Günter Amendt ist tot. Wir haben einen bedeutenden Sozialwissenschaftler verloren. Amendt verstarb am Samstag bei einem Autounfall.
Lange schon hatte er das Interesse am Sex verloren. Als Autor am Thema Sex. Dazu habe er nichts mehr zu sagen, beschied Günter Amendt vor etwa anderthalb Jahren: „Da sollen Jüngere ran, vor allem Frauen.“ Amendt wurde interviewt, weil er seinen 70. Geburtstag hatte, und weil Sex das Thema war, das man mit ihm assoziierte. „Sexfront“ hieß seine 1970 erschienene Kampfschrift – Amendts Beitrag zur „sexuellen Revolution“, wie der Bewusstseinswandel seinerzeit ohne jeden Anflug von Zweifel genannt wurde. Günter Amendt war, wie man heute sagt, ein echter Achtundsechziger; ich, weil fast zwanzig Jahre jünger, war es nicht.
So war es mir nicht vergönnt, den Schülerstreik mitzuorganisieren. Immerhin konnte ich ihn als faszinierter Sechstklässler mitbetrachten. Und begeistert mitschwänzen. An der „Sexfront“ – 300000 mal verkauft – stand ich auch noch nicht; meine „sexuelle Revolution“ durchlebte ich als Bravo-Abonnent, angeleitet von Dr. Sommer. „Onanie, Onamanchmal, Onaoft“ – auf diese Formel brachte es Günter Amendt neun Jahre später. 1979 veröffentlichte er „Das Sex-Buch“, 200000 mal verkauft, von ihm abgekürzt mit DaSeBu. Der Spiegel beschrieb damals, wie sich DaSeBu von der Sexfront unterschied: „Die Leser erfahren, was los ist, nicht was sein soll.“
Das Soziologendeutsch der Achtundsechziger war Günter Amendt, dem promovierten Soziologen, fremd. Seine Sprache war offen und direkt, ironisch und ausgesprochen witzig. Das ein oder andere Udo-Lindenberg-Lied stammt aus seiner Feder, auf jeden Fall Straßenfieber, ein Song über Jugendproteste. Der von Lindenberg verfasste Song Na und? führte allerdings zu erheblichen Verstimmungen bei Amendt. Das – nach Sexualität und Jugendkultur – dritte und Amendts Arbeit zuletzt dominierende Thema war das sog. Drogenproblem und die staatliche Drogenpolitik. Das Thema seiner Dissertation komprimiert Amendts wissenschaftliches Leben auf engstem Raum: „Sexualverhalten von Jugendlichen in der Drogensubkultur“.
Bereits 1972 erschien „Sucht. Profit. Sucht“, Amendts politische Ökonomie der Drogenproduktion und des Drogenhandels. Die Drogenprohibition, so Amendt, verursache Schäden, die erheblich größer seien als das Risiko einer Legalisierung. So kritisierte er die DFB-Kampagne „Keine Macht den Drogen“ heftig. Auch das propagierte Ziel eines dopingfreien, also sauberen Sports geißelte Amendt als verlogene Heuchelei. Am Samstag wurde Günter Amendt – gemeinsam mit einem Ehepaar in seiner Begleitung und einem weiteren Passanten – Opfer eines zugekifften Autofahrers, der bei Rot über eine Ampel gerast ist. Manchmal ist die Ironie des Schicksals kein bisschen witzig.