Loveparade: Posse um Duisburger Gedenkskulptur schnell beendet

Albumcover "Innocent Victim" (Uriah Heep 1977)

Die Duisburger Posse um eine Gedenkskulptur zur Loveparade-Katastrophe hat ein unerwartet schnelles Ende gefunden. Unerwartet deshalb, weil „im Zusammenhang mit der Love-Parade“, wie ein Blogger auf der Westen schreibt, „auch nichts erspart (bleibt). Immer wenn man meint, es ginge nicht noch dicker, kommt es noch dicker.“ Ein – vermutlich nicht nur in Duisburg – inzwischen weit verbreiteter Gedanke, von mir dennoch sicherheitshalber zitiert und nicht geklaut.

Zitiert und nicht geklaut habe er das Motiv für die Gedenkskulptur, ließ der Grevenbroicher Künstler Jürgen Meister gestern sinngemäß wissen, nachdem xtranews aufgedeckt hatte, dass es sich bei seinem Sieger-Entwurf um ein Plagiat handeln könnte. Meister gab freimütig zu, was ohnehin nicht zu leugnen war, nämlich dass es sich bei dem Bild mit den in die Höhe gereckten Händen um ein seit einiger Zeit bei Fotolia erhältliches Motiv handelt.

Gegenüber xtranews bemühte Meister gar Picasso mit dem Zitat: „Ich suche nicht, ich finde“. Dennoch kam die heutige Entscheidung der Jury auch insofern etwas überraschend, weil der Vorsitzende von Pro Duisburg, Hermann Kewitz, sich Dienstagnachmittag noch in Gelassenheit übte, wie der Westen schreibt: „Wir wollten kein Kunstwerk von Jürgen Meister, sondern eines, das die Gefühlslage trifft, eines, das uns geeignet scheint, an die Opfer zu erinnern und zu mahnen.“ All diese Kriterien erfülle der Siegerentwurf nach wie vor, „unabhängig davon, wer die Idee dazu hatte“, erklärte Kewitz gestern.

Allerdings war ebenfalls zu erfahren, dass Duisburgs Alt-Oberbürgermeister Josef Krings zur gleichen Zeit „einfach ratlos und entsetzt (war). Wie kann uns das ein Künstler in einer Zeit solcher Offenheit verschweigen und dann noch glauben, dass so etwas unentdeckt bleibt?“ Dieser Vorgang hatte ihn, so Krings, „peinlich berührt“. Immerhin stand und steht völlig außer Zweifel, dass der Meister die Jury der Spendeninitiative über sein „Zitat“ in Unkenntnis gelassen hat. Zitate sind jedoch auszuweisen.

Dies sieht inzwischen auch Hermann Kewitz so. „Er hatte ja die Gelegenheit, uns darauf hinzuweisen, woher er die Silhouette hat. Das aber hat er nicht getan“, erklärte Kewitz heute. Deshalb sah sich, so das Ergebnis der heutigen Sitzung, die Jury der Initiative Spendentrauermarsch vom Meisterkünstler getäuscht und beendete daher die Zusammenarbeit mit ihm. Im Anschluss, also so gegen 14:00 Uhr, versuchte Alt-OB Krings, Herrn Meister über diesen Schritt telefonisch zu informieren. Vergeblich.

Um 14:14 Uhr teilte xtranews mit, „gerade eben“ eine eMail erhalten zu haben, mit der Meister seinerseits seinen Wettbewerbsbeitrag zurückgezogen hat. Die Innocent-Victim-Show: “Wegen der massiven und unsachlichen Anfeindungen und Unterstellungen sehe ich mich zu diesem Schritt gezwungen. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Schuld sind die Anderen, klar, was den Künstler jedoch nicht daran gehindert hätte, an irgendeiner, nicht ganz so wichtigen Stelle einen kleinen Fehler, oder sagen wir: eine kleine Nachlässigkeit einzuräumen, die dann von bösen Neidern ausgeschlachtet worden wäre.

Nichts da. Jürgen Meister hat sich „nichts vorzuwerfen.“ Nun gut; Vorwürfe machen ihm Andere schon genug. Hier zum Beispiel: „Gerade bei einem so sensiblen Thema wie der Loveparade-Tragödie hätte der Künstler seine eigenen Gefühle und Ideen verarbeiten sollen, um ein würdiges Denkmal zu kreieren. Alle anderen Teilnehmer, die vermutlich mit mehr Aufwand, mit viel Liebe und Mühe etwas erschaffen haben, was ihrer eigenen Kreativität entsprungen ist, tun mir aufrichtig leid.“

So schreibt es Petra Röder. Sie hat als User „pdesign“ die Silhouette mit nach oben gereckten Händen bei Fotolia ins Netz gestellt. Sie erklärt, keine Ansprüche gegen Herrn Meister geltend machen zu wollen. Und, was das Loveparade-Denkmal betrifft: „Hier geht es um die Bewältigung von Trauer und deren Verarbeitung und nicht um eine finanzielle Bereicherung.“ Wohl wahr.

Petra Röder hatte übrigens ihr Bild niemals mit einem Gedanken an Trauer verbunden. Doch so kann es gehen: wenn ein Künstler kommt und häufig genug in Hände, die Freude und Jubel symbolisieren, einen „zweiten Blick“ hinein interpretiert, erkennen irgendwann auch Menschen, die die Loveparade für eine bemerkenswerte Kunstform gehalten hatten, in diesen Händen den Hilfeschrei um Rettung. Keine Frage: Jürgen Meister ist ein Künstler.

Schwarzfahren wider Willen

Abenteuer Nahverkehr

„Oh weia – das fängt ja gut an!“ Das nagelneue Parkhaus am Kamener Bahnhof auf allen acht Etagen proppenvoll, kein Parkplatz in Sicht – und Freunde aus Südfrankreich mit denen ich gegen 11 Uhr am Lehmbruck-Museum in Duisburg verabredet bin. Von unserem Gastautor Anton Kowalski

Kulturtourismus pur im Kulturhauptstadtjahr von Ruhr 2010. Der Abend vorher in beim Portugiesen in der Dortmunder Nordstadt war lang, das Bargeld so gut wie ausgegeben. Sollte im Zeitalter der allzeit einsatzbereiten Plastikkarten kein Problem sein, auch so an eine Fahrkarte zu kommen. Am Schalter des Kamener Bahnhofs, der von einer Reiseagentur betrieben wird, dann die klare Ansage: Fahrkarten mit Scheckkarte bezahlen geht nur ab 20 € aufwärts.

Die Fahrkarte Kamen – Duisburg kostet aber nur 10,90 €. Is also nix mit Karte bezahlen. Draußen, so die Auskunft, sei aber ein Automat, der nimmt auch Karten. Also nix wie hin. Mit dem neuen touchscreen vertraut gemacht, und die EC-Karte reingeschoben. „Bezahlen nur mit Bahncard“ so der Automat, während sich mittlerweile der Regionalexpress ankündigt. Bahncard habe ich seit zwei Jahren, das Ticket 2000 leider auch nicht mehr.

Als der Zug einfährt dann die mutige Entscheidung: Schwarzfahren bis nach Dortmund – und dort eine Fahrkarte am Schalter kaufen. Die erste Schwarzfahrt nach fast vierzig Jahren! Nicht aus Überzeugung wie damals und wg. 50-Pfennig-Einheitstarif, sondern der puren Not gehorchend – der Zeitnot. Am Dortmunder Hauptbahnhof dann die Suche nach dem Fahrkartenschalter. Langsam dämmert`s: der Bahnhof wird ja umgebaut, der Servicebereich ist draußen in den Containern. Dort gleich rechts zwei Automaten. An einem hängt ein Schild: Dieser Automat funktioniert leider nur mit Karten! Hier bist du richtig, signalisiert mein Hirn. Eine Frau, ihrem Aussehen nach keine deutsche, versucht mit Geldscheinen ihr Glück an diesem Automaten: „I am sorry Ma`am. This machine doesn`t accept cash“, versuche ich ihr weltmännisch zu erklären. „Wieso kein Geld?“, kommt die Antwort. „Steht da oben: Dieser Automat nimmt nur Karten!“ Voller Hoffnung  programmiere ich den Automaten: Dortmund – Duisburg. Als ich meine EC-Karte reinschiebe, um zu bezahlen, erneut die Anzeige „Nur mit Bahncard.“ So langsam fühle ich mich veräppelt. Und die Zeit drängt.

Auf dem Weg zum Containerterminal der Bahn hatte ich einen Bankomat gesehen, meine letzte Hoffnung. Nichts wie hin, die EC-Karte reingesteckt und 100 € in zwei fünfziger Scheinen gezogen. Und wieder zum Fahrkartenautomaten, die Tastatureingabe fast blind, same procedure. Dann einen 50-€-Schein gezückt und in den Schlitz gesteckt. Jetzt erst bemerke ich den Hinweis: Dieser Automat schluckt nur 5- und 10-€-Scheine. Mehr geht nicht. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es langsam eng wird. Der Blick nach oben auf den Bahnsteig zeigt, das gleich ein ICE abfährt. Kurzentschlossen steige ich ein und riskiere erneut, als Schwarzfahrer erwischt zu werden.

Die zehnminütige Fahrt kommt mir vor wie eine halbe Stunde. Ich wage es nicht einmal, mich irgendwo zu setzen, gehe in die Nähe einer Toilette, den Gang im Auge. Es geht alles gut. In Bochum dann ein Brötchen gekauft und mit 50€ bezahlt. Anschließend die Fahrkarte aus einem Automaten gezogen und mit einem passenden 10 €-Schein bezahlt. Duisburg habe ich dank meiner beiden Schwarzfahrten dann noch einigermaßen pünktlich erreicht. Den Freunden dann, alle mit der Pariser Metro bestens vertraut, die Geschichte mit meiner Zugfahrt in der „Metropole Ruhr“ erzählt. Und von meiner Hoffnung, dass mir das in zwei Jahren nicht mehr passieren kann: Dann bin ich Ü60 und Besitzer eines BärenTickets.

Der Jahresrückblick 2010: März

Nazis demonstrierten in Duisburg, die CDU in NRW wurde langsam aber sicher nervös und wir hatten eine große Serie über den New Yorker Stadtteil Williamsburg.

Bis zur Landtagswahl im Mai war es nicht mehr weit. Und die Landesregierung wurde nervös: Enthüllungen setzten sie unter Druck und in den Umfragen verlor sie die Mehrheit.

In Duisburg sorgte der Linken-Politiker Hermann Dierkes mit antisemitischen Äusserungen weltweit für Aufmerksamkeit. Sogar das Simon Wiesenthal Center beschäftigte sich mit ihm. Wir auch.

Ebenfalls in Duisburg machten Nazis und Rechtspopulisten Mobil. Beide Demos hatten zwar kaum Teilnehmer,  sorgten aber für großen Protest gegen Rechts.

Im März veröffentlichten wir auch unseren ersten Nachruf: Hanns-Ludwig Brauser, der Chef der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung war nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

Und natürlich Kulturhauptstadt: Das Revier wurde zur „Museumshauptstadt„, aber es wurde auch klar, dass nicht alle von der Entwicklung profitierten.

Im Märzbeschäftigten wir uns auch mit dem Thema Gentrifizierung. In einer Serie über den New Yorker Stadtteil Williamsburg. Das Thema sollte uns das Jahr über begleiten.

Und sonst? Wir sprachen mit dem Dortmunder CDU-OB Kandidaten Joachim Pohlmann, berichteten von den Paralympics und über Ferrorstahl im Korruptionssumpf.

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Der Ruhrpilot

Energie: Muss Eon Datteln abreißen?…Der Westen

NRW: Richter entscheiden im Januar über NRW-Haushalt…Ruhr Nachrichten

NRW II: 19 Anträge auf Gemeinschaftsschulen…RP Online

NRW III: Brauchen unsere Schulen ein Fach “Wirtschaft”?…Zoom

Ruhrgebiet: Erstes Jahr von Essens Bischof Overbeck von Skandalen begleitet….Der Westen

Ruhrgebiet II: Brigitte Kraemers Fotoband „Im guten Glauben“…WA

Dortmund: SPD attackiert die Polizei wegen Nazi-Überfällen…Ruhr Nachrichten

Bochum: Freie Kultur hatte es 2010 so schwer wie lange nicht…Ruhr Nachrichten

Internet: Auswirkungen von weniger Netzneutralität auf Innovation und neue Technologien…Netzpolitik

PID: Ethik oder religiöser Glaube?…Weissgarnix

Jahreszeiten: Endlich Winter…Pottblog

Duisburg: Posse um eine Gedenkskulptur zur Loveparade-Katastrophe

In Duisburg nehmen die Peinlichkeiten rund um die Loveparade kein Ende. Gestern hat die Initiative Spendentrauermarsch bekannt gegeben, dass sich eine Jury unter 39 eingereichten Vorschlägen für eine Gedenkskulptur entschieden hat, die ihr in künstlerischer Hinsicht am geeignetsten erschien, an die getöteten und verletzten Opfer der Loveparade-Katastrophe zu erinnern.

Die Duisburger WAZ schreibt unter der Überschrift „Die Gedenkstele: Hände, die um Rettung flehen“: „Die Hände zum Himmel gereckt. Sie scheinen auf den ersten Blick nach oben gerissen. Einer Jubelpose gleich. Wie im Moment größter Freude und Ausgelassenheit. Doch bei genauerem Hinsehen …“ kann man in ein Kunstwerk alles Mögliche hineininterpretieren; klüger ist aber – zumindest in diesem Fall: man lässt es.

Denn so wie es aussieht, ist die Initiative Spendentrauermarsch einem Künstler aufgesessen, der … – sagen wir mal so: „richtig stolz (ist) auf diese Entscheidung. Das ist der größte und wichtigste Eckpunkt meiner Karriere“. So sagt es jedenfalls Jürgen Meister, der Schöpfer des besagten Werkes. Nicht dem Grevenbroicher Tageblatt; denn dort hätte der stellvertretende Chefredakteur Horst Schlämmer gewiss knallhart nachgefragt, sondern der Neuss-Grevenbroicher-Zeitung.

Und da wird nicht ganz so knallhart nachgefragt, sondern freundlich berichtet: „Der 57-Jährige hat die Gedenkskulptur für die 21 Opfer der Loveparade in Duisburg entworfen – ein Kunstwerk mit hohem symbolischen Wert.“ In der Tat, nur: diese neuerliche Provinzposse symbolisiert etwas ganz Anderes dieser Loveparade-Katastrophe, als sich die Grevenbroicher Lokalredakteure haben träumen lassen.

Es sei ihm nicht leicht gefallen, eine ganze Woche „dicht zu halten“, erzählte Künstler Meister, der Meisterkünstler, auch noch der Grevenbroicher Zeitung – wegen seines Stolzes, versteht sich. Nicht ganz so schwer scheint es ihm gefallen zu sein, einen anderen nicht ganz unerheblichen Aspekt seines Entwurfes für sich zu behalten. Wie unangenehm für ihn, dass sogleich die Kollegen von xtranews darauf aufmerksam machen!

So wie es aussieht, handelt es sich nämlich bei „Meisters Entwurf“ um nichts Anderes als eine Eins-zu-eins-Kopie eines Bildes, das über die Fotoplattform “fotolia” jedermann zugänglich ist. Für jeden nunmehr  im direkten Vergleich bei xtranews zu betrachten: der in der WAZ abgebildete Meisterentwurf sowie das Bild aus “fotolia”. Ein Blogger unter dem Bericht in der Westen weist überdies darauf hin, es handele sich „eindeutig (um einen) Ausschnitt aus Pizzamannes Video, vergrößert und abkopiert“.

Sollte dem so sein, wäre es tatsächlich angebracht, von einer „Verhöhnung der Opfer“ bzw. von einer „Veralberung der Hinterbliebenen“ zu reden. Diese Vorwürfe sollten aber nicht gegen die Überbringer der schlechten Nachricht gerichtet werden, sondern gegen den Verursacher. So wie es aussieht, scheint es Jürgen Meister zu sein, der aus durchsichtigen Motiven die nötige Ernsthaftigkeit im Umgang mit dieser Katastrophe vermissen lässt.

„Stille Nacht“ rückwärts- Wenn Weihnachtswiderstand gebrochen wird

Spätestens als gestern Morgen in der WDR- Westzeit Wilfried Schmickler, dieser geniale, intelligente, böse und schnelle Kabarettist vergleichsweise lieb und harmlos daher kam, wusste ich, es wird Weihnachten, und da machst du nix. Geradezu triebhafte Friedfertigkeit macht sich breit, man selbst unternimmt auch keinen Schabernack mehr, um sich von diesem natürlich fiesen Hochamt des Konsums, von diesem Familienterror, von dieser geheuchelten Nächstenliebe abzusetzen.

Schmickler schmuste im Autoradio, als ich just jene Stelle passierte, an der in den Vorjahren immer ein Riesenplakat für die „Mega After X-mas-Party“ warb. Ich tobte regelmäßig ob dieser Kulturlosigkeit. Nicht, weil sich die Leute zu Weihnachten nicht bei schlimmer Musik Red-Bull-Drinks oder bunte Pillen in den Kopp hauen sollen, sondern weil diese Party stets am 25.Dezember stattfand. Bei solcher Doofheit hat man fast wieder Lust katholisch zu werden. Anscheinend hat es sich ausgeixt.

Stattdessen mühte sich unter der verwaisten Plakatwand eine Rentnerin verzweifelt mit ihrem Rollator durch den Schnee. Weihnachtlich und schmicklerisch milde betrachtete ich die Frau bei ihrem Extremsport und beschloss, mit dem Hersteller eines Rollators Kontakt aufzunehmen. Im Internet bat ein Produzent darum, direkt mit „Schwester Claudia“ Kontakt aufzunehmen. Ich schlug ihr per Mail vor, die imageschwachen Gehhilfen aufzupeppen durch coole PR. Angefixt von der Urbanatix-Show in der Jahrhunderthalle fragte ich an, ob man schon mal drüber nachgedacht habe, Downhilling mit den Geräten zu veranstalten oder ein paar Jungs mit dem Rollator in eine Halfpipe zu schicken. Schwester Claudia antwortete prompt und kurz: „Nein.“ Ich versuche es im neuen Jahr noch einmal bei einem anderen Hersteller. Vielleicht fordere ich auch einfach im Bundesverkehrsministerium eine Winterreifenpflicht für die Dinger.

Weihnachten ist nicht mehr das, was es mal war. Sogar Schnee gibt es mittlerweile zum Fest. Vor Jahren, in der Lokalredaktion, plante nie jemand vor für „the day after“, für den 27. Dezember, an dem auch irgendwas in der Zeitung stehen musste. Wir setzten auf Zimmerbrände und Familienstreit, der zwangsläufig entstehen musste, wenn latent aggressive Alkoholiker tagelang aufeinander hocken. Elektrische Baumkerzen und das Instrument des Platzverweises haben diese Hoffnung längst gekillt.

Nur einmal hatte ich als freier Mitarbeiter Glück. Allerdings sah ich dabei ziemlich blöd aus. Sagen wir mal so: Wenn du eine Bad-Taste-Party in Köln besuchst, solltest du wie alle anderen Gäste Sachen zum Wechseln dabei haben. Dass du mit deinem breit längsgestreiften Anzug (kupfer-braun-beige) nach zwei, drei Uhr unter lauter wieder normal Gekleideten wie der letzte Volldepp dastehst, kannst du noch verkraften. Aber wenn du am nächsten Tag in diesem Aufzug direkt in die Redaktion fährst, und dir dort, zum Glück am Telefon,  erzählt wird, wie in einem an Merkwürdigkeiten nicht armen Hochhaus ein Bewohner des sechsten Stockwerks erst einen Dackel, dann die dazugehörige Dackelhalterin an seinem Fenster vorbeistürzen sah, machst du dir schon Gedanken um eine gewisse Würde und Ernsthaftigkeit, die selbst der Journalistenberuf verlangt.

Es fehlt an Themen. Den örtlichen Einzelhandel hast du schon am vierten Advent abtelefoniert, hast all die Krämerlügen über Umsätze und gefragte Last-Minute-Geschenke brav ins Blatt gehoben, wohl wissend, dass der Mann aus dem Haushaltswarengeschäft nur den Plunder erwähnt hat, den er dringend loswerden muss. Kommerz, alles Kommerz. Den Mann kannst du heute nicht mehr anrufen, der Media-Markt brüllt seine Topseller über die Homepage in die Welt.

Die Weihnachtsfeiern für Alleinstehende hast du auch schon vier- oder fünfmal beschrieben, da fällt dir nichts mehr zu ein. Stets die gleichen Gäste, die Packung „Schwarzer Krauser“, ein Paar Socken, nie Alkohol in den Geschenktüten. Nur die Kinder des Sozialarbeiters sind aus dem Alter raus, wo man zu Papas leidenschaftlichen, zeltlagererprobten Gitarrenspiel Weihnachtslieder singen will.  Man fragt sich, ob die Veranstaltung nach Jahren noch stattfinden aus Mitleid mit den Wohnungslosen oder als Unterstützung des Lokaljournalisten, der seine Seiten füllen muss. Der WDR inszeniert mittlerweile in der Lokalzeit das Spiel mit den Weihnachtspäckchen für die zunehmend umstrittenen Tafeln lieber gleich selbst. Hoffnung setze ich auf die erste Weihnachtsfeier im Dortmunder Saufraum.

Seniorenheime sind in diesen Tagen ebenfalls beliebte Orte praktizierter und publizierter Mildtätigkeit. Letztes Jahr traf ich in einem Heim ein vor teils dementen, größtenteils gehfähigen Senioren musizierendes Damenterzett. Das Trio tastete sich auf gleich drei Keyboards unglaublich langsam durch die Lieder. Nur zwei, drei Beats pro Minute weniger, und sie hätten „Stille Nacht“ rückwärts gesungen. Auf jeder „Mega After X-mas Party“ wären sie der Brüller.

Die Hirten und Bischöfe tadeln pflichtbewusst die Kommerzialisierung des Festes, die evangelischen Kollegen richten wahrscheinlich einen Stuhlkreis dazu ein, aber auch ihnen fehlt irgendwie der Mumm. Vor Jahren unterbreitete ich ihnen, getarnt als satirischen Radiobeitrag, den Vorschlag, einfach „Weihnachten“, „Krippe“, „Engel“ und „Jesuskind“  sowohl bei der GEMA als auch beim Patentamt für diverse Warengruppen eintragen zu lassen, und anschließend die erbärmlichen Weihnachtsmärkte abzukassieren. Das könne Kapitalismus und Spiritualität versöhnen zum Wohle beider. Niemand reagierte.

Bei einem wüsten Krippenspiel, in dem eine Kneipe mit einem Sack winziger Styroporkügelchen, die per Adhäsion bis Ostern an den Biergläsern hafteten, mit Stroh und  einem stinkenden Fisch gekonnt und übel zugerichtet wurde, ging es und einem Herodes, der die Knaben zwar auch zu sich kommen ließ, sie aber zu sehr mochte um sie zu töten, einen eiligen Geist und andere fertige Figuren. Die Kirche ignorierte nicht einmal, die Lokalzeitung schrieb nahezu empörungsfrei, nur Ingos Oma zuckte kurz, strich aber nicht einmal das Weihnachtsgeld.

Weihnachten, da machst du nix.

Jahresrückblick 2010: Februar

Für Rüttgers wurde es langsam enger und in Dortmund kündigte sich eine große Koalition an. Aber die wichtigste Geschichte auf den Ruhrbaronen im Februar nahm ihren Ursprung im Iran.

Neda Soltani – die Ikone des demokratischen Widerstandes – lebt in Frankfurt. Sie wurde das Opfer einer Verwechslung. Die wohl beeindruckendste Geschichte des Jahres auf den Ruhrbaronen.

Banal ging es dazu im Vergleich in NRW zu: Skandal-CDU-Generalsektreär Hendrik Wüst trat zurück und es war gar nicht so einfach, einen Nachfolger zu finden.  Rent-a-Rüttgers machte die Runde und Landtagspräsidentin Regina van Dinther klebte an ihrem Stuhl.

In Dortmund bekam der CDU-Fraktionsvorsitzende einen lukrativen Job bei einer Stadttochter – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Union und SPD. In Essen hingegen endete eine ebenso große wie sozialdemokratische Karriere. Typen wie Willi Novack waren für viele Menschen ein Grund, niemals SPD zu wählen.

In einem Interview erklärte Peter Sloterdijk seine Skepsis gegenüber Daniel Goldhagens Völkermordthesen. Im Theater ging es um Fußball und die Ruhr2010-Macher blamierten sich mit dem 2010Lab und ihren „Kreativquartieren„. Daran sollte sich dann auch das ganze Jahr über nichts ändern.

In Duisburg sorgte MSV-Präsident Hellmich für Schlagzeilen, wir hatten Ärger wegen Fotos von Stalin-Fangirl Wagenknecht und in Gelsenkirchen machten die Rechtspopulisten von Pro NRW so etwas wie einen Parteitag.

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Der Ruhrpilot

NRW: Rot-Grün plant 7,96 Milliarden neue Schulde…RP Online

NRW II: Haushalts-Klage bringt Rot-Grün in Verlegenheit…Der Westen

Ruhr2010: Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010 geht zuende…Stern

Ruhr2010 II: Ein Jahr im Ruhrgebiet…FAZ

Umland: Maulkorb für kritische Lehrer in Arnsberg?…Der Westen

Umland II: Umleitung…Zoom

Internet: Tagesschau bietet kostenlose App für iPad/iPhone, Android und BlackBerry…Netzwertig

Internet II: Noch bis zum 31. Dezember Datenkraken für die BigBrotherAwards 2010 vorschlagen…Netzpolitik

Fußball: Fast harmonische Mitgliederversammlung beim VfL Bochum…Pottblog

Fußball II: Evonik dankt BvB…Pottblog