Foto: Frederik Görges
Rechtsradikale Banden haben die Worte von den sozialen Unruhen wohl ernst genomen. Jedenfalls stürmte ein Trupp von über 200 Nazis heute den Maiumzug der Gewerkschaften in Dortmund.
Es ging heute morgen gegen 9:00 Uhr los, sagte die Polizei den Ruhrbaronen. Gut 40 Neonazis hätten sich in der Dortmunder Innenstadt versammelt. Innerhalb von nur einer Stunde wuchs die Gruppe nach Informationen der Polizei auf 300 Personen an. Die Nazis sagten der Polizei, sie wollten vom Hauptbahnhof aus zu einer Demo nach Siegen fahren. Es gab keine große Bewachung. Das war naiv: Im Internet hatten Nazigruppen zu „kreativen Aktionen“ und dem Besuch „anderer Demos“ aufgerufen, nachdem ein geplanter Aufmarsch von Autonomen Nationalen in Hannover verboten worden war.
Und so kam es, dass die Nazis nicht nach Siegen fuhren, sondernvom Bahnhof weg stürmten und marodierend in die Dortmunder Innenstadt zogen. Die Polizei Dortmund rief Polizeikräfte aus anderen Ruhrgebietsstädten zu Hilfe – unter anderem waren Beamte aus Recklinghausen und Bochum vor Ort – aber die kamen zu spät, um den Angriff verhindern zu können. Ab 11 Uhr griffen die Nazis dann an.
Norbert W. vom Dortmunder Bündnis gegen Rechts erlebte den Nazisturm aus der Nähe: „Man hat sie vorher schon gehört. Sie kamen aus der U-Bahn-Haltestelle Stadtgarten, sammelten sich in der Nähe der DGB-Demonstration und griffen dann an.“ W. hörte auch Explosionen wie von Knallkörpern oder Schreckschusspistolen. „Dann ging alles sehr schnell. Die Polizei konnte sie nicht aufhalten und sie prügelten auf die Menschen ein.“
Vermummte Schläger warfen Knallkörper und Steine auf Passanten. Der Maizug der Gewerkschaften wurde angegriffen. Es kam zu Schlägereien. Die Nazis haben mit Lehmklumpen geworfen in denen Glassplitter steckten. SPD-Unterbezirkschef Franz-Josef Drabig hat einen verletzten Kurden eigenhändig versorgt. Es gab weitere Verletzte. Die Dortmunder Polizei bestätigte, dass mehrere Beamte verletzt sind und es erhebliche Sachschäden an Polizeifahrzeugen gab. Das es auf Seiten der Deomonstranten Verletzte gab wusste Polizeisprecher Peter Schulz Stunden noch immer nicht.
Zu den Teilnehmern der DGB-Kundgebung gehörte auch der SPD-Oberbürgermeisterkandidat und Dortmunder Stadtdirektor Ulrich Sierau. Er sagte den Ruhrbaronen. „So etwas hat es in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte noch nie gegeben. Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen. Wir werden mit der Polizei Gegenmaßnahmen einleiten.“ Augenzeugen berichten, dass SS Siggi unter den Angreifern war. SS Siggi war Chef der Nazi-Borussenfront.
Zunächst wurden 150 Personen auf dem Brüderweg festgesetzt, sagte die Polizei. Die Leute wurden eingekesselt. Eine weitere Gruppe von 40 Nazis wurde auf dem Westenhellweg gestellt. Die Nazis sitzen auf dem Boden herum oder stehen. Sie feixen über ihren gelungenen Coup. Nach und nach werden sie unter dem Vorwurf des Landfriedensbruch abgeführt, erkennungsdienstlich behandelt und danach festgenommen. Über der Stadt kreist ein Hubschrauber. Die Innenstadt ist abgeriegelt.
Bericht zur Lage
Der Dortmunder SPD-Chef Franz-Josef Drabig besuchte die DGB-Kundgebung gemeinsam mit seiner Familie und war Zeuge der Naziattacke. Drabig: „Ich war entsetzt, mit welcher Brutalität die Rechtsradikalen zugeschlagen haben. Den wenigen Polizeibeamten vor Ort kann man keinen Vorwurf machen. Sie wurden von dem Angriff überrascht. Ich frage mich allerdings, wie unter den Augen von Polizei und Verfassungsschutz eine solche Zusammenrottung von Nazis unbemerkt bleiben konnte. Da haben die Sicherheitsbehörden versagt.“ Er habe sich schützend vor seinen siebenjährigen Sohn stellen müssen. Angesprochen auf die Aussage des Polizeipressesprechers Peter Schulz gegenüber den Ruhrbaronen, die heutige Attacke sei nichts anderes gewesen als die Ausschreitungen durch Autonome vor zwei Jahren in Dortmund, sagte Drabig: „Eine solche Bemerkung ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Der Angriff von mehr als 200 Nazis auf einer DGB-Demo zeigt die große Gefahr, die von den Rechtsradikalen heute ausgeht. Das heutige Ereignis wird Konsequenzen haben.“
Dietmar Krempa, Mitglied der Vertrauensleute-Leitung der Stadtverwaltung Bochum, war auch dabei, als die Nazis die Demonstration stürmten. Er fordert politische Konsequenzen: „Es kann nicht sein, dass in Dortmund weiterhin Nazi-Demos genehmigt werden. Damit muß jetzt Schluß sein.“ Die Gesellschaft müsse den Rechten entschieden entgegentreten: „Wir brauchen ein Verbot von Naziorganisationen inklusiver der NPD. Ich weiß, dass wird alleine nicht helfen, aber was wir tun können, muß getan werden.“ Krempa war wie viele andere nach dem Geschehnissen in der Dortumder Innenstadt auf dem 1. Mai Fest des DGB im Westfalenpark. Er findet es gut, dass die Veranstaltung nicht abgesagt wurde: „Wir haben gute Gründe, Flagge zu zeigen.“
Martin Tönnes, Ratsherr der Grünen fordert ein Umdenken des Dortmunder Polizeipräsidenten, sieht aber auch die demokratischen Parteien in der Pflichr: Martin Tönnes: „Der gezielte Gewaltakt der Nazis und die Brutalität gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der 1.Mai-Kundgebung in Dortmund muss alle Demokraten und das gesamte Ruhrgebiet betroffen machen. Der Auftritt der Rechten in Dortmund erreicht damit eine neue Dimension. Mit dem heutigen Tag sind alle demokratischen Parteien aufgefordert, geschlossen und ohne Wenn und Aber den braunen Mob politisch zu bekämpfen. Wer hierbei jetzt noch politische Ausflüchte sucht oder die Hände in den Schoß legt, schafft den zukünftigen Raum für weitere Angriffe der Rechten in dieser Stadt. Aus diesem Grund muss auch der Polizeipräsident in Dortmund endlich den Ernst der Lage begreifen.“
Die Stadt hat eine lange Tradition rechtsradikaler Schlägertrupps. Früher gab es zum Beispiel die Borussenfront unter SS Siggi. Die WR hat mal einen Hintergrund zum Thema gemacht. Den gibt es hier: klack
Erst vor Kurzem hat die Westfälische Rundschau bekannt gemacht, dass die Nazis Todeslisten kursieren lassen, auf denen sie zukünftige Opfer aus Holzwickede eingetragen haben. Holzwickede liegt in der Nähe von Dortmund.