Der Ruhrpilot

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NRW: Zehn-Punkte-Plan im Dioxin-Skandal…Der Westen

Duisburg: Loveparade-Opfer erschrocken über sich selbst…Der Westen

Dortmund: Pfusch am U-Turm ist unübersehbar…Der Westen

Dortmund II: Feiern feiern unter Polizeischutz…Ruhr Nachrichten

Bochum: Nazis werden dreister…Bo Alternativ

Online: Pirat wirbt Holocaustleugner…Isis

Blogs: Gestiegenes Interesse an der Bloggerin des Jahres…Kaffee bei mir?

Blogs II: Erst mal abwarten…Blogbar

Recht: Ablaufdatum für Musik und Filme…Law Blog

Weiter Wahnsinn wagen

Intendant Arne Nobel zieht Bilanz/Foto: Chantal Stauder

Wer noch immer glaubt, in Bochum gebe es keine Künstler, wird im Falle des Bochumer Rottstr5-Theaters eines Besseren belehrt. Das hat kürzlich auch die Sparkasse Bochum eingesehen. Die Sparkassenstiftung gewährt dem Off-Theater erst- und einmalig eine Projektförderungssumme in Höhe von 25.000 Euro. Die neue Spielzeit steht unter dem Motto Kulturhauptstraße Rott 2011 und widmet sich im kommenden Jahr den Nibelungen. Nach 16 Monaten Wagnis zieht Arne Nobel, Intendant des Rottstr5-Theaters, im Interview Bilanz.

Stand das letzte Jahr noch im Zeichen Trojas, knüpft sich die Rottstraße mit den Nibelungen in den kommenden Monaten die ganz großen Themen vor. Die WG-Probleme von Lieschen Müller überlassen sie lieber dem Stadttheater. Zu den Nibelungen ist monatlich eine Premiere geplant. Den Auftakt beginnt das Theater mit Superheld Siegfried. Brauchen wir heute noch Helden? Eine Antwort sollte bis März gefunden werden, denn dann widmet sich Regisseur Hans Dreher auch schon Siegfrieds Tod. Außerdem wird ein Trauerspiel von Hebbel zu sehen sein. Fürs Frühjahr ist darüber hinaus unter dem Titel Die Nibelungen lesen eine 24-Stunden-Non-Stop-Lesung geplant. Dazu ruft das Rottstr5-Theater Bochumer Autoren, Journalisten und Schulklassen auf, kurze Texte oder Gedichte zu verfassen und diese bei der Lesung selbst vorzutragen. Interessierte hauen in die Tasten und schicken ihre Texte per E-Mail an: mail@rottstr5-theater.de

6 Schuss, 6 Monologe

Wer nicht so lange warten möchte, kann sich bei der Premiere von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ (Regie: Oliver Paolo Thomas) am 22. Januar davon überzeugen, ob die Hölle wirklich die Anderen sind. Unter der Moderation der Heiligen Drei Könige (Arne Nobel, Hans Dreher und Felix Lampert) findet zudem am Donnerstag um 19.30 Uhr eine visuell unterstützte „innerdeutsche Aufarbeitung“ der Vergangenheit des ehemaligen „Elitesoldaten“ Dreher statt. Zu Beginn der Woche wurde der vorläufig letzte Jahrgang für die Bundeswehr eingezogen, vielleicht auch deshalb überträgt Einslive Plan B am 6. Januar die Aufarbeitung der Militärgeschichte des Regisseurs Hans Dreher beim Three-Kings-Jukebox-Bingo im Bochumer Rottstr5-Theater.

Vom 7. bis zum 9. Januar findet das Revolver-Wochenende unter dem Motto „6 Schuss. 6 Monologe.“ statt. Am ersten Abend sind Richard III. und Nach Troja (Heimkehr) zu sehen: Zwei Kriegshelden, die gleichzeitig auch Opfer sind. Am Samstag folgt das Duett aus S.-Requiem für Sylvia Plath und Werther, zwei traurige Briefe- und Gedichteschreiber. Diese werden am Sonntag von den Utopisten abgelöst. Der eine träumt den Traum eines lächerlichen Menschen und der andere genießt Wodka in Dublin. Mit der neuen Spielzeit kehrt auch Cosmic Baseball zurück in die Rottstraße.

Es folgen 15 Fragen zur Finanzspritze, Kulturhauptstraße Rott 2011 und dem Traum vom freien Theater:

"Es klappt alles, das ist der größte Erfolg." / Foto: Chantal Stauder

Wie fällt euer Fazit für das Jahr 2010 aus? Kann man sagen, dass es ein erfolgreiches Jahr für euch war?

Unfassbar erfolgreich. Wir haben es geschafft, jeden Monat mindestens eine Premiere zu veranstalten. Wir sind unglaublich gewachsen was das Personal angeht. Die Crew hat sich vergrößert. Bei der Weihnachtsfeier zum Beispiel, die wir in diesem Jahr veranstaltet haben, sagte die Hälfte ab und wir saßen trotzdem mit mehr als 20 Personen da, die man alle sehr lieb gewonnen hat. Es gibt Geschichten und Verbindungen zu mehr als 20 Menschen, was auch ein persönlicher Erfolg ist. Der Laden trägt sich selbst, von den Zuschauerzahlen her. Alle Kritiken zu allen Stücken, die man gemacht hat zeigen, es ist nichts gefloppt, was unfassbar ist. Natürlich sind wir auch stolz auf die Nennung zum Theater des Jahres in verschiedenen Zeitungen. Wenn man bedenkt, dass wir vor einem Jahr noch ein Geheimtipp waren und jetzt überregional solch eine Resonanz erhalten, wird es schwer, die Erfolge noch zu toppen. Wir bekommen viele Anfragen von außerhalb, was toll ist. Der große Erfolg ist, dass anscheinend alles klappt. Wir haben unsere Ideen verwirklicht. Zum Beispiel Carsten Marc Pfeffer für vier Tage zu uns einzuladen, damit er über den Probenprozess bloggt. Und herausgekommen ist ein unglaublich toller Text. Auch, dass wir nach über 13 Jahren wieder mit Björn Geske zusammen arbeiten. Und das Tollste ist, der Laden macht auch noch Spaß! Vor allem unser Kinder- und Jugendtheater. Es klappt alles, das ist der größte Erfolg.

Welche besonderen Momente gab es für euch im letzten Jahr?

Jede Premiere war richtig schön, so dass man merkte, dass man es wieder mal geschafft hat. Ganz besonders Räuber Hotzenplotz. Und das ist jetzt keine Koketterie. Niemand musste zum Dienst eingeteilt werden. Alle waren da und haben geguckt, was die wundervollen Truffaldinos (Anm.: Jugendclub des Rottstr5-Theaters) auf die Bühne gebracht haben. Traurig war, das Konzert von Bad Boy Boogiez verpasst zu haben, weil ich krank war.

Was hat es mit dem Slogan „Kulturhauptstraße Rott 2011“ auf sich?

Ich war enttäuscht von der Kulturhauptstadt.2010 und habe überlegt, was fand ich gut, was kann man besser machen, was sollte öfter stattfinden, was war schön? Das war der Gedanke, natürlich mit einem Augenzwinkern. Es war nur überraschend, dass sich daraus direkt Kooperationen entwickeln und jeder eine Idee hat, was man machen könnte, um den Mächtigen zu beweisen, dass man nicht Milliarden ausgeben muss. Wir schaffen was Eigenes, was Nachhaltiges. Dazu ist genug Potential in der Rottstraße und in Bochum vorhanden.

"Wir haben keine Angst mehr vorm Scheitern." / Foto: Chantal Stauder

Was kannst du über die Subventionen seitens der Bochumer Sparkasse verraten?

Wir haben uns beworben und mit Herrn Townsend gesprochen, der einen Ausgabenstopp von der Stadt auferlegt bekommen hatte. Wir haben ihn nach Möglichkeiten der Förderung gefragt. Er hat uns dann auf die Sparkassen Stiftung hingewiesen. Dort haben wir dann ganz normal einen Förderungsantrag gestellt. Sie haben uns gewogen und für schwer genug befunden, wofür wir sehr dankbar sind. Wir haben viele angesprochen. Die Stadtwerke sind nun Werbepartner und der Intershop, der für mich die zweite große Kulturinstitution in Bochum ist. Lobo (Anm.: Friedhelm „Lobo“ Kerskis) vom Shop unterstützt uns also auch.

Euer Wunsch vom letzten Jahr nach finanzieller Förderung wurde erfüllt, was steht nun auf der Wishlist?

Der Wunsch ist teilweise erfüllt worden. Wir hatten die Befürchtung, eine Förderung könnte korrumpieren. Aber die Summe ist nicht so hoch, deswegen glaube ich nicht, dass es da eine Gefahr gibt. Wir werden uns unseren fröhlichen Anarchismus bewahren. Die Produktionsbedingungen werden im Grunde gleich bleiben. Die Summe ist eher eine Überlebensrettung. Ich wünsche mir, dass wir das Niveau halten und die Stücke für die Nibelungen so machen können, wie wir uns das vorstellen. Und, dass wir uns nicht untreu werden. Ein Zuschauer sagte zu mir, wir sollten weiterhin so demütig bleiben, aber den Kopf höher tragen.

Welche Erfahrungen nehmt ihr aus dem Jahr für 2011 mit?

Dass man Montage freimachen muss, was natürlich nicht immer klappt. Dass man genau diesen ganzen Wahnsinn weiterhin wagen muss. Dass wir unsere Ideen weiterhin verfolgen sollten. Wir nehmen auch unheimlich viel Selbstbewusstsein mit. Wir haben keine Angst mehr vorm Scheitern.

Welche Stücke sind am besten besucht?

Fight Club, das ist anscheinend irgendwie Kult. Da gehen die Leute auch mehrfach rein. Aber insgesamt pendelt es sich alles so zwischen 20 und 30 Leuten ein. Zum Beispiel bei der letzten Werther-Vorstellung, da wurden die Hälfte der Reservierungen wegen des Schneesturms abgesagt und plötzlich stehen um kurz nach 19 Uhr schon 15 Leute da.

Welche Inszenierung würdest du jemandem empfehlen, der noch nie im Rottstr5-Theater war?

Das kommt immer darauf an, wem ich das empfehlen soll. Jemandem, der nicht oft ins Theater geht würde ich Fight Club empfehlen. Wer gerne ins Theater geht, sollte sich Fräulein Julie ansehen.

Warum sollte man gerade euer Theater unterstützen?

Weil wir ehrlich und authentisch sind. Weil wir es alleine auf die Beine gestellt haben. Weil jeder, der kommt sieht, dass wir versuchen, die Welt damit ein wenig besser und schöner zu machen. Und weil es funktioniert und wir die Kohle nicht für irgendeinen Technikscheiß ausgeben, sondern nur für das Nötigste und immer nur, um weiterzumachen.

Schlingensief sagte der Neuen Zürcher Zeitung im Juli 2010 im Interview: „Die meisten Intendanten heute sind so kleine, zarte Pflänzchen, die ihr Programm mixen – ein Stück für die Oma, ein anderes für den Opa, für die Jugend ein wenig Hip-Hop oder Punkrock und für die Kinder Trallala. Ich finde aber, dass man das Theater auf diese Weise einfach nicht ernst nimmt, auch wenn man damit Zuschauerzahlen erzielt.“ Macht man das Theater in seiner Grundexistenz auf diese Weise wirklich platt?

Ja, ich habe den Verdacht, dass sich da abgeschafft wird. Wenn du ein starker Intendant bist, wie Peymann (Anm.: Claus Peymann übernahm 1979 die Intendanz am Schauspielhaus Bochum) oder Steckel (Anm.: Frank-Patrick Steckel übernahm die Intendanz ab 1986), dann können sich Kulturdezernenten dich nicht mehr leisten. Jemanden wie Schlingensief zu engagieren, Gott hab ihn selig, jemanden, der immer Position bezieht, das ist auch für Kulturverantwortliche schwierig. Haußmann (Anm.: Leander Haußmann übernahm 1995) hat mal gesagt, ein Stadttheater darf sich für nichts zu schade sein.

Muss Theater kommunizierbar bleiben?

Auf jeden Fall. Theater ist Kommunikation. Das ehrlichste und direkteste Medium. Es kann jederzeit etwas passieren. Die Vorstellung kann unterbrochen werden. Es ist auch toll, wenn Schauspieler abends miteinander sprechen. Das ist ja meine Hoffnung. Statt, dass man ständig etwas vorgesetzt bekommt, wie im Fernsehen. Das Theater ist uralt als der Aufstand der Menschen gegen die Götter. Ich hoffe, dass es eine Rückbesinnung ist, dass Menschen mehr Lust haben darauf. Es ist große Kommunikation, da gibt es die großen Themen.

Ist freies Theater Utopie, stirbt es aus oder ist das nur sein Ruf?

Ich glaube nicht, dass es ausstirbt. Die Frage ist, was man als freies Theater bezeichnet. Weder freies, noch kleines Stadttheater stirbt aus. Die großen Stadttheater sind zu teuer mit ihrem Apparat und nicht schnell genug. Es wird immer mehr freie Truppen und Theater geben. Wir entwickeln uns wieder zu dem fahrenden Volk, das wir einst waren. Bei staatlich subventioniertem Theater besteht die Gefahr, dass es langweilig wird. Da passiert vorher einfach viel zu viel, anstatt einfach Theater zu machen und die Künstler was Tolles produzieren zu lassen. Das kann man eher in der freien Szene machen. Natürlich sind die Leute enttäuscht, die in den 80er und 90er Jahren angefangen haben, die wurden zunächst viel subventioniert. Aber es gibt noch genug Irre, die diese Sehnsucht, diesen Zwang empfinden, sich auszudrücken, vor allem in unserer überdigitalisierten Welt.

Was war deine beständigste Motivation, freies Theater zu machen?

Die Freiheit.

Was motiviert dich weiterzumachen, wenn du mal zweifelst?

Die Verantwortung, die ich für die anderen trage. Mitarbeiter, Schauspieler, Assistenten, die ohne Kohle ihre Freizeit opfern, um Theater zu machen. Ja, die Verantwortung, das gut hinzukriegen und natürlich der Zuspruch des Publikums, wie ich glaube jeder Künstler. Außerdem ist es wie eine Sucht.

Wem möchtest du an dieser Stelle unbedingt einmal Danke sagen?

Bochum. Und meiner Crew.

Der Ruhrpilot

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Nachhaltigkeit bei der Ruhr.2010 – Die Schilder stehen noch

Die Ruhr.2010 hört nicht einfach auf, nur weil das Jahr zu Ende  ist. Dann müsste auch Schröders Agenda 2010 seit Neujahr Geschichte sein. Die Kulturhauptstadt setzt auf Nachhaltigkeit.  Angeblich kamen 10,5 Millionen Besucher. Das klingt gut. Aber selbst das spanische Provinzstädtchen Santiago de Compostela hatte im letzten Jahr 9,2 Millionen Gäste. Gut, da war 1 Papst dabei. An die Ruhr reisten immerhin gleich zwei Bundespräsidenten. Letztlich müssen die Ruhr.2010-Besucherzahlen enttäuschen. Denn in einer Umfrage aus dem Jahr 2008 gaben 69 Prozent der Bundesbürger an, „sicher“ oder „vielleicht“ die Kulturhauptstadt zu besuchen. Das wären immerhin 55 Millionen gewesen. Rückblickend blieb dann doch viel Luft nach oben.

Anlass für das gestern Abend eigens gegründete Callcenter Ruhr.2011, einmal nachzufragen mit Forsa-Methoden. Mit ungebeten Anrufen zur Abendbrotzeit. Warum die Menschen fernblieben und wie man sie 2011 vielleicht doch noch im Zuge der Nachhaltigkeit hierher locken kann. Erste Stadt: Osnabrück. Gut eine Stunde vom Ruhrgebiet entfernt und mit Kultur nicht allzu arg gesegnet.

Callcenter:  „Schüling von der Kulturhauptstadt Ruhr.2011. Haben Sie davon schon mal etwas gehört?“

Herr H.: „Sie wollen mir sicher etwas verkaufen?“

– „Nein, nur nachfragen.“

– „Davon habe ich gehört, auch davon im Fernsehen gesehen.“

– „Viele Bundesbürger hatten vorher die Absicht bekundet zur Kulturhauptstadt zu kommen. Sie waren auch nicht da?“

– „Nein, wir waren auch nicht da.“

– „Gibt es gute Gründe dafür?“

– „Da gibt es eigentlich keine Gründe. Wir hatten auch die guten Vorsätze. Wir haben aus gesundheitlichen Gründen die Fahrt nicht auf uns genommen.“

– „Wir sind ja nachhaltig. Wir haben die Hinweisschilder alle stehen gelassen, die Museen auch. Wir wollen im März das Still-Leben auf der Autobahn wiederholen, aber dieses Mal nicht mit den blöden Tischen, sondern mit Autos, 60 Kilometer Dauerstau. Wäre das was für Sie?“

– „Daran würden wir sicher nicht teilnehmen.  Wir hören sehr häufig von… weil wir Cousins und Cousinen in Gelsenkirchen haben. Die jüngste Tochter wohnt in Düsseldorf, so dass wir den Raum mehrmals jährlich wahrnehmen.“

. Fazit: Unentschuldigtes Fehlen. Immerhin ist der Mann schuldbewusst. Wenn man ihn in einen typischen A40-Stau lotsen könnte, würde er den Raum noch intensiver wahrnehmen als ihm lieb ist.

Nächster Umfrageteilnehmer. Herr A., unwirsch. Es ist 19.18 Uhr:

A: „Um diese Zeit rufen mich fremde Leute nicht mehr an!!“ (aufgelegt)

Fazit: Freunde wohl auch nicht.

Der freundliche Herr K. tritt gleich die Vorwärtsverteidigung an.

Herr K: „Ich hatte nicht gesagt, dass ich kommen würde.“

– „Nicht schlimm. Wir arbeiten nachhaltig. Wir reißen die Revierkulisse jetzt nicht ab, nur weil das Jahr vorbei ist. Sie können auch 2011 kommen.“

– „Man hat ja das ein oder andere auf Arte gesehen, aber ich war hier so eingebunden…“

– „Wir haben 60 Millionen fürs Programm rausgehauen, 150 Millionen für neue Museen. Nachher kommen wieder Klagen, von wegen Steuerverschwendung. Daran sind dann aber eigentlich die Leute schuld, die einfach weggeblieben sind.“

– „Ja, da können Sie doch nichts dafür.“

– „Wir wiederholen auch dieses Still-Leben auf der A40. Dieses Mal mit Autos.

– „Autos? Das klingt skurril“

– „Skurril? Ich bitte Sie, Tische auf der Autobahn sind skurril. Wir wollen am 20. März die Autobahn komplett zustauen. Ich hätte da einen Platz für Sie. Ab 13 Uhr, Auffahrt Bochum-Stahlhausen Richtung Essen.“

– „Im Moment… ich weiß noch nicht.“

– „Wir wollen die Strecke komplett dichtmachen, von Dortmund bis Duisburg.“

– „Duisburg, da habe ich gemischte Gefühle. Der Sohn meines besten Freundes ist da auch umgekommen.“

– „Oh, dann ist Duisburg kein gutes Thema. Aber wir arbeiten daran, diesen Oberbürgermeister loszuwerden.“

– „Ja, vielen Dank. Man möchte nicht darüber nachdenken.“

Fazit: Die Toten der Loveparade sind wirklich nachhaltig tot. Sauerland aus dem Amt zu entfernen, wäre mal ein wichtiges nachhaltiges Projekt.

Die nächsten Versuche führen nach Sachsen-Anhalt. Ins Land der Frühaufsteher. Immerhin war die Ruhr.2010 auch ein hervorragendes Angebot an die Ossis, den Westen einmal zu erkunden. Denn kulturell unterscheidet sich der Pott wenig von Orten wie Bitterfeld oder – Dessau.

Frau R: „Erstens sind wir viele hundert Kilometer entfernt, zweitens sind wir beide Rentner. Und bei dem Wetter ins Auto setzen, und eine eventuell verstopfte Autobahn zu erwischen, nein danke.“

– „Wir haben nicht nur im Winter Kultur gemacht…“

„Ich habe einen sehr heißen Draht nach Gelsenkirchen. Mit dem Kumpel schreibe ich schon ewig per Computer. Alles was sich dort tut, kriege ich mitgeteilt. Der schickt mir Fotos, von den Wanderungen, von allem, was sich da abspielt.“

– „Wenn wir einen Reisebus in Ihre Gegend schicken, im Sommer, würden Sie dann vielleicht kommen?“

– „Kommt auf unsere Gesundheit an, die ist zur Zeit ziemlich angeschlagen. Das ist mehr als eine Grippe. Das wäre eine Strapaze, die wäre sehr gut zu überlegen.“

Fazit: Vorsicht. Offensichtlich alte Stasi-Seilschaft in den Westen. Weiß über alles Bescheid. Auch über ominöse Wanderungen. Krötenwanderungen? Linken-Nacktwanderungen auf Halden? Wählerwanderungen? Auf keinen Fall einladen.

Offensichtlich deutlich jünger ist die nächste Befragte, ebenfalls Dessau.

Frau F.: „Wollen Sie jetzt Werbung machen?“

– „Das haben wir nicht nötig. Da sind wir selbstbewusst. Wir hatten Millionen an Steuergeldern zur Verfügung, da muss man keine Werbung machen. Sie haben nichts gehört, etwa von der Loveparade?“

– „Das interessiert mich weniger.“

– „Oder vom Still-Leben, als die Leute auf der Autobahn rumgesessen haben?“

– „Gehört habe ich. Aber das interessiert mich nicht. Ich suche mir meine Angebote selber raus. Schönen Abend noch.“

Fazit: Offensichtlich hat nicht einmal die Super Illu hat über das Duisburg-Massaker berichtet. Kein Ostdeutscher unter den Toten. War ein Fehler. Und das mit dem selber raussuchen, das durften die früher doch auch nicht.

Interessierter erscheint der nächste Umfrageteilnehmer. Er. hat „grob“ von der Kulturhauptstadt gehört.

Callcenter: „Sind wir zu weit weg für Sie?“

Herr O.: „Ja, auch, auch.“

– „Auch?! Spricht mehr gegen uns?“

–  „Ja… nee… was heißt jetzt gegen Sie?“

– „Sie können offen reden, die Umfrage ist anonym.“

– „Das Ruhrgebiet kennen wir jetzt nicht so. Es steht aber nicht so für Attraktivität, dass wir uns das touristisch reinziehen würden.“

Auch die Vorstellung des Still-Lebens reloaded fruchtet nicht:

O.: „Wenn Sie den Weg durch die A 2 nehmen, und haben da einen Künstler, der einen Stau anbietet, haben aber schon die ganze Zeit im Stau gestanden und sind froh, dass Sie daraus sind, nee, das ist dann nicht so das Thema. Kann man so nicht sagen.

– „Dessau bietet also genug Kultur?“

– „Kann man so nicht sagen.“

Fazit: Keine Ahnung, aber seine Vorurteile pflegen. Soll die höllische Innenstadt von Dessau genießen. Hätte man das Still-Leben als kollektives Schlangestehen verkauft, wären wahrscheinlich busseweise Menschen gekommen aus dem Land der Frühaufsteher.

Zurück nach NRW, in die Berge, wo schon das Krähen des Hahns als Event durchgeht. In die Stadt, von der es heißt, sie sei schlimmer als Verlieren. Nach Siegen. Eine Stunde bis Dortmund. Frau K., sehr rege, mit englischem Akzent.

Frau K.: „Wir sind aber im Auslandsgebiet, in Siegen.“

– „Das war aber die Europäische Kulturhauptstadt und sollte sogar Menschen aus Stuttgart ansprechen. Na gut, die haben im Moment andere Attraktionen.“

– „Oh, Glasgow war auch mal Kulturhauptstadt. It was a good support for us.  Mein Mann ist Däne mit schwedischem Hintergrund, und ich komme aus Schottland.“

– „Da sind Sie mit dem Hintergrund ideale Ansprechpartner.“

– „Jetzt bekomme ich ein schlechtes Gewissen.“

– „Wir wollten damit auch Werbung machen für das Ruhrgebiet.“

– „In Siegen gab es auch ein langes Kulturwochenende. Wahnsinnig viele Leute haben da gesehen, dass Siegen gar nicht so hässlich ist.“

– „Zum Glück war es nicht in Hagen.“

– „Oh, Hagen hat eine sehr gute Oper…“

– „Dann wäre der Day of Song was für Sie gewesen. There was a big concert  in Gelsenkirchen, in the football stadium, with about 60 000 participants…“

– „Ich mag solche Großveranstaltungen nicht. Neulich waren wir  in Olpe beim Kammerorchester Sankt Petersburg mit einem tollen Flügelhornspieler. Ich kannte ihn nicht, er soll aber sehr berühmt sein.“

Fazit: Der Mann mit dem Flügelhorn heißt Sergej Nakariakow, ist wirklich toll. Wenn mal ein toller Usbeke im Muttental Nasenflöte spielt, melden wir uns. Der englische Akzent war schottisch.

Zusammenfassung: Entweder haben die Menschen in der Vorab-Umfrage gelogen, um nicht als Kulturbanausen da zustehen, oder die Umfrage war von Forsa. Aus Interesse wird keiner kommen. Mitleid und Schuldbewusstsein könnten zur Reise ins Ruhrgebiet motivieren. Für Duisburg bleibt die Nische des Trauertourismus.

Der Ruhrpilot

Reemrenreh von Bogomir Ecker, Foto: Roman Mensing / EMSCHERKUNST.2010

Ruhrgebiet: Die Flussbereinigung…Zeit

Medien: Wer hat das Zeug zum Schimi?…Bild

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NRW: Laumann fordert Bund zur Hilfe für Kommunen auf…RP Online

NRW II: Auch die NRW-FDP setzt auf Westerwelle…RP Online

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Ruhr2010: 2-3 Strassen..Mimi Müller

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Platz für Kreative in Bochum

In ein altes Postgebäude in Bochum werden bald bis zu 100 Kreative einziehen – bis es einem Einkaufszentrum weichen muss.

Noch steht sie gegenüber dem Bochumer Rathaus: Die einstige Hauptpost der Stadt. 4000 Quadratmeter, von denen die meisten nicht mehr genutzt werden. Nur noch eine Postbankfiliale im Parterre erinnert an die alten Zeiten. Geht es nach dem Einkaufszentrumsbetreiber ECE, sind die Tage der alten Post gezählt. Es soll, wie der ganze Block, zu dem auch noch das Landgericht gehört, abgerissen werden. ECE will hier ein weiteres Einkaufszentrum errichten.

Aber bis es frühestens 2014 soweit sein wird, könnte sich das alte Postgebäude in eines der größten Künstlerhäuser Nordrhein-Westfalens verwandeln. Zwischennutzung heißt das Stichwort. Ist es in US-Städten wie New York durchaus üblich, leer stehende Immobilien zeitweilig und zu günstigen Preisen Künstlern, Galerien oder kleinen Agenturen zu überlassen, stößt die Idee in Deutschland noch immer auf Skepsis. Viele sorgen sich, dass sie das bunte Völkchen der Kreativen nicht mehr los werden, wenn es sich erst einmal in den Räumen niedergelassen hat.

Immobilienberater Bernd Albrecht, der unter anderem für ECE in Bochum arbeitet, war von der Idee, Künstler für ein paar Jahre Platz im Telekomgebäude einzuräumen, von Anfang an begeistert: „Die Verträge können in der ersten Januarhälfte in trockenen Tüchern sein.“ Albrecht ist sich sicher, dass das Modell der Zwischennutzung auch auf andere Projekte übertragen werden kann.

Entwickelt haben es für Bochum der IHK-Mann Rouven Beek und der Stadtplaner Dr. Arnold Voss. Sie wollen Kreative in der Bochumer Innenstadt binden. Beek: „Kreative wollen Cafés, Kneipen und brauchen den Nahverkehr. Das alles gibt es nur in der Innenstadt. Nur da können sie häufig die Mieten nicht bezahlen. Mit unserem Projekt wollen wir ihnen helfen, bezahlbare Räume zu finden.“

Um die fünf Euro Warmmiete soll die Quadratmetermiete in der alten Post kosten. Selbst für die meisten Existenzgründer bei Raumgrößen ab zehn Quadratmeter ein bezahlbarer Preis.

Doch Beek und Voss geht es nicht nur um die Kreativen und ihr wirtschaftliches Potential. Sie hoffen auf Synergieeffekte zwischen Künstlern, kreativen Jungunternehmern und den anderen Branchen in der Stadt. Bochum soll sich als Stadt der Kreativen auch gegenüber den großen Nachbarn Dortmund und Duisburg profilieren.

Bis zu hundert Kreative  können sich in der alten Post ansiedeln – und sollen auch in Bochum gehalten werden, wenn eines Tages die Bagger kommen. Beek will einen Förderverein gründen und bei den großen Immobilienbesitzern der Stadt nach weiteren Räumen suchen. Er will für die Stadt und die Kreativen eine langfristige Perspektive, kein spektakuläres Strohfeuer.

Mit der Ruhr2010 GmbH und ihrem für Kreativwirtschaft zuständigen Direktor Dieter Gorny hat in Bochum übrigens keiner gesprochen. Die hatten eigentlich vor, sich für preiswerte Räume für junge Kreative stark zu machen und versprachen die Förderung der Kreativwirtschaft. Gefördert hat man sich allerdings in erster Linie selbst: Gornys neues European Centre für Creative Economy (ECCE) hat für sich das Raumproblem gelöst: Man residiert nobel im gerade zum dritten Mal eröffneten U-Turm in Dortmund. Die klamme Revierstadt unterstützte die Ansiedlung von Gornys aus drei festen Mitarbeitern bestehenden Truppe großzügig mit über 400.000 Euro.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits ist der Welt am Sonntag

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