Der Ohnesorg-Mörder Kurras war Stasi-Mitarbeiter und in der SED. Aber mit ihm waren es tausende von Westdeutschen. Über die würde ich gerne mehr erfahren, denn sie und ihr Wirken sind ein blinder Fleck in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung.
Als ich 1980 von Frankfurt nach Gladbeck zog, lernte ich die DKP kennen. In Frankfurt bestand die DKP in meiner Wahrnehmung aus ein paar alten Leuten mit beigen Mänteln und Pepitahüten, die kaum jemand wahr und schon gar niemand ernst nahm. In Frankfurt gab es Dutzende von mehr oder weniger wirren linken Grüppchen und alle waren sie lauter und wahrnehmbarer als dieses kleine verlorene Häuflein – vor allem waren sie jünger. Die damals martialisch auftretenden linksradikalen Gruppen wie die KPD, die KPD/ML oder der KBW kann man heute nach politischen Maßstäben kaum noch bewerten – und vielen ihrer damaligen Mitgliedern wird das Recht sein: Sich einer autoritären, linken Gruppe anzuschließen war Teil einer uns heute merkwürdig erscheinenden Jugendkultur.
Dass die Mitglieder das damals anders sahen, versteht sich von selbst und wurde in Koenens „Das rote Jahrzehnt“ gut beschrieben. Der schlauere Teil der Mitglieder wandte sich, wie Koenen selbst, schon in den späten 70ern oder frühen 80ern von diesen Grüppchen ab. Das Mao-Plakat wurde ebenso von der Wand genommen wie bei anderen Fraktionen der Jugendkultur das Jim Morrison- oder Hanf-Poster. Nicht wenige von ihnen sind heute bei den Grünen (Fücks, Vollmer, Schmierer etc.) und dort eher auf dem realpolitischen Flügel – mit den Doktrinen von früher verbindet sie nichts mehr. Der nicht ganz so helle Teil dieser Generation findet sich heute in der Linkspartei wieder und vertritt häufig die gleichen undemokratischen und autoritären Positionen wie damals.
Und dann gab es noch die DKP und die ihr nahe stehenden Gruppen wie die Deutsche Friedens Union (DFU) oder das Kommittee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ). die Teil der Bündnisstrategie der DKP waren: Hier arbeitete man mit anderen Gruppen zusammen und versuchte sich als Teil der bundesrepublikanischen Linken zu präsentieren.
In Gladbeck war das anders. Die finanzielle Nähe der DKP zur DDR war offensichtlich, auch wenn damals nur die wenigsten davon gewusst haben dürften, dass bei der Staatssicherheit eine Hauptabteilung für die Zusammenarbeit mit der DKP zuständig war: Hauptabteilung II kurz HA II. Die DKP in Gladbeck schwamm im Geld: Trotz weniger Mandate und entsprechend geringer Mittel hatte sie vier Mitarbeiter, Kartoffeln und Eier gab es – vor allem vor Wahlen – billig zu so genannten „Preisstopperpreisen“ und Kinder aus Gladbecker Familien konnten für kleines Geld Urlaub in der DDR machen. Sie kamen häufig begeistert wieder, erzählten aber auch, dass nur sie Würstchen, Schnitzel und Eis in rauen Mengen bekamen – die Kinder aus der DDR jedoch in den Ferienlagern deutlich schlichter verpflegt wurden.
Natürlich dominierte die DKP in Gladbeck – und sicher nicht nur dort – auch Gruppen wie das Friedenskomitee. Dass die Rüstungsdiskussion sich damals vor allem auf die Nato-Raketen beschränkte und nur selten die Rüstung im Osten oder gar die Militäreingriffe des Warschauer Paktes oder der UdSSR in Prag, Ungarn oder Afghanistan thematisiert wurden, die Unterdrückung der freien polnischen Gewerkschaft Solidarnosz ein Unthema war, lag an der Dominanz der DKP. Deren Akzeptanz war und ist, da hat Frank Steinglein in seinem Text auf Der Westen recht – nicht nachvollziehbar. In Gladbeck gründeten wir damals eine Friedensgruppe ohne DKPler – sie wurde eine der Wurzeln der Gladbecker Grünen, die später jede Form der Zusammenarbeit mit der DKP ablehnten. Ein Angebot, sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammen zu schließen, lehnte mein alter Freund Franz damals mit den Worten ab, man kooperiere nicht mit Stacheldrahtmördern.
Aber nun in die Gegenwart: Die DDR ist seit langem Geschichte. Die DKP nur noch eine randständige Gruppe, und auch wenn es tausende von DDR-Spitzeln im Westen gab – erfolgreich waren sie letztendlich nicht. 1989 fiel die Mauer. Aber ich würde gerne, und das ist ein Versagen der Birthler-Behörde, mehr über diese Zeit wissen: In welchen Gruppen war die Stasi wie stark engagiert, wie genau waren ihre Vorgaben? Wie lief die Befehlskette? Ein alter DKPler hat mir mal stolz erzählt, dass er den „Auftrag“ bekam, ein Biermann-Konzert zu verhindern. Wie genau bestimmte die Stasi die Diskussionen in linken Gruppen und wie ging sie gegen ihre Gegner vor? Wurden die denunziert, gekauft oder erpresst? Wie wurden Kampagnen gesteuert?
Wir wissen, dass die DDR durch gekaufte CDU-Abgeordnete das Misstrauensvotum gegen Brandt scheitern ließ – aber den größten Einfluss gab es auf der lokalen Ebene innerhalb des linken Milieus, wo die DKP zum Teil eine große Nummer war. Ich erwarte keine Sensationen, aber ich will verstehen, wie es damals genau lief – und ich will wissen, wer damals für einen Geheimdienst gearbeitet hat, der als Ziel hatte, die Bundesrepublik zur Diktatur zu machen – und wo sind die damaligen Aktivsten heute politisch aktiv sind.
Vieles über die Funktionsweise von Diktaturen wird erst klar, wenn man sich den Alltag derjenigen anschaut, die für sie gearbeitet haben. Allzu viel Zeit sollte man sich mit der Aufarbeitung dieser Zeit nicht mehr lassen: Viele der Protagonisten sind heute schon im Rentenalter, viele tot, und Privatarchive verschwinden als Teile von Nachlässen im Altpapier. Historiker sollten endlich systematisch die Geschichte der Stasi und ihrer Handlanger im Westen aufarbeiten.