„Wir sind nicht kriminell“ – Prostituierte demonstrieren für Erhalt des Dortmunder Straßenstrichs

Foto: Barbara Underberg

Fröhlich, bunt und laut haben sie demonstriert. Etwa sechzig Prostituierte und mindestens gleich viele Journalisten, Fotografen, Parteienvertreter, Vertreterinnen der Prostituiertenberatungsstellen und wohl auch einige „Kunden“, so hieß es, liefen von der Dortmunder Nordstadt bis zum Rathaus. Mit Sprechchören wie „Wir lassen uns nicht vertreiben, der Straßenstrich muss bleiben“, Transparenten und Schildern, auf denen steht „Wir sind nicht kriminell“, wollen sie die Schließung des Straßenstrichs verhindern.

Das dürfte schwierig werden, da die CDU und große Teile der SPD sich einig sind, bei der nächsten Ratssitzung am 31. März das rasche Ende des Straßenstrichs an der Ravensberger Straße zu beschließen. Seit Monaten gibt es viel Wirbel um die Nordstadt – zunehmende Kriminalität, vermüllte Häuser, ständiger Freiersuchverkehr und genervte Anwohner füllen die Tageszeitungen.

Foto: Iris Wolf

Die Demonstration der Prostituierten war perfekt organisiert. Viele hatten laminierte Schilder um den Hals, um ihr Anliegen auf den Punkt zu bringen: „Ich bin Prostituierte. Ich bin kein Opfer und will keins werden“, „Ich bin Prostituierte. Das ist eine anerkannte Berufsausübung“ und „Die Polizei soll mich schützen, nicht jagen“. Die Rede von Dany, die seit fünf Jahren auf dem Straßenstrich arbeitet, hat jemand stellvertretend vor dem Rathaus verlesen. Wörtlich: „Wir haben Angst um unsere Arbeitsplätze und möchten nicht wieder in andere Gebiete ‚auswandern’, in denen wir wieder ohne Sicherheitsanlagen ungeschützt vor gewaltbereiten Kunden und Schutzgelderpressern arbeiten müssen.“ Die Probleme der Nordstadt würden durch die Schließung des Straßenstrichs nur verlagert und verschlimmert. Und weiter: „Wir fordern einen anderen Ansatz zur Lösung dieser Probleme, z.B. Unterstützung zur Integration.“

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Rainer Brüderle: Endlich sagt mal einer die Wahrheit

Rainer Brüderle (FDP) - Bild: Mathias Schindler at de.wikipedia

Au Backe! Das gibt wieder Ärger. Richtig Ärger. Allein schon, was das für eine Presse geben wird! Ach, was heißt „wird“? Im Internet und im Radio geht es doch jetzt schon los. Aber klar: am wichtigsten sind die Abendnachrichten im Fernsehen und die großen Zeitungen morgen früh. Hoffentlich reißt sich die Bildzeitung ein wenig zusammen.

Das ist aber auch gemein. Zehn Tage ist das jetzt nämlich schon her. Montag vor acht Tagen, also am 14. März, traf sich der Wirtschaftsminister – Marke Aufschwung XXL – Brüderle mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft, und jetzt – also drei Tage vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, kommt die Süddeutsche Zeitung mit dem Protokoll heraus. Die Einleitung sagt schon alles:

Deutsche Kernkraftwerke gehen aus taktischen Gründen vom Netz: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat nach SZ-Informationen vor der Spitze der deutschen Industrie gesagt, dass die anstehenden Landtagswahlen der Grund für den plötzlichen Sinneswandel der Regierung in der Atompolitik sind. Entscheidungen seien da „nicht immer ganz rational“.

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Abseits der Kreativwirtschaft: Skribble Gebibble

Ein teures Gemälde, sicher verstaut an einer weißen Wand hinter einer Absperrung und ein hoher Eintrittspreis um es sehen zu dürfen – so erleben viele Bürger Kunst. Vor allem im Ruhrgebiet. Daran haben weder Kreativwirtschaft und Neubauten noch Herbert Grönemeyer und Höhenfeuerwerke etwas ändern können. Das Kunst auch anders geht, selbstgemacht, unkommerziell und unter Missachtung jeglicher Etikette, zeigt der junge Essener Verein Skribble Gebibble, der am Freitag sein zweijähriges Bestehen feiert. Von unserem Gastautor Felix Möser

Die Kunst- und Veranstaltungsgruppe, die sich hinter dem etwas gewöhnungsbedürftigen Namen verbirgt, besteht ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeitern, keiner von ihnen ist über 30. In ihrer Freizeit, ohne Fördergelder oder Mitgliedsbeiträge, haben sie einen vitalen und vielseitigen Verein aufgebaut, stemmen jeden Monat mehrere Veranstaltungen und  sprengen dabei sowohl die Konventionen der Partyszene als auch die der Kunstszene.

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Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: Röntgenblick ins Revier…Der Westen

Ruhrgebiet II: Revier leidet weiter unter Imageproblem…Ruhr Nachrichten

Ruhrgebiet III: Unzufrieden mit der Politik…RP Online

Ruhrgebiet IV: (Sub)Kultur als Standortfaktor…Willbee

Bochum: Mark Terkessidis über „Interkultur“…Bo Alternativ

Bochum II: Professorin aus Bochum bleibt trotz Bombenangriffen in Libyen…Der Westen

Bochum III: Tana Schanzara soll würdiges Andenken bekommen…Der Westen

Essen: Stadtwerke kündigen Gasverträge mit Teldafax…Der Westen

Dortmund: SPD Dortmund will mehr Transparenz…Der Westen

Dortmund II: Peter Jordan am Theater…Spiegel

Umland: Kreuzberg schafft sich ab…Jungle World

Debatte: German Angst…Prospero

Apple: iPad 2 in Deutschland…Pottblog

„Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig“ (Nestroy) – Eine Geistesabwesenheit

„Die Gewinne der größten deutschen Konzerne sind im vergangenen Jahr stark gestiegen – die Zahl der Arbeitsplätze blieb dagegen fast konstant. Vor Steuern und Abschreibungen verdienten die 30 Konzerne des Deutschen Aktienindex 2010 insgesamt 96,6 Milliarden Euro. (…)“ Armes reiches Deutschland. Gestern auf Spiegel-Online.

Unter diesen Konzernen auch Deutsche Telekom, RWE (siehe Diskussion um Städtebeteiligungen und Atomgeschäfte hier) und natürlich Deutsche Bank (siehe Nachrichten von gestern und kommunale Pleiten auch durch Wettspekulationen/Zockergeschäfte).
Die Gewinnsumme läge, so SPIEGEL-Online weiter, „66 Prozent über jener in der Wirtschaftskrise 2009. (…) im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 seien die Gewinne 2010 um 22 Prozent gestiegen.“

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„Wir alle tragen das Böse in uns“

© Foto: Guido Krzikowski

Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein, heißt es bei Nietzsche. Stimmt das überhaupt? Im Ruhrbarone-Interview spricht Josef Wilfling, langjähriger Leiter der Münchner Mordkommission, über menschliche Abgründe, die Beziehung zwischen Täter und Ermittler und über die Frage, ob er selbst zum Mörder werden könnte.

Herr Wilfling, als Mordermittler der Kriminalpolizei München wurden Sie über 20 Jahre lang tagtäglich mit den Abgründen der menschlichen Natur konfrontiert. Hat sich Ihr Menschenbild dadurch verändert?

Das bleibt nicht aus, wenn einem immer wieder vor Augen geführt wird, was Menschen anderen Menschen antun können. Nach und nach habe ich die nüchterne Einsicht gewonnen, dass wir Böse und Gut zugleich sind. Wir alle tragen das Böse in uns, deshalb müssen wir es fortwährend bekämpfen. Es kommt darauf an, das uns innewohnende Vermögen zu lügen, zu betrügen oder gar zu ermorden in Zaum zu halten. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder von uns zum Mörder werden kann.

Gilt das auch für Sie?

Ich kann für mich ausschließen, dass ich einen Menschen aus Habgier oder aus Wollust ermorden würde. Ausschließen kann ich aber nicht, dass auch mich die Emotionen irgendwann einmal überwältigen könnten, wenn ich in die entsprechende Situation hineingeraten und bis aufs Blut gereizt werden würde. Erfahrungsgemäß bricht es schneller aus einem hervor als man gemeinhin annimmt.

Aus welchem Grund bricht „es“ aus manchen von uns hervor?

Ein Beispiel: Der brave Ehemann kommt nach Hause, ertappt seine Frau mit einem anderen und wird dann auch noch von beiden beschimpft – schon ist es geschehen. Er wird zum Täter und sitzt am nächsten Tag bei der Mordkommission zum Verhör.

Was ist das häufigste Mordmotiv?

Habgier. Danach kommen die niedrigen Beweggründe, also alles, was uns an Emotionen in die Wiege gelegt wurde: Eifersucht, Hass, Rache. All das kann uns von heute auf morgen zum Täter werden lassen.

In Fritz Langs legendären Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ sagt der Mordermittler in Bezug auf sein Klientel…

… „Ich erkenne meine Schweine am Gang.“ Ich schätze den Film sehr, nur: 99 Prozent der Täter, mit denen ich zu tun hatte, waren Menschen wie du und ich. Den Mörder gibt es nicht. Das Böse geht durch alle Schichten. Egal ob intelligent oder dumm, dick oder dünn, reich oder arm – es kann jeden treffen, weil alle Menschen von Emotionen gesteuert werden. Das Böse ist in den meisten Fällen immer auch ein Sieg der Gefühle über den Verstand.

Die Erkenntnisse der Hirnforschung legen den Schluss nahe, dass es keine Schuld geben kann, da alles, so auch das Böse, gehirnphysiologisch determiniert ist. Demnach wäre es dem Menschen nicht möglich, Herr seiner Gefühle zu sein.

Man kann das Individuum nicht von seiner Pflicht verantwortlich zu handeln entbinden. Es wäre schlimm, wenn irgendwelche neurobiologische Vorgänge in irgendwelchen Hirnwindungen darüber bestimmen würden, ob wir zum Mörder werden oder nicht.

Was also nicht sein darf, kann auch nicht sein?

Nein, der Mensch hat einen freien Willen, er kann sich entscheiden! Dieser von Gott – oder der Natur – gegebene freie Wille versetzt uns in die Lage, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Es sei denn, man ist krank und kann infolgedessen diese Unterscheidung nicht treffen. Jeder Gesunde aber muss die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Das Vermögen, unsere Gefühle zu beherrschen zeichnet uns aus. Es unterscheidet uns von Tieren.

„Es soll in unserer Galaxie hundert Milliarden solcher Sonnensysteme wie unseres geben und wiederum hundert Milliarden solcher Galaxien. Und das soll nur zehn Prozent des Universums ausmachen, dazwischen ist es leer und kalt. Wenn Sie sich das nur zwei Sekunden lang vorstellen, ist alles, was wir tun, völlig unbedeutend“, hat der Strafverteidiger und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach kürzlich in einem Interview gesagt. Warum sollten wir, inmitten dieses unvorstellbaren bedeutungslosen kosmischen Nichts, überhaupt irgendwelche Gesetze befolgen?

Weil es uns sonst gar nicht gäbe! Der Kosmos mag noch so gewaltig sein, wenn wir nicht unsere Gesetze befolgen würden, hätten wir uns schon längst umgebracht und ausgelöscht. Außerdem ist es unsere verdammte Pflicht, in dieser Welt, in der es offenkundig alles andere als gerecht zugeht, nicht auch noch Leid hinzuzufügen. Die Notwendigkeit für Recht und Gesetz ergibt sich aus den scheußlichen Morden, die ich aufzuklären hatte. Der nur schwer zu ertragende Anblick von grausam hingerichteten Menschen ist Grund genug, dass wir stets nach der goldenen Regel handeln sollten.

Haben Sie eine Erklärung dafür, aus welchem Grund so viele ansonsten durch und durch friedlich Bürger geradezu süchtig sind nach blutrünstigen Krimis und Thrillers?

Vielleicht stellt diese Vorliebe einen notwendigen Kontrapunkt zu unserem ansonsten eher langweiligen demokratischen Alltag dar. Für viele ist es ein schaurig-schönes Gefühl in Abgründe hineinzuschauen, ohne selbst davon betroffen zu sein. Dabei spielt sicherlich Neugier eine große Rolle. Wenn der Leser aber nur einmal an einem echten Tatort mit echten Leichen stehen würde – von der Faszination würde nichts mehr übrig bleiben. Dass einzige, was man dann spürt ist Fassungslosigkeit, Mitleid mit den Opfern und nicht zuletzt auch Wut auf den Täter.

In Ihrem Buch „Abgründe“ beschreiben Sie, dass die Beziehung zwischen Täter und Mordermittler in der Verhörsituation außerordentlich komplex ist. Sie beschreiben zum Beispiel, dass manche Täter nur deshalb gestehen, um ihnen gewissermaßen ein Geschenk zu machen.

Es kommt durchaus vor, dass der Mordermittler aus der Sicht des Täters eine Art Vaterrolle einnimmt. Ein Serienmörder zum Beispiel hat mir nach Monaten des Verhörs seine Tat gestanden, um länger in meiner Gegenwart sein zu können. Die Chemie zwischen Täter und Ermittler muss stimmen. Dabei habe ich oftmals auch schauspielern müssen und mich dem jeweiligen Tätertypus angepasst. Für den Ermittlungserfolg ist das unverzichtbar.

Inwiefern?

Im Verhör mit einem Täter, der seinen Ehepartner übertötet hat, biete ich mich als Beichtinstanz an. Viele dieser Täter können mit ihrer Schuld nicht leben und werden früher oder später versuchen, sich ihre Tat von der Seele zu reden. In diesen Fällen muss ich emphatisch sein. Wenn ich aber einen eiskalten Mörder verhöre, muss ich mich anders verhalten. Bei diesem Typus kann zum Beispiel ich nicht an dessen Gewissen appellieren. Er hat nämlich keins.

Zum Abschluss noch eine Frage, die man sich nach der Lektüre Ihres Buches zwangsläufig stellt. Hatten Sie im Laufe Ihrer Karriere nie Angst, dass Ihnen ein Täter, den Sie überführt haben, nach seiner Freilassung auflauert?

Es gibt schon sehr gefährliche Täter, die ich hinter Schloss und Riegel gebracht habe und die mittlerweile ihre Strafe abgesessen haben. Ich verhehle nicht, dass ich denen lieber nicht alleine nachts im Park begegnen möchte. Aber die sind ja auch nicht dumm und wissen, dass man schnell auf sie als Täter kommen würde – falls sie den Angriff auf mich überhaupt überleben würden.

Datteln IV: Abstand ist kein rechtliches Hinderniss

Datteln IV Foto: Robin "Bibo" Patzwaldt

Zwei von der Stadt Dattel in Auftrag gegebene Gutachten werden die Diskussion um das Kraftwerk Datteln IV anheizen. Ihr Fazit: Das umstrittene Kohlekraftwerk kann gebaut werden.

„Die Ergebnisse des Gutachtes könne wie folgt zusammengefasst werden: Im Hinblick auf den Aspekt „Abstand“ bestehen keine rechtlichen Hindernisse, die einer Bauleitplanung für die Realisierung des Kohlekraftwerks am Standort „Löringhof“ von vornherein entgegenstehen.“ Das ist das Fazit des Gutachtens dass die Stadt Datteln bei dem Juristen Professor Dr. Michael Uechtritz in Auftrag gegeben hat. Uechtritz kommt in seiner Arbeit zu dem Schluss, dass „wenn im Zuge eines neuen Planverfahrens eine vollständige und zutreffende Ermittlung und Bewertung aller für die Planung erheblichen Umstände erfolgt.“ Das, so das Gutachten, bezieht sich auch auf die „schützenswerten Gebiete – wie die Meistersiedlung inunmittelbarer Nachbarschaft zum Kraftwerk.

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