Ulrich Schröder war Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung der Linkspartei in NRW. Am 31. 12. 2010 hat er die Partei verlassen. Der Grund: Die Zustimmung zum Steag-Deal und der Mangel an innerparteilicher Diskussionskultur. Wir dokumentieren hier den Brief, mit dem er seinen Austritt begründet:
Genossinnen und Genossen,
hiermit gebe ich meinen Austritt aus der Kaderpartei „Die Linke“ zum
31.12.2010 bekannt. […]
Anlass für meine Entscheidung ist die Aushebelung grundlegender
Mechanismen zur demokratischen Entscheidungsfindung in einer so
zentralen politischen Frage wie der regionalen Energiepolitik. So
zeugt die im Kreisverband Bochum auf keiner einzigen
Kreismitgliederversammlung im Vorfeld der Beschlussfassung im Stadtrat
diskutierte Übernahme des Evonik-Steag-Konzerns von einem
unentschuldbaren Mangel an innerparteilicher Demokratie. Es kann nicht
sein, dass der Ankauf von einem Unternehmensanteil von 51 Prozent an
einem maroden Energieunternehmen mit einem völlig veralteten
Kraftwerkspark samt Atomstromsparte sowie höchst fragwürdigen
Auslandsgeschäften unter Arbeitsbedingungen, die mit hiesigen
Standards gänzlich unvereinbar wären, von einer Handvoll
Ratsmandatsträger_innen an der Mitgliedschaft vorbei durchgestimmt
wird. Es ist mit jeglichem emanzipatorischem Anspruch einer sich als
linker politischer Alternative verstehenden Partei völlig unvereinbar,
wenn eine solche Entscheidung auf der Ebene der Mandatsträger_innen
getroffen wird und nicht das Gespräch mit der Basis gesucht wird,
sondern vielmehr mit einigen Abgeordneten der Landtagsfraktion, um
dann direkt an die Öffentlichkeit heranzutreten statt an eine
Kreismitgliederversammlung. Dies ist insbesondere ein Schlag ins
Gesicht jener Genoss_innen, deren Politikverständnis basisdemokratisch
geprägt ist. So führten beispielsweise Bündnis 90 / Die Grünen 1998
über das ökologisch unverantwortbare Braunkohletagebau-Projekt
„Garzweiler II“ eine breite Debatte in jedem einzelnen
NRW-Kreisverband – wenn auch mit dem knappen bedauerlichen Resultat
einer Entscheidung für einen Ausbau des Braunkohletagebaus und damit
für eine Weiterführung der damaligen rot-grünen Koalition.
Zudem scheinen die meisten an der Entscheidungsfindung in Sachen
Evonik-Steag-Übernahme beteiligten linken Landes- und
Kommunalpolitiker_innen weder die relevanten Passagen der
Landesverfassung NRW, noch die eigenen programmatischen Grundlagen zu
kennen oder diese bewusst zu ignorieren: „Großbetriebe der
Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen
Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt
werden“, heißt es in Artikel 27 (1) der NRW-Verfassung, auf die sich
die Linke wiederholt in ihrem Landtagswahlprogramm bezogen hat. Somit
ist es nicht hinnehmbar, dass ein solcher Konzern wie Evonik-Steag für
einen horrenden Betrag von 649 Millionen Euro aufgekauft wird –
angeblich, um bedeutende Teile des Unternehmens wie die ökologisch
unverträglichsten Kraftwerke sowie die (relativ lukrative) Atomsparte
abzuwickeln. Wer für einen solchen Konzern mehr als einen Euro
bezahlt, hat weder den Kapitalismus durchschaut noch die ideologischen
Grundlagen einer Partei wie „Die Linke“ auch nur annähernd begriffen.
In einer Partei, in der sich die politische Ignoranz der eigenen
Ideale in derart rasanter Weise durchsetzt, wie die
Evonik-Steag-Übernahme zeigt, ist für Menschen, die den Glauben an die
eigenen ideologischen Grundwerte noch nicht verloren haben, kein Platz
mehr. Daher kehre ich der Kaderpartei „Die Linke“, die sich von
Grundsätzen innerparteilicher Demokratie sowie ihren eigenen
ideologischen Grundlagen innerhalb kürzester Zeit in erschreckendem
Umfang verabschiedet hat, hiermit unwiderruflich den Rücken.
Ich weiß nicht: ist das tatsächlich so oder kommt mir das nur so vor? Ich meine: das ist doch an und für sich nichts Neues, dass am 31. Dezember ein Kalenderjahr aufhört und am 1. Januar ein neues beginnt. Und zwar ohne Pause, in der Silvesternacht, begleitet von einer Riesenknallerei. Um die bösen Geister zu vertreiben. Doch diese halten sich tapfer, verdammt tapfer. Neu ist auch nicht, dass die Menschen aus diesem Anlass, nämlich aus Anlass des Jahreswechsels, sich gute Vorsätze vorzunehmen pflegen, die sie im neuen Jahr – vermutlich wegen der bösen Geister – nicht umzusetzen vermögen.
Neu ist aber, doch vermutlich kommt mir das nur so vor, dass dieses Mal so eine Riesen Geschiss darum gemacht wird. Ja, um besagte gute Vorsätze. Der Spiegel hatte ihnen diese Woche Titelblatt und Titelstory gewidmet, aber auch alle möglichen Tageszeitungen haben dieses enorm spannende Thema für sich entdeckt. Im Fokus der Betrachtungen steht dabei die Fragestellung: wie kommt es bloß, dass aus den unheimlich guten Vorsätzen in aller Regel nichts wird. Außer beim Focus: „Ja, ich schaffe es!“ Optimismus pur, man merkt: Spiegel-Leser wissen mehr, Focus-Leser wollen mehr, doch das Leben ist und bleibt ein Jammertal – auch im neuen Jahr.
Denn der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Verdammt, wie kann das nur? Überhaupt: „gute Vorsätze“ – wenn ich das schon höre. Macht man sich eigentlich klar, was das überhaupt ist, ein Vorsatz? „In der Psychologie“, lesen wir bei Wikipedia, „ist ein Vorsatz eine Absicht, in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Verhalten auszuführen.“ Ja toll – „in einer bestimmten Situation“, spätestens wenn es draußen knallt, ist sie da, die „bestimmte Situation“. Schöne Scheiße, dann muss man nämlich ran. Meine verehrten Herren, die Situation ist da, pflegte Adenauer zu sagen, und Kohl, sein selbsternannter Enkel griff dieses Zitat häufig und gern auf. Die Situation ist da, damit war nun wirklich nicht zu rechnen: ein neues Jahr.
„Im deutschen Strafrecht“, ebenfalls Wikipedia, „beschreibt Vorsatz (dolus) den wesentlichen Teil des inneren Tatbestandsmerkmals. Im Groben stellt er den Tatentschluss dar.“ Herr Richter, damit ist erwiesen: der Angeklagte hat ganz klar vorsätzlich gehandelt. Wobei es sich in diesem Fall naheliegenderweise nicht um einen sog. guten Vorsatz gehandelt haben dürfte. Womit wir bei der nächsten Frage wären: was – in Gottes Namen – ist eigentlich „gut“? Wohlbemerkt: es muss schon etwas sein, das nicht nur gut ist, sondern so gut, dass man nicht überstürzt damit anfängt, sondern das Vorhaben, äh: den Vorsatz seiner Realisierung erst zu einem genau datierten Zeitpunkt in Kraft treten lässt.
Morgen, morgen, nur nicht heute – sagen alle faulen Leute. Mit dieser Weisheit bin ich aufgewachsen, und soweit ich es übersehen kann, hat es mir nicht geschadet. Zum Beispiel auch deshalb, weil mir dieser Sinnspruch ein wenig dabei hilft, einem Wesensmerkmal der hier erörterten guten Vorsätze auf die Schliche zu kommen. Sagen wir mal: ihrem Doppelcharakter. Denn es scheint ziemlich klar zu sein, dass wenn man einen Vorsatz fasst, der sozusagen mit einer Zeitschaltuhr ausgelöst wird, muss er zwei Bedingungen erfüllen, die in sich nicht ganz widerspruchsfrei sind: einerseits gut, andererseits trotzdem scheiße. So weit die Theorie. In der empirischen Überprüfung halten sämtliche mir bekannten Neujahrsvorsätze diesen Definitionsbedingungen eisern stand.
Lesen Sie doch einfach mal, was die Leute sich so zum neuen Jahr alles vornehmen! Googeln Sie mit dem Begriff „Neujahrsvorsätze“! Immer wieder werden Sie finden, dass irgendwelche Leute mit dem Rauchen aufhören wollen. Kein Wunder, dass es um die, wie man heute sagt, Nachhaltigkeit dieser Vorsätze nicht besonders gut bestellt ist. In der Silvesternacht, Punkt 24 Uhr, also Neujahr Null Uhr, fange ich an zu Rauchen. In dem Moment, in dem die Anderen die Lunte des Böllers anzünden, stecke ich mir meine erste Zigarette an. Das wäre doch mal was! More Fun, Partytime – im neuen Jahr fängt mein Leben erst richtig an. Die blöden Böllerer lassen es krachen. So. Und ich jetzt endlich auch.
Ein Beispiel. Aber immerhin: damit ist das Rätsel, warum aus den angeblich so guten Vorsätzen meistens nichts wird, im Kern gelöst. Es liegt an den Vorsätzen. Und, wie sieht es aus? Haben Sie sich inzwischen einmal sachkundig gemacht, welche Neujahrsvorsätze so bei den Leuten kursieren? Okay, ich sage es Ihnen: eine Spaßbremse nach der anderen. Alle zusammengenommen: der perfekte Plan für ein absolut freudloses, möglicherweise zu allem Überfluss auch noch quälend langes Leben. Ich nehme an, dass die Leute sich genau deshalb in der Silvesternacht noch einmal, noch ein einziges Mal so richtig die Kante geben. Ein letztes Mal, bevor es mit dem richtig guten Leben verdammter Ernst wird.
Wie auch immer: der Fall ist klar. Entweder man verzichtet darauf, sich mit diesen angeblich guten Vorsätzen lächerlich zu machen. Wobei das Lächerliche darin besteht, dass man ihnen nicht gerecht wird, und nicht etwa darin, dass die Vorsätze für sich genommen schon lächerlich genug sind. Lächerlich! Oder – und das scheint mir die Antwort auf alle diesbezüglichen Fragen zu sein, sozusagen des Rätsels Lösung – man fasst Vorsätze, die erstens recht leicht umzusetzen sind, und zweitens – viel wichtiger – auf die man so richtig Bock hat. Seien Sie Sie selbst. Lassen Sie einfach mal so richtig die Sau raus! Das Leben ist kurz genug.
Ihnen wird schon etwas einfallen, wonach Ihnen schon immer mal der Sinn gestanden hat. Oder nicht? Ist es schon so schlimm? Ein paar Vorschläge gefällig? Also wohlbemerkt: nur Vorschläge. Gut zusammengestellte Neujahrsvorsätze wollen freilich individuell ausgerichtet sein. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Also, wie sieht es aus? Rauchen Sie wenigstens? Finden Sie nicht auch, dass es an der Zeit wäre, endlich mal wieder fremdzugehen. So richtig saftiger Sex – wäre doch mal was. Oder, also und / oder: einfach mal das Konto überziehen, bis die Schwarte kracht. Und warum lassen Sie sich nicht mal häufiger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen? Die Anderen machen es doch schließlich auch. Und, und, und …
Das Leben könnte so schön sein. Also: machen Sie etwas draus! Die Gelegenheit ist günstig. Ein neues Jahr beginnt. Sie leben nur einmal. Fangen Sie also endlich damit an!
Das Jahr ist fast zu Ende. Zeit, Euch allen einen guten Rutsch zu wünschen. Und natürlich auch, dass im kommenden Jahr alle, aber auch wirklich alle Eure Wünsche in Erfüllung gehen. Vielen Dank, dass Ihr hier immer mal wieder vorbei geschaut habt. Das hat uns sehr gefreut. Im nächsten Jahr machen wir weiter. Morgen sicher mit einer schmalen Katerausgabe. Aber dann geben wir wieder Gas….
Im November erschien das zweite Ruhrbarone Magazin. Und wir beschäftigten uns mit einer breiten Palette an Themen.
Viele der Themen, mit denen wir uns im November beschäftigten, spielten im Ausland: Die Situation von Bloggern und Arabien und deren Verfolgung in Tunesien und im Gaza-Streifen nahmen breiten Raum ein. Und wir berichteten über den Tod einer Journalistin in Russland.
Das zweite Ruhrbarone-Printding kam im November raus. Wir feierten es wie schon die erste Ausgabe mit einer Party im Freibad in Bochum.
Im Ruhrgebiet ging der Streit um das Kraftwerk Datteln weitere. Wir zeigten Videos, die belegten, wie die Entwicklungshilfeorganisation GTZ für den PCB-Verseucher Envio warb und nannten gute Gründe gegen den Kauf der Steag-Anteile durch die Revierstädte.
Für Dusiburgs OB Adolf Sauerland war auch der November kein guter Monat: Erst wurde er „Opfer“ eines Ketchup-Attentats und dann setzte ihm auch noch der Skandal um den Neubau des Landesarchivs zu.
Und sonst? Wir tanzten gegen die Taliban, fürchteten den ewigen Klink, bekamen Post von Dieter Gorny, freuten uns über die neu CD von Boris Gott und schauten uns die Szene im Revier an und wollten Marl abreissen.
In wenigen Monaten könnte die Betreibergesellschaft des Regionalflughafens Essen-Mülheim Insolvenz anmelden. Der Flughafen ist nicht der einzige mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Experten fordern ein bundesweites Luftverkehrskonzept.
Essen muss sparen. Die Ruhrgebietsstadt ist pleite. Im kommenden Jahr wird das Geld wohl nicht einmal mehr reichen, um die Springbrunnen in der Innenstadt zu betreiben. Gespart werden muss überall – auch am ungeliebten Flughafen, den Essen gemeinsam mit der Nachbarstadt Mülheim und dem Land Nordrhein-Westfalen betreibt. 700.000 Euro Verlust macht der kleine Essener Regionalflughafen jedes Jahr. Er liegt im Süden der Stadt auf der Grenze zu Mülheim und sorgt schon seit Jahren für Negativschlagzeilen. Vor allem den gut betuchten Nachbarn ist er ein Dorn im Auge. Er ist, neben dem Flughafen Düsseldorf, die Hauptlärmquelle für Stadtteile wie Bredeney, Kettwig und Werden. Und das hat Folgen: In Kettwig führte die Belastung durch den Fluglärm schon zu sinkenden Immobilienpreisen. Im Essener Süden eine Ausnahme.
Der Essener Rat hat nun beschlossen, künftig 100.000 Euro weniger an Subventionen zu zahlen. Und weil die Zuschüsse gemeinsam finanziert werden, werden auch das Land und Mülheim künftig ihre Zuschüsse in gleicher Höhe senken. 300.000 Euro muss Reiner Eismann, der Geschäftsführer der Flughafen Essen Mülheim GmbH sparen. Für Eismann reine Utopie: „Wir haben die Verpflichtung, für die Öffentlichkeit den Flugbetrieb sicher zu stellen. Dazu gehört, dass wir die immer höher werdenden Sicherheitsstandards erfüllen müssen. Dafür brauchen wir Personal und auch bei den Investitionen sind uns zum größten Teil die Hände gebunden. Zu vielem, was wir ausgeben, sind wir rechtlich gezwungen.“ Auch bei den Gehältern sieht er wenig Spielraum: „Wir orientieren uns an den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Fabelgehälter, die man einsparen kann, gibt es nicht.“
Bleibt es bei dem Beschluss der Stadt Essen, muss Eismann irgendwann im kommenden Sommer den Weg zum Amtsgericht antreten, und Insolvenz beantragen.
Mit dem defizitären Flugbetrieb ist dann allerdings immer noch nicht Schluss. „Wir müssen“, sagt Dr. Hendrik Dönnebrink, Geschäftsführer der Beteiligungsholding Mülheim an der Ruhr GmbH, „weiter einen Flughafen betreiben. Nur wenn die Flughafengesellschaft insolvent ist, bleiben wir als Mülheim alleine auf den Kosten sitzen. Dafür gibt es zwei Gründe: Der Aero-Club hat einen Teil des Flughafengeländes bis 2034 gepachtet – und im Erbauvertrag hat die Stadt Mülheim den Hobbyfliegern garantiert, den Flugbetrieb sicher zu stellen. Ansprüche auf einen geregelten Betrieb hat auch die am Flughafen ansässige WDL Luftschiffgesellschaft mbH. Das Unternehmen hat in Mülheim-Essen vier Prall-Luftschiffe, so genannte Blimps, stationiert und überfliegt von dort aus das Revier und das Ruhrgebiet mit Werbebotschaften.
Ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 1998 hat die Ansprüche des Aero-Clubs bestätigt und verpflichtet die Stadt Mülheim „alles zu unterlassen, was den Motorflug-, den Motorsegelflug, den Motorschleppflug- und den Segelflugbetrieb des Klägers zu Sportzwecken einschränkt oder aufhebt.“
Ginge der Flughafen in die Insolvenz, rechnet Mülheims Kämmerer Uwe Bonan mit Kosten von bis zu 6,4 Millionen Euro für die Stadt Mülheim.
Ginge es nach Dönnebrink und Eismann, würde es niemals soweit kommen. Beide plädieren für den Ausbau des Flughafens. Im Moment sorgen vor allem Hobbyflieger für bis zu 70.000 Flugbewegungen im Jahr. Für Flughafenbefürworter Dönnebrink ein Ärgernis: „Warum sollen Städte und das Land so etwas subventionieren. Er steht hinter den Plänen Eismann, dem Flughafen eine neue Chance zu geben. Mülheim-Essen, so Eismanns Pläne, soll den Flughafen Düsseldorf entlasten. Anstatt vieler leichter Sportflugzeuge sollen künftig wenigere und schwerere kleine Düsenflugzeuge dort starten und landen. Und da sich die Gebühren auch an dem Gewicht eines Flugzeugs orientieren, den Flugplatz so in die Gewinnzone bringen.
„Mein Vorbild war immer Egelsbach. Das ist die Richtung, in die sich Mülheim-Essen orientieren muss“, sagt Reiner Eismann.
Der kleine Ort Egelsbach im Landkreis Offenbach mit gerade einmal 10.000 Einwohnern gilt als Musterbeispiel für einen wirtschaftlich erfolgreichen Kleinflughafen. Er entlastet den Frankfurter Flughafen von den Geschäftsfliegern. 71.000 Starts und Landungen finden jährlich in Egelsbach statt. Betrieben wird der Flughafen gemeinsam von den Städten Egelsbach und Langen sowie dem US-Unternehmen NetJets. NetJets, das zum Imperium von Warren Buffet gehört, hält 80 Prozent der Flughafengesellschaft.
So gut sich Eismanns Egelsbach-Pläne für den Flughafen Mülheim-Essen auch anhören, sie haben ein Problem: Keiner der Betreiber will sie unterstützen. Weder Essen noch Mülheim oder das Land NRW denken auch nur an einen Ausbau des Flugplatzes. Beide Städte wollen den Flugplatz am liebsten stilllegen.
Lothar Reinhard ist Fraktionsvorsitzender der Liste Mülheimer Bürgerinitiativen. Seine Liste hat gemeinsam mit CDU und Grünen im Juli dieses Jahres den Ausstieg der Stadt aus dem Flughafenprojekt im Rat durchgesetzt: „Der Flughafen hat keine wirtschaftliche Perspektive. Düsseldorf benötigt ihn nicht zur Entlastung. Wir haben hier in der Nähe so viele Flugplätze, das Mülheim-Essen einfach überflüssig ist.“ Das Problem der Erbbaurechte des Aero-Clubs will er in Gesprächen lösen. Sein Ziel: Die Hobbyflieger sollen zum Flugplatz Schwarze-Heide auf der Stadtgrenze Bottrop-Dinslaken umziehen.
Auch Essen will den Flughafen nicht mehr. Eine Mehrheit hat den Ausstieg schon vor Jahren beschlossen. Walter Wandtke, Ratsherr der Essener Grünen: „Wir können mit den Subventionskürzungen beim Flughafen gleichzeitig Geld einsparen und etwas für die Umwelt tun.“
Auch das Land will, wie im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen beschlossen, den Flugbetrieb alsbald als möglich einstellen. Über einen Ausbau mag man in Düsseldorf nicht nachdenken. Die Egelsbach Vision hält Verkehrs-Staatssekretär Horst Becker (Grüne) weder für realistisch noch für wünschenswert. Auch will das Land den Flughafen nicht wirtschaftliche stützen. Becker:
„Die Finanzierung der Gesellschaft fußt auf einem paritätischen System. Zwischen den Gesellschaftern ist nun die Umsetzung des diverse Male geäußerten Zieles einer im Laufe der Zeit zu erfolgenden Schließung zu erörtern und die Voraussetzung dazu zu beraten und so zu organisieren, dass alle Beteiligten damit leben können.“
Die Landesregierung pocht ohnehin darauf, dass die Regionalflughäfen kritisch ihre wirtschaftlichen Perspektiven beurteilen.
Eine Sicht, die Eric Heymann teilt. Heymann ist bei DB-Research, der Forschungsabteilung der Deutschen Bank, für Verkehrsfragen zuständig und hat sich in einem Gutachten mit den wirtschaftlichen Perspektiven der deutschen Regionalflughäfen auseinander gesetzt. Er warnt vor einem Ausbau der Regionalflughäfen und der Überschätzung ihrer wirtschaftlichen Perspektiven: „Die meisten Regionalflughäfen werden schon heute hoch subventioniert und das wird sich auch durch einen Ausbau nicht ändern. Egelsbach ist die Ausnahme, nicht die Regel. Viele Städte geben sich der Illusion hin, dass sie mit einem attraktiven Flugplatz auch zu einem attraktiveren Standort werden. Die Chancen sind allerdings gering.“
Die großen, namhaften Fluggesellschaften setzen kaum auf Regionalflughäfen und auch die Möglichkeiten mit Fracht Geld zu verdienen, seien begrenzt. Vor allem Billigflieger würden von den ausgebauten Regionalflughäfen angezogen werden. Da die aber extrem günstige Start und Landegebühren zahlen und die Flughäfen gegeneinander ausspielen, sei mit ihnen kaum Geld zu verdienen. Heymann: „Die Wachstumsstorys der Flughäfen in Hahn oder Egelsbach lassen sich nicht beliebig oft wiederholen.“
In NRW seien die Chancen dafür besonders schlecht – hier sei schon heute der Wettbewerb zwischen den Flughäfen sehr groß.
Heymann fordert, dass es endlich ein bundesweites Luftverkehrskonzept gibt. Bislang kümmern sich die Länder um die Flughäfen. Koste es was es wolle: So plant das Land Hessen den Ausbau des kleinen Flughafens Kassel-Calden zum Regionalflughafen. Das würde auf Kosten des Airports Paderborn gehen, der wirtschaftlich vergleichsweise gut dasteht. Am Ende, so die Befürchtung zahlreicher Experten, wären beide tief in den roten Zahlen.
Auch die Landesregierung ist sich dieser Problematik bewusst. Becker: „Wir werden innerhalb dieser Wahlperiode den Entwurf für ein neues Luftverkehrskonzept vorlegen.“
Über einzelne Standorte mag die Landesregierung nicht den Stab brechen. Wohl auch, um Ärger zu vermeiden. Denn für viele Städte ist der eigene Flughafen, unabhängig von allen wirtschaftlichen Problemen, eine Frage des Prestiges ist. So kostet der Regionalflughafen Dortmund den Steuerzahlern der Revierstadt jährlich bis zu 20 Millionen Euro an Subventionen. An eine Aufgabe denkt die Politik trotzdem nicht. SPD-Fraktionschef Ernst Prüsse wollte den Flughafen sogar durch einen Bürgerentscheid sichern. Er scheiterte schon im Rat der Stadt mit seiner Idee.
Nun soll eine Verlängerung der Start- und Landezeiten in Ausnahmefällen auf 23.30 Uhr helfen, eine wirtschaftliche Perspektive zu finden. Befeuert wurde die Diskussion zudem durch Borussia Dortmund: dass die Kicker wegen eine 29sekündigen Verspätung nach dem Auswärtssieg gegen Nürnberg Anfang Dezember nicht um kurz nach 23.00 Uhr auf ihrem Heimatflughafen landen durften, erzürnte viele schwarz-gelbe Seelen.
Die Bezirksregierung prüft nun die beschlossene Verlängerung der Start- und Landezeiten. In Düsseldorf sind sich Grüne und SPD nicht einig, wie man mit der Flugzeitverlängerung umgehen soll: Die Abwägung zwischen den Interessen der Flughafenbetreiber und denen der Anwohner wird in der Koalition noch für Diskussionen sorgen.
In Mülheim und Essen ist man inzwischen dabei, schon Pläne für die Zeit nach dem Flughafen-Aus zu machen. Das Gelände des Flughafens ist attraktiv. Die Innenstädte Mülheims und Essens sind gut zu erreichen, die benachbarte A52 und der nahe Düsseldorfer Flughafen sorgen für eine nahezu perfekte Verkehrsanbindung des Areals. Hier soll, nach den Mehrheiten in den Räten, im Jahr 2020 die von der Landesregierung grob ins Auge gefasste Klima-Expo stattfinden. Und wenn das nicht klappt, könnte auf dem Gelände auch ein schöner Büropark entstehen.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag
Auf ins neue Jahr! Endlich wird es für Polit-Freaks wieder spannend. Sieben Landtagswahlen stehen auf dem politischen Kalender. Mindestens sieben; denn wenn die Minderheitsregierung in NRW nicht halten sollte, sind es schon acht. Und wenn die Koalition in Berlin platzen sollte, gäbe es auch noch Bundestagswahlen. Aber warum sollte sie?
Über Selbstverständlichkeiten braucht man nicht zu reden. Deshalb ist es fast schon überflüssig, auf diese beiden, nennen wir sie: Grunderkenntnisse hinzuweisen:
1. die bisherigen sog. „Volksparteien“ verlieren an Bindungskraft – trendmäßig, präziser: mega-trendmäßig. Denn es handelt sich hierbei um einen Megatrend. Und damit zusammenhängend:
2. in der Bundesrepublik Deutschland hat sich ein Fünf-Parteien-System fest etabliert. Wobei in dieser Aufzählung bekanntlich CDU und CSU als eine Partei gedacht sind, und „fest etabliert“ soviel bedeutet wie: so bleibt es erst einmal. Union, SPD, Grüne, Linke und FDP. Das sind fünf.
Man kann und darf ganz getrost an diesen beiden „Grunderkenntnissen“ festhalten, selbst wenn der Megatrend zulasten von CDU und SPD im kommenden Jahr mal eine Pause einlegen sollte, und wenn 2011 nach den meisten Wahlen nicht etwa fünf, sondern nur drei oder vier Parteien in die Landtage einziehen sollten.
Denn – kleiner Tipp für die Plauderei auf der Silvesterfeier: ein Trend ist ein Trend, und „mega“ ist überhaupt schon mal sehr gut. Will sagen: man wird Ihre Prognose in 2011 gar nicht empirisch überprüfen können; denn Sie prognostizieren ja gar nicht. Sie machen einfach einen Trend aus, wie gesagt: einen Megatrend. Am besten verwenden Sie zusätzlich noch das Adverb „tendenziell“ – kommt immer gut.
Auch in Hinblick auf das etablierte Fünf-Parteien-System. Hier ist der Terminus „System“ von entscheidender Bedeutung. System bedeutet hier so viel wie: insgesamt kommen fünf Parteien vor und hängen irgendwie miteinander zusammen. Also: nicht immer und überall, sondern nur im „System“.
Der Vorteil, sich parteiensystemmäßig nicht allzu genau festzulegen, liegt darin, dass – wie gesagt – in den meisten Fällen gar nicht fünf Parteien in die Länderparlamente einziehen werden. Das ist das eine, das andere: es ist noch nicht ganz klar, ob nach diesem neuerlichen Superwahljahr überhaupt noch fünf Parteien übrig bleiben werden. Ausgerechnet die beiden Parteien mit den klarsten inhaltlichen Profilen hadern gegenwärtig nicht nur mit ihren Vorsitzenden, sondern zeigen darüber hinaus existenzbedrohende Schwächen.
Die Linken weisen zwar stabile Umfragewerte um die zehn Prozent auf, allerdings nur bei der bundesweitenSonntagsfrage. In Bezug auf die einzelnen Landtage ergibt sich jedoch ein völlig anderes Bild. Während die Linke im Osten Deutschlands als Volkspartei überall Platz Zwei belegt, bekommt sie in den westdeutschen Flächenländern kein Bein auf die Erde. Abgesehen von den drei Stadtstaaten und dem Saarland dümpelt sie allerorten um die Fünf-Prozent-Marke herum.
Hinzu kommt, dass – wenngleich geleugnet – auch inhaltlich die Grenze zwischen „Realos“ und „Fundis“ exakt dort verläuft, wo dereinst der Eiserne Vorhang heruntergelassen war. Dass dies in einem Jahr, in dem sich die neue Partei anschickt, ein Programm zu beschließen, die Spannungen, ja: Spaltungstendenzen deutlich erhöht, ist wenig überraschend.
Doch ganz unabhängig davon, was die innerparteilichen Ränkespiele ergeben werden: sollten nach den Anfangserfolgen die westdeutschen Landtage für die Linkspartei wieder in unerreichbare Ferne gerückt sein, hat sich das mit der Partei Nr. 5 im vermeintlich etablierten Fünf-Parteien-System erledigt. Mit ganz erheblichen Auswirkungen weit über die Partei Die Linke hinaus.
Für die FDP, die so klar für den Kapitalismus ist wie die Linkspartei dagegen, geht es in diesem Jahr ganz offenkundig ans Eingemachte. Daran ändert auch der Hinweis nichts, dass die FDP schon oft totgesagt worden sei, weil sie in der Mehrheit der Landtage nicht vertreten war und an der Fünf-Prozent-Hürde herumkreuchte. Dies ist ein Verweis auf die alte Bundesrepublik. Die Grünen waren weder stark noch stabil genug, den Liberalen die Rolle des Züngleins an der Waage streitig machen zu können.
Die FDP hat – daran ändert nicht einmal der Blick auf die unglaublich erfolgreiche, letzte Bundestagswahl etwas – ihre Funktion eingebüßt. Nicht mehr Funktionspartei sollte sie wenigstens inhaltlich etwas zu bieten haben. Die von Westerwelle ausdauernd betriebene Verengung auf die Marke „Steuersenkungspartei“ verschaffte der FDP den Rekord vom Herbst 2008 … und die einmalige Existenzkrise jetzt. Dies ist hinreichend erörtert worden.
Es bedeutet, dass die einzige Überlebenschance darin besteht, ein neues inhaltliches Angebot zu präsentieren und das dazu passende neue Personal. Westerwelles innerparteiliche Konkurrenten kommen dafür nicht infrage. Die FDP wird nicht überleben, nur weil Leute wie Brüderle, Gerhardt oder frustrierte Landespolitiker die Themen „Bildung“ oder „Bürgerrechte“ stärker plakatieren.
Auch ein Comeback Westerwelles bzw. der Aufstieg „seiner“ jungen Leute aus der zweiten in die erste Reihe können die FDP genauso wenig retten wie die Linksliberalen, die sich jetzt als mögliche Alternative zu Wort melden. Das ist so ehrenwert wie süß, aber sorry: da ist wirklich kein Platz mehr frei.
Für die FDP gibt es nur eine einzige Alternative zum Untergang, nämlich der nicht ganz offene, dafür umso nachhaltigere Wechsel zum Rechtspopulismus. Die Sache ist bereits im Gange, die Leute stehen längst bereit. Nicht die gute, alte Stahlhelmfraktion, keine Haiderisierung, und auch kein plumper Antisemitismus à la Möllemann. Die Rede ist vielmehr von den Herren rund um den liberalen Aufbruch.
Ohne eine allzu ruckartige inhaltliche Wende würde die FDP auf das Profil der Anti-Euro-Partei ausgerichtet. Die anderen Punkte sind für die Wutbürger bereits zurechtgelegt – unnütze, kostenträchtige Migranten („Sarrazin-Partei“), Vergesellschaftung der Kindererziehung („Familienpartei“). Sie werden jedoch in Hinterhand gehalten, weil die Anti-Euro-Kampagne erstens vor Verdächtigungen in punkto Rechtsradikalismus schützt, und zweitens sofortige wahlpolitische Erfolge verspricht.
Es steht keineswegs fest, dass sich diese Anti-Euro-Kräfte in der FDP durchsetzen werden. Es steht aber fest, dass die FDP entweder diese Wende zum Rechtspopulismus vollzieht oder aber von der Bühne verschwindet. Letzteres wäre für diese Bundesregierung zunächst einmal kein allzu großes Problem. Das mit dem Fünf-Parteien-System könnte man zwar vergessen, alles Andere schaut man sich dann nach der Bundestagswahl 2013 an. Ohne die liberalen Minister, versteht sich.
Wird jedoch die FDP in eine Anti-Euro-Partei transformiert, wäre die Bundesregierung schneller am Ende, als gegenwärtig so landläufig gedacht wird. Und falls Sie annehmen sollten, die Bundestagsfraktion würde solch einen Kurswechsel nicht mitmachen, empfehle ich Ihnen, sich einfach mal im FDP-Kreisverband ihrer Stadt umzuhören. Die Kameraden brennen nur drauf. Und mit solch einem populären Kurs hätte man auch nichts dagegen, vor die Wähler zu treten.
Was 2011 nicht ist, kann 2012 noch werden. Prost Neujahr! So wie die Dinge liegen, wird es tatsächlich bei einem Fünf-Parteien-System bleiben. Wahrscheinlich noch sehr lange. Und der Megatrend, dass die Volksparteien, oder sagen wir: die bisherigen Volksparteien an Zustimmung verlieren, wird intakt bleiben. Insofern können Sie bei Ihrem Polit-Smalltalk auf der Silvesterfete nichts falsch machen. Und noch ein Tipp: deuten Sie an, dass Ihnen der ganze Kram mit den Parteien sowieso mehr und mehr egal ist. Das kommt besonders cool. Und liegt im Trend. Sozusagen im Megatrend.
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