bäckereien, Friseursalons, Cafés, Banken, Büchereien, Lotto-Annahmestellen, Versicherungsbüros und Fleischereien.
Die Grundausstattung einer Stadt kostet zwischen 2000 und 8000 Euro – zu zahlen an die Hänsel & Gretel Stiftung. Schon jetzt hat die Organisation nach eigenen Angaben rund 120 Städte unter Vertrag. Nimmt man den Schnitt von 5000 Euro, macht das schon heute Einnahmen von durchschnittlich 600.000 Euro.
Dazu verpflichtet sich jede Kommune Aufkleber und Werbematerial bei der Stiftung zu kaufen. Wieder sind die Kosten hoch. Ein Aufkleber kann bei der Stiftung mehrere Euro kosten. Im freien Druckhandel kriegt man ähnliche Aufkleber schon für unter 80 Cent pro Stück.
Zudem verpflichten sich die Kommunen ihre eigene Arbeitsleistung kostenlos zur Verfügung zu stellen. Auch das kann wieder kritisch sein. Die Jugendämter, so heißt es bei einer zentralen Revierstadt, sollen immer bei ihrer Morgenbesprechung an das Projekt Notinsel denken, und was man machen kann, damit es dem Projekt besser geht, heißt es.
Wenn irgendwann mal 500 Kommunen bei dem Franchise-Modell mitmachen würden, käme die Stiftung auf Millioneneinnahmen aus dem Franchise-Projekt. Ein wirklich tolles Geschäftsmodell.
Kristian Frigelj hat einen lesenswerten Beitrag dazu in der Welt am Sonntag geschrieben.
Interessant ist die Verteidigungslinie der Stiftung. Sie sagt zusammengefasst, dass es billiger ist, wenn die Städte bei ihr das Konzept kaufen, als ein eigenes zu entwickeln. Zudem erhöhe ein einheitliches Logo den Wiedererkennungswert bei Kindern. Sie wüssten eben auch in der Nachbarstadt, wohin sie sich retten können. Schließlich gehe es der Stiftung darum, eine gute Kinderschutz-Idee zu multiplizieren, ohne damit Geld zu verdienen oder einen Profit zu erzielen.
Der Geschäftsführer der Stiftung, Jerome Braun, sagte in der Welt am Sonntag: Seine Orgabnisation arbeite "auf extremst niedrigem Niveau" und die Franchise-Gebühr sei "längst nicht kostendeckend". Zahlen wollte er nicht offen legen, die Stiftung werde schließlich vom Deutschen Institut für sozial Fragen (DZI) geprüft und trage deren Spendensiegel. Braun sagte, es würden einmalige Franchise-Gebühren erhoben und bestellte Materialien in Rechnung gestellt. Im Prinzip würden die Einnahmen von den Partner dazu benutzt, die Druckkosten zu begleichen.
Bislang sind denn auch die Vertragspartner in NRW, wie Münster, Gladbeck oder Oberhausen von dem Projekt begeistert und wollen weitere „Notinseln“ einrichten.
Allerdings sieht man, wenn man auf die Internetseite der Stiftung Hänsel & Gretel schaut, dass es bislang nur in wenigen duzend Fällen zu nachgewiesenen Hilfegesuchen in den „Notinseln“ gekommen sei. Das meiste davon: „Bagatellfälle“ wie es in den betroffenen Kommunen heißt.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass nun im Kreis Unna (700 Notinseln) die Grünen das Konzept hinterfragen. Sie wollen wissen, warum sich der Kreis für teuer Geld von einer Stiftung in Karlsruhe abhängig machen will, wenn es auch ohne die geht.
In Dortmund dann etabliert die Verwaltung schon ein eigenes Projekt unter dem Titel: „Schutz in der Burg“. In Paderborn und in Aachen sieht es ähnlich aus. Statt teuer einzukaufen setzen die Gemeinden auf eigene Ideen.