Nordrhein-Westfalen will Vorreiter beim Klimaschutz werden – und die SPD vielleicht ein wenig moderner

Das größte Bundesland plant eines der ambitioniertesten Klimaschutz-Gesetze der Republik. Doch abseits der Debatte um Treibhausgase, Windräder und die Umstellung der Wirtschaft geht es auch um

Kraftwerk Datteln Foto: Eon

Parteipolitik: Die SPD an Rhein und Ruhr will sich vom Image der alten, grauen Kohle- und Stahlpartei lösen. Statt dessen soll die Partei künftig als „Fortschrittspartei“ wahrgenommen werden und den Grünen Wähler abwerben. Parteichef Gabriel dürfte dies freuen, einigen Ruhr-SPDler allerdings weniger. Es droht ein Richtungsstreit.

17 Seiten, 11 Paragrafen: Das ist nicht viel für ein so bedeutendes Gesetz, wie es nun in Düsseldorf von den Ministerien der rot-grünen Landesregierung diskutieren wird. Doch dafür hat es sich in sich. Die 17 Seiten sollen das größte Bundesland der Republik zum Vorreiter beim Klimaschutz machen. Bis 2020, so sieht es der Gesetzesentwurf vor, sollen die Treibhausgabe in NRW um mindestens 25 Prozent gesenkt werden, bis 2050 sogar um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Vergleichjahr 1990  – und das alles rechtlich verbindlich. Es geht also nicht mehr nur um lose Versprechungen, die in der Politik oftmals aus Mangel an konkreten

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Stellen Sie sich das doch bloß einmal vor!

Stellen Sie sich das doch bloß einmal vor! Ich gebe zu: die ganze Sache ist etwas weit hergeholt. Aber es hätte doch sein können. Und dann? Unvorstellbar.

Stellen Sie sich doch bloß einmal vor, der Freiherr von und zu Guttenberg hätte als junger Familienvater seine Doktorarbeit selbst angefertigt, also neben seiner beruflichen Beanspruchung als Schlossherr und seiner politischen Karriere als Bundestagsabgeordneter auch noch in mühevollster Kleinarbeit Einleitung und Schlussteil seiner Dissertation ohne Rückgriff auf anderer Leute geistigem Eigentum selbst geschrieben und in den Kapiteln dazwischen sämtliche Zitate sowohl kenntlich gemacht als auch in sinnvoller Weise in den eigenen Gedankengang eingebettet.
Kurz: Guttenberg hätte in untadeliger Weise seinen Doktor gemacht. Oder, weil diese Vorstellung in der Tat äußerst abstrus ist, der ganze Schwindel wäre erst ein paar Monate später aufgeflogen. Oder schon ein paar Monate zuvor. Hätte doch sein können. Nur mal so als fixe Idee. Und dann stellen Sie sich bitte weiter noch vor, die Völker Arabiens hätten die ganzen Aufstände, Revolutionen oder, wie auch immer wir diese Dinge bezeichnen wollen, noch eine Weile zurückgestellt. Wenn sich die Araber einfach gesagt hätten: jetzt haben wir jahrzehntelang all diese Despoten ertragen, da kommt es auf ein paar Monate mehr oder weniger auch nicht an.

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Eine diskursive Demontage

Katja Uffelmann spielt mit vollem Einsatz. /Foto: Sascha Kreklau

Sie suchen „einen Hit, ohne -ler, einen Sta(r), ohne –lin“. Und veranstalten seit vier Wochen ein Casting nach dem anderen. Sie haben einen eingeladen, aber der lässt auf sich warten. Wagners Musikdrama „Der Ring“ ist in der Jetztzeit angekommen und wird von Ulf Goerke und Matthias Wulst folgerichtig zu einem diskursiven Musical dekonstruiert. Siegfried Superheld – ein diskursives Musical markiert den Start des Nibelungen-Zyklus im Bochumer Rottstr5-Theater.

Inklusive Bonus-Track: 13 Fragen an den Regisseur Ulf Goerke

„Subversiv wie Schlingensief, intellektuell wie Heiner Müller, erotisch wie Carla Bruni“ will diese Inszenierung sein. Drei Musicalmacher suchen für eine Neuproduktion einen Darsteller des Siegfried. Der neue Siegfried soll jedoch weder Held, noch Hitler, sondern überideologisch sein. Er soll als „eine Art Bedürfnisanstalt installiert werden“, die als Mannigfaltigkeit Raum für Utopie und Identifikation mit kalkulierter Halbwertszeit bietet. Geplante Obsoleszenz im Musentempel also. Die Musicalmacher wollen „eine Fresse, in die sie alles reinprojizieren können“. So umgeht das Stück die letztgültige und eindeutige Antwort auf die Frage, wie Siegfried sein müsste, verliert dabei aber die Nibelungenproblematik nicht aus dem Blick.

Magdalena Helmig als Zwerg Mime und Andreas Bittl als Siegfried/ Foto: Sascha Kreklau

Alles, was bei der Beantwortung der Frage, was ein Held ist, je scheiterte und historisch festgehalten wurde, lässt Goerke hier Revue passieren. Sämtliche Heilsversprechen erfahren ihre Auferstehung, um kurz darauf niedergemetzelt zu werden. Es ist eine Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche, eine Aufarbeitung, aber auch eine Abnabelung von den Konventionen des Umgangs mit den Nibelungen.

Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche

Von Wagners Hauptwerk bleiben Szenen von Siegfrieds Geburt, Jugend und Adoleszenz – Intermezzi mit dem zwergenhaften Schmied Mime im Ur-Wald, und Brünhilde. Die ewige Weisheit der heiligen Ordnung erhält dank diskursiver Dekonstruktion einen provokativen Gegenpart und verdrängt so die Sprachlosigkeit vor dem Monumentalen. Die Sagengestalt des Drachentöters wird mit Blick auf den potentiellen Darsteller fortwährend transformiert. Mit temporeichen Rollen- und Szenenwechseln entsteht bei dieser Inszenierung Rhythmus statt Zyklus. Sätze mit Symbolcharakter deuten die verschiedenen Diskurse an und aktivieren lebhafte Bilder, die in einem Gedankenfeuerwerk kulminieren – mit reichlich Potential für spontane Lachanfälle im Schlepptau. Dennoch wissen sie: „Die Nibelungen – das ist Trauma – und da müssen wir durch“.

"Tarnkappe, Tarnkappe, Tarnkappe, Tarn...", heißt es beim Nibelungen-Reggae. /Foto: Sascha Kreklau

Die Schauspieler Magdalena Helmig, Katja Uffelmann und Andreas Bittl stehen auf drei hölzernen weißen Sockeln. Die Damen treten in prunkvollen Ballkleidern auf, während Bittl Anzug, lila Hemd und Clark-Gable-Bart trägt. Das Trio schaut sich in der Trümmerlandschaft der Gedankenfelder um und spannt unterschiedlichste assoziative Netze und Fluchtlinien. Dabei enttarnen sie die Illusion, dass das System unserer Weltbilder stabil sei. Ihr bombastisches Spiel, Betonung und Timing legen dem Stück ordentlich Gewicht bei. Ein Highlight: Alle drei können nicht nur spielen, sondern auch noch singen.

Tarnkappen-Trio

Uffelmann und Helmig wachsen als Zwerg Mime dank ihres inbrünstigen Spiels über sich hinaus. Beide sorgen bei dieser Inszenierung mit ihrem fulminanten Einsatz dafür, dass es einer der ganz großen Abende werden kann. Andreas Bittl ist bei all dem einfach nur supercool und lässig. Durch feine Nuancen einer gewissen Naivität gelingt es ihm, seiner Rolle eine unsagbare Komik zu verleihen. Nicht nur schauspielerisch kann er überzeugen, auch musikalisch punktet er vor allem mit der Tarnkappen-Reggae-Nummer.

Mit politisch inkorrekten, aber dreifach ironisch gebrochenen Flanken rollen Goerke und Wulst das Diskursfeld von hinten auf. Schonungslos wird das Mark der Inszenierungsproblematik freigelegt. Bisweilen thematisieren selbst goldene Glitzerschnipsel die Reflexion der Situation. Die Perspektiven wechseln fortlaufend. Denn diejenigen, die inszenieren, sind auch jene, die rezipieren. Die Musicalmacher markieren den selbstironischen Wechsel von Objekt- zu Metasprache höchst selbst, so dass Innen- und Außenperspektive gewissermaßen implodieren.

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Nordstadt Bashing

Die Dortmunder Nordstadt ist kein Kurort. Aber das augenblickliche Quartiersbashing wird keines der Probleme lösen und verdeckt den Blick auf die vielen guten Seiten eines der spannendsten Stadtteile des Ruhrgebiets.

Wenn man die Berichterstattung der letzten Wochen in den Lokalteilen der Westfälischen Rundschau und den Ruhr Nachrichten verfolgt, hat man das Gefühl, dass die Dortmunder Nordstadt ein Krisengebiet ist, dass man am besten nur noch bewaffnet beschreitet. Martialisch kündigen Lokalpolitiker an, dort nun mit eisernem Besen kehren zu wollen.

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Der Ruhrpilot

NRW: Rot-grüne Klimagesetzgebung könnte Kohle-Kraftwerke gefährden…Der Westen

NRW II: Schulden machen, um später zu sparen…Kölner Stadtanzeiger

NRW III: CDU-General Wittke winkt Parlamentssitz…RP Online

NRW IV: Skandal um Landesarchiv weitet sich aus…WAZ-Recherche

Dortmund: U-Turm schluckt noch mehr Geld…Der Westen

Bochum: Libyen-Soliflashmob vor der IHK…Bo Alternativ

Bochum II: Friedhofsschändung mit Nachspiel…Der Westen

Bochum III: Elektronischer Korrekturleser prüft Doktorarbeiten…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Direktor Kurt Wettengl reagiert auf Kritik…Ruhr Nachrichten

Dortmund III: „Wir sind kein Golfclub“…Der Westen

Gelsenkirchen: Bürger machen ihrem Unmut über Straßenstrich Luft…Der Westen

Umland: Wie Türken Erdogans Besuch sehen…RP Online

Debatte: FAZ-Bahners & der christliche Fundamentalismus…Alice Schwarzer

Arabien: In welchen  Ländern kommt es noch zur Revolution?…Der Morgen

Arabien II: Wie vernetzt sind Nordafrika und der mittlere Osten?…Netzpolitik

Medien: Zeitungsverleger verweigern sich den geplanten Tarifverhandlungen…Pottblog

Medienkunst: Ein Interview mit Lilian Beidler…Kontextschmiede

Ein Brief zur Wettertanne

Liebe Guttenbergfreunde,

Mit Erschrecken verfolge ich die Debatte. Da lügt und betrügt ein Mann, hintergeht den Doktorvater, die Universität, die Soldaten, die Regierung, das Parlament und das Volk.

Und wie reagieren die Deutschen?

In grosser Mehrheit huldigen sie trotz klarer Beweise weiterhin diesem –so hätte man ihn wohl früher in konservativen Kreisen bezeichnet- ehrlosen Lump.

Diese Heldenverehrung bedient sich folgendem Argument, dass Deutschland doch andere Probleme habe. In Afghanistan sei schließlich Krieg und dort stürben deutsche Soldaten, und da sollten wir uns doch nicht über nicht gesetzte Fußnoten erregen, wer sei denn zu dem schon ohne Sünde und ein bisschen Abschreibe sei ja nichts gegen dessen Qualität als Minister.
Er habe doch Fehler eingestanden und den Titel zurückgegeben. Jetzt müsse doch auch mal Schluss sein.

Meine lieben Guttenbergfreunde in einem haben sie sicher Recht, Deutschland und die Welt stehen vor mächtigen Herausforderungen. Die arabische Welt kämpft um die Freiheit, in Afghanistan wird Krieg geführt und dort sterben deutsche Soldaten.

Nur – und hier mag ich ihnen nicht folgen – deshalb dürfen wir doch unter keinen Umständen die Führung unserer Soldaten und die Verantwortung für unser Land in die Hände eines skrupellosen Hasardeurs legen, der nicht zögert für den persönlichen Vorteil zu lügen und zu betrügen.

Einem solchen Mann wollen sie doch nicht ernsthaft die Sicherheit unserer Soldaten weiter anvertrauen?

Deshalb leben wir doch in einer Demokratie, um den Mächtigen beizeiten zu sagen, hier und nicht weiter.

Die Promotionsgeschichte bringt es ans Licht, dass zu Guttenberg eben nicht der ist, für den ihn die Öffentlichkeit gehalten hat.

Der Mann ist weder ehrlich noch gradlinig noch überzeugend. Er ist schlicht falsch, hinterhältig und ohne Skrupel.

Schauen wir doch dafür auf dessen Rede am Montag, die sie in so unverständlicher Weise feiern.

Zu Guttenberg behauptet, er habe die gravierende Fehler nicht aus Absicht gemacht, sondern weil er bei den Quellen den Überblick verloren und damit menschliche Fehler begangen hätte. Und dann die Beteuerungen: „Ich habe die Arbeit selbst geschrieben.“ und „Ich habe nicht absichtlich getäuscht.“

Meine lieben Guttenbergfreunde, bei einer Handvoll von Fehlern lasse ich mir eine solche Erklärung noch gefallen, aber habt ihr mal einen Blick auf das guttenplag wiki geworfen.
Auf über 70 Prozent der Seiten in der Promotion wurden Plagiate gefunden!
Wie kann einem so etwas unabsichtlich widerfahren? Das ist doch nur mit einer schweren geistigen Verwirrung zu erklären, die das Eigene vom Fremden nicht mehr zu unterscheiden vermag, eine Art Wissenkleptomanie, oder, wenn dem nicht so ist, entspringen diese Beteuerungen schlicht einer fetten Lüge.

Und diesem unwahrhaftigen Mann vertrauen sie noch das Leben unserer Soldaten an?

Zum anderen schiebt zu Guttenberg mit dieser Aussage die Verantwortung für sein Fehlverhalten auf die Universität Bayreuth und den Doktorvater ab.
Denn, wenn er nicht absichtlich betrogen sondern nur Fehler begangen hätte, die er zudem noch als allzu menschlich beschreibt, dann hätte dies ja der Doktorvater und die Korrektoren der Universität merken müssen. Zum Fehlerfinden sind die ja da. Da dies nicht geschehen ist, trägt also nicht der fehlerhafte zu Guttenberg die Schuld, sondern die Universität, die nicht richtig zu prüfen versteht.
Nur bei einem eingestandenen Betrug des zu Guttenberg wäre die Universität entlastet.
Einen weiteren Schlag verpasst zu Guttenberg der Universität Bayreuth mit dem Wort „Blödsinn“, denn die Promotion hat ja immerhin die Bewertung Summa cum Laude bekommen.

Zu Guttenberg drückt sich also wieder mal in perfider Form vor der Verantwortung und schiebt den Dreck in andere Schuhe.

Und diesem hinterhältigen Mann, liebe Guttenbergfreunde, vertrauen sie das Leben der deutschen Soldaten an?

Zudem beschwert sich zu Guttenberg darüber, dass im Gegensatz zum öffentlichen Interesse zu den Verfehlungen in der Promotionsarbeit der Tod der Soldaten in Afghanistan zur „Randnotiz“ verkommen sei. Diese Verbindung sprengt alle Rahmen des Anstandes.
Der Verteidigungsminister scheut für sein Ablenkungsmanöver vor den Lügen nicht mal davor zurück ein Vollbad im Blut der erschossenen Soldaten zu nehmen.

Liebe Guttenbergfreunde, wollen sie wirklich diesem skrupellosen Mann das Leben unserer Soldaten anvertrauen?

Das Leben der deutschen Soldaten ist schlicht zu kostbar, als dass wir es in den Schatten einer von Lüge, Feigheit und Eitelkeit zerfressenen Wettertanne stellen dürfen.

Der Schutz der Soldaten muss Vorrang vor einer hysterischen Heldenverehrung haben. Also jagen wir zu Guttenberg vom Hof!

Mit freundlichen Gruß
Marcus Bensmann

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„Mich mangeln die Wörter“ (1) – Heute: das Alleinstellungsmerkmal!

Beim Kampf um die kulturelle Hegemonie in allen gesellschaftlichen Bereichen wird vor allem die Sprache missbraucht. Sprachmuster erzeugen Denkmuster und schon Viktor Klemperer schrieb in „LTI – Sprache des Dritten Reiches“: „Worte können sein wie winzige Arsendosen, und nach einiger Zeit ist die Wirkung da“. Vieles von dem, was heute locker-flockig als sprachliche Mode daherkommt, als Imponiervokabel, Bläh- und Dummdeutsch oder als bewusste Lüge, verklärt den Blick auf gesellschaftliche Missstände mehr, als dass es Zusammenhänge kritisch beleuchtet. In loser Folge soll die Kolumne „Mich mangeln die Wörter“ Sprachkritik als Ideologiekritik betreiben und hoffentlich auch etwas Vergnügen bereiten.

Massenmenschhaltung. Gammelfleisch für Hund und Herrchen. In den
Doppelhaushälften der Vorstadt-Legebatterie quillt Analogkäse aus allen
TV-Kanälen. Ob als 1-Euro-Jobber in der Suppenküche oder als
Charity-Lady im Pomp&Plüsch-Palast: Je ähnlicher sich die Menschen als
industriell verfüllte Zucht-Zombies werden, desto mehr betonen sie –
mal exzessiv, mal armselig – kleinste Unterschiede in Konsum,
Lifestyle, Ego-Marketing. Eines der vielen Gleichschaltungs-Mantras fürs
Anderssein heißt dazu „Be creative!”

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NRW muss Zwangsouting beenden

HIV-erkrankte Häftlinge werden in Nordrhein-Westfalen bloß gestellt: Sie müssen Zellengenossen ihre Krankheit mitteilen. Und das SPD-Justizministerium findet dieses unsinnige Zwangsouting nach wie vor richtig

Die FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag will in dieser Woche einen Antrag gegen das „Brachiale Verfahren“ stellen.  „Die Gefangenen verzichten auf den Schutz von höchst persönlichen und vertraulichen Daten“, heißt es in dem Antrag. Bundesweit werden Gefangene nur in Nordrhein-Westfalen genötigt, ihre Krankengeschichte offen zu legen. Erst wenn der Mithäftling schriftlich bestätigt, von der Aidserkrankung zu wissen, darf der Betroffene Zeit in anderen Zellen verbringen oder diese sogar teilen.

„Dies ist diskriminierend und verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Stefan Romberg, gesundheitspolitischer Sprecher der oppositionellen Liberalen. „Dieser veraltete Paragraf muss abgeschafft werden.“ In keinem anderen öffentlichen Bereich würden Kranke gezwungen, sich zu offenbaren. Dies sei auch medizinisch richtig, so der praktizierende Arzt und Psychiater. „Nur wer ungeschützten Geschlechtsverkehr hat oder sich Spritzen für Drogen teilt kann sich anstecken“, so Romberg. Ein Zwangsouting aber sei eine brachiale Art, Menschen zu diskriminieren. Politik dürfe sich bei Krankheiten nicht einer diffusen Angst unterordnen.

Bislang aber will die rot-grüne Minderheitsregierung an dem Zwangsouting fest halten. „Wir halten diesen Weg für richtig“, sagt Andrea Bögge, Sprecherin des Justizministers Kutschaty (SPD). Sie hätten zwischen dem Schutzinteresse der Mitgefangenen und der Persönlichkeitsrechte der Infizierten abzuwägen. „in diesem Fall ist das Interesse der Zellennachbarn wichtiger“, so Bögge. Es bliebe ja den Gefangenen selbst überlassen, ob sie in den Umschluss wollten oder nicht. „Sie haben ja die Wahl auf ihrer Zelle zu bleiben.“

Eine Freiheit, die insbesondere für langjährig Inhaftierte schmerzhaft ist. „Wir wissen aus Erfahrung, dass geoutete Inhaftierte diskriminiert und gemieden werden“, sagt Bärbel Knorr, Expertin für Justizvollzugsanstalten bei der deutschen AIDS-Hilfe. Gefangene hätten sich in einem Gefängnis schon einmal geweigert, sich von einem infizierten Mithäftling die Suppe reichen zu lassen. „Jeder Betroffene muss für sich entscheiden können, ob er seine Erkrankung öffentlich macht oder nicht“, so Knorr. Dies gelte auch für alle anderen und möglicherweise ebenso ansteckenden Krankheiten. „Der einzig sinnvolle Schutz ist es, Menschen über geschützten Sex und den sicheren Gebrauch von Spritzen zu informieren“, so Knorr.

Aber genau daran mangelt es im Gefängnis. Zwar sind in den meisten deutschen Gefängnissen inzwischen Kondome zu erwerben, sterile Spritzen aber werden nach Angaben der AIDS-Hilfe bislang nur im Berliner Frauengefängnis Lichtenberg verteilt. Alle anderen drogensüchtigen Knackis teilen sich entweder Spritzen oder müssen im illegalen Schwarzmarkt innerhalb der Haftanstalt das Besteck kaufen. Allerdings ist dies für viele unerschwinglich: Laut Knorr soll eine Spritze für rund 30 Euro gehandelt werden – bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von ebenfalls 30 Euro. „Auf der einen Seite stellt der Staat die Infizierten an den Pranger, auf der anderen Seite hilft er Ihnen nicht sich zu schützen“, so Knorr.

Tatsächlich bietet auch das Zwangsouting keine Sicherheit für die Mitgefangenen: Ein HIV-Test ist bei der Einlieferung in ein Gefängnis nicht obligatorisch, viele Häftlinge wissen nichts von ihrer Erkrankung. „So werden alle Inhaftierten und JVA-Angestellten in einer völlig falschen Sicherheit gewogen“, sagt Expertin Knorr.