Das Ruhrgebiet hat eine öffentliche Diskussion zur Kulturpolitik bitter nötig. Eine Einladung auch an Michael Townsend
Lieber Michael Townsend,
dann versuche ich also mal, mit Ihnen – wie empfohlen – ‚glaubwürdig zu kommunizieren‘ ;-))
Sie schreiben in Ihrem letzten Kommentar zu meinem Ruhrbarone-Beitrag „Casino-Kapital frisst Kinderwürde und Kultur – 2011 droht nicht nur die freie Szene in NRW finanziell abzustürzen“:
„Zur Zeit schöpfen sicher alle nicht aus dem Vollen; weder die Freie Szene noch die kommunalen Institutionen im Kultur-, Sozial- und Sportbereich. Entscheidend ist für mich, dass das finanzielle ‚Kürzertreten‘ so erfolgt, dass die vorhandenen Strukturen erhalten bleiben. Ein ‚bisschen ausatmen‘ ist hier sicher zumutbar. Für alle. Natürlich gehen nicht mehr alle Projekte, die man sich vornimmt.“
Ich entgegne darauf:
Jetzt tappen Sie aber doch in die berüchtigte „Teile-und-herrsche-Falle“ oder stellen sie gar selbst auf?
Mir jedenfalls geht’s auf keinen Fall darum, Soziales gegen Kultur oder die Misere der kommunalen Einrichtungen gegen eine der freien Szene auszuspielen. Und Sie sollten das auch nicht tun.
Oper gegen Übungsraum für Rockmusiker, Bibliothek gegen Literaturhaus, Konzerthaus gegen Kindergärten usw.: Das ist Schnee von gestern. Auf diese Sackgassen-Diskussion will ich mich einfach nicht mehr einlassen.
Ich fordere schlicht das Beste für alle – und zwar überall da, wo es darum geht, menschenwürdige Rahmenbedingungen für das Wachstum von Menschen zu schaffen. Und wenn‘s dann nur das Gute und nicht das Beste wird, haben wir eben noch Spielraum nach oben. Wer keine Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen (frei nach Helmut Schmidt).
Sich abfinden mit dem Abgefundenwerden?
Nur um eines geht es mit Sicherheit heute nicht mehr – wie Sie schreiben -, nämlich um:
Kürzertreten, ein bisschen ausatmen, nicht mehr aus dem Vollen schöpfen, nicht mehr so viele Projekte vornehmen. Diese Rhetorik, diese Haltung eines Sich-Abfindens mit dem Abgespeistwerden etikettieren Sie verniedlichend als ‚Zumutbarkeit‘.
Gegen Zumutungen sich etwas zumuten
Gerade wir, die wir kulturpolitisch agieren, sollten uns endlich etwas zumuten, also den Mut zu oder für etwas haben und nicht den Mangel auf immer niedrigerem Niveau immer einfallsloser verwalten. Sich etwas zumuten: Das also ist nicht der kleinmütige Mut eines Beifalls für das überall verordnete, verharmlosend so benannte ‚Sparen‘. Auch hinter diesem Euphemismus verbergen sich tatsächlich Umverteilung, Kürzung, Kapitulation vor den vermeintlich unveränderbaren ökonomischen Gegebenheiten.
Es geht also schon lange überhaupt nicht mehr um ein Kavaliersdeliktchen von ‚halt mal ein bisserl weniger Kultur, bis die Zeiten wieder besser sind‘.
Gewinne vergesellschaften
Wo auch immer ich im Moment die Wirtschaftsseiten lese (sogar in der WAZ), da hagelt’s Rekordgewinne. Wer kassiert und besitzt aber diesen immensen gesellschaftlichen Reichtum?
Es scheint zu bleiben, wie es immer war: Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste aber einer bereits zuvor schon einmal abkassierten Gesellschaft aufgebürdet (wie jetzt auch durch die Atomindustrie in Japan).
Für das 2010lab.tv schrieb ich vor 10 Monaten unter
www.2010lab.tv/…/kultur-alltagsmythen-1-tanze-ums-goldene-kalb-–-bete-den-sponsor – :
„Welchen Banken gehört eigentlich Deutschland?
Ein geldsüchtiger Markt berauscht sich ungebrochen an immer größeren Ertragssteigerungen, global wie lokal sind die Folgen verheerend: So schrieb die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) bereits am 13.3.09: ‚Kindersterben durch Finanzkrise. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet, dass bis 2015 bis zu 2,8 Millionen Kinder wegen der Auswirkungen der Finanzkrise sterben werden. Die Krise verursache dramatische Engpässe in den Gesundheitssystemen armer Länder (…).‘
Und lokal? Kulturelle Einrichtungen (die früher einmal auch aus Unternehmenssteuern gezahlt wurden) werden abgewickelt oder darben chronisch unterfinanziert, oft sind die Arbeitsbedingungen demütigend. Trotzdem halluzinieren viele Politiker immer noch, zu einer vermeintlich effektiven Wirtschaftsförderung gehöre sozusagen als Bonus auch eine Neuordnung der Kunst- und Kulturlandschaft im Sinne der Wirtschaft und ihrer leidenden Angestellten.“
Therapie ohne Diagnose?
Wenn wir weiterhin kulturpolitisch auf Recherchen, nüchterne Analyse und das Herstellen von (wirtschafts-) politischen Zusammenhängen verzichten und sozusagen nur noch theoriefrei einen Worthülsen-Pragmatismus „starker Vorwärtsgewandtheit“ (Was ist das?) propagieren, sind wir verloren und können früher oder später als Kulturförderer sowieso unseren Hut nehmen.
Kulturelles Leben stimulieren oder simulieren?
Sie schreiben zum Schluss Ihres Kommentars:
„Aber dieses Tief ist nicht das erste und nicht das letzte, aus dem wir uns herausarbeiten müssen und werden. Das geht mit Tatkraft, großer Überzeugung, das Richtige und das Wichtige zu tun, und starker Vorwärtsgewandtheit.“
Ich antworte:
Große Worte, lieber Herr Townsend,
aber trotz besch… Arbeitsbedingungen kenne ich kaum ‚rückwärtsgewandte‘ Akteure der freien Szene. Im Gegenteil, die meisten sind engagierte Leute, Liebhaber der Kunst, sozial hoch engagiert, beherzt, wach.
Ich selbst halte es zu meiner eigenen Ermutigung immer mit einem Satz Horkheimers, der einmal von sich gesagt hat, er sei im Theoretischen Pessimist und im Praktischen Optimist. Meine von Bourdieu, Negt und vielen anderen inspirierten Analysen betonen sehr stark die Kritik an den bestehenden Verhältnissen einer Kultur- vor allem als Wirtschaftspolitik. Hier bei den Ruhrbaronen schreibt auch Laurin über das Dortmunder U, Ecce und andere teure Vorzeigeprojekte wie das 2010lab.tv (liebe Güte, ist da dann doch – Abrakadabra – viel Geld vorhanden).
Durchdachte Kritik ist der Beginn von Veränderung
Kritik, das kommt aus dem Griechischen und meint: unterscheiden können.
Eine einfältige Argumentations-Figur (in der Kulturhauptstadt-Diskussion leider oft bemüht) lautet dagegen:
Kritiker an Kulturabbau oder Kultur- als Kampagnenpolitik sind bloß Nörgler, Besserwisser, Jammerer, Ewiggestrige, Pöstchenbewahrer. Mit dieser Abwertungs-Figur versuchte man sich selbst als ‚innovativ‘ (pah!), ‚open-minded‘ (puh!), ‚zukunftsorientiert‘ (bäh!) und ‚Macher‘ (ächz!) ‚erfolgs- und zielorientiert‘ (o nein!) zu ‚positionieren‘ (würg!).
Qualifizierte Kritik aber zielt immer darauf, das Bessere möglich zu machen
Und Kritik stellt Zusammenhänge her. Zwischen global und lokal, zwischen Geld und Gewissen, zwischen Tun und Unterlassen.
Gegen die Globalisierung im Sinne des großen Geldes z.B. muss eine Globalisierung des Umwelt- und Arbeitnehmerschutzes gesetzt werden. Gegen die Globalisierung der Zerstörung von Menschenwürde muss eine Globalisierung der Praxis von (sozialen) Menschenrechten verwirklicht werden. Gegen die Privatisierung von Unternehmensgewinnen (bei gleichzeitigem Abwälzen aller Verluste auf die Bürger), ja …, da könnte man doch einfach mal die Vergesellschaftung der Gewinne setzen, jedenfalls ein bisserl.
„Ein ‚bisschen ausatmen‘ ist hier sicher zumutbar“, empfehlen Sie der freien Szene; empfehlen Sie’s doch mal der Deutschen Bank, den Energieriesen oder den Brüdern Albrecht. Und siehe: Plötzlich wäre Geld genug für Soziales, Bildung und Kultur da.
Und wenn die dann auch mal – wie von Ihnen allen empfohlen – „finanziell kürzer treten“ und gesellschaftliche Verantwortung wirklich übernehmen, dann diskutiere ich auch gerne mit Ihnen darüber, ob einige Kulturarbeiter nicht zu viel Fett angesetzt haben und den Gürtel enger …, wer sich wann wo wandeln müsste, ob Sozialausgaben besser gesteuert gehören, wo mehr Eigeninitiative fehlt.
Pathos? Ja, gerne
Bisschen viel Pathos? Naja. Pathos kommt aus dem Griechischen (schon wieder! verflixt!) und heißt neben Leiden auch: Leidenschaft. Und mir tun – um mit Lichtenberg zu sprechen – viele Sachen weh, die andern nur leidtun.
Vielleicht schaffen wir es, die Diskussion fortzusetzen und öffentlich stärker zu entfachen.
Dass Sie sich für Kultur ins Zeug legen, ehrt Sie allemal.
Aber Sie dürften’s ruhig auch für mehr und bessere Kultur tun – das würde dann allerdings mit einer Dekonstruktion der sogenannten Spar- und Sachzwänge beim Kulturabbau als freiwillige Leistung beginnen müssen.