Fukushima ist überall

Fukushima ist überall“ stand auf dem T-Shirt, das am Sonntag Abend ein Zuschauer bei Anne Will trug. Dabei ist zu bedenken, dass uns nach dem Erdbeben und dem Tsunami die Meldungen über eine mögliche Katastrophe in den Atomkraftwerken Fukushimas erst am Freitag Nachmittag (MEZ) erreichten. Dann das Wochenende; trotzdem: das T-Shirt war fertig, die Kamera nahm es wiederholt voll auf Sendung. Man kann sich das, wenn man möchte, noch die ganze Woche lang ansehen. Eine schöne Erinnerung für Freunde und Bekannte. Ob die Menschen in Fukushima selbst auf das Angebot, sich diese Sendung einmal anzusehen, zurückgreifen möchten, ist zu bezweifeln. Die meisten sprechen ja kein Deutsch. Wie schade. So werden sie von den tröstlichen Worten „Fukushima ist überall“ womöglich einstweilen nichts erfahren. 

Doch dies liegt nicht nur an der Sprachbarriere. Aus einigen Fernsehbildern, die uns hier erreichen, muss geschlussfolgert werden, dass geordnete Fernsehübertragungen in den Auffanglagern etwas außerhalb Fukushimas gar nicht möglich sein werden. Es ist in diesen Turnhallen so brechend voll, dass für die Aufstellung von Fernsehgeräten möglicherweise nicht genug Platz da ist. Man darf ja auch nicht nach draußen. Sie wissen schon: diese Radioaktivität. Außerdem ist der Strom streng rationiert. Ständig wird er abgeschaltet, weil doch die Kraftwerke – Sie wissen schon: diese Atomkraftwerke … – Wie auch immer: Fernsehgucken sitzt in diesen Auffanglagern etwas außerhalb von Fukushima nicht drin. Laptops sind bei den Leuten, die dort dicht an dicht auf dem Hallenboden kauern, ebenfalls nicht zu sehen. Also wird die Solidaritätsbotschaft des Anne-Will-Besuchers unsere Freunde aus Fukushima wohl leider nicht erreichen. 

Fukushima ist überall; zum Beispiel auch in Erfurt. Deshalb haben auch Erfurter, wie wir heute aus der Thüringer Allgemeinen erfahren, „Angst vor der Zukunft“. Die Zeitung ist ihrer Informationspflicht dadurch nachgekommen, dass sie ganz normale Thüringer Bürger auf Erfurts Straßen interviewt, dabei gefilmt und das Video ins Netz gestellt hat. „Nach dem Gau in Japan: Auch Erfurter haben Angst vor der Zukunft“ nennt die Thüringer Allgemeine dieses Dokument der Zeitgeschichte. Es ist nur ein Beispiel unter vielen. Diverse Umfragen sprechen eine eindeutige Sprache: viele, vielleicht die Mehrheit unserer deutschen Landsleute haben Angst. Und zwar nicht nur Angst vor der Zukunft im allgemeinen, die ja immerhin im Nationalcharakter liegt, sondern auch vor radioaktiver Strahlung im besonderen, was ja nicht das dümmste wäre. Doch die Deutschen haben nicht nur Angst vor radioaktiver Strahlung im allgemeinen, was vernünftig ist und sie gegenwärtig verstärkt zu der Einsicht führt, dass Atomkraftwerke abgeschaltet gehören. Sie haben auch Angst vor der radioaktiven Strahlung aus Fukushima im besonderen. 

Fukushima ist überall. Deshalb stürmen besorgte Landsleute die Apotheken, deshalb sind hier und da bereits die Jodtabletten vergriffen. Die WAZ informiert ihre Leser heute darüber, dass zu viel Jod – insbesondere für Menschen ab 45 – gar nicht ungefährlich sein soll. Dramatischer ist die Situation in den USA. In den Vereinigten Staaten bricht Panik aus, weil es Engpässe bei der Jodversorgung gibt. Insofern ist Fukushima vielleicht doch nicht überall. Nicht ein Bericht aus Japan spricht von Panik; durchweg ist von großer Gelassenheit der Bevölkerung die Rede. Dabei ist die Informationspolitik der japanischen Regierung äußerst verwirrend. Offenbar wird das volle Ausmaß der radioaktiven Verstrahlung in Fukushima und Umgebung ebenso verschwiegen wie das volle Ausmaß der Gefahr einer Kontaminierung im Großraum Tokio. Die Lufthansa fliegt Tokio nicht mehr an. 

Fukushima ist überall. Auch für die vielen Millionen Menschen in Tokio muss in diesen Stunden das Schlimmste befürchtet werden. Für Fukushima ist alles zu spät. Reaktormäntel sind geborsten, Brennstäbe schmelzen, pausenlos entweicht völlig unkontrolliert radioaktive Strahlung. Welches Schicksal den Menschen in den Auffanglagern etwas außerhalb von Fukushima blüht, ist uns seit Tschernobyl bekannt. Noch bleibt Hoffnung für die Menschen in Tokio. Korrespondenten, Wirtschaftsvertreter aus dem Ausland und nicht wenige Tokioter sind weiter nach Süden gezogen. Ganz Tokio kann nicht evakuiert werden. Fukushima ist überall? Hoffentlich nicht in Tokio.

Casino-Kapital frisst Kinderwürde und Kultur – 2011 droht nicht nur die freie Szene in NRW finanziell abzustürzen

Neuwahlen und/oder mögliche Klage gegen den NRW-Landeshaushalt 2011? Zurzeit ist nicht absehbar, wann das größte Bundesland einen verfassungskonformen Haushalt haben wird. Die Querelen ums Geld könnten die Auszahlung von Landeszuschüssen für freie Träger und ihre Projekte bis zum späten Herbst verzögern. Die seriöse Vorbereitung von Initiativen im Sozial-, Kultur- und Bildungsbereich wird für  2011 zunehmend erschwert. Viele Vereine, Zentren oder Kulturbüros könnten bis zum Herbst schlicht zahlungsunfähig werden.
Ein kleiner Versuch, Zusammenhänge herzustellen.

In diesen Jahren, Monaten, Wochen nach dem globalen Finanz-Crash, den Umwälzungen in Nordafrika, dem Weltuntergangsszenario in Japan, aber auch lokalen Ereignissen wie der Loveparade-Katastrophe in Duisburg nimmt das Unvorstellbare Tag für Tag neu Gestalt an. Ohne auch nur einen Hauch Verschwörungstheorie bemühen zu müssen, wird überdeutlich, dass diese Ereignisse bei aller Komplexität zumindest eine Ursache gemeinsam haben: die bewusst- und gedankenlose Gier nach mehr und mehr kurzfristigem Profit. Eine Gier, die auf die verheerenden Folgen einer Diktatur des großen Geldes, der vielen Lobby-Lügen und des kleinen Mitläufer-Murks nirgendwo achtet. Koste es, wen und was es wolle.

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Der kommende Online-Wahlkampf in NRW

Sollte es zu Neuwahlen in NRW kommen, werden die Parteien stark aufs Internet setzen. Eher aus Not als aus Begeisterung.

Lange nichts mehr gehört vom Blog der SPD-NRW. Der letzte Beitrag stammt aus November 2010. Das Blog der CDU NRW  ist immerhin vor ein paar Tagen aus dem Winterschlaf erwacht.  Auch bei Grüns war er schon einmal spannender: Der letzte Eintrag ist fast zwei Wochen alt. Das wird sich bald ändern. In wenigen Tagen werden die Parteien das sagenumwobene Web 2.0 wieder für sich entdecken. All die verlassenen Blogs und die verstummten Twitteraccounts werden wieder präsent sein. Denn im Wahlkampf wollen sie sich alle als Internetaffin darstellen. Nicht weil sie an diesen Kommunikationsweg glauben – sonst hätten sie ihn auch in den vergangenen Monaten genutzt –  sondern weil die Parteien in NRW nach den vielen Wahlkämpfen der vergangenen Jahre kaum noch Geld haben. Bloggen und twittern ist billig, das machen ein paar Jusos und Jungunionisten nebenbei.

Sie werden es so wenig originell tun wie in den letzten Wahlkämpfen. Sie werden nicht in Dialoge treten, sondern vor allem das Internet als einen Distributionskanal nutzen. Und klar, ganz viel wird auch auf Facebook laufen. Dass das alles nur etwas bringt, wenn man es dauerhaft nutzt, wenn man  in einen offenen Dialog mit den Bürgern tritt anstatt sie im Wahlkampf mit Parolen zuzumüllen, haben sie nicht begriffen.  Das haben die Monate seit der letzten Wahl gezeigt.

Update: NRW-Nachtragshaushalt verfassungswidrig – Rot-Grün darf sich auf Neuwahlen freuen

Das Landesverfassungsgericht  NRW hat den Nachtragshaushalt 2010 von SPD und Grünen für verfassungswidrig erklärt.  Für SPD und Grüne eine gute Nachricht.

Wenn das Landesverfassungsgericht den Landeshaushalt kippt, weil die Regierung zu viele Schulden macht, ist das eigentlich eine Katastrophe. In NRW ist das anders: Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes in Münster gegen die Landesregierung sind Neuwahlen wahrscheinlich. Und der Gewinner scheint im Moment fest zu stehen: SPD und Grüne. Sogar ein drei oder vier Parteien-Parlament ist möglich, denn FDP und Linkspartei könnten an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Obwohl das Urteil eine Steilvorlage für die Opposition ist, wird CDU-Chef Norbert Röttgen davon kaum profitieren können. Er ist der Atom-Minister, der E10-Minister, der Mann, auf den es nie ankommt, wenn es ernst wird. So einer wird nicht Ministerpräsident.

Aber wenn Rot-Grün die Wahl gewinnt, ist kein Problem gelöst: Die Schuldenpolitik, die Hannelore Kraft ausgerufen hat, bleibt illegal. Ändert sie ihren Kurs nicht, wird das Gericht auch die künftigen Haushalte der Landesregierung kassieren. Und NRW handlungsunfähig.

Hier die Erklärung des Gerichts:

Nachtragshaushaltsgesetz 2010 verfassungswidrig

Dies hat der Verfassungsgerichtshof NRW durch heute verkündetes Urteil entschieden und damit einem entsprechenden Antrag der Landtagsabgeordneten von CDU und FDP stattgegeben.

Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass das Nachtragshaushaltsgesetz 2010 wegen Überschreitung der Kreditgrenze gegen Art. 83 Satz 2 der Landesverfassung NRW (LV) verstößt.

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Der Ruhrpilot

Japan: Liveticker…Spiegel

Japan II: Überblick…Kaffee bei mir

Japan III: Erneute Explosion reisst Leck in Reaktorbehälter 2…Frontmotor

Japan IV: Hätten die nicht noch zwei Wochen warten können?…Weissgarnix

Japan V: Rette sich, wer kann…Sprengsatz

Atomproteste: Zehntausende fordern Atom-Ausstieg in Deutschland…Welt

Atomproteste II: Politik-Sekte „MLPD“ kapert Mahnwache in Bochum…Pottblog

Atomproteste III: 600 Dortmunder auf drei Demos…Ruhr Nachrichten

NRW: Verfassungsgericht entscheidet über Etat…Soester Anzeiger

NRW II: Schuldenfreie Städte wollen nicht bestraft werden…RP Online

NRW III: Auslaufmodell Hauptschule…Welt

Bochum: Stadtwerke Bochum wehren sich gegen Vorwurf, Teil der Atomlobby zu sein…Der Westen

Bochum II: Furcht vor Verödung der Innenstadt durch neues Einkaufszentrum…Der Westen

Dortmund: Kritik an Behörden im Fall Envio noch unter Verschluss…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Polizei  fordert sofortige Straßenstrich-Schließung…Der Westen

Duisburg: Reise nach Fort Lauderdale darf nicht aus Haushalt bezahlt werden…Der Westen

Essen: Messe mangelt es an Service…Der Westen

Umland: Milliardenkonzern gegen freien Journalisten…Zoom

re:publica’11: Beta-Programm ist online…Netzpolitik

NRW startet Bundesratsinitiative gegen Laufzeitverlängerung

Die nordrhein-westfälische Landesregierung will noch in dieser Woche eine Bundesratsinitiative zur Rücknahme der Laufzeitverlängerungen starten. Zudem soll erreicht werden, das alte Kernkraftwerke stillgelegt werden. „Die Vorfälle in Japan haben gezeigt, dass die Technologie weder kontrollierbar noch im Krisenfall beherrschbar ist“, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums auf Anfrage einer Nachrichtenagentur .

Bundeskanzlerin Angela Merkel will als Reaktion auf die Katastrophe in Japan die beschlossene Laufzeitverlängerung aussetzen.

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Nachruf auf Günter Amendt


Günter Amendt ist tot. Wir haben einen bedeutenden Sozialwissenschaftler verloren. Amendt verstarb am Samstag bei einem Autounfall. 

Lange schon hatte er das Interesse am Sex verloren. Als Autor am Thema Sex. Dazu habe er nichts mehr zu sagen, beschied Günter Amendt vor etwa anderthalb Jahren: „Da sollen Jüngere ran, vor allem Frauen.“ Amendt wurde interviewt, weil er seinen 70. Geburtstag hatte, und weil Sex das Thema war, das man mit ihm assoziierte. „Sexfront“ hieß seine 1970 erschienene Kampfschrift – Amendts Beitrag zur „sexuellen Revolution“, wie der Bewusstseinswandel seinerzeit ohne jeden Anflug von Zweifel genannt wurde. Günter Amendt war, wie man heute sagt, ein echter Achtundsechziger; ich, weil fast zwanzig Jahre jünger, war es nicht. 

So war es mir nicht vergönnt, den Schülerstreik mitzuorganisieren. Immerhin konnte ich ihn als faszinierter Sechstklässler mitbetrachten. Und begeistert mitschwänzen. An der „Sexfront“ – 300000 mal verkauft – stand ich auch noch nicht; meine „sexuelle Revolution“ durchlebte ich als Bravo-Abonnent, angeleitet von Dr. Sommer. „Onanie, Onamanchmal, Onaoft“ – auf diese Formel brachte es Günter Amendt neun Jahre später. 1979 veröffentlichte er „Das Sex-Buch“, 200000 mal verkauft, von ihm abgekürzt mit DaSeBu. Der Spiegel beschrieb damals, wie sich DaSeBu von der Sexfront unterschied: „Die Leser erfahren, was los ist, nicht was sein soll.“ 

Das Soziologendeutsch der Achtundsechziger war Günter Amendt, dem promovierten Soziologen, fremd. Seine Sprache war offen und direkt, ironisch und ausgesprochen witzig. Das ein oder andere Udo-Lindenberg-Lied stammt aus seiner Feder, auf jeden Fall Straßenfieber, ein Song über Jugendproteste. Der von Lindenberg verfasste Song Na und? führte allerdings zu erheblichen Verstimmungen bei Amendt. Das – nach Sexualität und Jugendkultur – dritte und Amendts Arbeit zuletzt dominierende Thema war das sog. Drogenproblem und die staatliche Drogenpolitik. Das Thema seiner Dissertation komprimiert Amendts wissenschaftliches Leben auf engstem Raum: „Sexualverhalten von Jugendlichen in der Drogensubkultur“. 

Bereits 1972 erschien „Sucht. Profit. Sucht“, Amendts politische Ökonomie der Drogenproduktion und des Drogenhandels. Die Drogenprohibition, so Amendt, verursache Schäden, die erheblich größer seien als das Risiko einer Legalisierung. So kritisierte er die DFB-Kampagne „Keine Macht den Drogen“ heftig. Auch das propagierte Ziel eines dopingfreien, also sauberen Sports geißelte Amendt als verlogene Heuchelei. Am Samstag wurde Günter Amendt – gemeinsam mit einem Ehepaar in seiner Begleitung und einem weiteren Passanten – Opfer eines zugekifften Autofahrers, der bei Rot über eine Ampel gerast ist. Manchmal ist die Ironie des Schicksals kein bisschen witzig.

guerilla-lesung der wattenscheider schule

liebe, krieg und linienbusse

die wattenscheider schule liest: am mittwoch, 16.03.2011, im rottstr-5-theater, bochum, 19.30 uhr.

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