„Mich mangeln die Wörter“ (2) – Heute: „Werte demonstrieren“

Self- oder Ego-Marketing heißt sie, die systematische Vermarktung des „Produktes Ich“. Natürlich setzt Selbstvermarktung voraus, dass da überhaupt erst einmal ein Ich existiert, das es zu verkaufen lohnt, was naturgemäß selten der Fall ist.
Herz, Geist, Seele: Fehlanzeige? Mitgefühl: abhanden gekommen? Was soll’s, muss man alles nicht haben, kann man heute auch nur „demonstrieren“.
Wo keine Haltung sich entwickeln durfte, da übt sich der Poser als Charakterchamäleon. Copy & pose. „Jedes Ei hat etwas, das andere Eier nicht haben. Du musst es nur entdecken“ (Reinhard Siemes, Werbepapst). Verraten bin ich also und verkauft, falls ich mich nicht beizeiten selbst verkaufe.

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Die cineastische Klangwelt des René Aubry – am 10.3. auf Zollverein

René Aubry gehört nicht zu den Künstlern, die zu den gefragten Namen im Tournee- und Festivalzirkus zählen. Und da kommt das Anliegen der Konzertreihe in der Zeche Zollverein ins Spiel, eben solche Künstler, die unbeirrt vom großen Hype ihr Ding machen, zu präsentieren. Am Donnerstag, den 10.3. gibt es eines der seltenen Gastspiele dieses introvertierten Musikers aus Frankreich, der nur zu gerne – vor allem als Filmmusik- und Tanztheater-Komponist im Verborgenen waltet.

Der erste Höreindruck von Aubrys in Kürze neu erscheinende CD „Refuges“ (Bezug in Deutschland über NRW-Vertrieb, www.mv-nrw.de) macht auf ganz unspektakuläre Weise neugierig:  Schön, ist diese Musik, sanft und sphärisch. Dass man sich einfühlt, fordern diese Stücke nicht aggressiv ein, sondern laden dazu mit viel freundlicher Wärme ein. Neue Ebenen tun sich für den auf, der sich einlässt. Und da ist genug Intensität, um ein visuelles Geschehen auf einer Leinwand oder einem Bildschirm fast schon überflüssig zu machen. Denn genug Bilder im Kopf stellen sich ein, breiten sich vielfältige emotionale Kräftefelder aus…

Aubry lieferte viel musikalisches Material für die Choreographien von Carolyn Carlson und Pina Bausch, die selbst nur zu gern auf Aubrys Werke zurück griff. Ein Stück aus dem Vorgängeralbum untermalt eine jener legendären Choreographien, die im gerade angelaufenen Wim Wenders Film über die unsterbliche Tanztheater-Ikone zu erleben sind.

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NRW: St. Hannelore will Neuwahlen

SPD und Grüne schrecken vor Neuwahlen nicht mehr zurück. Sie wollen stabile Mehrheiten für ihre Politik und die Legitimation durch den Wähler  für den dauerhaften Bruch der Verfassung. Und ganz nebenbei könnten bei einer solchen Wahl  Linkspartei und FDP aus dem Landtag fliegen. Das Ganze ist also auch machtpolitisch attraktiv.

Die rot-grüne Landesregierung hat Visionen und anstatt zum Arzt zu gehen, zieht es sie zu den Wählern. Die sollen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihrem Kabinett erlauben, eine Schuldenpolitik zu machen, die nicht durch die Landesverfassung gedeckt ist. Und wenn man schon dabei ist, soll der Wähler auch den kompletten Umbau der nordrhein-westfälischen Wirtschaft abnicken. Umweltminister Johannes Remmel will die gesamte Politik des Landes dem Primat des Klimawandels unterordnen.

Diese Politik, so Kraft und Remmel, soll auf  die Dauer rentierlich sein und innerhalb weniger Jahrzehnte eine Menge Geld einsparen: Investitionen in die Bildung und Kinderbetreuung, wie Kraft sie fordert, sollen irgendwann einmal dafür sorgen, dass die Sozialausgaben sinken. Auch die dem Klimawandel geschuldeten Umbaukosten sollen sich irgendwann einmal rechnen: Dann nämlich, wenn das Zeitalter von Kohle und Öl vorbei ist und die Unternehmen aus NRW im globalen Wettbewerb dank des väterlichen Drucks der Landesregierung gut dastehen.

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Der Ruhrpilot

NRW: Land steuert auf Neuwahlen zu…FTD

NRW II: SPD droht mit Neuwahlen…Welt

NRW III: Grüne streiten um Neuwahlen…RP Online

NRW IV: Neuwahlen wären ein fragwürdiges SPD-Manöver…Der Westen

NRW V: Schneider wirft Friedrich Stimmungsmache gegen Migranten vor…EPD

NRW VI: Streit um Klimaschutzgesetz…WDR

Ruhrgebiet: Gas-Schatz für das Stadtwerke-Konsortium…Ruhr Nachrichten

Ruhrgebiet II: Wo Jecken im Revier um die Häuser ziehen…Der Westen

Duisburg: Politiker reden über den demographischen Wandel…Der Westen

Essen: Stadt prüft Klage gegen Feuerwehr-Ausrüster…Der Westen

Dortmund: Eine Rabenschwarze Nacht…FZW

Bochum: Mummenschanz im Kunstmuseum…Ruhr Nachrichten

Umland: Exxon lässt Erdgasbohrung im Münsterland nach Protesten unabhängig überwachen…Der Westen

Umland II: SPD, Piraten und Berlin…Rot steht uns gut

Umland III: Helge Schneider macht Karneval…FAZ

Umland IV: Rochaden auf dem Markt der Reklamezeitungen…Zoom

Literatur: Lesung in Moers…Isis

Guttenberg: Kens verschleppter Rücktritt…FAZ

Guttenberg II: Merkels Reaktion (bei Cebit) auf zu Guttenbergs Rücktritt…Netzpolitik

Rechte: „Islamkritiker sind oft mit Rechtsextremen verbandelt“…Spiegel

Arabien: Wie Linke Gaddafi nachweinen…Jungle World

Arabien II: Besondere Hilfe für arabische Demokraten…Kaffee bei mir?

Internet: Zum Sterben der Blogs…Weissgarnix

Wir sind mehr als Religionsanhänger

Christuskirchen Foto: Ayla Wessel/Kulturagentür

Die neueste Ausgabe der Leitkulturdebatte reduziert die Menschen wieder auf ihren religiösen Hintergrund. Kirchen, Islamverbände und Kulturkonservative dürfen sich freuen.

Ach, die letzten Jahrzehnte liefen nicht gut für die Vertreter der unterschiedlichsten Glaubensrichtungen in Europa. Im Zweifelsfall blieben die Meisten lieber am Sonntag länger im Bett liegen, als in die Kirche zu gehen. Und viele wissen von ihren Freunde gar nicht mehr, zu welcher Konfession sie gehören. Oder ob sie überhaupt noch in einer Kirche sind.

Wie gut, dass es seit ein paar Jahren immer mal wieder eine Leitkulturdebatte gibt: Ist Europa christlich-jüdisch geprägt oder auch islamisch? Keine Frage: Als Europa noch ein verschlammter Kontinent war, in denen die Menschen kaum älter als 4o wurden und man gerne auch mal eine Hexe verbrannte, war der Kontinent christlich-jüdisch geprägt. Und Muslime versuchten ihn immer mal wieder zu erobern. Auf dem Balkan klappte das. In Zentraleuropa holten sie sich vor Tours und Poitiers und Wien blutige Nasen.

Europas Aufstieg zu einem Kontinent, auf dem man gut und halbwegs frei leben kann, begann mit der Überwindung der Religionen. Die Aufklärung ist der große Wurf. Und eine gute Tradition der Aufklärung ist es, die Menschen als Individuum wahr zu nehmen. In der Leitkulturdebatte wird genau das unterlassen. Da sind wir alle vor allem religiös geprägt. Sicher, zu einem Teil trifft das zu. Aber ich bin auch stark durch Popmusik und Literatur geprägt. Auch ein paar Freunde hatten mehr Einfluss auf  mich als jeder Wanderprediger oder Papst. Und dann ist da noch die Familie, die persönliche Geschichte: Liebeskummer, Glück, Momente der Einsamkeit, das Gefühl, verlassen zu werden und das Gefühl, geliebt zu werden.  Der Beruf, Geschmack, Stil – Identität setzt sich aus hunderten von Fassetten zusammen, von denen mal die eine, mal die andere bestimmend ist. Wir spielen mit Identitäten, wechseln sie, variieren sie. Zum Teil mehrmals am Tag: Sind Freund, Partner, Fan, Sohn, Vater, ein Vertreter unseres jeweiligen Berufes, ein Häuflein Elend und ein arrogantes Arschloch.

Es ist herrlich.

Nur diese Vielfalt kommt in der Leitkulturdebatte nicht vor. Jeder  Türke in ihr ist nur Moslem. Und wenn er viel mehr Schalke-Fan ist als Gläubiger? Oder Vater? Trinker? Sportler? Geht nicht.

Das spielt den Kulturkonservativen aller Gattungen in die Hände, denen die Unübersichtlichkeit ein Grauen ist. Sie wollen uns wieder in die alten Schemata pressen. Denn nur in dieser alten Welt konnten sie ihre Macht behaupten. Ok, das ist ihr Problem. Meins ist es nicht. Die Leitkultur Europas ist die Aufklärung, ist der Individualismus. Nicht irgendwelche Wüstenkulte. Deshalb sollte man Religionen auch nicht noch aufwerten – und schon gar nicht viel Rücksicht auf sie nehmen.

„Möchte was gründen. – Wer hat Ahnung?“ – Eine Ergänzung zum Küppers-Laurin-Interview

 

Irgendwas mit Ökonomie

Ein Großteil künstlerischer/kultureller Prozesse – das wissen und hoffen wir doch – entfaltet sich eben nicht wegen der Kulturförderung, ihrer Masterpläne und Visionen, sondern oft ohne oder sogar gegen sie. Und das ist auch gut so. Unterm Strich und nach aller Modernisierungs-Rhetorik ist klar: Wenn davon die Rede ist, die Stärken zu stärken, dann werden tatsächlich meist nur die Starken gestärkt. Sie werden zu Krisengewinnlern. Die Anderen? Modernisierungsverlierer, auch in Kunst und Kultur.

Primat der Ökonomie als Ökonomie der Primaten?
Die hoch verschuldeten, unter Kuratel und Haushaltsaufsicht stehenden Städte sahen und sehen sich in einer Notwehrsituation und suchen verzweifelt nach kulturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten, nach dem Strohhalm, an den sie sich klammern könnten.
Doch dieselbe global-neoliberale Wirtschaftspolitik, die in ihren politischen/wirtschaftlichen/steuerlichen Konsequenzen auch die Städtefinanzen ruiniert, bietet dann zynisch nichts als Scheinlösungen an:

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„In München hat man von der Kulturhauptstadt nicht viel mitbekommen“

Hans Georg Küppers war von 1998 bis 2007 Bochums Kulturdezernent. Gemeinsam mit Essens damaligen Kulturdezernenten trieb er die Kulturhauptstadtbewerbung des Ruhrgebiets voran. Seit 2007 ist er Kulturreferent in München. Er glaubt nicht, das von der Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet viel bleiben wird+ – und erzählt, wie man auf das Ding mit der Kreativwirtschaft kam.

Herr Küppers, Sie sind seit 2007 Kulturreferent der Stadt München. War der Wechsel vom kleinen Bochum ins große München eine sehr große Umstellung für Sie?

Hans Georg Küppers: Erst einmal ist Bochum nicht so klein. In Bayern wäre es nach München und Nürnberg die drittgrößte Stadt. Und was den Kulturbereich betrifft: Bochum ist mit seinem Schauspielhaus, den Symphonikern und seiner Off-Szene keine Provinz. Aber natürlich war der Wechsel nach München eine Umstellung. Auch wenn der prozentuale Anteil der Kulturausgaben am städtischen Haushalt in Bochum ein kleinwenig mehr als in München ist, ist er absolut betrachtet in München wesentlich größer. Das Kulturangebot Münchens ist in seiner Vielfalt eher mit dem des ganzen Ruhrgebiets zu vergleichen als mit dem einer einzelnen Stadt dort. Allein die Vielfalt und Qualität der Museen und Theater hier ist beeindruckend. Und auch wenn wir in München als Kommune ebenfalls sparen müssen, ist der Druck nicht so existentiell wie in den Städten des Ruhrgebiets, die ja de Facto pleite und oftmals noch nicht einmal mehr Herr ihrer eigenen Haushalte sind.

München, eine Insel der Seeligen?

Küppers: Nein, das sicher nicht. Wir haben andere Probleme, die aus Sicht des Ruhrgebiets nahezu unvorstellbar sind. Als ich gerade ein paar Wochen in München Kulturreferent war, bekam ich Besuch von einigen jungen Musikern. Die erklärten mir, dass es sehr schwer wäre, in München an Proberäume zu kommen. Ich sagte, ich würde mich um das Problem kümmern und fragte die Schulreferentin, welche Grundschule in München als nächstes geschlossen wird. Meine Idee war, die zum Teil als Proberaumzentrum zu nutzen. Die Kollegin erklärte mir, in München würden keine Schulen geschlossen sondern neue gebaut. Die Stadt würde weiter wachsen. Und das stimmt: In wenigen Jahren werden wir hier 1,5 Millionen Einwohner statt 1,3 haben. Im Ruhrgebiet eine unvorstellbare Entwicklung, die aber auch Probleme aufwirft: Günstige Räume sind knapp in München.

Sie gehörten ja in Ihrer Zeit als Kulturdezernent in Bochum zu den Motoren der Kulturhauptstadtbewerbung. Bochum unterlag Essen seinerzeit bei der Abstimmung im Ruhrparlament mit nur einer Stimme. Was war das Ziel der Bewerbung?

Küppers: Wir haben uns mehrere Effekte erhofft: Wir wollten dem Publikum innerhalb des Ruhrgebiets zeigen, was für ein hervorragendes Kulturangebot das Revier zu bieten hat. Und wir wollten die öffentliche Aufmerksamkeit für eine Kulturhauptstadt auch dazu nutzen, das den Menschen in Deutschland und Europa zu erzählen. Das Ruhrgebiet braucht sich wahrlich nicht zu verstecken, was seine kulturelle Vielfalt betrifft, und auch die Qualität der Angebote ist hervorragend. Dann wollten wir dazu beitragen, den Zusammenhalt innerhalb des Ruhrgebiets zu stärken. Wenn Sie so wollen, den Einfluss des Kirchturmdenkens etwas zurückdrängen. Und schließlich wollten wir anderen Regionen etwas geben. Das Ruhrgebiet ist ja nicht die einzige Region in Europa, die von einem wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen ist. Dazu gehört ja, neben wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einer hohen Arbeitslosigkeit in der Regel ein massiver Bevölkerungsrückgang und die Frage: Was geschieht mit den industriellen Hinterlassenschaften? Mit all den Brachen und den alten Gebäuden? Wir wollten Modelle und Vorschläge erarbeiten, was man damit anfangen kann, wo die Chancen liegen – und die dann europaweit präsentieren.

Ist das gelungen? Haben Sie in München viel von der Kulturhauptstadt mitbekommen?

Küppers: Ehrlich gesagt: Nein. Ich weiß, dass mir jemand jetzt eine dicke Mappe mit Presseausschnitten vorlegen kann, aber mein subjektiver Eindruck als Leser, der sich ja sogar aus biografischen Gründen mehr für das Revier interessiert als andere, war: Im Feuilleton, sowohl in München als auch in der nationalen Presse, spielte die Kulturhauptstadt nicht die ganz große Rolle. Hängen geblieben sind vor allem die großen visuellen Ereignisse: Schachtzeichen und das Fest auf der A40. Das waren die Höhepunkte, darüber wurde überall ausführlich berichtet. Dazu kam die Loveparade-Katastrophe. Viele andere Veranstaltungen wurden, zumindest meinem Eindruck nach, nicht so wahrgenommen, wie sie es vielleicht verdient hätten.

Es waren also vor allem die Aktionen von Fritz Pleitgen, die stark wahrgenommen wurden?

Küppers: Ja. A40 und Schachtzeichen sorgten für grandiose Fernsehbilder, und die blieben hängen. Was ja etwas Gutes ist. Die übliche Berichterstattung über das Ruhrgebiet ist nicht so positiv. Menschen die fröhlich feiern, eine Autobahn zu einer Partymeile machen – das ist schon was anderes als Zechenschließungen und Arbeitslosigkeit. So schöne Projekte wie das Kooperationsprojekt der Theater im Ruhrgebiet, die Odyssee, oder auch die Touren zu den Museen der Region und auch die Symphonie der 1000 hatten es da schwer. Aber ist das die Schuld der Kulturhauptstadtmacher? Ich denke nicht. Die Kulturhauptstadt unterliegt den gewöhnlichen Mediengesetzen und vor allem das Fernsehen setzt auf Bilder. Was Feuilleton betrifft, muss man sagen, dass es ja nicht nur die Kulturhauptstadt gab. In München, Köln, Berlin oder Hamburg ging das Leben weiter, und dort gab es 2010 auch zahlreiche herausragende Kulturangebote. Und die schafften es natürlich auch ins Feuilleton. Was hat man denn von der Kulturhauptstadt Cork mitbekommen? Oder von Linz? Es ist nicht so, dass die Europäische Kulturhauptstadt ein Ereignis ist, das in der ganzen  EU gebannt verfolgt wird. Und daran kann man auch den Erfolg nicht messen. Die Besucherzahlen der Veranstaltungen waren hervorragend – und das nicht nur bei den Schachtzeichen und auf der A40. Das Feuilleton und die internationale Aufmerksamkeit sind nur ein Maßstab, nicht der Maßstab. Ich glaube, dass viele Ruhrgebietler heute einen anderen Blick auf ihre Region haben. Viele werden erst jetzt gemerkt haben, welche kulturelle Vielfalt das Ruhrgebiet bietet. Und es kam auch Publikum in die Region, das noch nie da war. Zum Beispiel der Münchner Kulturausschuss.

Und die Damen und Herren waren beeindruckt?

Küppers: Ja, waren sie. Viele waren – das kennt ja der Ruhrgebietler – davon überrascht, wie grün das Revier ist. Aber vor allem Gebäude wie die Jahrhunderthalle oder Zollverein fanden viele sehr beeindruckend. So etwas gibt es in dieser Größenordnung ja sonst nirgendwo in Deutschland. Das ist schon einzigartig und wird auch so wahrgenommen.

Sie sagten, eine Idee der Kulturhauptstadt war es, Konzepte zu entwickeln, wie man mit den Folgen des demografischen Wandels oder alten Industriebrachen umgehen kann. Ist die Kulturhauptstadt diesem Anspruch gerecht geworden? Immerhin wurden ja Projekte wie „Land for Free“ schon frühzeitig gestoppt.

Küppers: Für das Aus von Projekten wie Land for Free mag es gute Gründe gegeben haben, bedauerlich ist es trotzdem. Im Idealfall hätte das Ruhrgebiet etwas entwickelt, von dem zum Beispiel Lille und die ehemalige nordfranzösische Bergbauregion auch etwas gehabt hätte. Wie man mit Schrumpfungsprozessen umgeht, wie man sich die Chancen erarbeitet, die da für eine Region entstehen, das wäre schon sehr spannend zu sehen gewesen. Diesem Anspruch ist die Kulturhauptstadt leider nicht gerecht geworden. Das war eine Chance, die nicht genutzt wurde.

Mit Dieter Gorny hatte eine Kulturhauptstadt erstmals einen eigenen Direktor für das Feld der Kreativwirtschaft. Von ihr sollten starke wirtschaftliche Impulse für das Ruhrgebiet ausgehen.

Küppers: Das war nach meiner Zeit im Ruhrgebiet. Ich hatte aber immer meine Zweifel, dass die Kreativwirtschaft eine erhebliche wirtschaftliche Rolle im Ruhrgebiet würde spielen können, das heißt die vielen tausend Arbeitsplätze ersetzen könnte, die im Revier verloren gegangen sind. Aber die Details kenne ich nicht, und ich möchte auch keine Kollegenschelte betreiben. Wir haben damals die Kreativwirtschaft mit aufgenommen, weil sie zum Thema geworden ist. Vor allem im angloamerikanischen Raum wurde darüber ja schon vor fünf bis sechs Jahren diskutiert. Die Entscheidung für die Kreativwirtschaft als Thema für die Kulturhauptstadt hatte aber auch einen ganz praktischen Grund: Wir wussten, dass wir einen sehr engen finanziellen Rahmen haben würden – auch ohne die Krise, die dann ja alles noch schwieriger machte. Über das Thema Kreativwirtschaft wollten wir auch die Wirtschaftsförderer dazu bewegen, sich bei der Kulturhauptstadt zu engagieren. Das hat wohl auch gut funktioniert.

Kritik gab es auch, weil beispielsweise die großen Aufträge trotz der postulierten Begeisterung für die Kreativwirtschaft der Region beispielsweise an Agenturen aus Hamburg gingen.

Küppers: Mit solchen Vorwürfen muss man vorsichtig sein. Wir haben in Europa aus guten Gründen ein sehr strenges Vergaberecht. Da kann so etwas vorkommen.

Wäre es denkbar, dass, wenn München Kulturhauptstadt wäre, eine Agentur aus Hamburg Leitagentur werden würde?

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FC Bayern in der Krise, van Gaal vor dem Rauswurf, spannenderer Fußball an der Ruhr

Louis van Gaal - Foto: Paul Blank (via Wikipedia)

Seit dem 1. Juli 2009 wird der FC Bayern München von Louis van Gaal trainiert. Nach etwas holprigem Beginn stand der Holländer am Ende der Saison mit der Meisterschale und dem DFB-Pokal da. In der Champions League wurde immerhin das Finale gegen Inter Mailand erreicht. Dies ging zwar mit 0:2 verloren; dennoch konnte sich die Bayern-Bilanz des ersten Jahres van Gaal sehen lassen. Das „Double“ aus Meisterschaft und Pokalsieg geschafft, am „Triple“ nur knapp gescheitert. Im Sommer 2010 herrschte in Bayern Freudentaumel.
Gegenwärtig tritt der FC Bayern in der Champions League abermals gegen Inter Mailand an. Das Achtelfinale wurde im Hinspiel mit 1:0 gewonnen. Doch das Rückspiel in Mailand steht noch aus, und die Bayern befinden sich in einer schweren Krise. Drei Pflichtspiele gingen in den letzten acht Tagen verloren. Und was für welche! Letzten Samstag die Heimniederlage gegen den Tabellenführer aus Dortmund, womit die letzte Hoffnung auf den Titel endgültig begraben werden konnte. Am Mittwoch dann – ebenfalls zu Hause – von den Schalkern aus dem Pokal gekickt, und gestern die Niederlage in Hannover.
Ausgerechnet gegen Hannover, dem direkten Tabellennachbarn, wodurch die Qualifikation der Münchener für die Champions League erheblich gefährdet ist. Im Falle eines Scheitern bliebe zwar noch die Europa League als internationaler Wettbewerb – allerdings von minderer Bedeutung, in dem – jedenfalls in der Vorrunde – nur wenig bis gar kein Geld zu verdienen sein soll. „Wenn ich spüre, dass die Champions-League-Qualifikation in Gefahr ist, dann werde ich unruhig“, erklärte Uli Hoeneß schon vor sechs Wochen. Spätestens gestern wird der Bayern-Präsident das ganz deutlich gespürt haben. „Man muss handeln und nicht reden“, so Hoeneß. Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, will „erst einmal eine Nacht darüber nachdenken“. 

Für den Sonntag Vormittag ist eine Pressekonferenz angekündigt, ein recht sicheres Zeichen dafür, dass die Ära van Gaal bei den Bayern zu Ende ist. Günter Netzer ist zugute zu halten, dass er von dem Termin noch nichts wusste, als er sich in der Bildzeitung „fest davon überzeugt“ zeigte, dass van Gaal einstweilen bleiben könne. Doch die Bayern-Niederlage in Hannover war ihm sehr wohl bekannt, und die „Gesetze“ des Profifußballs kennt Netzer wie kaum ein anderer. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass er Recht behält. Alles deutet darauf hin, dass van Gaal gehen muss.
“Die Bosse diskutieren intensiv über die Entlassung“, erfährt man in der Bildzeitung, die mit der Schlagzeile „Trainer-Wechsel bringen doch was“ eine klare Ansage macht. Über einige Namen wird spekuliert, es zeichnet sich jedoch noch kein Nachfolger ab. Zumal ihn eine unangenehme Aufgabe erwarten dürfte, ist doch der Erwartungsdruck in München noch weitaus höher als anderswo. Es bleiben zwar noch neun Spiele, um den Fünf-Punkte-Abstand auf Hannover wieder wettzumachen. Doch eigentlich galt der zweite Platz als „Minimalziel“, und Leverkusen überholen zu wollen, wäre schon recht ambitioniert. Was die Niedersachsen betrifft: gestern haben die Bayern in Hannover verloren – und zwar „verdient“, als die klar schlechtere Mannschaft.
Louis van Gaal ist wirklich „ein großartiger Trainer“ (Netzer); immerhin ist ihm in München gelungen, die über Jahrzehnte rein ergebnisorientierte Spielweise auf einen attraktiven Offensivfußball umzustellen und damit sogar Sympathien für die im Lande wenig geschätzten Bayern zu gewinnen. Er hatte auf junge Spieler aus der eigenen Jugend gesetzt (Müller, Badstuber) und dafür etablierte internationale Stars ausgemustert. Insofern ist der vermutliche Rauswurf bei den Bayern ein Verlust für die Liga.

Doch wir müssen uns nicht allzu große Sorgen machen. Eben weil Louis van Gaal ein sehr guter Trainer ist, droht ihm nicht das Schicksal der Dauerarbeitslosigkeit. Vor allem aber, weil auch andernorts gezeigt wird, dass Angriffsfußball nicht nur attraktiver ist als ergebnisorientiertes Ballgeschiebe, sondern auch erfolgreicher. In Mainz zum Beispiel der Thomas Tuchel. Und Jürgen Klopp, ohnehin ein Sympathieträger, wird mit Dortmund Meister. Schwer zu sagen, welchen Weg der FC Bayern gehen wird, ob van Gaals Nachfolger auch weiterhin ansehnlichen Fußball spielen lassen wird. Die Münchener werden auch nach dem jetzigen Einbruch das Maß aller Dinge im deutschen Fußball bleiben. Mit dem Etat der Bayern kann kein anderer Verein konkurrieren.
Doch gegenwärtig finden die spannenderen Geschichten Fußball-Deutschlands an der Ruhr statt. Borussia Dortmund dürfte sich die deutsche Meisterschaft nicht mehr nehmen lassen. Das Pokalendspiel bestreiten der FC Schalke 04 und der MSV Duisburg, und der VfL Bochum hat nach wie vor gute Chancen, in die erste Bundesliga zurückzukehren. Das Ruhrgebiet ist die Hauptstadt des deutschen Fußballs.