The Pains of Being Pure At Heart, Dienstag, 22. Februar, 21.00 Uhr, MTC, Köln
Der Ruhrpilot
Umland: SPD kann Hamburg allein regieren…FAZ
Umland II: Hamburg hat verloren…F!XMBR
Afghanistan: Deutsche Soldaten müssen mit Gangstern zusammenarbeiten…WAZRecherche
Verkehr: Morgendlicher Berufsverkehr rollt ohne Warnstreiks…Welt
Immobilien: Börsengang der Evonik-Immobiliensparte ist vom Tisch…Reuters
NRW: Warum Schulen Rankings fürchten…RP Online
Guttenberg: Bochum statt Bayreuth…Achse des Guten
Guttenberg II: Akrobatischer Querdenker…Post von Horn
Bochum: CDU Perspektiven…Ruhr Nachrichten
Bochum II: Autonome Perspektiven…Bo Alternativ
Duisburg: Uni eröffnet Innenstadtfiliale…Der Westen
Duisburg II: 500 Jahre Mercator…Der Westen
Essen: OB Paß droht Schlappe im RWE-Aufsichtsrat…Der Westen
Dortmund: Kranker Amtsleiter Berten kandidiert…Ruhr Nachrichten
Gelsenkirchen: Zu Fuß nach Indien…Focus
Medien: Wer macht denn da Reklame?…Zoom
Computer: CCC bietet Bundestag Finanzierung von Adhocracy an…Netzpolitik
Ein Schnellschuss zur Hamburg-Wahl
Hamburg hat gewählt. Die SPD hat die Wahl gewonnen, die CDU hat verloren. Sozialdemokraten sprechen vom Rückenwind, den dieser Auftaktsieg ihnen für die folgenden sechs Landtagswahlen gäbe. Konservative betonen die spezifische Situation Hamburgs, die zu diesem Wahlergebnis geführt habe. So weit, so unspektakulär. Auch nach den nächsten Wahlen werden die Sieger allgemein gültige positive Signale erblicken, werden die Verlierer – so die Möglichkeit des Leugnens der Niederlage entfällt – die Besonderheiten des Einzelfalls für ihre schwierige Situation verantwortlich machen. So kennen wir es.
Deshalb ist Claudia Roths stetes Herausstreichen des Hamburgerischen bei dieser Hamburg-Wahl wesentlich aufschlussreicher als ihre Formel vom ersten Wahlziel (Stimmenanteil verbessern), das erreicht worden sei, und dem zweiten Wahlziel (absolute Mehrheit verhindern), das nicht erreicht werden konnte. Es ist nicht zu übersehen, dass die Grünen mit den zwei oder drei hinzugewonnenen Prozentpunkten deutlich hinter dem bundesweiten Umfragehoch zurückgeblieben sind, und dass sie sich mit ihrem Coup, Schwarz-Gelb ohne nachvollziehbare Begründung aufzukündigen, selbst aus der Bürgerschaft herausgekickt haben. Kürzer: die Grünen haben sich verzockt.
Die Christdemokraten hatten keine Chance – weder im Wahlkampf noch bei der Kommentierung des Wahlergebnisses. Wer seinen Stimmenanteil halbiert, kann nichts mehr beschönigen. Ihm bleibt nur, sich auf die örtlichen Besonderheiten zurückzuziehen. Vieles spricht dafür, dass die Konservativen mit dieser Interpretation näher an der Wahrheit liegen als diejenigen Sozialdemokraten, die bereits einen Trend auszumachen glauben machen wollen. Fairerweise ist anzumerken, dass die CDU ihre Hamburger Spezifika lauter in die Mikrofone bringt als die SPD den von ihr erhofften Trend.
Wenn sowohl der beliebte Spitzenmann als auch der ungeliebte Koalitionspartner überraschend von der Fahne gehen, wenn der neue Bürgermeister blass und kein anderer Koalitionär in Sicht ist, dann ist bei einer Wahl nichts zu gewinnen. Dass die CDU in Hamburg ein Desaster erlebt hat, wogegen sich die einzelnen Wahlschlappen der SPD in der zurückliegenden Serie beinah überschaubar darstellen, dürfte den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus dennoch zu denken geben. Dass eine konservative Partei an der Regierung den Leuten nicht mit einer Schulreform kommen darf, und dass es sich bei einer Zuwiderhandlung um einen Kardinalfehler handelt, weiß man dort bereits.
Nur: die Volksabstimmung gegen das Reformvorhaben richtete sich nicht nur gegen Schwarz und Grün, sondern auch gegen Rot und Rot. Niemand bezweifelt dieses angeführte eherne Gesetz; eine Erklärung für die erdrutschartigen Verluste bietet der Gesetzesbruch jedoch nicht. Allenfalls ist er als ein Mosaikstück eines allgemeinen Profilverlustes der (Hamburger) CDU zu betrachten. Dennoch: die Konjunktur im (CDU-geführten) Deutschland zieht an, die wirtschaftliche Situation im reichen Hamburg ist günstig. Wird dort die CDU als Regierungspartei dramatisch abgestraft, kann das Merkel nicht kalt lassen.
Dass die SPD die Wahl gewinnen würde, war seit dem Scheitern von Schwarz-Gelb klar. 40 Prozent prognostizierten die Institute seinerzeit. Seither stiegen die Werte kontinuierlich, bis es heute fast 50 Prozent geworden sind. Balsam für die seit Jahren in Wahlen geschundene sozialdemokratische Seele. So ganz dürfte das Wort vom „Trend“ nicht daneben liegen, weil die Ausgangssituationen für die SPD – vielleicht abgesehen von Sachsen-Anhalt – gar nicht schlecht sind. Durch den Hamburger Erdrutschsieg werden sie jedenfalls nicht schlechter. Insofern dürfte „Rückenwind“ hinkommen; „Trend“ gibt als Erklärung für den heutigen Erfolg dagegen nichts her.
Die Wahl gewonnen hat Olaf Scholz, was aus zwei Gründen bemerkenswert ist. Der erste: auch wenn niemand die Kompetenz des Politikers anzweifelt, hat doch sein oft als holzschnittartig empfundenes Auftreten den Verdacht begünstigt, mit ihm seien keine Wahlen zu gewinnen. Dieser Verdacht wurde heute mehr als widerlegt. Die Affäre um Guttenbergs gefälschte Doktorarbeit dürfte Scholz auf den letzten Metern noch reichlich Wähler zugetrieben haben. Wirkt er doch gleichsam als Prototyp eines Anti-Guttenberg. Statt pomadiger Blenderei solides Polit-Handwerk – dargeboten im Stil der guten, alten Zeit. Mitunter verspottet als Scholzomat.
Der zweite Grund für die besondere Aufmerksamkeit, die Scholz´ Sieg verdient: seine Präsentation der SPD als „wirtschaftsfreundlich“. Scholz ist nicht nur einer der Macher der Agenda 2010; er vertritt diese Politik auch nachdrücklich. Im Hamburger Wahlkampf ließ er keine Gelegenheit aus, sich als Sozialdemokrat in der Tradition von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu verkaufen. Damit hatte er, auch wenn er keineswegs über das Charisma der beiden Alt-Kanzler verfügt, Erfolg. Sehr großen Erfolg – vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen seiner an Langeweile grenzenden Nüchternheit, in der er sich von der Eloquenz Schmidts und Schröders für jeden sichtbar unterscheidet.
Die Hamburg-Wahl wird die politische Konstellation in der Bundesrepublik – nicht nur wegen des Bundesrats – deutlich verändern. Olaf Scholz´ Sieg wird nicht ohne Auswirkungen auf das innerparteiliche Spannungsfeld in der SPD bleiben. Sigmar Gabriel hat heute Abend bereits damit begonnen, den Kurs ein wenig nach rechts zu korrigieren. Der Druck in diese Richtung wird wegen Scholz´ Erfolg wachsen. Das magere Wahlergebnis der Linken gibt den entsprechenden Spielraum. Sechs Komma Nochwas sind für Hamburg ohnehin schon etwas wenig. Angesichts einer desavouierten GAL und einer „wirtschaftsfreundlichen“ SPD kann das Resultat die Linken nur enttäuschen.
Bei den anstehenden Wahlen in Westdeutschland liegt die Fünf-Prozent-Hürde hoch. Bei den Piraten dürften alle wahlpolitischen Träume endgültig geplatzt sein. Gegenwärtig ist keine Chance zu erkennen, dass die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen könnte. Dass die FDP mit einer Kandidatin, die sich im Wahlkampf der SPD als Koalitionspartner andient und mit einem ganz anderen Profil als die Westerwelle-Steuersenkungspartei antritt, in die Hamburger Bürgerschaft zurückkehrt, wird zu einem späteren Zeitpunkt gewiss mehr Beachtung finden als so kurz nach der Landtagswahl.
Edwyn Collins
Edwyn Collins, Montag, 21. Februar, 20.30 Uhr, Stadtgarten/Studi0672, Köln
Der Ruhrpilot
NRW: Bürgermeister von Volkes Gnaden…Welt
Festivals: Feiern statt Angst bei Bochum Total und Juicy Beats…Der Westen
Verkehr: Streikbereite Lokführer werben um Verständnis…Stern
WestLB: Das lange Warten geht weiter…Welt
Bochum: Kraft auf Kongress…Pottblog
Bochum II: Wenig Reserven für die Katastrophe…Der Westen
Dortmund: Räuber überfällt St. Pauli-Mannschaftshotel…Ruhr Nachrichten
Duisburg: DGB kritisiert Handel in Duisburg für Ladenöffnung auch am 1. Mai…Der Westen
NPD-Sites in NRW gehackt
Zum Anlass der Nazidemonstration in Dresden sind wohl mehrerer NPD-Seiten in NRW gehackt worden. Ein uns gerade zugeschickter Link zeigt die Seite der NPD-Mönchengladbach. Dort begrüßt Winston Churchill die Besucher. In Dresden eskaliert die Lage zur Zeit. Laut taz sind dort zur Zeit mehrere tausend Nazis unterwegs. Barrikaden sollen sie am demonstrieren hindern.
„Tag des Sieges“ auf dem Tahrir-Platz: es spricht der moderate islamische Rechtsgelehrte
Gestern, am Freitag, den 18. Februar 2011, versammelten sich abermals mehrere Hunderttausend Menschen in Kairo auf dem Platz der Befreiung, dem Tahrir-Platz. Die Ägypter feierten ihre Befreiung; sie begingen den „Tag des Sieges“ genau eine Woche nach diesem Sieg. Am Freitag, den 11. Februar 2011, hatte die Demokratiebewegung ihr vorrangiges Ziel erreicht. Husni Mubarak hatte die Segel gestrichen.
Ernüchterung sei eingetreten am „Tag des Sieges“. „Die Institutionen des alten Regimes und die Regierung fühlen sich jetzt wieder sicherer“, zitiert die FAZ einen der Organisatoren der Proteste. Die Euphorie des Sieges sei daher in den letzten Tagen verflogen. Gut also, dass der Prediger Yusuf al Qaradawi „die Bewegung in seiner Freitagspredigt auf dem Platz auf(rief), nicht aufzugeben und bis zum Sieg der Revolution durchzuhalten – sie sei noch nicht zu Ende.“ Yusuf al Qaradawi konnte auf Einladung der “Jugend der Revolution” (The Revolution’s Youth), die auch zu der gestrigen Großkundgebung aufgerufen hatte, das Freitagsgebet sprechen.
Die ARD-Tagesschau berichtete darüber folgendermaßen: „Heute Mittag hatte der bei vielen Ägyptern beliebte konservative Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi auf dem Tahrir-Platz das Freitagsgebet gehalten. Er forderte das Militär auf, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen. Bald, so hofft er, werde er auf dem Tempelberg in Jerusalem predigen. Dies ist als Provokation Israels gemeint. Wegen solcher Äußerungen hat er jahrelang nicht in Ägypten predigen dürfen.“ Das war´s; mehr erfahren wir nicht über den Geistlichen.
So wird ganz beiläufig Ägyptens Demokratiebewegung denunziert: „Provokation Israels“. Wodurch denn? Die Forderung, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben, wird doch nicht nur auf dem Tahrir-Platz erhoben, sondern auch von der gesamten westlichen Welt. Und der Gazastreifen wird nun einmal nicht nur von Israel, sondern auch – so ist die Geographie – von Ägypten abgeriegelt. Ist es da eine „Provokation“, wenn ein muslimischer Prediger fordert, dies zu beenden?
Oder dass al Qaradawi auf dem Tempelberg predigen möchte? Ja, Du lieber Himmel. Dort steht bekanntlich die al-Aqṣā-Moschee, in der (nicht nur) jeden Freitag gepredigt wird. So what? Was will uns Jörg Armbruster, der ARD-Korrespondent in Kairo, damit sagen? Oder damit, dass der Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi „konservativ“ sei. So etwas soll bei Klerikern vorkommen. Oder sind die US- Fernsehprediger etwa „progressiv“? – Also bitte!
Dass al-Qaradawi von der “Jugend der Revolution”, also den Facebook-Revolutionären eingeladen wurde, ließ Armbruster übrigens unerwähnt. Genau wie den Grund dafür, warum ausgerechnet dieser Prediger bei vielen Ägyptern so beliebt ist. In dieser Hinsicht wissen Spiegel-Leser mehr. Denn in der aktuellen Printausgabe des Nachrichtenmagazins findet sich ein ausführliches Porträt des ehrwürdigen Scheichs, das bislang jedoch nur in englischer Sprache online steht.
Yusuf al-Qaradawi ist ein respektierter Gelehrter, die prominente, namhafte, weltbekannte Stimme des sunnitischen Islam. Ein „globaler Mufti“ sozusagen, dessen Einfluss auf die Sunniten – übrigens auch in Deutschland – gar nicht überschätzt werden kann. Schon seit fünfzehn Jahren läuft jeden Sonntag auf al-Dschasira seine Sendung „Scharia und Leben“ mit etwa 60 (sechzig!) Millionen Zuschauern.
Auf solche Informationen wartet der deutsche Fernsehzuschauer jedoch vergebens. Wir hören, der Imam sei „konservativ“. Wir erfahren aber nicht, dass er sich „den Ruf eines Moderaten“ erworben hat. Weil auf korrektes Zitieren zur Zeit besonders viel Wert gelegt wird: Alexander Smoltczyk, Jussuf und seine Brüder, „Der Spiegel“ 7 / 2011 vom 14.2.11, S. 84 f. Qaradawi plädiert für „die Toleranz gegenüber Andersgläubigen und verurteilt die Anschläge der Qaida“.
Doch auch dies erwähnt Jörg Armbruster mit keiner Silbe. Stattdessen erweckt er in der Tagesschau den Eindruck, dass sich Israel völlig zurecht provoziert fühle. Kein Wort darüber, dass sich der Scheich „auch gegen die systematische Züchtigung von Ehefrauen (ausspricht). Dumm sei so etwas“.
„Auch wir sind modern“, sagte er in einem Spiegel-Gespräch, weil „wir auch von den großen Erfindungen des Westens, von der Revolution des Informationszeitalters profitieren.“ Der Spiegel, das ist schon etwas ganz Anderes als die Tagesschau. Noch einmal ein ganzes Stück seriöser ist freilich Die Zeit. Sie stellte uns bereits 2002 den muslimischen Top-Gelehrten mit dem Aufsatz „Globalisierung auf islamisch“ auf vorbildliche, weil objektive Art und Weise vor. Nämlich so:
„Er predigt die Rückbesinnung auf den Islam: Nur so könnten die Muslime den ihnen in der Welt zustehenden Platz wiedererlangen. Die Bücher des Scheichs sind Bestseller, seine Seiten im Netz die wohl am meisten besuchten in arabischer Sprache. Der gebürtige Ägypter, der an der berühmten Azhar-Universität in Kairo studiert hat, lebt heute in Doha, der Hauptstadt Qatars. Auch in Deutschland ist der Gelehrte ein häufiger Gast bei Großveranstaltungen der Muslime. Die Themen: Fragen des Lebens, der Moral und, nicht zuletzt, der Politik. Sein Wort ist für viele Muslime Gesetz.“
Oder wir sehen nach bei Wikipedia: „al-Qaradawi kann als eine der obersten zeitgenössischen Autoritäten im sunnitischen Islam betrachtet werden und gilt in der islamischen Welt als wichtige moralische Instanz.“ Der heute 84-jährige Präsident der „Internationalen Vereinigung Muslimischer Rechtsgelehrter“ (IAMS) und des Europäischen Rats für Fatwa und Forschung ist „gegen Angriffe auf Homosexuelle“, wie er dem Londoner Labour-Linken Livingstone versichern konnte.
Für diese „geschlechtliche Abartigkeit“ (al-Qaradawi) setzt es 100 Peitschenhiebe, dekretiert der Großmufti, womit er die Scharia zweifelsfrei recht moderat auslegt, wenn man bedenkt, dass dafür andernorts die Todesstrafe fällig ist. Die Todesstrafe hält al-Qaradawi bei außerehelichem Geschlechtsverkehr für angemessen. Unattraktiv für Berlusconi, wenn außerehelicher Verkehr doch nicht besser ist, als schwul zu sein. Selbst Prostituierten ist mit läppischen 100 Peitschenhieben die Barmherzigkeit des beliebten Fernsehpredigers sicher.
Na klar, Schwule und Huren erhalten im Falle der Rückfälligkeit noch einmal eine Tracht Prügel. Aber das ist immer noch besser als die Todesstrafe. Irgendwann werden die Peitschenhiebe schon die erhoffte Wirkung erzielen, vermutlich bei den Huren früher als bei den Schwulen. Letzteren dürfte aber ein höheres Maß an Diskretion und gesellschaftlicher Anpassung durchaus helfen können. Und, wie gesagt, wenn es doch einmal sittlichen Ärger geben sollte, hat ein Scharia-Richter das gottgefällige Urteil zu sprechen – und nicht der erzürnte Pöbel.
Die ägyptische Muslimbruderschaft hatte al-Qaradawi im Jahr 2002 gebeten, sie zu führen, was er ablehnte, weil ihn diese Funktion zu stark einschränken würde. Inzwischen dürfte er auch für die Übernahme einer solch verantwortungsvollen Position zu alt geworden sein. Selbst seine Vortragsreisen nach Deutschland werden allmählich seltener. Dabei hat der Fernsehstar auch hierzulande eine Vielzahl von Fans. Wie auch immer: jetzt wird al-Qaradawi in Ägypten, seiner Heimat, gebraucht. Und als Prediger auf dem Tahrir-Platz nützt er der Bewegung gewiss genauso viel wie als als politischer Führer der Muslimbruderschaft.
Oder nützlicher. Die Muslimbruderschaft wird jetzt auch offiziell zur Partei, und Partei kommt vom lateinischen pars (Teil), ist also nur ein Teil der Bewegung. Besser ist es, sich von dem breiten Bündnis der “Jugend der Revolution” einladen zu lassen. Und da die Generation Facebook sich schwer tut mit den Auffassungen des älteren Herrn zur Sexualmoral, ein aus dem christlichen Abendland nur allzu bekanntes Phänomen, stellt al-Qaradawi dieses Trennende (vorläufig) ein wenig zurück und konzentriert sich auf das ihn mit der Jugend Einende.
„Die Revolution muss weitergehen“, sagte er gestern auf dem Tahrir-Platz. Ob mit oder gegen die ägyptischen Militärs. Der Gazastreifen muss geöffnet, der Blick nach Jerusalem gerichtet werden. Es geht schließlich um die „Befreiung Palästinas“, wie in Tunesien, so auch in Ägypten. Dies wollen nicht nur die Alten und die Frommen, sondern auch die Jungen und die Revolutionären. Sonst hätten sie diesen alten Hetzer nicht die Predigt zum „Tag des Sieges“ halten lassen.
“Die ganze Geschichte hat Gott Leute gesandt, um sie für ihre Verkommenheit zu bestrafen. Die letzte Bestrafung ist von Hitler ausgeführt worden“, predigte al-Qaradawi vor zwei Jahren auf al-Dschasira. Sie, das sind die Juden, die er zu „Feinden Gottes“ erklärt. Yusuf al Qaradawi stimmt die Muslime auf einen neuerlichen Holocaust schon einmal ein: „So Gott will, wird das nächste Mal diese Strafe Gottes durch die Hand der Gläubigen erfolgen.“
Auch Frauen und Kinder sind keineswegs von der „Strafe Gottes“ auszuschließen, so al-Qaradawi. Selbst das im Islam strenge Suizidverbot hat der islamische Rechtsgelehrte für den Kampf gegen Israel außer Kraft gesetzt. Zum Märtyrertod darf die Muslima erforderlichenfalls sogar ohne Kopftuch antreten.
Gutes Copy, schlechtes Copy
Da haben wir sie endlich: Die Urheberrechtsdebatte. Endlich wird auch Konservativen vor Augen geführt, was „Geistiges Eigentum“ (Achtung: Kampfbegriff!) im digitalen Zeitalter alles bedeuten kann und wie viele Aspekte und Ebenen hierbei zu beachten sind. Zynisch betrachtet, hatten die Konservativen damit bisher ja nur dahingehend zu tun, dass sie darüber beraten mussten, ob man „Raubkkopierern“ das Internet kappen soll, es der Verwerterindustrie leichter machen, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen – oder ob man doch gleich Netzsperren gegen den „Ideenklau“ im „rechtsfreien Raum Internet“ einrichten sollte.
Das ist nun mit einem Schlag anders geworden. Nicht, weil es Plagiate erst seit Google gibt. Sondern durch die falschen Vergleiche mit Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“, die von unzähligen Menschen vehement zurückgewiesen wurden. Nämlich von solchen, die irgendwann in ihrem Leben mal viel Mühe in eine wissenschaftliche Arbeit gesteckt haben.
Vor einem Jahr, als die Feuilletons eher hilflos mit Helene Hegemans Copy & Paste aus Weblogs umgehen mussten, dominierte die Sichtweise „so macht die Internetgeneration das eben“. In der taz wurde Hegemanns Copy & Paste zum Beispiel mit einer Aktion „ich habe abgeschrieben“ aufgegriffen. Dass aus der Hegemann-Debatte nicht so viel produktives herauskam, liegt vielleicht auch an der Behäbigkeit, der Holzmedienhaftigkeit, die in vielen Feuilletons bzw. Kulturredaktionen im Vergleich zu anderen Ressorts wohl besonders stark verbreitet ist.
Alles nicht so schlimm, sagte man damals auch. Das Mädel ist doch erst 17, und sie ist eben in ein paar Blogs gesurft und hat sich da „inspirieren“ lassen. Das haben Künstler doch schon immer so gemacht. Und das ist auch gar nicht schlimm.
Geht es einem ausschließlich um die Fakten, die Wahrheit in der Welt, und nicht um die monetäre Verwertung des produzierten Wissens, dann ist das genau richtig. Copy & Paste in der Wissenschaft – unabhängig davon, dass es der Verteidigungsminister dieses Landes war – ist gravierender. Denn hier geht um die Wahrheit. Eine wissenschaftliche Arbeit ist kein Roman. Wissenschaftliche Arbeit baut auf wissenschaftlicher Arbeit von anderen auf. Isaac Newton wird der Spruch
„If I have seen further it is only by standing on the shoulders of giants“
zugeschrieben, in Wirklichkeit ist das Gleichnis aber älter. (Danke @schillingst für das Zitat und Goldbach für die Präzisierung zu möglichen Urhebern).
Hätten die Riesen, auf denen „Newton“ sein Wissen aufbaute, bei ihrer Arbeit geschlampt, dann wäre der Turm aus Riesen, von dem aus er so weit sehen konnte, ganz schnell zusammengebrochen. Schlampige Riesen können weniger tragen. Und wenn alle so arbeiten würden wie Guttenberg, dann würde die Wahrheit untergehen. Was im konkreten Fall noch hinzukommt: Rezipienten der Guttenberg’schen Doktorarbeit hatten sogar ein zusätzliches „Trust-Siegel“, nämlich die Note „Summa cum Laude“, mit der die Doktorarbeit bewertet wurde.
Vor allem in Zeiten des digitalen Meers mit unendlich vielen Informationen sind Inseln des Vertrauens unbedingt nötig. In digitalen Zeiten werden Quellen wichtiger, nicht unwichtiger. Das Gerede von der Copy & Paste Generation, „die das eben so macht“, ist im Wissenschaftskontext (genauso bei „Journalismus“) nicht gerade von Klugheit geprägt.
So auch der Artikel von Ulf Poschardt, der Guttenberg mit dem Argument des „Samplings“ verteidigt („Sampling – eine Kulturtechnik, die zu Guttenberg passt“). Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens
„Der Jay-Z der bürgerlichen Politik: Beim jüngeren Publikum wird die Erregung über Guttenbergs Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu perfektionieren“
Bei jüngeren Menschen wie mir und auch bei den jungen Menschen von Dradio Wissen (Audiobeitrag zum „Orden wider den tierischen Ernst, u.a. mit von Rüttgers „geklauten“ Karnevalswitzen) kommt die Kopiererei im Wissenschaftskontext nicht so gut an. Und auch Andreas Popp, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, differenziert in dem Beitrag „Warum Guttenberg kein Pirat ist“ den Knackpunkt genüsslich auseinander.
„Ohne Zitation hat sich Guttenberg einer Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht. Da wir Piraten das Urheberrecht ja eh blöd finden, sollten wir Guttenbergs Aktion dann nicht gut finden? Die Antwort lautet hier: Nein! (…) Das, was Guttenberg hier getan hat, hat nichts mit Filesharing zu tun und auch nichts mit dem gewünschten akademischen »Remix«, es ist schlicht und ergreifend Betrug“
Popp schreibt in seinem Beitrag auch sehr genau auf, dass ein Unterschied zwischen privater Nutzung und einer Veröffentlichung besteht. Man könnte als Pirat oder anderswo auch nochmal auf die inzwischen doch recht verbreitete Kultur Freier Lizenzen hinweisen, die in den meisten Fällen eine Nennung von Urhebern fordert. Wie schrieben die Kollegen weiland so schön im „Internet Manifest“
13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.
„Das Urheberrecht ist ein Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet“
Also, liebe Konservativen! Liebe Holz-Feuilletons! (und liebe Grünen: „Gutt kopiert“ – *ähem* *hust*). Mal nicht immer so auf dieses Internet schimpfen. Und nicht immer so falsche Vergleiche ziehen – in diesem Internet gibt es ganz viele, die Zitate wichtig finden. Und bei wissenschaftlichem Arbeiten (und übrigens auch bei „Journalismus“) doppelt gern!
Ohne sichere, vertrauenswürdige Quellen keine Wahrheit. Wo kämen wir denn hin, wenn die im weltweiten Informationsmeer Schiffbruch erlitte.
Periphery
Periphery, Sonntag, 20. Februar, 20.00 Uhr, Underground, Köln
Der Ruhrpilot
Loveparade: 3,50 Meter hoch, klassisch…Spiegel
NRW: Studiengebühr in NRW fällt…Süddeutsche
Verkehr: Land stoppt Autobahn-Bau im Revier…RP Online
Bochum: Dieter Gorny ist Träger der Bierkutschermütze…Pottblog
Dortmund: Rat winkt weiteren Steag-Kauf durch…Der Westen
Duisburg: Entscheidung über Krieger-Möbelhaus wohl erst in einem Jahr…Der Westen
Herne: Eine Bürgermeisterin, zwei Wohnsitze, eine Intrige…WAZ Rechercheblog
Umland: Schiefergas – es regt sich Widerstand…Zoom
Guttenberg: »Wir haben abgeschrieben!«…Literturcafé
Nazis: Von der Schwierigkeit zu mailen. NPD verschickt Mitgliederliste per Email…WAZ Rechercheblog
Nazis II: NPD verbreitet Raubkopie von Sarrazin-Buch per Email. Klage droht.WAZ Rechercheblog