Wer über die Zeit des Nationalsozialismus spricht, dem hört man zu? Im Anschluss an die Lesung und Diskussion mit Enno Stahl und Carsten Marc Pfeffer kam es zu Irritationen. Unter dem Titel „Heimat & Weltall“ trafen sich die beiden Autoren auf Einladung der Literarischen Gesellschaft Bochum im Rottstr5-Theater. Ein Besucher der Lesung und der Autor Enno Stahl empfanden die von Stahl geäußerten Sachverhalte als unzutreffend und missverständlich im Artikel zur Lesung wiedergegeben. Daher erhielt Enno Stahl die Möglichkeit, noch einmal dezidiert zu den strittigen Fragen Stellung zu nehmen. Herausgekommen ist ein Interview mit durchaus streitbaren Thesen.
Weshalb haben Sie mit dem Schreiben begonnen?
Weil ich musste.
Was ist Ihre größte Motivation auch nach Jahren noch immer als Autor tätig zu sein?
Dass ich muss. Und zwar der guten, alten Aufklärung wegen.
Wie würden Sie Ihre literarische Arbeit beschreiben? Wie gehen Sie vor?
Oft ist da nur ein guter Titel. Und ein übergreifendes Erkenntnisinteresse: Medien, soziale Herkunft, urbanes Leben. Dann schält in Bildern und Sequenzen eine Geschichte heraus. Diese versuche ich, durch Material und Quellenrecherchen zu untermauern, d.h. ich versuche damit, Bereiche zu verstehen und darzustellen, die ich nicht aus eigner Anschauung kenne, um die Sache möglichst realistisch und plausibel zu gestalten. Als Letztes kristallisieren sich über zahlreiche Überarbeitungsprozesse Stil und Form des Buches heraus: die Perspektive, die Erzählweise, der Ton. Jedes meiner Bücher verlangt einen eigenen, einen anderen Ton. Deshalb wirken sie bisweilen recht unterschiedlich.
Geht es Ihnen beim Schreiben auch darum, alte literarische Formen aufzubrechen? Wenn ja, welche und inwiefern?
Das vordergründige Aufbrechen tradierter Formen bestimmte die erste Phase meiner Arbeit, so war ich, denke ich, einer der ersten deutschen Spoken-Word-Autoren, das heißt, versuchte, das Medium Lesung weg zu bringen von dieser Wasserglas-und-Blumenstrauß-Ästhetik, vielmehr Intensitäten zu erzeugen, Bewegung und körperliche Action auf der Bühne, wie wir das in den Achtziger Jahren von den Independent-Bands kannten. Auch speiste ich Kunst- und Performance-Elemente ein, zelebrierte LAUT!gedichte mit verzerrter Gitarre oder Schrott-Drums. In meinen Texten, insbesondere den Erzählungen des Bandes „Trash me!“ provozierte ich den Betrieb, indem ich das Ideal hehrer Dichtung decouvrierte, nurmehr das Alltäglichste zum Material meiner Literatur machte (der Lektor eine der größten deutschen Verlage, heute dessen Leiter, sagte: „Das ist gegen den Betrieb geschrieben!“, wurde also verstanden). Gleichzeitig aber „experimentierte“ ich – in der (Anti-)Tradition der Wiener Gruppe – mit fragmenthaften Formen („Die Affenmaschine“, 1988; „Firenze Geometrica“, 1989; „Entropics 1990“, 1991) oder mit parallelen Handlungsschienen („piratebrut!, 1994; „Stete Geburten, Novelle“, 1994). Später, als auch solche Formen der Aufbrüche allzu beliebig wurden, weil fast jeder so was machte, selbst das Establishment, kam ich zu konzentrierteren Erzählformen. Auch deshalb, weil mir klar wurde, dass auf dem „Avantgarde“-Sektor kein freies Gelände mehr zu finden ist: Hinter dem Nullpunkt der Literatur ist eben tatsächlich – nichts.
Auch die Trash-Literatur konnte ich in der Form nicht mehr weiterführen, da sie soziale Bilder nur wiedergibt, nicht aber interpretiert, daher keine wirklich kritische Kraft besitzt. Heute sind meine Stil- und Formbrüche weniger zu spüren, sie finden sich aber in „2PAC AMRU HECTOR“ (2004) in der Ebenen- und Materialmontage, in „Diese Seelen“ (2008) in der untergründigen Verästelung der Geschichten. Das nächste Buch wird ein innerer Monolog, aber nicht wie bei „Molly Bloom“ in der kurzen Zeit vorm Einschlafen, sondern als Mittel zur Wiedergabe eines Plots. Darauf wird wieder ein stark konstruierter, mit viel Originalmaterial montierter Roman folgen.
Auf Markus Tillmanns Frage, ob Literatur aufrütteln kann, sagten Sie, die Vorstellung, dass Literatur aufrütteln kann, sei Ihnen egal. Was haben Sie damit ausdrücken wollen?
Diese Frage wurde immer wieder an Literatur gestellt. Mittlerweile haben wir aber gemerkt, dass die Zeiten, in denen Literatur Revolutionen auslösen konnte wie bei Rousseau und Voltaire, längst vorbei sind. Heute ist Literatur eine im kapitalistischen Verwertungssystem vollkommen integrierte Kulturtechnik. Wie der Film wird sie von ihrem Publikum nicht mehr als etwas Sublimes wahrgenommen, etwas, das in der Lage wäre, die Welt wirklich aus der Distanz kritisch zu betrachten, sondern als Unterhaltung. Wahr und richtig daran ist, dass man der Literatur zu viel aufbürdet, wenn man von ihr verlangt, aufzurütteln in einer Welt von Snuff-Videos, Beschneidung, Elendsflüchtlingen und Massenmord, Bilder und Fakten, die schon für sich Aufstände erzeugen müssten.
Die Folgenlosigkeit der Literatur ist nun so oft festgestellt worden, dass mir die Frage danach einfach schon egal ist. Sie impliziert die Frage, ob ich das mache, was ich mache, um aufzurütteln. Da das aufgrund der genannten Umstände kaum möglich sein kann, beschäftige ich mich damit nicht, sondern mache das, was ich tun muss, weil ich es als meine soziale und künstlerische Verpflichtung ansehe.
Wie ist Ihre Aussage, es sei „belästigend, dass die nachfolgenden Generationen immer noch nationalsozialistische Geschichten erzählen müssen“ zu verstehen?
Was haben sie damit zu tun? Die Autoren der jüngeren Generation, die über ihre Großeltern, Urgroßmütter, Urgroßonkel und Ururgroßtanten usw. schreiben, haben keine echte Kenntnis mehr von dieser Zeit, außer aus dem Fernsehen. Oft gehorcht die Themenwahl allein einem durchsichtigen Erfolgskalkül: Wer über die Nazizeit spricht, dem hört man zu. Sprechen sollten aber jene, die dazu berufen sind: Zeitzeugen oder Historiker, die über ein intensives Quellenstudium immer mehr und neue Details über das Schreckensregime zu Tage fördern. Ich selber arbeite an einem wissenschaftlichen Projekt, bei dem das literarische Leben der NS-Zeit rekonstruiert wird. Man kann nicht behaupten, dass alle kleinsten Rädchen, Stellschrauben und Funktionsmechanismen der Nazidiktatur bis ins Letzte bekannt wären. Die Bergwerkarbeit im Stollen der Geschichte brauchen wir, nicht Belletristik.
Die Ubiquität der literarischen Nazierzählungen verwässert das Thema. Ebenso wie im deutschen Film werden diese Stoffe zumeist an Einzelschicksalen, besonders ungewöhnlichen Ereignissen, Plots und Protagonisten (Rosenstraße, Aimée & Jaguar etc.) aufgezogen. Die tatsächlichen Nazigräuel lassen sich aber nur als Kollektivhorror erzählen (Schindlers Liste). Fällt diese bio-politische Dimension unter den Tisch, führt das eben nicht zur Aufwertung der Einzelschicksale, sondern zu einer Verharmlosung des Terrors. Hier gibt es natürlich Ausnahmen.
Noch mehr stört mich allerdings, dass die fortgesetzte Behandlung von NS-Themen, der ja politische Verantwortlichkeit automatisch zugemessen wird, den Blick auf die Gegenwart verschließt, die durchaus nicht ohne Grauen ist. Verglichen mit der Nazizeit leben wir aber tatsächlich in der besten aller Welten!
Wenn indes in monatelangen Verhandlungen darum gerungen wird, ob HARTZ-IV-Empfänger 5 Euro mehr im Monat kriegen dürfen oder nicht, wenn trotz vermeintlich steigender Beschäftigungszahlen die Diskrepanz zwischen Arm und Reich in Deutschland permanent steigt, so groß ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, wenn Leute für drei Euro sechzig die Stunde arbeiten, weil die Angst vor Arbeitslosigkeit, also vor sozialem Abstieg, der Würdelosigkeit, dem Ausschluss noch viel bedrängender ist als das Gefühl der Ausbeutung, wenn geistige und seelische Verwahrlosung zunehmend grassiert, eine verfehlte Ausländerpolitik zu unlösbaren Integrationsproblemen geführt hat, alles das, was die Berliner Funktionselite aus Politik, Showgeschäft und Sport mit mitleidiger Teilnahmslosigkeit zur Kenntnis nimmt oder in unzähligen Selbstdarstellungs-Talkshows leidenschaftlich diskutiert – in einer solchen Zeit frage ich mich doch, warum nachwachsende Autoren nicht darüber schreiben, über ihre Gegenwart, das, was sie kennen, was sie umgibt und was zu bekämpfen dringend erforderlich wäre.
Sie haben sich als „bekennender sozialer Realist“ bezeichnet. Was meinten Sie damit?
Sozialer Realismus ist ein Begriff, den ich in einigen Aufsätzen zu definieren versucht habe (Literatur in Zeiten der Umverteilung, 2005 – Sukultur-Leseheft oder Kurzfassung hier: http://ennostahl.de/t_essays.php?id=64, Der sozial-realistische Roman – Sukultur-Leseheft oder hier: http://ennostahl.de/t_essays.php?id=10).
Wie gestaltet sich Ihrer Ansicht nach das Verhältnis von Literatur zu Politischem?
Das lässt sich so allgemein kaum beantworten. Jede Form von Literatur transportiert eine bestimmte Gesinnung, entweder bewusst oder unbewusst. Trivial- und Unterhaltungsliteratur, aber auch Vieles, was in den Kaderschmieden des deutschen Schrifttums Leipzig und Hildesheim zusammengeschrieben wird, enthält sich vordergründig jeder politischen Aussage, ist gerade darum zutiefst affirmativ, wirkt sich also durchaus politisch aus. Weite Teile der deutschen Gegenwartsliteratur müssen daher – meiner Ansicht nach – einer ideologiekritischen Analyse unterzogen oder anders gesagt: dekonstruiert werden. Doch auch das Gegenteil existiert: Literatur, die sich explizit jeder Politizität enthalten möchte, sich selbst für eher konservativ hält, kann außerordentlich politisch sein. Gutes Beispiel dafür Hans Henny Jahnn.
Ab wann ist für Sie Literatur als Kunstform auch politisch?
Besser wäre die Frage: Ab wann ist sie kritisch? Wenn sie ihre eigenen Voraussetzungen kennt und überprüft, den sozialen Standpunkt des eigenen Sprechens mit einbezieht, wenn sie die unmittelbare Realität mit all ihren sozialen und politischen Aporien in den Blick nimmt, mit den Mitteln der Literatur Missstände namhaft macht – das gilt, wie man leicht erkennt, für sehr viele Werke der Weltliteraturgeschichte von Grimmelshausen über Laurence Sterne, Heine, Stendhal, Flaubert, Zola, Cechov, selbst Joyce.
Ist politisches Engagement auch Aufgabe von Autoren?
Natürlich. Ob dieses Engagement allerdings darin besteht, sich einer Sitzblockade einzureihen oder das zu tun, was der Autor am besten kann: schreiben, muss jeder für sich selbst entscheiden. Das werte ich nicht, sondern halte beides für gut und legitim.
Wie halten Sie es selbst damit in Ihren Büchern? Wie viel Politisches steckt in Ihrer eigenen literarischen Arbeit?
Ich glaube, das habe ich ausreichend beantwortet. Zudem beantwortet es der Literaturbetrieb auf seine Weise: Schauen Sie sich einfach die Rezensionen an, auch bestimmte Nicht-Rezensionen sprechen da eine deutliche Sprache.
Welche Frage hätten Sie bei der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Lesung gerne gestellt bekommen?
Da habe ich keine Präferenzen, sondern bin ganz offen für die Bedürfnisse und die kreative Neugier der Rezipienten.
Was war nach der Lesung und der Podiumsdiskussion Ihr persönliches Resümee des Abends?
Es war gut. Auch wenn von einer Podiumsdiskussion – aus Zeitmangel – keine Rede sein konnte. Es war ja nur ein Gespräch zwischen Autoren und Moderator. Tatsächlich hörte ich später, dass manch einer aus dem Publikum sehr gerne noch Fragen gestellt hätte.
Mit welchem Eindruck hätten Sie Ihre Zuhörer am liebsten auf den Weg nach Hause entlassen?
SPD und Grüne planen nun auch in NRW ein radikales Rauchverbot.
Das Neospießertum kann sich freuen: Auch in NRW wird wohl bald das Rauchen ohne Ausnahme in Kneipen verboten. So steht es in einem Bericht der Rheinischen Post. Treibende Kraft: Gesundheitsministerin Barbara Steffens. Die hat früher selbst einmal geraucht, aber der Satz, die schlimmsten Kritiker der Elche waren früher selber welche trifft wohl auch hier zu.
Mir ist zwar nicht klar, warum der Staat in die Rechte einzelner Unternehmer, der Wirte, eingreifen soll. Und ich verstehe den heiligen Zorn nicht, mit dem gegen die Raucher vorgegangen wird, aber so ist das wohl in einer Zeit des Neopuritanismus, in dem jede Abweichung von der Norm, jede Form von Exzess abgelehnt und zunehmend diskreditiert wird. Lustig: In Dortmund fordern die Grünen in Saufraum für Alkoholiker in der Nordstadt. Gleichzeitig sollen alle Raucher vor die Türen getrieben und diskreditiert werden.
Ich würde mir ja eine Landesregierung wünschen, die sich weniger darum kümmert, ob ich im Intershop eine Kippe am Tresen rauche, sondern darum, zum Beispiel die Landesfinanzen in Ordnung zu bringen. Die sich um die kommenden Pensionslasten sorgt. An einer vernünftigen Infrastruktur arbeitet. Die Bürger entlastet. Aber das ist wohl alles zu anstrengend. Da ist es leichter, ein paar Raucher vor die Tür zu treiben.
Bei den Grünen gibt es etliche, die diese Politik für Unsinn halten. Bis hinein in die Landtagsfraktion. Aber den Mut gegen den Rauchverbotsquatsch den Mund aufzumachen haben sie nicht. Und die SPD, die bislang eher für Ausnahmen war? Macht bei dem Versuch, die besseren Grünen zu werden, alles mit. Darf ich bitte Neuwahlen haben? Ich will eine Landesregierung, die mir nicht vorschreibt, wie ich zu leben habe.
Thomas Westphal ist der neue Chef der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung. Eine Ermunterung von unserem Gastautor Anton Kowalski
Leicht hasset ja nich bei uns im Pott, im Djschungelkämp von all die Wiatschaftschaftsföadara. Lauta Divas, un jeda kuckt imma nua auf sein`n Schprengel. Mit sein Büagameista und seine Jungs und Mädels vonne Poltik. Und watte da machs in Deine Zentrale vonne wmr, da traun se dich nich üba`n wech. Bekuck`n sich dat un mäckan übba allet, watte so machs.
Abba allz alta Juso kennze dich doch aus mit Schtrategie. „Doppelschtrategie“ hieß dat früha ma: mit ain Bein mitt`ndrin im Getümmel un mit´m andan Druck machen von außen! So lässt sich villaicht wat reiss´n in Richtunk Schtrukturrefoam`n. Müss`n ja nich antikapilistisch sain. Will ja kaina mähr – und die vonne Wiatschaft schon gahnich.
Abba füa uns im Pott, da wäa doch wat zu machen, odda? Un wennet nua ´n bisschän mäa is, als dat Sammelsurium wat wa alle kennen mitte Projekte von dreiunfuffzig Döafan aus unsam Pott!
Zu mach`n wäa da ja wat, wennze wiaklich willz. Und`n paa Schrategen, die mit dich mitmachen, finnze schon. Düafte kain Problem sain, bei übba 500 Jung´s und Mädels vonne Wiatschaftsföadarung die wia so ham im Pott. Und umme 30 Gründas- un Haitek-Zentas, sechs Kamman vonne Industrie und Handel, drei Kamman von dat Handwärk, zwai Hände voll mit Hochschul`n – mit all die Professoan, die noch ne Mak nebenhäa mach`n woll`n und mit ihre Transfäastell`n, die auch gäan Kohle vadien woll`n. Und so weita und so foat!
Wat abba ächt fählt bei uns im Pott sind Schtruktuan üban Tellarand von jedem sain Doaf hinaus. Füan ganz`n Pott und nich nua füa son klein`n Schpreng`l, wo man nich üban Kiachtuam rauskuck´n tut. Ich sach ma – zum Beischpiel nua aine Kamma, die füa de Industrie und den füa den Handel von uns alle im Pott schpricht. Odda nua aine Rua-Uni und iagendwann vielleicht auch nua ain Obabüagameista (wenn die, die dat jezz mach`n inne Rente sind).
Leicht wiad dat allet ja nich. Abba vielleicht kannze den ganzen Ziakus, den wa jezz hab`n ma vonne MacKinnsies übbaprüf`n lassen? Ob dat alles noch so`n Sinn macht? Und ob dat nich allet bessa zu mach`n is. Bin mia da sicha, da sparsse jede Menge Kohle, die wa alle woanders reinsteck`n könn´n . Odda die wa ganich ers ausgeb`n müss`n. Denk ma drübba nach mit`n paa helle Köppe. Die findse schon bei uns.
Wiad allet nich einfach! Is abba ma `n Vasuch wäat.
Essen, Dortmund und nun Bochum: Der Einkaufscenterkonzern ECE stellt in der kommenden Woche seine Pläne für Bochum vor.
ECE will in Bochum ein innerstädtisches Einkaufszentrum bauen. Es ist nach Essen und Dortmund das dritte neue ECE-Center im Ruhrgebiet innerhalb weniger Jahre. Am Donnerstag kommender Woche will ECE bei einem Hintergrundgespräch seine Pläne vorstellen. In der Einladung ist von einer „integrierten Innenstadtgalerie“ die Rede, die für die Bochumer-Mitte maßgeschneidert worden sein soll.
Teile der Bochumer Kaufmannschaft sind gegen das Projekt und befürchtet ein Sterben der Innenstadt. Nicht ohne Grund: Einkaufszentren gehen häufig zu Lasten des etablierten Handels einer Stadt und tragen so zur Verödung der Innenstädte bei.
Die Stadt Bochum will das Einkaufszentrum – allerdings nicht um jeden Preis: ECE, so der Wunsch der Stadt, soll auf dem Gelände des heutigen Landgerichts ein Einkaufszentrum bauen, dass sich zur Stadt hin öffnet. Das Land, der Besitzer der Fläche, hat angekündigt, das Grundstück nur an ECE zu verkaufen, wenn das Unternehmen die Bedingungen der Stadt akzeptiert.
Gestern Vormittag sprach ich mit Hamed Abdel-Samad über die Demonstrationen in Ägypten. Der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler hält sich gerade in Kairo und nimmt an den Protesten gegen Mubarak teil. Im Interviewweist er darauf hin, dass es überwiegend die Zivilgesellschaft ist, die auf die Straße geht und gegen das Regime demonstriert. Die Islamisten seien „in der Minderheit und werden von allen Bürgern sofort zurechtgewiesen, wenn sie ihre Parolen rufen“, sagte Abdel-Samad. Der Westen solle seine zögerliche Haltung gegenüber den Protesten überdenken und Mubarak nicht länger unterstützen.
Herr Abdel-Samad, Sie halten sich gegenwärtig in Kairo auf und nehmen an den Demonstrationen gegen Staatspräsident Husni Mubarak teil. Wie ist zurzeit die Lage in der ägyptischen Hauptstadt?
Ich befinde mich gerade unmittelbar am Tahrir-Platz, auf dem sich schätzungsweise mehr als 100.000 Demonstranten versammelt haben. In Sprechchören und auf Transparenten wird der sofortige Rücktritt Mubaraks gefordert.
Wie verhalten sich das ägyptische Militär und die Polizei?
Die Armee hat unsere Forderungen als legitim bezeichnet und sichert zu, keine Gewalt einzusetzen. Ich beobachte auf den Straßen immer wieder Szenen der Verbrüderung zwischen dem Militär und den Zivilisten. Die Polizei hingegen hat sich in Luft aufgelöst. Sie existiert nicht mehr. Das Volk hat das Zepter in die Hand genommen und lenkt die Geschicke des Landes.
Werden Sie auch am sogenannten „Marsch der Millionen“ teilnehmen in Richtung Präsidentenpalast?
Selbstverständlich. Wir wollen, dass Mubarak von seinem Thron runterkommt und aufgibt. Er leidet unter Realitätsverlust. Er geht mit Ägypten um, als sei das Land sein Besitz.
Mubarak hat infolge der Proteste Reformen zugesichert und möchte mit der Opposition ins Gespräch kommen. Wird sich die Protestbewegung damit zufrieden geben?
Auf gar keinen Fall. Mit ein paar kosmetischen Änderungen lassen sich die Ägypter nicht abspeisen. Man glaubt Mubarak ohnehin kein einziges Wort mehr. Die Leute wollen mehr, sie wollen eine Systemänderung. Sie fordern ein Ende von Mubaraks Regime.
Die Fernsehbilder legen nahe, dass es sich überwiegend um einen Aufstand von bürgerlichen Kräften handelt und nicht von Islamisten. Wer genau sind die Demonstranten?
Es ist ein Querschnitt der ägyptischen Gesellschaft. Alle nehmen teil und marschieren friedlich nebeneinander: Jung und alt, reich und arm, gebildet und ungebildet. Die Menschen haben ihre Angst vor dem Regime abgelegt. Durch die Proteste wird in Ägypten nichts mehr so sein wie zuvor.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Muslimbrüder die von den Zivilisten ausgehenden Aufstände nutzen und sich an die Spitze der Bewegung setzen?
Selbstverständlich gibt es vereinzelt Muslimbrüder, die sich unter die Demonstrierenden mischen. Die Islamisten aber sind in der Minderheit und werden von allen Bürgern sofort zurechtgewiesen, wenn sie ihre Parolen rufen. Sie müssen wissen: Mubarak verkauft dem Westen seit rund 30 Jahren erfolgreich die Illusion, dass er die einzige Alternative zu den Islamisten sei.
Ein Irrtum, wie sich spätestens jetzt herausstellt.
Ein grandioser Irrtum. Es gibt mittlerweile eine neue Genration, die überhaupt nichts mit den Islamisten zu tun haben möchte: die Facebook-Generation. Und diese will Veränderung, Demokratie, Freiheit und Wohlstand. Sie wird sich dieses Mal nicht mit Weniger zufrieden geben.
Wie realistisch ist es, dass Mubarak durch den „Marsch der Million“ noch heute endgültig gestürzt wird?
Das halte ich durchaus für möglich. Noch wird er von den USA und dem Militär gestützt. Sobald aber einer der beiden Mubarak fallen lässt, ist sein Regime Geschichte.
Als es 2009 in Iran breiten Protest gegen Ahmadinedschad und seinen Wahlbetrug gab, ließ er die Demonstranten blutig niederschlagen. Gibt es Anzeichen dafür, dass Mubarak diesem Beispiel folgt, um seinen Kopf zur retten?
Das wäre Mubaraks Todesurteil. Wenn er noch einmal Gewalt sprechen lässt, sorgen die Ägypter dafür, dass er hingerichtet wird. Er wird sich nicht halten können. Früher oder später wird er zurücktreten.
Mohammed el Baradei ist für den Westen das Gesicht der ägyptischen Protestbewegung. Würden die Ägypter ihn als Mubaraks Nachfolger akzeptieren?
Er wäre ein geeigneter Mann. Jeder kann Ägypten besser führen als Mubarak. Aber letztlich wird das ägyptische Volk darüber in freien und demokratischen Wahlen entscheiden.
Die EU-Staaten haben in der Vergangenheit beste Beziehungen zu autokratischen Herrschern wie Ben Ali in Tunesien oder Mubarak in Ägypten unterhalten. Wie beurteilen die Ägypter die Arabien-Politik des Westens?
Es wird hier ganz genau registriert, wie sich Europa verhält. Man kann nicht Demokratie predigen, aber mit Diktaturen ins Bett gehen. Ben Ali etwa wurde in Frankreich jahrelang von Sarkozy hofiert und nachdem er gestürzt wurde, lässt er ihn – wie mutig – nicht nach Paris einreisen. Das ist zutiefst heuchlerisch.
Was sollte die EU jetzt tun, um die demokratischen Entwicklungen in Ägypten zu unterstützen?
Europa erhält gerade die Chance, seine Fehler nicht zu wiederholen. Bundeskanzlerin Merkel & Co. sollten sich endlich einmal auf die richtige Seite stellen, um ihre Glaubwürdigkeit in der islamischen Welt wiederherzustellen. Die europäischen Staaten müssen mehr Demokratie wagen. Und auch die Bürger in Deutschland können etwas tun. Sie sollten Frau Merkel, die ich sehr schätze, einen Brief schreiben: ‚Seien sie nicht heuchlerisch! Tun Sie das, was sie immer predigen! Unterstützen sie die Demokratie! Heute ist der Tag der Wahrheit: Demokratie oder Heuchlerei!‘
Gelten die Proteste auch den USA, die Mubarak seit Jahrzehnten in Milliardenhöhe unterstützt hat?
Zweifelsfrei. Im Kollektivgedächtnis des ägyptischen Volkes wird sich zeigen, wer auf unserer Seite steht und wer nicht. Wer tatsächlich demokratische Verbündete sucht, der sollte jetzt die Proteste unterstützen. Die Angst der USA vor einem Erstarken der Muslimbrüder ist ganz und gar unbegründet. Wir erleben zurzeit, dass die große Mehrheit der Araber Freiheit, Demokratie und Frieden einfordern. Wenn die USA also Mubarak weiterhin unterstützen, opfern sie die Demokratie der vermeintlichen Sicherheit.
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