Niels Duffhuës, Donnerstag, 3. März, 20.00 Uhr, Subrosa, Dortmund
Der Ruhrpilot
Dortmund: Alle suchen Hasi…Ruhr Nachrichten
Herzlichen Glückwunsch: Tom Wolfe zum Achtzigsten…FAZ
Ruhrgebiet: Das Revier kriegt nasse Füße…Der Westen
Bochum: Einzelhandel muss kämpfen lernen…Ruhr Nachrichten
Bochum II: Kirchen und Gewerkschaften wollen Allianz für freien Sonntag bilden…Der Westen
Dortmund II: Spieplan im Theater Dortmund ist bunt und abwechslunsgreich…Ruhr Nachrichten
Dortmund III: Rumänen und Bulgaren räumten Häuser in der Nordstadt…Der Westen
Duisburg: Zeitplan für Verkauf des Theaters am Marientor wird enger…Der Westen
Umland: Gewerkschafter demonstrieren in Düsseldorf…Zoom
Umland II: Bremerhaven kämpft gegen den Verfall…Zeit
Guttenberg: Bedeutungsverlust…Post von Horn
Guttenberg II: Der erste Minister, den das Internet gestürzt hat?…Netzpolitik
Rück-Tritt. Volkes Stimme – der Souverän spricht oder The King’s Speech
Eine O-Ton Collage aus Umfragen, (Politiker-)Interviews, Medienkommentaren und Blogs. Version 1.01 (2.3.2011)
Ja, aber warum tritt denn der zurück, wo der gerade so schön vorgetreten war? Stephanie und der, das waren doch die deutschen Obamas, was sage ich: die deutschen Kennedys, Sissi und Franz-Joseph hätten die werden können. Sie ist doch selbst ne Bismarck-Ururenkelin und gerade sie kämpft doch so tapfer gegen Missbrauch. Der hat doch nichts gemacht, der hat doch keinem was getan, da gibt’s doch andere, Schlimmere, was da so in der Politik noch rumläuft, mein Gott, wer da schon alles sein Ehrenwort gegeben hat und dann war’s doch nichts.
Der ist doch Freiherr, da braucht der doch gar keinen Doktor. Warum schreibt denn der sich gleich selbst ab, ja haben wir denn nicht alle mal abgeschrieben, nicht alle als Jugendliche mal geschummelt, eine Doktorarbeit gefälscht, ja, gibt’s denn nichts Wichtigeres auf der Welt, sind wir nicht alle kleine Sünderlein und trotzdem hätt et noch immer joot jejange?
Was haben die den in die Enge getrieben, geschlachtet, geköpft, ich weiß nicht was noch?
Guttenberg: Weil sich Leistung lohnen muss…
Mit Karl Theodor zu Guttenberg hat ein Liebling der Massen das Kabinett verlassen. Gescheitert ist er an seiner Verachtung gegenüber den bürgerlichen Konventionen.
Ein herausragendes Merkmal des Adels ist, dass ihm das Leistungsprinzip weitgehend unbekannt ist. Man ist was man ist und hat was man braucht. Und was man nicht hat und trotzdem braucht, nimmt man sich eben. Zum Beispiel einen Doktortitel.
Die Verachtung des Leistungsprinzips klingt irgendwie ein wenig nach Linkspartei und tatsächlich: In der gemeinsamen Verachtung der Leistungskultur sind sich Adel und Kader erstaunlich nahe.
Jemand der dem bürgerlichen Pendant zum Adelstitel mit so viel Verachtung gegenüber tritt wie Guttenberg dem Doktortitel konnte in einer Koalition, deren Anhänger sich zum größten Teil als zum Bürgertum gehörend definieren nicht überleben. Franz Walter hatte das gestern auf Spiegel.de schön beschrieben:
Nun dämmert den akademisch-arrivierten Mittelschichten mit Hochschulzertifikaten, dass die Nonchalance der CDU-Granden und Guttenberg-Apologeten – „was sind schon Fußnoten“; „scheiß was auf den Doktor“ – ihre Berechtigungsausweise für berufliche Erfolge und gesellschaftliche Statuspositionen gefährdet.
Ein solches Statustdenken kommt jemanden wie Guttenberg wahrscheinlich ziemlich piefig vor. Er bekam alles zur Geburt geschenkt – Kontakte, Reputation und Geld. Erarbeiten musste sich so einer nie irgendwas. Wie sollte er Achtung vor der Leistung anderer entwickeln? Die Verachtung des bürgerlichen Leistungsprinzips wurde ihm zum Verhängnis. Und das ist gut so – denn Leistung muss sich wieder lohnen.
Das Problem mit den Gänsereitern und ihren Gegnern
In Bochum Wattenscheid werden Reiter aus zwei Vereinen an Rosenmontag wieder versuchen Gänsen den Kopf abzureißen. Wie jedes Jahr wird es dagegen Protest geben.
Ja, so ist Wattenscheid. Während sich die Rheinländer im Karneval redlich um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten mühen, mag es der Wattenscheider etwas rustikaler: Auf einem Pferd reitend versuchen die Mitglieder zweier Vereine toten Gänsen den Kopf abzureißen. Das mag ein alter Brauch sein, aber ist trotzdem stil- und geschmacklos. Als ich Mitte der 90er nach Bochum zog fand ich das Treiben in Wattenscheid sehr befremdlich und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Irgendwelche rotgesichtigen Vereinsmeier, die starr auf ihren Traditionen beharren – das mag ich nicht.
Mein Problem: Ich mag auch keine Tierrechtsaktivisten, die gegen solche Vereinsmeier protestieren. Was sie jedes Jahr in Wattenscheid tun. Die meisten die ich kenne sind Hysteriker. Im schlimmsten Fall vergleichen sie Hühnerställe mit Konzentrationslagern. Im nicht schlimmsten Fall nennen sie jeden Leberwurstesser einen Mörder.
Gänse, die mag ich. Sie gehören, kross gebraten und mit Rotkraut und Klößen, zur Vorweihnachtszeit. Von da an ist mir der Vorwurf, die Gänsereiter würden Tiere nur zum Spaß töten, eher befremdlich: Auch ein Gänseessen macht Spaß und da ich mal davon ausgehe, dass ich bislang keine Suizid-Gans auf dem Teller hatte, wurde das Viech zu meiner Unterhaltung getötet. Kann ich mit leben. Die Gans zugegebenermassen nicht.
Am Montag werden sich also zwei Gruppen, die ich nicht ausstehen kann, in einem Stadtteil, den ich nicht mag, gegenüberstehen: Gänsekopfabreißer und Hippies. Und das in Wattenscheid. Wie gut dass es eigentlich keinen vernünftigen Grund gibt, dahin zu fahren. Auch Rosenmontag nicht. Kann man das Boykott nennen? OK. Ich boykottiere also das Gänsereiten und den Anti-Gänsereiter-Protest. Und freue mich schon jetzt auf die Martinsgans.
Rue Royale
Rue Royale, Mittwoch, 2. Februar, 20.00 Uhr, EMO, Essen
Der Ruhrpilot
Dortmund: Gericht entscheidet über Wiederholung der Ratswahl…Der Westen
NRW: Das Comeback der Regina van Dinther…WDR
NRW II: Schmale Spur…Post von Horn
Bochum: Angst vor Kündigungen bei Opel…Ruhr Nachrichten
Bochum II: Erinnerung an die Ruhrpott-Duse zerstört…Pottblog
Bochum III: Antifa Prozess vor dem Landgericht…Bo Alternativ
Dortmund II: Bietet Essen die Lösung für den Strich?…Ruhr Nachrichten
Rheinberg: Amazon kommt…RP Online
Duisburg: Anwalt aus Duisburg legt Beschwerde gegen Loveparade-Ermittler ein…Der Westen
Essen: Forscher protestieren gegen Guttenberg…Der Westen
Umland: Erdogan liefert Türken Ausreden für Nicht-Integration…Welt
Umland II: 1. Anarchistische Buchmesse Mannheim…Isis
Internet: De Maizière lehnt sofortige Netzsperren ab…Spiegel
Internet II: Netzsperren sorgen für Streit in der Union…Netzpolitik
Reise: Havanna ist ein Leben in Ruinen…Zoom
Update: Wird Baranowski neuer NRW-Wirtschaftsminister?
Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski könnte vor einem Karrieresprung stehen. Wird er der Nachfolger von NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger?
Im Kabinett Kraft machte Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger bislang nicht die beste Figur. Sein Verhältnis zu den Unternehmern gilt als eher kühl. Und bei den wichtigen industriepolitischen Streitfragen wie dem Bau des Kraftwerks Datteln oder der Förderung der lukrativen Erdgasvorkommen setzte Voigtsberger nach Meinung etlicher Sozialdemokraten keine starken Industriepolitischen Akzente. Gerüchte sagen nun, dass er bald bis zum Sommer abgelöst wird: Angeblich soll Frank Baranowski, der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, als neuer Wirtschaftsminister im Gespräch sein. Baranowski ist Sprecher der mächtigen Ruhrgebiets-SPD – und die so etwas wie der Gralshüter sozialdemokratischer Industriepolitik. Das Büro von OB Baranowski erklärte auf Anfrage, dass man sich prinzipiell nicht zu Gerüchten äussere. Das Wirtschaftsministerium dementiert indes das Gerücht: „Da ist nichts dran.“
In eigener Sache: Ruhrbarone Platz 2 im Medium Magazin
Im diesjährigen Ranking des Medium Magazin „Die Journalisten des Jahres 2010“ belegten wir Platz 2 in der Rubrik Autoren Regional.
Aus der Begründung:
„Die „Ruhrbarone“-Blogger bewiesen einmal mehr, wie unbequeme regionale Berichterstattung aussehen kann und muss: David Schraven, Stefan Laurin und ihr Team zeigten vor allem während des NRW-Wahlkampfs, dass aufklärender, kritischer Lokaljournalismus möglich ist. Auch und gerade jenseits der Verlags-Monopolisten.“
Und? Freut mach sich darüber? Ja. Blöd nur: Wir haben das erst gestern per Zufall gefunden. Aber gut, manchmal gibt es ja auch positive Überraschungen. Und jetzt zurück an die Arbeit!
Und wenn jemand noch unser Print-Ding will. Das gibt es hier: klack
Waldorflehrer werden! – am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“
Unser Gastautor Andreas Lichte war als Experte zur Waldorfschule beim Deutschlandradio Kultur zu Gast. In der „Zeitreisen“-Sendung „Die bessere Schule oder esoterischer Irrglaube?“ am 23.2.2011 berichtete er auch von seinen Erfahrungen während seiner Ausbildung zum Waldorflehrer am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“. Hier eine Extended Version.
Der Text von „L.“ wie „Lichte“ basiert auf umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen, wörtlichen Mitschriften des im Unterricht Gesagten.
Vorstellungsgespräch, Seminar für Waldorfpädagogik Berlin, Mai 2001
Sofort klärt L. den Dozenten auf: „Ich weiß nichts über Anthroposophie, habe gerade mal drei Bücher quer gelesen, damit wir uns überhaupt unterhalten können …”
„Das macht nichts”, antwortet der Dozent Fuchs*, „niemand erwartet von Ihnen, dass Sie Anthroposoph werden … Sie sollten schon ein wenig Offenheit für weltanschauliche Fragen mitbringen, mehr nicht …”
Einführungskurs Waldorf-Pädagogik, 14. Mai – 11. Juli 2001
„Herzlich willkommen!“ Darauf wird allergrößter Wert gelegt: auf die familiäre Atmosphäre, auf das fröhliche Miteinander. Gemeinsames Singen, gemeinsames Malen, gemeinsames Plastizieren und gemeinsam – in der Familienrunde – die Alltagskonflikte lösen. Prima. Und so entspannt.
Garantiert kein Stress. Fast wäre er sanft entschlummert, auch ein Verdienst des Dozenten Gerber, der es schafft, einen eineinhalbstündigen Monolog über Rudolf Steiner zu halten:
„Macht man solche Übungen systematisch immer und immer wieder, dann tritt das ein, dass man Einfälle kriegt zur rechten Zeit, dass einem zur richtigen Zeit das einfällt, was einem einfallen soll. Das Denken wird dadurch in Beweglichkeit kommen, und das ist ungeheuer bedeutungsvoll für den Menschen im praktischen Leben“ (Rudolf Steiner: „Praktische Ausbildung des Denkens“).
Viel fällt L. dazu nicht ein, aber das verlangt auch niemand, es reicht zu bekräftigen, dass, was auch immer gerade getan wird, „Kunst“ ist … „Kunst des Unterrichtens“, vorzugsweise.
Irgendwann heisst es, das Kreuzberger Hinterhof-Biotop zu verlassen und in der Rudolf-Steiner-Schule Berlin zu hospitieren. Und noch bevor L. die Schulbank drücken darf, gibt es ein „Klassenspiel” zu sehen:
Die Schüler und Schülerinnen der sechsten Klasse führen die Geschichte Roms auf. Selbstverständlich streckt Romulus kunstgerecht Remus nieder und auch der Raub der Sabinerinnen ist zu bewundern. Aber irgendetwas stimmt hier nicht: Ist das nicht etwas zuviel Blut, das hier vergossen wird? In der sechsten Klasse – die Inszenierung eines Massakers? L. verdrängt alle Zweifel, vielleicht ist es die harmonische Grundstimmung aus dem Seminar, die ihn hat übersensibel werden lassen.
Sein erster wirklicher Schultag. Die Schüler studieren ein Gedicht ein. Der Lehrer sagt es vor, die Schüler sprechen es nach:
„Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen,
Zwei Speere pflanzt! Querüber bindet einen!
Zwei Römerköpfe drauf! Es ist getan! –
Das Joch umstehn verwogne Kriegsgesellen
Mit Auerhörnern und mit Bärenfellen
Und schauen sich das Bauwerk an.
.
Die Hörner dröhnen. Zu der blutgen Pforte
Strömt her das Volk aus jedem Tal und Orte,
Gross wundert sich am Joch die Kinderschar,
Ein Mädelreigen springt in heller Freude
Um das von Schande triefende Gebäude,
Den blühnden Veilchenkranz im Haar.”
Da kommt Stimmung auf, zumal Herr Rost, der Klassenlehrer, großen Wert auf eine angemessene Vortragsweise legt: martialisch, ma non troppo.
Natürlich kommt auch der theoretische Teil nicht zu kurz. Herr Rost skizziert an der Tafel, wie ein Joch zu bauen ist: „Und oben auf jeden Spieß kommt der Kopf eines toten Römers.” Der Hospitant weiß, heute hat er etwas dazugelernt.
Wieder im Seminar, schildert er etwas eingeschüchtert seine Erlebnisse aus der Rom-Epoche: „Ich weiß schon, was Katharsis bedeutet, aber dass die Sechstklässler im Blut waten, hat mich doch überrascht.”
Und überrascht ist er auch, dass er keine Antworten bekommt, im Gegenteil: Seine Fragen bringen ihm nur zurechtweisende Blicke ein, die sagen: „Herr L., das werden auch Sie irgendwann verstehen, jetzt fehlen Ihnen noch die Voraussetzungen.”
Der Tageskurs Waldorfpädagogik, 3. September 2001 – 5. Juli 2002
„Ein leises Loslassen …”, sagt einer der Dozenten. Ein anderer wird etwas deutlicher: „Sie werden die Welt mit anderen Augen sehen … Zweck unseres Zusammenseins ist Rudolf Steiner.”
Das leuchtet ein, deckt sich mit dem neuen Stundenplan: Steiner, Steiner über alles – jeden Tag in unterschiedlicher Verpackung. „Allgemeine Menschenkunde von acht Uhr dreißig bis zehn”. Wo ist die Kunst geblieben? Zusammengestrichen auf einen halben Tag in der Woche.
„Ist Atlantis ein geographischer Raum oder ein Bewusstseinszustand?”, fragt der Dozent, und es zeichnet sich ab, wohin die Reise geht: in esoterische Gefilde. Anstrengend. So anstrengend, dass L. sofort weiß, was der Dozent meint, als er sagt: „Ich weiß, dass ich wach bin, das heißt, ich bekomme ein neues Verhältnis zum Schlaf.” L. wünscht ihn sich sehnlichst herbei.
Steiner-Exegese (”Theosophie – Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung”): „Man stellt sich in der richtigen Art zu den Dingen der übersinnlichen Welt, wenn man voraussetzt, dass gesundes Denken und Empfinden alles zu verstehen mag, was an wahren Erkenntnissen aus den höheren Welten fließen kann … Der Grundsatz: erst höhere Welten anzuerkennen, wenn man sie geschaut hat, ist ein Hindernis für dieses Schauen selbst. Der Wille, durch gesundes Denken erst zu verstehen, was später geschaut werden kann, fördert dieses Schauen. Es zaubert wichtige Kräfte der Seele hervor, welche zu diesem ‘Schauen des Sehers’ führen.”
Was gilt es zu schauen? Zunächst einmal heißt es, alles zu vergessen, was man irgendwann einmal gehört oder gelernt hat. Das wird, je nach Dozent, mit „Wenn ich Ihnen das zumuten kann …” oder „Könnte es sein, dass …” eingeleitet. Und dann kommen die wahren Erkenntnisse aus höheren Welten – bevorzugtes Thema: der Mensch.
„Der erste Begriff in der Anthroposophie, der mir einfällt, ist Mensch … Dann ist eben das ganze Weltall der Mensch … Wir konstruieren mal den Gedanken der Einheit – die Einheit der Welt sagt ‘Ich bin’ … Der Mensch ist eine Einheit, dann ist eben der Mensch das Ganze: Tierreich, Pflanzenreich, Mineralienreich …”, führt der Dozent aus, und zum Mineralienreich: „Da ist eine Sehnsucht nach Aufnahme von Licht im Kohlenstoff – die Zukunft des Kohlenstoffs ist der Diamant – ist ein Diamant ein Mensch in anderer Form?”
L. ist dem geistig nicht gewachsen, aber er ist eben noch nicht eingeweiht. Da heißt es sich gedulden, zuhören. Und schon naht Hilfe: das seminareigene Skelett wird aufgestellt, an dem die „Genialität des menschlichen Leibes” exemplifiziert wird: „Der Mensch erhebt sich in die Aufrechte …, das unterscheidet ihn vom Tier. Tiere sind Endstation – was ist dann Höhe, Weiterentwicklung? Wo ist noch Entwicklung möglich? Der Mensch hat sich am längsten zurückgehalten, er kann sich noch weiterentwickeln – die Tiere sind spezialisiert, das ist eigentlich Devolution. Ich schreite durch die Tierwelt, bahne mir den Weg – die Tiere können mir nichts anhaben – ich bleibe Mensch. Wie dieser französische Missionar sagt: Mensch ist am Anfang und am Ende.”
L. ahnt dunkel, worauf der Dozent hinaus will: Darwin war gestern, heute ist Steiner. Am Anfang war der Mensch, und aus dem Menschen haben sich die Tiere, gewissermaßen als Abfall, entwickelt. Da heißt es sich abzugrenzen, von den „bösen” Tieren, denen „die Moralität fehlt”.
Von den Dozenten denkt keiner daran, einmal eine Zusammenfassung eines Themas zu geben: der Unterricht hat eher die Form eines Gottesdienstes, in dem ein Steiner-Wort ausgelegt wird. Wie sagt der Dozent Klein: „Ich bin ein Missionar in Sachen Steiner.”
„Wie unterrichte ich Geographie an der Waldorf-Schule?”, ist das Thema des Dozenten Vormann. Sein Ziel ist es, „hinter den äußeren Eindrücken nach und nach den Schleier für eine höhere Ganzheit zu heben”. Eine Woche hat er dazu Zeit, und er nutzt sie, um zwei Kontinente vorzustellen: „Geographische Polaritäten. Zentral- und Ostasien im Vergleich mit Nordamerika.”
Zunächst ist es nur mehr oder weniger eine Wiederholung des altbekannten Schulstoffes – Gelber Fluss und Colorado River werden gegenübergestellt. Dann widmet er sich seinem eigentlichen Thema: „Mensch und Landschaft”. Aus der asiatischen Architektur – der Pagode – folgert er, dass der Asiat sich dem Himmel – „Tien” – zuwendet.
„Und was ist die typische Architekturform Nordamerikas?”, fragt Herr Vormann und gibt alsbald die Antwort: „Es ist die Stufenpyramide. Sie steht für die Erdverbundenheit der präkolumbianischen Völker.”
L. erlaubt sich die Frage: „Und was ist mit den Indianern Nordamerikas – der Puebloarchitektur? Oder dem Zelt der Nomadenvölker der großen Prärien?” „Die haben im großen Überblick keine Bedeutung, die Indianer waren schon eine absterbende Rasse”, ist die Antwort des Dozenten. „Eine absterbende Rasse, was meinen Sie damit, dass die Indianer von den Weißen aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängt wurden?” „Nein, die Indianer waren schon vorher eine absterbende Rasse, ihnen fehlten die Voraussetzungen für eine kulturelle Höherentwicklung.”
Keiner der Seminaristen sagt etwas. In L. brodelt es, er erinnert sich an seine Reise in den amerikanischen Westen: „Finden Sie das nicht unfair, nach all dem Unrecht, was die Indianer erleiden mussten, ihnen auch noch die Schuld daran anzulasten?!” „Was regen Sie sich so auf, die alten Ägypter waren schließlich auch eine absterbende Rasse.”
L. ringt um Worte: „Meinetwegen können Sie das über die alten Ägypter sagen, aber ich habe keine Lust, einem Indianer, den ich als Anhalter im Auto mitnehme, zu erklären, dass er zu einer absterbenden Rasse gehört!”
Herr Vormann ist ob soviel Respektlosigkeit erbost. „Lassen Sie uns im Unterricht fortfahren, diese Frage können wir hier und jetzt nicht hinreichend erörtern!” Ist damit für ihn die Sache erledigt? L. hört nie wieder etwas von ihm … aber von der Seminarleitung, drei Wochen später.
In einer Abmahnung teilt man L. mit, dass „die Form seiner Beiträge über das Maß kritischer Auseinandersetzung hinaus als Verletzung elementarer Spielregeln der Höflichkeit, Rücksicht, Toleranz gegenüber Andersdenkenden bemerkt wird …“
L. soll gehen. Sofort die Ausbildung abbrechen. Die Seminarleitung versucht auch, die anderen Seminaristen gegen L. aufzubringen: Sie sollen L. klarmachen, dass er nicht mehr zur Waldorf-„Familie“ gehört.
L. beschliesst zu bleiben, will wissen, wie die Geschichte weitergeht: Warum schaut man sich einen Horror-Film an? Man ist fasziniert – je größer der Schrecken, desto besser. Nur die wenigsten verlassen vorzeitig das Kino.
Ein Gespräch soll geführt werden, über ein anthroposophisches Thema. Jeder im Seminar nennt es Prüfung, die Dozenten nennen es Gespräch. Da heißt es, sich gut vorbereiten; „jetzt bloß nicht auffallen”, denkt sich L. und paukt Steiner, so wie er seit seiner Schulzeit nicht mehr gepaukt hat: auswendig lernen, egal, was da steht. Und das Gespräch kommt in Gang und bleibt es auch; so gut, dass der Dozent Klein schließlich meint: „Das haben Sie ja hervorragend dargestellt.” „Danke!” „Aber glauben Sie das auch?!” „Natürlich!”, antwortet L. und erinnert sich an sein Vorstellungsgespräch. Hatte da nicht jemand gesagt: „Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie Anthroposoph werden …”?
In der Oberstufenpädagogik wird ein spannendes Thema präsentiert: „Wie gehe ich als Lehrer mit pubertierenden Schülern um?”
Na, wenn das nicht Unterrichtspraxis bedeutet! Und die Freude wächst noch, als ausnahmsweise einmal ein Text als Vorlage dient, der nicht von Rudolf Steiner ist! Aber dann lesen wir, was wir eh schon wussten: dass die menschliche Individualentwicklung sich in drei Sieben-Jahre-Schritten vollzieht; bis zum siebten Lebensjahr wird der physische Leib ausgebildet, dann folgt vom siebten bis zum vierzehnten Lebensjahr der Ätherleib und schließlich der Astralleib, mit dem alles krönenden Ich … das ist original Steiner, auch wenn nicht Steiner draufsteht.
Der Lehrer soll die Schüler ihrem Reifestadium gemäß ansprechen und besonders darauf achten, dass keine „Verfrühung” eintritt. Wenn vorzeitig das Interesse am Sexuellen erwacht, so soll der Lehrer („therapeutisch“) „den Schönheitssinn der Schüler wecken …” – so also geht man mit der Pubertät um!
Es folgen erhitzte Debatten, mit der immergleichen Frage: „Wie soll ich mich als Lehrer konkret verhalten, wenn dieses oder jenes passiert?” Antworten gibt es keine. Stattdessen entwirft der Dozent ein Diagramm der gesamten Menschheitsentwicklung mit Schwerpunkt Sexualität: aus dem ursprünglichen Zustand der Asexualität hat der Mensch sich in zwei Geschlechter getrennt. Das ist der Jetzt-Zustand. „Aber es gibt Hoffnung, denn in der Zukunft wird dieser Zustand überwunden werden und der Mensch sich wieder zu einem asexuellen Wesen entwickeln …” – oder sagt der Dozent „hermaphroditisch”? Auf jeden Fall führt er weiter aus: „Wenn Sie das so betrachten, dann werden Sie vielleicht gelassener mit der Aufgabe des harmonischen Miteinanders umgehen können, dieser riesigen Aufgabe entspannter gegenübertreten können.”
„Woher kommt der Ausdruck ‘substratum incarnatum’?”, fragt der Dozent. „Das hab’ ich grad’ erfunden!”, antwortet M. Es ist nicht das erste Mal, dass sich M. als Stehgreif-Anthroposoph versucht – erfolgreich!
Die Dozenten sind jedes Mal über die Tiefe seiner Geist-Schau überrascht … Ist das Ausdruck guter Laune? Nein. L. weiß, dass M. leidet: „Ich krieg hier Depressionen – die machen mich krank!” Am meisten macht ihm die Humorlosigkeit (für Humor steht in der Waldorf-Schule die Humorepoche zur Verfügung) zu schaffen, die endlose Wiederholung des immergleichen: es stellt sich tatsächlich so etwas wie Routine ein.
Gewöhnungseffekt – niemand sagt etwas, alles wird hingenommen. Natürlich auch, dass jedes Schulfach zu Anthroposophie wird. Selbst in den wissenschaftlichen Fächern findet man „Höhere Erkenntnisse“ Rudolf Steiners:
Ein letztes Mal quietscht die Kreide über die Tafel. Der Gastdozent steht bewundernd vor seiner vollendeten Unendlichkeitskonstruktion. Den Kreidestaub aus seiner Aura und seinem modischen Jackett klopfend, holt er nun zur Offenbarung letzter Wahrheiten aus: „Sie sehen, der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Erkenntnis des Unendlichen, des Göttlichen …“ Das Fach: Mathematik, genauer: „darstellende Geometrie“.
Im Fach „Himmelskunde“ hantiert ein anderer Gastdozent mit einer Antiquität: einer „Armillarsphäre“. Das ist ein Modell des geozentrischen Weltbildes, in dem die Erde Mittelpunkt des Universums ist. Er will den Schülern den Himmel auf „natürliche Weise“ nahe bringen, „so wie der Mensch ihn erlebt“. Warum? Der Gastdozent erläutert es mit einem Schiller-Zitat: „Es knüpft dein Zenit und Nadir dich an die Achse der Welt …“, „das bringt eine moralische Dimension“. Leider lösen Moral und Schiller bei den Seminaristen nur Erstaunen aus, deshalb erklärt er dasselbe noch einmal, diesmal zum Anfassen: „Das Zentrum der Welt ist in meinen Füßen, das Zentrum der Welt ist in meiner Haarspitze. Sie sind immer das Zentrum … ein erbauender Gedanke! Der Mensch, sein Ich, steht im Zentrum der Welt: Ich bin Gott …“
In der „Pflanzenkunde“ spricht man über den „Charakter von Pflanzen”, gute und böse Pflanzen. Ein Seminarist fragt: „Das werden Sie den Eltern doch nicht so sagen?!” Der Dozent Klein antwortet: „Nein, natürlich nicht!”
„Nichts wie raus hier!”, aus dem Arbeitsraum, dem Seminar – das ist der Reflex. Es werden immer mehr, die so empfinden. Gut, dass es das Praktikum in der Schule gibt: vier Wochen Auszeit!
Im Waldorfseminar hat L. nichts gelernt, was ihm bei seinem Praktikum in der Tischlerei der Waldorfschule im Märkischen Viertel Berlin helfen könnte. Aber er hat ja vor langer, langer Zeit einmal eine Tischlerlehre gemacht. Und das Wunder geschieht: Alle – Schüler und Lehrer – sind zufrieden. Und endlich klären ihn die Schüler auf, welche Qualifikation ein Waldorflehrer wirklich mitbringen muss: „Und reicht es nicht zum Straßenkehrer, dann werd’ ich eben Waldorflehrer!”
Fast alle Seminaristen sind von ihren Praktika begeistert: „Das war alles so, wie Steiner das befiehlt!” sagt eine Seminaristin. Keiner hat mehr Lust aufs Seminar: „Hier ist die Luft raus!”, kommt es unisono aus vielen Mündern. Das ist Grund für die Dozenten, den Unterrichtsablauf zu ändern: die „Allgemeine Menschenkunde” Rudolf Steiners wird jetzt von drei Dozenten gehalten – gleichzeitig, mit vereinten Kräften gegen die von Ahriman Besessenen (”Ahriman” ist das persische Pendant zu Luzifer, steht bei Steiner unter anderem für „Materialismus”).
Die Themen bleiben dieselben, aber der Tonfall verschärft sich: „Dafür zahlen wir Milliarden, um diese Wissenschaftler zu ernähren, die nichts tun, als Scheiße zu produzieren!”, formuliert Herr Gerber seine Kritik an den modernen Naturwissenschaften. „Wohl nur ein verbaler Ausrutscher!”, denkt L., aber schon ergänzt der Dozent: „Da steh’ ich voll dahinter!” Nicht immer sind die Dozenten so deutlich, Herr Klein sagt: „Kohlenstoff-Denken, das ist Leichnam-Denken, abstraktes Denken …”, das verstehe der Anthroposoph, wie er will.
In dem anthroposophischen Aufsatz „J. Robert Oppenheimer – Naturwissenschaft und Sünde im zwanzigsten Jahrhundert” heißt es, „dass die Elektrizität eine Naturkraft ist, die gleichzeitig moralische Qualität hat, nämlich die des objektiv Bösen, außerhalb der subjektiven Normen der Ethik. Ganz neue Begriffe sind da zu erobern … Es ist doch gar nicht denkbar, dass die Menschen, die fortwährend mit dieser Kraft umgehen, die im Vergleich zur Atomkraft ja noch harmlos ist, nicht in ihrer menschlichen Substanz affiziert werden von den antimoralischen Kräften des Bösen, die damit zusammenhängen.”
„Kann mal jemand schnell das Licht ausmachen, damit wir die neuen Begriffe erobern können?!”, denkt L., aber inzwischen hat er gelernt, an den wichtigen Stellen zu schweigen.
Im Seminar hört man das Wort „Gehirnwäsche”, aber nicht von L., und das wird belohnt: Aus heiterem Himmel bekommt er ein Stellenangebot. Unter der Hand. Normalerweise werden Stellenangebote für alle sichtbar am Aushang platziert, aber dieses wird ihm exklusiv vom Dozenten überreicht. „Danke! Ich lass’ es mir durch den Kopf gehen”, sagt L. artig, aber er weiß, dass seine Antwort „Nein” ist. Wieso ist sich L. da plötzlich so sicher? Wollte er denn nicht Lehrer werden? Doch, aber jetzt weiß er: nicht bei den Anthroposophen. Er hat etwas „Verbotenes” getan, eine Schrift Rudolf Steiners gelesen, die ausdrücklich dem „Eingeweihten” vorbehalten ist.
Einem Freund hatte er versucht, den Inhalt zu erklären: „Das Buch heißt ‘Aus der Akasha-Chronik’. Es ist die Geschichte der Menschheit, wie sie sich dem Eingeweihten zeigt. So eine Art ‘Evolutionsgeschichte’, nur dass der Eingeweihte auch in die Zukunft schauen kann. Die Menschheit entwickelt sich laut Steiner auf sieben Planeten. Von Planet zu Planet steigt das Menschengeschlecht höher in der Entwicklung. Dabei helfen ihm Führer, die selber schon auf einer höheren Entwicklungsstufe stehen. Es geht los auf dem Saturn, dann kommt die Sonne, der Mond und schließlich die Erde …” „Wieso Sonne und Mond – das sind doch keine Planeten?!” „Für den Esoteriker Steiner schon. Die Erde formt sich im nächsten Entwicklungsschritt in den Jupiter um, dann kommt die Venus und zuletzt der Vulkan. Sieben Planeten, und auf jedem Planeten durchleben die Menschen sieben mal sieben Entwicklungsstufen … Ja, ich weiß, das klingt nach Science Fiction … ich habe mich an die Perry Rhodan-Hefte erinnert, du weißt schon, diese Groschenromane.”
„Mich erinnert das Ganze an ein Video-Game, wo man immer das nächsthöhere Level erreichen muss!” „Ja, stimmt, das ist großartig, das trifft’s genau! Weißt du, das ist so platt, dass mir gar nichts mehr dazu einfällt – aber richtig übel ist, wie die Entwicklung abläuft, das ist nur noch bösartig …” und wird deshalb hier im Original wiedergegeben:
„Diese zweite Gruppe der Astralmenschen hat diese ihre höhere Fähigkeit aber nur dadurch erworben, dass sie einen Teil – die erste Gruppe – der astralischen Wesenheit von sich ausgeschieden und zu niedriger Arbeit verurteilt hat. Hätte sie die Kräfte in sich behalten, welche diese niedere Arbeit bewirken, so hätte sie selbst nicht höher steigen können. Man hat es hier also mit einem Vorgang zu tun, der darin besteht, dass sich etwas Höheres auf Kosten eines anderen entwickelt, das es aus sich ausscheidet.”
Dieselbe „These” wiederholt Steiner mehrmals, bis er schließlich zusammenfasst: „Man sieht, der Mensch steigt in ein höheres Reich auf, indem er einen Teil seiner Genossen hinabstößt in ein niederes. Diesen Vorgang werden wir auf den folgenden Entwicklungsstufen sich noch oft wiederholen sehen. Er entspricht einem Grundgesetz der Entwicklung.”
Schließlich stellt Steiner den Bezug zur Gegenwart her: „Man nennt sie in theosophischen Schriften die Lemurier. Nachdem diese durch verschiedene Entwicklungsstufen durchgegangen waren, kam der größte Teil in Verfall. Er wurde zu verkümmerten Menschen, deren Nachkommen heute noch als so genannte wilde Völker gewisse Teile der Erde bewohnen.”
L. fragt sich: „Wie war das mit den Indianern und den absterbenden Rassen? Und dem Blutbad in der sechsten Klasse?” Er weiß, für ihn steht die deutsche Standard-Ausrede: „Aber ich hab’ doch nichts davon gewusst!” nicht mehr zur Verfügung.
Ade Anthroposophie. Kein Wiedersehen in der Waldorf-Schule.
*Namen geändert
Der Text basiert auf Auszügen aus:
„Wundersame Waldorf-Pädagogik oder Atlantis als Bewusstseinszustand“
„Vom zweifelhaften Erfolg der Waldorf-Pädagogik“
Das “Seminar für Waldorfpädagogik Berlin” im ZDF, Frontal 21:
„Kritik an Waldorf-Lehrern – »Wir haben die meiste Zeit gesungen«“
Zur Ausbildung im Waldorfseminar „Freie Hochschule Stuttgart“: