Röhren um die Wette

Trojanischer Hirsch. Foto: Flickr/Spalti

Die schönste Pressemitteilung des heutigen Tages:

Meisterschaft der Hirschrufer
Am Freitag, dem 8. Februar 2008, findet auf der Ausstellung JAGD & HUND in der Messe Westfalenhallen Dortmund die Deutsche Meisterschaft der Hirschrufer statt. Um den Meistertitel röhren Teilnehmer aus Wedemark (Postleitzahl 30900), Lohmar (53797), Hannover-Münden (34346), Bad Laasphe (57334), Neuenwalde (27607), Wernigerrode (38855), Rommerskirchen (41569), Kalenborn-Scheuern (54570), Roetgen (52159), Theilheim (97534), Schliersee (83727) und Burgsinn (97775). Die Jurymitglieder stammen aus Bad Hönningen (53557) und Lenne (37627). Bei der Hirschrufer-Meisterschaft geht es darum, ohne oder mit Hilfsmitteln – in den Vorjahren zum Beispiel Hörner, Gläser oder Plastikschläuche – den Sprengruf des Hirsches möglichst originalgetreu zu imitieren. Der Wettbewerb beginnt am Freitag um 14 Uhr in der Westfalenhalle 4.

schurians runde welten: Global Player

Foto: Ruhrbarone 

"Jetzt gewinnen wir hier immer." (Martin Maltritz)

Dass Fußball spielen auch nur eine Arbeit ist, weiß, wer sich Spiele in Schottland ansieht. Es ist deshalb überhaupt kein Zufall, dass es ein schottischer Profi war, der für dieses denkwürdige Urteil am Internationalen Sportgerichtshof gesorgt hat: Dank Andrew Webster wird die Macht der Clubs über ihre Spieler eingeschränkt. Der moderne – auf reichlich Schmerzensgeld fußende – Menschenhandel wird etwas fairer, die Freizügigkeit der balltretenden Angestellten gestärkt.

Fortan dürfen Profis nach zwei, maximal drei Jahren ihren Arbeitsvertrag einseitig kündigen. Der bisherige Club erhält keine Ablöse mehr, sondern eine Entschädigung, die sich am Gehalt des Abgängers orientiert. Einzige – höchst fragwürdige – Einschränkung: Der Spieler muss ins Ausland wechseln.

Foto: Ruhrbarone


Da, wo Andrew Webster dem Ball hinterher läuft, fühlt sich alles etwas kälter, feuchter, schwerer an. Auch dieses Pokalspiel in Paisley war nichts als harte Arbeit für alle Beteiligten: Die Maskottchen, Pandabären mit Bierbauch, mussten sich in der Halbzeitpause mit den Ersatzspielern warm machen. Die Zuschauer warteten bis zum Schlusspfiff auf einen Treffer und warteten und warteten. St. Mirrens Mittelstürmer namens Mehmet unterlief tatsächlich jeden Abschlag seines Torwartes. Nur die leise aufkeimende Angst meiner deutschen Kleingruppe vor einer Verlängerung war natürlich unbegründet. Das unentschiedene Spiel muss wiederholt werden. St. Mirren muss nach Dundee. Ohne deutsche Kleingruppe.

Schwierig zu sagen, was das Webster-Urteil auslösen wird. Ich glaube, dort wo Fußball Arbeit ist, wird es immer hektischer zugehen. Ein Verein, der mit Spielern und Ablösesummen spekuliert, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, als die besten Spieler mit Gewinn zu verkaufen, um weiterhin ein konkurrenzfähiges Team aufbieten zu können, sprich: der VfL Bochum wird förmlich zum Spielerverlauf gezwungen. Wenn Profis schon nächste Saison kündigen können, müssen sie an den Mann gebracht werden, so lange es Geld für sie gibt.

Ich glaube, hier irrt der eigentlich so angenehm unaufgeregte Bochumer Geschäftsführer Ansgar Schwenken, wenn er auf deutsches Arbeitsrecht pocht. Was im Arbeitsplatzwechsel zwischen EU-Staaten gilt, wird auch in Deutschland durchgesetzt. Zum Schaden der kleineren Clubs. Und der noch kleineren. Und der noch kleineren…

Andererseits, ein Verein, der in Bremen gerade eines der ehernen Naturgesetze des Fußballs aus den Angeln gehoben hat, der wird wohl auch dieses Erdbeben auf dem Transfermarkt überstehen. Wir anderen müssen uns dank Globallisierung daran gewöhnen, das wir, kaum das wir einen Spielernamen stolperfrei, unfallfrei, stotterfrei aussprechen können, schon einen nächsten lernen müssen.

Revier: Gemeinsame Gewerbesteuer!

Udo Mager, der Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung, hat einen Vorschlag gemacht, der Bewegung ins Ruhrgebiet bringen kann: Mager schlägt vor, dass sich die Städte im Revier die Gewerbesteuer teilen. Es wäre ein gewaltiger Schritt zur Überwindung des Kirchturmdenkens im Ruhrgebiet. Eine gemeinsame Gewerbesteuer für das Ruhrgebiet würde nicht nur das gegenseitige Abwerben von Unternehmen untereinander beenden, es wäre auch ein starke Signal für eine stärkere Zusammenarbeit der Städte untereinander – die könnten dann verstärkt zusammen auf Investorensuche gehen, ohne jeweils mit einem Auge auf den Nachbarn zu schielen. Bislang gibt es eine Zusammenarbeit im Bereich der Gewerbesteuer nur zwischen Essen, Bottrop, Herne und Gelsenkirchen. Zudem existieren Pläne für den Kreis Recklinghausen. Magers Vorschlag würde die Insellösungen konsequent verbinden. Das wäre wirklich mal ein großer Wurf!

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Nokia Betriebsrat widerspricht Rodenstock

Der Betriebsrat der Nokia GmbH in Bochum ist erstaunt über die Äusserung von Randolf Rodenstock, dem Vizepräsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Rodenstock hatte die Schließung des Standortes Bochum aus Nokias Sicht als "sachlich richtig" bezeichnet. „Herr Rodenstock tut so, als wäre der Bochumer Standort unwirtschaftlich: das ist ja anerkanntermassen nicht der Fall. Er hätte sich hier nur vor Ort informieren müssen.“, so Silvano Guidone, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Nokia GmbH, „Die Tatsache, dass Bochum einer der Hightechstandorte von Nokia ist, verschweigt er ebenfalls.“
Insgesamt 136 Arbeitsplätze in der Entwicklung von Multimediatelefonen sowie das komplette Bochumer Nokia Research Center mit 38 Mitarbeitern sollen geschlossen werden. Gleichzeitig werden Ingenieure aus diesen Bereichen von Nokia in Ulm gesucht. „Da sollte gerade Herr Rodenstock als Unternehmer verstehen, dass die finnische Entscheidung wirtschaftlich unzureichend durchdacht ist.“ so Guidone, “Nicht jedem ist es vergönnt, in eine Unternehmerfamilie hineingeboren zu werden. Umso mehr sollte sich Herr Rodenstock auf die Tugenden seines Vorfahren und Unternehmensgründers Josef Rodenstock (1846-1932) besinnen: Erfindergeist und Wagemut. Ersteres findet er in der Forschung und Entwicklungsabteilung in Bochum zur genüge. Jetzt ist der Wagemut der finnischen Manager bei der Suche nach innovativen Lösungen gefragt.“

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 3: Druckluft in Oberhausen (2)

?: Und wie entscheidet man dann über die Vergabe von Räumen und Zeiten und die Inhalte?

!: Entscheidend sind dazu gar nicht mal die Strukturen, sondern die Tatsache, dass jeder Mitarbeiter verinnerlicht, was Anspruch und Konzept des Ladens ist. Junge Leute werden hier ernst genommen und können hier etwas umsetzen. Punkt. Insofern sehen wir uns auch als Dienstleister, als Ermöglicher. Denn so ein Konstrukt lebt natürlich vom Input, sogar von Reibereien und Konflikten zwischen den unterschiedlichen Nutzern. Das Engagement junger Leute ist aber auch nicht mehr so groß wie es vielleicht einmal vor zehn Jahren war. Da wollte man immer eher Druckluft als gesamtes machen, mittlerweile wird eher gezielt Druckluft aufgesucht, um bestimmte Sachen umzusetzen. Die engagierten Leute mit künstlerischem Ansatz haben ja nicht mehr nur ein Haus, auf dass sie sich konzentrieren. Und gesellschaftlich ist der Druck ja auch gestiegen, ältere Jugendliche sind Karriere orientierter. Da würde ich mir schon mehr Beteiligung und Engagement wünschen.

?: Gerade bei der Integration von einigen Jugendlichen fragt man sich ja oft was zuzulassen ist, von Sexismen über von rechts gefährdete bis hin zur Debatte wer was essen oder sonst wie zu sich nehmen darf.

!: Die Ska Disco der Antifa Duisburg war ein Beispiel. Skinhead-Kultur nicht den rechten überlassen. Dann bekommen die Gäste schon mit, dass dies in einem Laden passiert, der sich als antifaschistisch versteht und das auch deutlich macht. Die Aktiven hier kennen sich ja auch in der Szene aus. Und bei niedrig schwelligen Formaten wie der Open Stage oder im Metal-Bereich muss man dann öfter auch aufpassen, was man da eigentlich macht. Das gehört dazu. Im HipHop kamen beim Open Mic irgendwann nur noch Frauen oder Schwulen feindliche Sprüche von der Bühne – um aufzufallen. Daraufhin haben wir ein Konzept erarbeitet, wie das zu vermeiden ist. Das gefiel der Szene dann nicht, also zieht man letztlich die Konsequenz.

?: Im Gegensatz dazu: Erfolgreiche Eigengewächse? Jetzt mal ab von der erfolgreichen Jugendarbeit?

!: Da kann man zum Beispiel die „Textverarbeitung“-Reihe nennen. Eine etwas andere Literaturveranstaltung, mit Musik gekoppelt und eben nicht in einer Buchhandlung, aber auch kein Poetry Slam. So etwas macht inzwischen jedes größere Haus, und wir waren ganz früh dabei und haben das mitentwickelt, bevor es das Genre überhaupt gab. Aber wir lassen halt auch manche Formate dann wieder weg, wenn sie zu groß werden. Um Platz für neues zu schaffen. Denn umso mehr sich ein Thema etabliert, desto weniger kann Druckluft einfach zu einer Abspielstätte werden. Zu nennen ist auch die Beatplantation, die ein bestimmtes Verständnis von Party mit Kunst und Lesungen und Konzerten zusammen bringt. Und natürlich gibt es Proberäume, Werkstätten und Kurse, aus denen viel erwächst. Aber, wie gesagt, im Bereich kultureller Bildung würde ich mir noch mehr wünschen. Dass da Leute kommen und sagen: Ich will Theater spielen, oder etwas ähnliches. Und da sollte Druckluft dann auch jemand dafür bereit haben, um bei der Umsetzung zu helfen. Genau in diesem Bereich zwischen Jugendarbeit und Kulturprogramm. Diese Akzente können wir mit den bisherigen Mitteln leider noch nicht setzen.

?: Nun steht ja auch ein Umbau (Grafik) an, aber die Stadt ist gerade pleite. Wie sieht da die Situation aus, und wie werden sich die Strukturen ändern?

!: Nun, wir sind seit ein paar Jahren in einer ganz schwierigen Situation. Das Gelände drum herum wurde gerodet und hier wird Gewerbe angesiedelt. Wir sind dadurch präsenter, und die Stadt hat ein Interesse an einer Aufwertung dieses Standorts, nicht mehr nur wegen der akzeptierten Inhalte, sondern auch baulicher Art. Also arbeiteten wir mit Jugendamt und Stadtteilbüro ein Konzept aus, das beinhaltet, dass wir unsere Angebotspalette erweitern, zum Beispiel hin auf den Wohnpark Bebelstraße, ehemalige Neue Heimat. Für die Jugendlichen dort gibt es bislang keine Angebote, aber um das zu leisten müssen wir uns inhaltlich, baulich und strukturell etwas anders aufstellen. Die Hauptausrichtung wird also erhalten bleiben, aber von energetischen Fragen bis hin zur Nutzung der verschiedenen Räumlichkeiten wird sich einiges ändern. Es soll verschiedene Anlaufpunkte für verschiedene Gruppen geben, die übrigens auch alle in die Arbeit am Konzept einbezogen wurden – schon um Zielgruppenkonflikte von vornherein zu verhindern.

Der Bewilligungsbescheid hierzu vom Land ist da, aber in Oberhausen gibt es eine Haushaltssperre aufgrund der hohen Verschuldung der Stadt. Der 20%ige Eigenanteil kann daher jetzt nicht aufgebracht werden. Dafür muss es eine Lösung geben. Gerade Städte die unter Haushaltssicherung stehen sind auf die Teilhabe an Förderprogrammen des Landes angewiesen. Die Verbesserung der räumlichen Situation und der Infrastruktur bei Druckluft ist notwendiger denn je. Wir stoßen mittlerweile an unsere Grenzen, den Eigenanteil zur Finanzierung unserer Arbeit selbst zu erwirtschaften. Die Infrastruktur hier muss den aktuellen Ansprüchen genügen, sonst ist genau das mittelfristig nicht mehr möglich. Wir möchten in Kooperation mit der Stadt eine Aufwertung gerade der inhaltlichen Arbeit, und die Grundprinzipien von Druckluft werden bestehen bleiben.

30 Jahre MARABO

Es gibt Jubiläen, die niemals gefeiert werden: 30 Jahre MARABO ist so eines, und in diesem Monat wäre es fällig gewesen. Das erste Heft erschien im Februar 1978 und im Juli 2005 wurde MARABO endgültig eingestellt. Zumindest für Thomas Meiser und mich war MARABO wichtig: Thomas hat fast 20 Jahre für das MARABO geschrieben. Viele Geschichten von Thomas kann man heute noch auf seiner Homepage finden – und es macht noch immer Spaß, sie zu lesen. Für mich war MARABO der Einstieg in den Beruf, und als ich am 22. Dezember 2003, nach fast zehn Jahren, nach einem knapp fünfminütigem Gespräch von dem damaligen Verleger Frank Dittmann ohne Angabe eines Grundes rausgeworfen wurde, brauchte ich Monate, um mich davon zu erholen. Heute bin ich ihm nicht mehr böse – er hat eine Menge Geld mit dem Heft verloren, ich hätte seine Geduld nicht gehabt. Wie bei fast allen, die für das Heft gearbeitet haben, war es für mich mehr als eine Zeitschrift. MARABO war so etwas wie die erste Liebe. Ein Heft, an dem man ständig zweifelte, an dem man litt, für das man kämpfte und das dann doch nicht überleben sollte. Vielleicht ist jetzt eine ganz gute Gelegenheit, einmal zurück zu schauen.

Stadtmagazine gab es 1978 in ganz Deutschland. Sie waren aus der Studentenbewegung heraus entstanden, berichteten über Politik, Popkultur und das, was man Szene nannte. Ihre Kleinanzeigenseiten waren Basare, auf denen neue Partner, Wohngemeinschaftszimmer und alte Autos gehandelt wurden. Wer wissen wollte, was in seiner Stadt passierte, kam um einen Blick in die Szenemagazine nicht herum. Auch im Ruhrgebiet gab es sie zu Dutzenden. Allein in Dortmund hatten sich in den 70er Jahren mehr als 20 gegründet. Häufig erschienen sie nur ein paar Ausgaben lang, manche kamen auch über die Nullnummer nicht hinaus.

Auch MARABO war eines dieser kleinen Heftchen. Die erste Ausgabe war im DIN A 5 Format und natürlich schwarz-weiß. Die Geschichte des Namens war, als ich 1994 dort zu arbeiten anfing, eigentlich allen peinlich, und es dauerte Monate, bis ich sie erfuhr: Der Name setzte sich aus zwei Elementen zusammen: Aus dem Vogel Marabu, der in Afrika für Weisheit steht und auch das erste Heft zierte und dem Nachsatz BO für Bochum. Das war damals modern. Dass Coolibri sich später nach einem deutlich kleineren Vogel benannte, dem auch niemand sonderliche intellektuelle Fähigkeiten nachsagte, erschien allen beim MARABO passend.

Einer der ersten Autoren war Claude Oliver Rudolf, der später als James Bond Bösewicht bekannt werden sollte, und der dem Heft mit ewigem Hass verbunden bleiben sollte: Dass ein Text von ihm gekürzt wurde, konnte er nicht verkraften. Noch Jahre später sollte er einen MARABO-Filmkritiker aus einer Pressekonferenz rauswerfen lassen.

Ziemlich schnell wurde den beiden Gründern, Christian Hennig und Günter Macho klar, dass es wirtschaftlich keinen Sinn machte, ein Heft nur für Bochum herauszugeben. Vor die Wahl gestellt, das Heft wieder einzustellen oder zu wachsen, entschieden sich die beiden für Letzteres: MARABO wurde ruhrgebietsweit veröffentlicht. Bei der Finanzierung bürgten die Eltern mit für  Darlehen, fertig gestellt wurden die ersten Hefte auf dem Wohnzimmertisch von Christian. Nach dem zweiten Heft gesellte sich Peter Krauskopf dazu, der als Film- und Restaurantkritiker sowie zwei Mal als Chefredakteur das Heft mitprägen sollte. Am Ende hatte er die traurige Aufgabe, das Licht auszumachen.

Peter Krauskopf

Das Heft wuchs zusammen mit der Szene über die es berichtete: Ende der 70er Jahre gab es immer mehr Clubs und Veranstaltungen im Ruhrgebiet. Immer häufiger verließ ein vor allem studentisches Publikum seine Heimatorte, um die Abende in den damals angesagten Lokalitäten zu verbringen. Über die Konzerte, über die kleinen Theater, über Filme in den Programmkinos berichteten die Tageszeitungen damals noch nicht. MARABO hatte beinahe ein Informationsmonopol, das es sich gerade einmal mit dem Guckloch teilte. Aus dem wurde später der Prinz.

In den 80er Jahren wurde das Heft immer dicker und auch bunter. Im Ruhrgebiet wurden Häuser besetzt, Clubs wie die Zeche in Bochum und das Arratta in Moers öffneten ihre Türen, Punk und New Wave bestimmten die Musikteile. MARABO war dabei. Autoren wie Peter Erik Hillenbach, Flora Jörgens und der leider am Leben gescheiterte Wolfgang Welt machten einen Musikteil, der den Vergleich mit Spex nicht zu scheuen brauchte. Der spätere Stern-Redakteur Werner Schmitz, Thomas Meiser und Kurt Schrage berichteten über die Abgründe des Ruhrgebiets: Mehrseitige Reportagen wurden zu einem Markenzeichen von MARABO. Morde im Gruftiemilieu, Berichte über einen professionellen Bettler, der es in seinem Beruf zu Wohlstand gebracht hatte und immer wieder ausführliche Musik- und Filmgeschichten. Ganz nebenbei erfand Schmitz dann noch in einer Reportage über den Bochumer Multigastronomen Leo Bauer den Begriff Bermudadreieck. Heute heißt eine U-Bahn Station in Bochum so.

Peter Erik Hillenbach

Rückblickend waren die 80er Jahre wohl die besten im recht langen MARABO-Leben: Der Verlag wuchs, Tochtertitel in Frankfurt (Spot) und Düsseldorf (Düsseldorfer Illustrierte) wurden gegründet und später wieder verkauft. Das Journal Frankfurt hat hier eine seiner Wurzeln. Die Düsseldorfer Illustrierten wurde später vom Überblick übernommen.

Unter Dietmar W. Clausing wurde der Kalender des Heftes zu einer Institution. Als Theaterkritiker kümmerte sich Dietmar nicht nur um die Produktionen von Peymann & Co. Er begleitete ganze Generationen von Kleinkünstlern: Ob die Missfits, Hennes Bender oder Uwe Lyko – Dietmar kannte sie alle, und viele von ihnen hat er mit großer Leidenschaft immer wieder ins Heft gebracht und unterstützt. Ich erinnere mich noch daran, wie er in seinem kleinen Zimmer in der Redaktion der Kronenstraße saß und die Nächte durch an seinen Geschichten und dem Kalender arbeitete. 2002 starb Dietmar überraschend an Krebs. Seine Beerdigung war auch ein Abschiedstreffen, obwohl es noch über drei Jahre mit dem Magazin weiter gehen sollte. MARABO war ohne ihn nicht mehr dasselbe.

In den 90er Jahren erschienen dann Hefte mit über 200 Seiten Umfang, die Jamiri Comics wurden zum Kult, MARABO veranstaltete die ersten Technoparties im Revier, aber eigentlich waren die Zeichen des drohenden Untergangs schon damals nicht zu übersehen: Mit dem Coolibri war ein Gratistitel aufgetaucht, der lange als Konkurrent nicht ernst genommen wurde. Immer mehr Lesern war die Qualität des Heftes, die großen Geschichten auf die wir so stolz waren, egal. Sie sparten sich die vier Mark und griffen nach dem Heft, dessen Name sich an dem eines gefiederten Nektarsaugers anlehnte. Es war, wirtschaft gesehen, das erfolgreichere Konzept. Wir konnten nur noch verlieren, aber das wussten wir damals noch nicht.

Der Verkauf ging zurück. Die Anzeigenverkäufe brachen ein. Ab Mitte der 90er Jahre war die Arbeit immer fast immer ein Überlebenskampf mit dem Rücken zur Wand. Wir gingen ins Internet: Ab 1997 war MARABO im Internet als eines der ersten Hefte seiner Art. Wir hatten den Kalender online und berichteten 1997 live im Internet vom Atomtransport nach Ahaus – damals eine Premiere. Wir machten aufwendige Gastronomie-Sondertitel (Ausgehen im Ruhrgebiet) und gaben ab 1996 einen eigenen Gratistitel heraus: Hotline. Es war ein Scheißheft. Genutzt hat es alles nichts. Und nicht nur das MARABO war damals schon in die Jahre gekommen. Wir auch. Von den hippen, jungen Themen waren wir immer weiter entfernt. Scherzhaft nannten einige in der Redaktion das Heft „unsere kleine, feine Familienzeitschrift“. Nur, so was braucht niemand.

2001 war dann erst einmal Schluss. Christian verließ den Verlag, MARABO wurde von Frank Dittmann gekauft, erschien ein paar Monate im Andromeda Verlag und später bei Nordis. Anfang 2001 zogen wir von Bochum nach Essen. Wir waren das Problemkind in einem Verlag geworden, der sich vor allem mit Publikationen über Skandinavienreisen beschäftigte. Es war demütigend. Als wir umzogen, waren wir noch vier Redakteure und drei Grafiker. Das Jahr 2001 hatten über 70 % der Belegschaft nicht überlebt. Der Rest war Qual. Die Kollegen in Essen hatten uns gut aufgenommen – heimisch wurde wir dort trotzdem nie. Wir machten kein cooles Heft mehr, sondern waren eine Belastung. Die Verluste, die wir einfuhren, belasteten den ganzen Verlag. Niemand ließ uns das spüren – aber wir wussten es, und das reichte. Bald darauf war Schluss für mich, ich habe es ja schon beschrieben. Ich konnte monatelang danach an kaum etwas anderes denken. Es war ein Trennungsschmerz wie nach dem Aus einer langen Liebesbeziehung: Es tat weh, es blockierte den Kopf, es war eine Erschütterung der eigenen Identität.

Das Ende bekam ich nur noch aus der Ferne mit: Das Heft blieb im steilen Sinkflug. Als es Dittmann 2005 endgültig einstellte, war es wohl auch für die verbliebenen beiden Kollegen eine Erlösung. Ich bin stolz darauf, dass in diesem letzten Heft noch einen kleiner Artikel von mir zu lesen war. Blöd, nicht? Peter Krauskopf hatte ihn reingeschmuggelt. Christoph Schurian schrieb damals in der taz einen, wie ich auch heute noch finde, sehr schönen Nachruf. Hier ist er:

Zum Geleit

Das Ruhrgebiet steht Pate für ein Januswort, das einerseits soziale Einschnitte verniedlicht, andererseits viel verspricht: Mit Strukturwandel wird seit fünfzig Jahren ein Vorgang umschrieben, der das Montangebiet immer leerer, ärmer und arbeitsloser macht, zugleich aber auch grüner, bunter und lebenswerter. Dass die positiven und negativen Effekte in einem Spannungsverhältnis stehen, sich bisweilen ausschließen, beweist dieser Tage die Medienlandschaft Ruhrgebiet.

Mit der Julinummer stellt das Ruhrgebietsmagazin Marabo sein Erscheinen ein. Wie die taz Ende der 1970er Jahre gegründet, erblühte das Ruhrstadtblatt in den Achtzigern. Hatte im Guckloch, dem späteren Prinz, Konkurrenz, genauso in der WAZ. Ein dauerhaft zu geringer Anzeigenumsatz hat dem Traditionsmagazin nun endgültig den Garaus gemacht. Kein Einzelfall.

Denn auch die taz ruhr erscheint heute das letzte Mal, auch das eine Zäsur einer fast ebenso langen Mediengeschichte, gespeist aus ähnlichen Motiven, wie denen des Szenemagazins: Der großen abwechslungsreichen Stadtlandschaft Ruhrgebiet einen alternativen, unabhängigen, medialen Ausdruck zu geben.

Doch im Gegensatz zum Marabo steht die taz ruhr immerhin vor einer Wandlung: Ab Montag erscheint eine taz nrw fürs ganze Bundesland. Den Strukturwandel wird die taz also weiter beäugen. Auch wenn der in der Ruhrgebiets-Medienlandschaft gerade seine Kinder verspeist.

In Memoriam Dietmar W. Clausing 

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Zuwachs: Heiligenhaus ist Ruhrgebiet

 

Während ambitionierte Dorfpolitiker wied der CDU-Landtagsabgeordnete Josef Hovenjürgen aus Orten wir Bergkamen, Haltern oder Dorsten lieber heute als morgen das Ruhrgebiet verlassen möchten, um eine ganz große Nummer in den Weiten der westfälischen Wüste zu werden, gibt es  auch einen Gegentrend: Heiligenhaus, gelegen im Kreis Mettmann, sieht  sich neuerdings als Teil des Ruhrgebiets und will bei der Kulturhauptstadt mitmachen: „Die Stadt will im Jahr 2010 dabei sein, wenn es heißt: „Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt 2010“. Im Vorfeld konnten die Essener Macher davon überzeugt werden, dass es sich bei der Stadt Heiligenhaus durchaus um ein Stück Ruhrgebiet handelt. Konkret bemüht sich ein Team des Stadtmarketing-Arbeitskreises „Kultur und Gesellschaft“ um die Teilnahme an dem Projekt „Twins 2010“.“ berichtet die Rheinische Post. Wenn das Ruhrgebiet erfolgreich ist kann es anscheinend sogar noch wachsen.

Westdeutscher Allgemeiner Rundfunk

 

WDR-Reporter. Foto: Flickr/Florian Seiffert

NRW-Minsterpräsident Rüttgers zeigt medienpolitisches Profil: Im unermüdlichen Kampf gegen öffentlich finanzierte Monopole und für mehr Meinungsvielfalt im Land kann Rüttgers einen ersten, großen Erfolg vorweisen: Die wohl auf seine Initiative zu Stande gekommene Kooperation von WAZ-Mediengruppe und WDR im Internet scheint kurz vor der Verwirklichung zu stehen. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sagte nicht: „Es ist ein großer Schritt in Richtung unserer Politik nach dem Motto „Privat vor Staat“, wenn die durch die  Gebühren aller Bürger finanzierten Inhalte des WDRs exklusiv einer Verlagsgruppe zu Gute kommen. Das ist ein guter Tag für Nordrhein Westfalen und die Medienvielfalt in diesem Land.“
Die WAZ wird künftig die Qualitätsprodukte des WDR (Die Anrheiner, Live-Übertragung des Neusser Schützenzuges, Narrentausch – Der Ernstfall für zwei Karnevalisten, Talk mit  Domian: Thema: Ich hatte Sex mit 50 Kilogramm Hackfleisch) zumindest teilweise in ihr im vergangenem Jahr gegründetes Online-Angebot Der Westen integrieren und den Erfolg des WAZ-Online-Portals weiter steigern.