Dortmund: Nazi-Demo beendet

In Dortmund werden heute die Nazis gegen die Polizeizrazzien der vergangenen Wochen demonstrieren.

19.27 Uhr Die Polizei Dortmund erklärt, dass die Nazis ihre Demo um 17.00 Uhr beendet hat. Angemeldet was sie bis 22.00 Uhr. Wegen  linker Gegendemonstranten hätten die Nazis zudem nicht durch die Saarlandstrasse ziehen können.

16.00 Uhr Nazis sind durch die Landgrafenstraße Richtung Hohestraße gezogen. Demonstranten schafften es durch die Polizeikontrollen hindurch in der Nähe der Nazis zu protestieren. Anwohner beschwerten sich bei Lokalpolitikern darüber, dass die Nazis mitten durch ihr Wohnquartier ziehen dürfen.

15.28 Uhr Die Nazis dürfen nach eigenen Angaben nicht durch die Saarlandstraße Richtung Polizeiwache ziehen. An der Ecke Saarlandstraße/Ruhrallee findet zur Zeit eine Zwischenkundgebung statt. Wohl auch Witterungsbedingt nehmen an der Demo nur 60 bis 70 Rechtsradikale Teil. Nazis und Winter – das wird nach den Erfahrungen während der Russlandfeldzuges wohl nichts mehr.

13.25 Uhr. Am Stadthaus, dem Startpunkt der Nazidemo, sind die ersten Teilnehmer eingetroffem.

13.12 Uhr . Laut Antifa-Medien-Zentrum sammeln sich Nazis in Dorstfeld. Die Polizei hat 30 Leute, die gegen dei Nazis demonstrieren wollen, im Bereich Hohestr/Chemnitzstrasse eingekesselt. Ansonsten ist es im Saarlandquartier, durch das die Nazidemo führen soll, deren Ziel das Polizeipräsidium ist, ruhig. Die Cafés sind gut gefüllt. Ab und an fährt ein Polizeiwagen durch das Viertel. Wir werden unregelmäßig berichten. Live Infos auf Twitter via AMZDO. Weitere Berichte bei Der Westen und den Ruhr Nachrichten.

Alle für den Steag-Aktienkauf: Stadt für Stadt, Partei für Partei

Kraftwerk Duisburg-Walsum; Foto: Thorsten Bachner via Wikipedia

Am Montag wird auch der Rat der Stadt Duisburg dafür stimmen, dass ein Verbund von Revier-Stadtwerken 51% der Steag kauft. Dies haben am Freitag die Fraktionsvorsitzenden der SPD, der Linken und der Grünen in einer gemeinsamen Pressekonferenz deutlich gemacht – freilich nicht, ohne den geplanten Aktienkauf „an eine Reihe von Forderungen“ zu knüpfen. Bereits vor einer Woche hatte Stefan Laurin an dieser Stelle gute Gründe gegen dieses Kaufvorhaben angeführt. Auch Befürworter einer Rekommunalisierung von Energieunternehmen lehnen den Erwerb der Evonik-Energiesparte ab. 

Die WAZ jedoch kann den linken Bremer Ökonomen Rudolf Hickel mit der Aussage zitieren, es sei „ordnungspolitisch der richtige Weg, die Energieerzeugung wieder mehr in die Hände der Kommunen zu legen.“ Damit werde ein Gegengewicht zu den Stromriesen RWE, EON, Vattenfall und EnBW geschaffen, erklärte er einem WAZ-Redakteur offenbar am Telefon. Mehr erfahren wir über dieses Gespräch nicht, und dass Hickel dafür ist, dass die Kommunen dem Oligopol der vier Großen etwas entgegensetzen, darf als gesicherte Erkenntnis gelten.
Dass „die Steag“, wie es in dem Artikel weiter heißt, „als ein solides Unternehmen angesehen“ wird, dagegen nicht. Zitat: „Nach WAZ-Informationen soll das Risiko für die Stadtwerke, die am Konsortium beteiligt sind, durchaus beherrschbar sein.“ Boah! Jedoch: nach meinen Informationen sind die Risiken, die sich aus der Steag-Übernahme ergeben, absolut unüberschaubar. Durchaus.  

Nicht minder puzzelig will die Konkurrenz von der Rheinischen Post ihren Lesern den Deal schmackhaft machen. Zunächst einmal auch hier der antimonopolistische Hinweis, dass „der Duisburger Verkehrs- und Versorgungskonzern gemeinsam mit seinen Bieter-Partnern seine Position gegenüber den vier großen privaten Energieversorgern deutlich verbessern kann.“ Damit das auch wirklich jeder versteht: „Das erhöht die Unabhängigkeit.“ Aber jetzt kommt das Argument, dem schon die Überschrift dieses Artikels gewidmet ist: „Wertvoll macht das 51-Prozent-Paket aber auch das Knowhow der Steag.“
„Das Knowhow der Steag“ – jetzt musste sie endlich kommen, die Aufklärung darüber, was das denn nun wieder sein soll. Natürlich: „Ihre Ingenieure gelten weltweit als ausgewiesene Fachleute.“ Knowhow ist etwas, das sich in den Köpfen befindet; und diese Köpfe wissen, wie man ein Kohlekraftwerk baut, beaufsichtigt und wartet und noch viel mehr. Das weiß nicht jeder. Aber woher weiß die Autorin, Hildegard Chudobba, Haus- und Hofschreiberin des Duisburger Oberbürgermeisters, dass die Steag-Ingenieure „weltweit ausgewiesene Fachleute“ sind? Egal, wird schon stimmen, also kaufen!  

“Da sind zum anderen die Kraftwerke im In- und Ausland, die zum Warenpaket gehören und der heute schon große Anteil regenerativer Energie, die Steag-Kraftwerke und ein gut ausgebautes Fernwärmenetz“, wirbt Chudobba. Dass die Kraftwerke in der Aufzählung gleich zweimal angeführt werden, mag zwar etwas komisch wirken, trifft aber den Nagel auf den Kopf. Kraftwerke, das ist es. Kohlekraftwerke, das ist die Steag. “Der heute schon große Anteil regenerativer Energie“ steuerte nach Angaben der linken Tageszeitung „Junge Welt“ 248 Millionen Euro zum Jahresumsatz 2009 bei, der sich insgesamt auf 2,6 Milliarden Euro Umsatz belief. Etwa neun Prozent, „heute schon groß“, aber das restliche Geld muss ja auch verdient werden.
991 Millionen Euro im Kohlehandel und 891 Millionen Euro mit den zehn deutschen Kraftwerken, fehlt noch gut eine halbe Milliarde, und die werden mit den Kohlekraftwerken in der Türkei, auf den Philippinen und in Kolumbien gemacht. Hier, also dort in Termopaipa (Kolumbien), sollen die Arbeitsbedingungen nicht ganz so toll sein („Come to RAG, we have a very good Betriebsklima“). Das fände der Hermann Dierkes, nur für den Fall, dass an dieser Kritik etwas dran sein sollte, freilich nicht ganz so gut, weshalb er findet, dass die kritisierten Missstände überprüft und abgestellt werden sollen.
„Notfalls müssen die Verträge gekündigt werden!“ Ja, der Hermann. Und, ganz wichtig, die „neue Steag“ soll kein Global Player wie RWE oder EON werden. „Wichtig“, sagt Dierkes, der Chef der Duisburger Linksfraktion. Wer ist dagegen schon Hildegard Chudobba, die Leiterin der Duisburger RP-Redaktion?! Sie schreibt: „Die Auslandstätigkeiten der Steag werten die kommunalen Bieter als ein zukunftsgerichtetes Engagement.“ Kann eigentlich nicht sein. Oder Hermann Dierkes müsste noch einmal mit den kommunalen Bietern reden.  

Sollte aber doch ein „zukunftsgerichtetes Engagement“ ins Auge gefasst werden … – okay, reine Spekulation. Aber was man hat, das hat man. Also zehn Kohlekraftwerke hier, drei im Ausland. Wenn nun aber der Preis für Steinkohle auch in Zukunft so dramatisch steigen sollte wie in den letzten Jahren? Reine Spekulation? – Mitnichten. So sicher die Preisschwankungen auf dem Weltmarkt sind, so sicher gehen die Rohstoffpreise, also auch der Preis für Steinkohle tendenziell nach oben. Von einem beherrschbaren Risiko, wie es in der Auftragspropaganda der Lokalpresse heißt, kann also keinerlei Rede sein.
Matthias Schneider, einer der beiden Sprecher der Duisburger Grünen, hält es gar für möglich, dass Evonik allein deswegen die Steag loswerden will. „Die verbrennen doch fast nur Steinkohle und die erneuerbaren Energien bringen zum Geschäftsergebnis kaum was ein“. Deswegen hatte die Mitgliederversammlung der Grünen am 11. November beschlossen, dass die Entscheidungsträger im Rat aufgefordert werden, „eine Beteiligung der Stadtwerke am Bieterkonsortium abzulehnen und das abgegebene Angebot nicht zu bestätigen. Stattdessen fordern die Duisburger Grünen eine klar ökologische Ausrichtung der Stadtwerke „als regionalen Stromversorger und Energiedienstleister“. In der Mitgliederversammlung wurde vor allem das Auslandsgeschäft der Steag mit Kohlekraftwerken, auf dem sogar die mittelfristige Finanzierung der Steag vollständig basiere, als zu risikoreich und als nicht mehr zeitgemäß kritisiert.  

Am Montag werden die Grünen dennoch dem Aktienkauf zustimmen, wie auch die beiden roten Fraktionen und viele CDU-Stadträte – allerdings mit einer Reihe von rot-rot-grünen Forderungen. Das neue Kohlekraftwerk in Walsum soll mit Kraft-Wärme-Kopplung ausgestattet werden, die Kraftwerke in Herne und Lünen sollen geschlossen werden, auf die Planung neuer Kohlekraftwerke soll ganz verzichtet und die Kohleverstromung langfristig gestoppt werden. Rot-Rot-Grün baut die „neue Steag“ zu einem ökologischen Energie-Erzeuger um.
Ja, so etwas erzählen die rot-rot-grünen Herren ganz ungeniert auf einer Pressekonferenz, und am nächsten Tag steht dieser Unfug dann ganz affirmativ in den Zeitungen. Die Übernahme wird jetzt ernst, da ist politischer Widerstand nicht zu gebrauchen.

Vom Sinn und Unsinn der Kreativen Klasse und der Kreativquartiere

Der im Folgenden veröffentliche Text ist in verschiedenen Teilen bei der Ruhrbaronen schon von mir veröffentlich worden. Auf vielfachen Wunsch habe ich diese Teile überarbeitet und hier zu einem großen Posting und damit zum Komplettdownload noch mal zusammengefasst.

Über die Kreativität als solche

Was macht ihn eigentlich aus, den sogenannten Kreativen? Seine Kreativität natürlich! Aber was macht die aus? Ist die eigentlich angeboren? Oder kann man die erlernen?
Beides scheint der Fall zu sein, wenn man den Wissenschaftlern traut, die sich damit beschäftigen. Seit den ersten Intelligenzdefinitionen die sich auch der Empirie zu stellen hatten, was natürlich mal wieder eine Idee des (amerikanischen) Militärs war, stand diese Frage im Raum. Welche Eigenschaften muss der Mensch haben, der in der Lage ist, etwas Neues zu denken. Sei es weil er dazu gezwungen ist, weil die alten Problemlösungen nicht mehr funktionieren. Sei es weil er einfach Spaß daran hat, Dinge nicht hinzunehmen wie sie sind. Sei es weil er in einem Metier beschäftigt ist dass davon lebt, dass nichts so bleibt wie es ist, wie z.B. in der Mode. Sei es weil er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit der Berufung verschrieben hat, ein Erfinder zu sein.

Intelligenz, so stellte sich heraus, ist nicht die Folge sondern die Voraussetzung von Kreativität. Blöde kommen – wie die meisten auch aus ihrer Alltagserfahrung wissen – selten auf neue Gedanken und können deswegen auch schlecht Probleme lösen. Zumindest nicht absichtlich und bewusst. Umgekehrt , so fanden unsere Forscher heraus, gilt aber nicht der Satz: Je intelligenter je kreativer. Es gibt (leider) auch viele Menschen mit einem hohen IQ denen nicht viel Neues einfällt. Selbst wenn es dringend notwendig ist. Erleben wir gerade wieder, oder?

Wo also ist das Gen, das der Intelligenz z.B. eines Rechengenies die Fähigkeit, ja sogar Neigung, hinzufügt, um die Ecke oder Quer oder anders herum zu kalkulieren? Die Sache auf den Kopf zu stellen? Sich aus den gewohnten Bahnen heraus zu katapultieren? Ob das ein richtiges Gen ist, weiß bis heute noch keiner so richtig. Aber es gibt, das weiß auch unsereins, Menschen die für alle andreren nachprüfbar so sind. Wir nennen sie gewöhnlich unkonventionell. Nicht nur anders im Sinne von Unterschied, sondern im Sinne von gegensätzlich, zumindest aber im Sinne von sich nicht dem Gängigen fügend. Unkonventionell eben.

Über diesen Verhaltenstypus gibt es entsprechend auch, und natürlich wissenschaftlich etwas komplizierter und ausschweifender, reichlich empirische Untersuchungen und die haben im großen und ganzen ein Ergebnis: er ist in allen diesbezüglich untersuchten Gesellschaften in der Minderheit. Auf gut Deutsch: Der Unkonventionelle ist, wie der Name es ja auch sagt, kein Herdentier. Wenn überhaupt und allerhöchstens macht er gut ein Drittel der Bevölkerung aus. Als Denkender aber nur!

Als Handelnder verringert sich seine Prozentzahl nochmal erheblich. Denn gegen die Konventionen zu handeln erfordert Mut , wie wir alle wissen. Und sein Auftreten hängt dazu noch von der Unterstützung der sozialen Umgebung ab. Sind alle um einen herum eher ängstlich sinkt der eigene Mut. Mit jeden weiteren Mutigen steigt er an. Auch das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Bringen wir das ganze wieder mit der Kreativität zusammen so erfordert sie Intelligenz u n d Mut. Oft zumindest.

Wie kommt also jemand auf die Idee diese sehr besondere individuelle und zugleich nur wenigen Menschen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zugängliche Eigenschaft mit dem Begriff der „Klasse“ zu verbinden? Also einem recht hemdsärmelig gebrauchten soziologischen Begriff der sich z.B. , wie es sein berühmtester Vertreter Richard Florida tut, mit einer oder mehreren ganz bestimmten Berufskategorie verknüpfen lässt um sie (relativ) genau zählbar und damit räumlich und sozial verortbar zu machen? Oder konkreter gefragt: Ist z.B. ein Architekt schon per Berufsdefinition als Kreativer zu bezeichnen?

Wer sich jeden Tag unsere gebaute Umwelt anschaut weiß: das Gegenteil ist der Fall. Das gleiche gilt z.B. für Designer, Werbe- und Modefuzzis, die mittlerweile ebenso automatisch zur Kreativen Klasse gezählt werden. Dagegen haben sich die Banker, die lange quasi als Markenzeichen für Solidität eben auch als Ausgeburt des Unschöpferischen gegolten haben, in den letzten Jahren als ausgesprochen kreativ erwiesen. Womit augenscheinlich ein weiteres Problem der so viel gelobten Kreativität aufscheint: Kreativ in was und für wen? Oder anders ausgedrückt: Kreativität ist ähnlich wie Intelligenz und Unkonventionalität ein gefährlich inhaltsleerer Begriff. Und er ist keineswegs automatisch mit dem verknüpft, was der Begriff „Klasse“ andeutet: Elite im Sinne von verantwortlicher Führungsfähigkeit.

Jemand als Kreativen zu bezeichnen erfordert also weit mehr als eine bestimmte Berufsbezeichnung. Solche Personen lassen sich nach meiner Ansicht soziologisch gar nicht erfassen. Sie tauchen viel mehr immer wieder als Einzelpersönlichkeiten aus der Masse auf und suchen sich ihren ganz eigenen Weg. Sie lassen sich deswegen auch nicht kategorisieren oder sozial oder kulturell und erst recht nicht ökonomisch einordnen. Sie tauchen in der Unterschicht genauso auf wie bei den Reichen. Man findet sie nicht nur in den sogenannten innovationsfreundlichen Milieus und Berufsgruppen. Aber sie sind überall in der Minderheit. Auch da wo Erfindergeist zum Tagesgeschäft gehört. Und sie (be)suchen sich gegenseitig, weil sich die eigene Kreativität ohne Dialog und Außeninspiration nicht steigern lässt.

Deswegen haben sie immer schon das gebildet, was heute als „Cluster“ oder „Netzwerke“ bezeichnet wird. In der Provinz wie in den Metropolen. Ehe Richard Florida sie „entdeckt“ hat, waren sie schon lange da. Und überall machen sie immer die gleiche Erfahrung: Das ihre Kreativität über kurz oder lang den Rest der Gesellschaft nervt. Das ihr Gebrauchtwerden immer nur auf Zeit ist. Dass sie immer nur in bestimmten Phasen, ja manchmal nur für sehr kurze Momente die Heroen der Mehrheit sind. Das wird auch dieses Mal so sein. Egal ob in Ruhr oder Berlin oder sonst wo.

Die sogenannte Kreative Klasse

Der Erfinder dieses Begriffes ist, wie schon gesagt, eben dieser Richard Florida. Ein kluger Mann, keine Frage, und mittlerweile auch weltbekannt. Aber er ist keineswegs der erste, der sich mit der Wirkung von Innovationen bzw. von innovativen Menschen auf die Stadtentwicklung beschäftigt hat. Wichtig ist deswegen was sein sozialräumliches Kreativitätskonzept von anderen unterscheidet. Er hat nämlich der häufig prekären Gruppe der eher künstlerischen Kreativen (Tänzer, Musiker, Maler, Schriftsteller, usw.) die der durchschnittlich wesentlich besser bezahlten produktionsbezogenen Kreativen (Forscher, Entwickler, Vermarkter, Werber, Designer usw.) hinzugefügt und sie zu einer einzigen „kreativen Klasse“ erklärt, weil sie trotz ihrer unterschiedlichen Lebensbedingungen ähnlich Anforderungen an ihre Lebensumwelt stellen.

Ob das wirklich so stimmt, wäre noch einmal genauer zu betrachten, denn der prekäre Teil der kreativen Klasse mag zwar an den gleichen Orten leben wollen wie der erfolgreiche Teil, aber er kann die dortigen Mieten meistens nicht (mehr) bezahlen. Zumindest nicht in Hamburg oder München. Zunehmend aber auch nicht mehr in Berlin. Und in New York schon gar nicht. Hier überlegt die Stadtverwaltung seit längerem sogar, jungen – sprich (noch) nicht erfolgreichen Künstlern – einen Mietzuschuss zu gewähren, damit sie in Manhattan selbst, oder zumindest in der Nähe wohnen (bleiben) können. (Siehe hierzu vertiefend: https://www.ruhrbarone.de/gentrification-in-new-york-city-die-williamsburgh-story/)

Viel folgenreicher aber ist Floridas Ansatz für die damit zu gewinnenden statistischen Ergebnisse. In gewisser Weise ist mit diesem Ansatz nämlich zugleich sein Erfolg vorweg gesichert. Sehr verkürzt – und von Florida nicht unbedingt beabsichtigt – handelt es sich damit nämlich um eine Art selffullfilling prophecy die – zugegeben sehr vereinfacht – folgendermaßen lautet: Eine Stadt, in der viele faktisch Erfolgreiche und viele potentiell Erfolgreiche zusammen wohnen wird über kurz oder lang selbst erfolgreich. Die Städte müssen also „nur“ die besten Bedingungen für diese erfolgreiche „Klasse“ schaffen und der Rest geht dann wie von selbst. Umgekehrt lässt sich mit diesem Konzept schnell beweisen, dass Städte in denen diese „ Klasse“ überdurchschnittlich vertreten ist auch erfolgreicher sind als die, die nicht darüber verfügen. Und genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Genauer gesagt stellt sich die Frage wer ist jetzt das Huhn und wer das Ei. Die „kreative Stadt“ die die „kreative Klasse“ anzieht oder die „Kreative Klasse“ die eine Stadt zu einer solchen erst macht. Das Beispiel Berlin ist dafür geradezu prototypisch. Noch vor 10 Jahren hätte Berlin in den diesbezüglichen Städte-Rankings, wenn es sie da schon gegeben hätte, wahrscheinlich wesentlich schlechter abgeschlossen als heutzutage. Es hätte also gar keinen Grund für Kreative gegeben, dort hinzuziehen. Aber genau das ist vor allem bei dem Teil der kreativen Klasse geschehen, der weniger erfolgreich ist. Sie sind dort hingezogen obwohl es dort weniger Aufstiegschancen gab als in anderen Städten. Was übrigens bis heute gilt. Nirgendswo werden Kreative, egal welchen Erfolgsgrades , so schlecht bezahlt wie in Berlin.

Die zweite Frage ist: wie entsteht eigentlich eine „kreative Klasse“ oder ist die einfach immer schon da. Genauer gesagt, kann man Kreativität überhaupt systematisch „produzieren“ und wenn, wie? Und vor allem wo? Die, um die es hier in Berlin, München, Stuttgart usw. geht , kommen ja in der Mehrzahl nicht aus diesen Städten sondern sind Zugezogene. Und zwar in einem Alter in dem sich die Persönlichkeit nicht mehr wesentlich ändert. Kreativ „geworden“ sind sie also nicht in den berüchtigten Hotspots der kreativen Städte sondern, ja wo eigentlich?

Ginge es also in Ruhr nicht erst mal darum, die hier kreativ gewordenen auch hier zu halten? Und wie macht man das? Der Abgang dieser „Klasse“ aus Ruhr ist nämlich in den letzten Jahrzehnten, nach meiner eigenen Erfahrung, enorm gewesen. Vielleicht sollte man die Zahl erst mal genauer checken und diese Leute systematisch nach ihren Motiven fragen anstatt die hundertste Untersuchung darüber zu veröffentlichen, wie wohl sich die Hiergebliebenen doch in Ruhr fühlen.

Metropole oder Provinz?

Die Provinz ist für den oder die Kreative/n natürlich ein härteress Pflaster, wie man es im Ruhrgebiet bestens studieren kann. Wer hier gegen die Konventionen verstößt konnte es lange Zeit nur unter Einkalkulierung seines eigenen Untergangs tun. Die kulturelle und politische Hegemonie der Sozialdemokratie vereint mit der ökonomische Dominanz des Montanindustriellen Komplexes hat selbst noch zu Zeiten der IBA-Emscherpark bei den dort leitend Aktiven die Frage hervor gerufen , ob „Innovationen in einem strukturell innovationsfeindlichen Milieu“ überhaupt durchzusetzen sind.

Dass sich dann die städtebaulichen Erneuerer zwar durchsetzten, sich dabei selbst jedoch gegen jede äußere und öffentliche Kritik abschotteten, zeigte, dass in der Provinz selbst die Kreativen, und als solche sind die Leute um Karl Ganser sicher zu bezeichnen gewesen, den übergeordneten Gesetzen der Provinz zu fügen haben bzw. diese sich in deren Hinterkopf unhinterfragt, wenn nicht sogar unbewusst wieder einnisten.

Was der Provinzkreative aber eher lernt als der metropolitane Erneuerer ist Subversion und Durchhaltevermögen. Insofern sollte jeder Kreative in seinem Leben zumindest einige Jahre in der Provinz verbringen ehe er/sie sich zum Beispiel nach Berlin zu gehen traut. Da ist es nämlich im Ernstfall nicht viel besser. Genauer gesagt ist in der Metropole nur das Klima innovationsfreundlicher, nicht die realen Verhältnisse.

Da ein gutes Klima nicht zu unterschätzen ist, trifft man dort auch mehr Menschen, die es brauchen. Da es aber nicht ausreicht, wenn nicht auch Aufträge auf einen warten, die einen ernähren, wird diese Gruppe gerade in Berlin immer wieder um die dezimiert, die letztlich von ihrer Kreativität auch zu leben gezwungen sind . Nach einigen Jahren struktureller Unterbezahlung sind sie zum Tausch von richtigen Aufträgen gegen innovatives Klima gezwungen, sprich dazu, Berlin wieder zu verlassen.

Die, die erst gar nicht aus dem Ruhrgebiet weggehen, haben jedoch häufig weder ein förderliches Klima noch Aufträge. Zumindest nicht von außerhalb der Agglomeration. Egal wie viele Preise und Fachrenommee sie erobern, die Städte im Ruhrgebiet sind für sie keine gute Adresse, wenn man sich außerhalb um Aufträge bemüht. Und selbst innerhalb der Ruhrstadt werden die Bewerber aus den metropolitanen Kreativstädten systematisch bevorzugt . Selbst bei den Machern der Kulturhauptstadt. Selbst bei denen, die sich dort speziell der Förderung des Kreativen verschrieben haben. Bei der IBA-Emscherpark war es übrigens auch schon so.

Was also ist zu tun? Soll man bleiben oder gehen? Und was macht man wenn man nicht gehen will oder kann? Wie kommt man dann im Ruhrgebiet an Aufträge die einen in Dimension und Aufgabenstellung wirklich voran bringen? Wie kommt man hier in die Liga, die auch in den Metropolen chancenreich mitbieten kann? Die Aufträge die das fördern gibt es nämlich auch hier.

Ob dabei die vom Gorny-Team kreierten Kreativquartiere helfen, werden wir in den nächsten Jahren erst feststellen können. Ich bin da eher skeptisch. Auf jeden Fall werden von den großmundig anvisierten -wie viele waren es eigentlich? – nur wenige überbleiben bzw. den Namen wirklich verdienen. Aber die von der gleichen Truppe dadurch vorangetriebene lokale und regionale Vernetzung zeigt jetzt schon unbestreitbare Erfolge. Ja sie verändert sogar schon etwas das so viel gerühmte Klima, in dem sie das Thema kulturstadtrelevant gemacht hat. Es wurde noch nie so viel über die Rolle der Kreativität für die Zukunft des Ruhrgebietes diskutiert wie jetzt.

Manchmal kann ich mich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass es mittlerweile mehr Menschen in der Ruhrstadt gibt, die ihre Kreativen suchen, beobachten und analysieren als Kreative selbst. Nichtsdestotrotz bewegt sich die Provinz wenigstens hier ein Stück in Richtung Metropole. Bei genauerer Betrachtung haben wir in unserem Land, ganz jenseits des Urbanitätstyps, allerdings schon immer Kreativquartier gehabt, und das flächdeckend: Unsere Kindergärten. Wir haben sie nur nie also solche begriffen. Aber das ist ein anderes Thema.

Kreativität braucht Inspiration

Ich bin in der Kultstadt Wanne-Eickel mitten im tiefsten Ruhrgebiet geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe in Dortmund studiert. Meinen ersten Job hatte ich an der Technischen Universität in West-Berlin (damals noch „Frontstadt“) bekommen, ging aber danach wieder zurück ins Ruhrgebiet. Meinen engen persönlichen Kontakt zur Spreemetropole habe ich jedoch weiter bewahrt. Seit fast 10 Jahren lebe ich sowohl in der Ruhr- als auch in der Hauptstadt und möchte auf beide nicht mehr verzichten, so lange ich noch mobil genug fürs regelmäßige Pendeln bin.

Mag sein dass mir niemand glaubt. Aber Ruhr kann inspirierender sein als Berlin. Ich z.B. brauche dafür Abwechslung und Ungewohntes, neue Gesichter wie neue Gegenden. Im direkten sinnlichen Austausch. Sie bringen mir neue Gedanken und Ideen. Es nützt mir nichts regelmäßig da zu sein, wo angeblich was los ist. Weder in Berlin noch in Ruhr. „Was los“- Orte gibt es in Berlin sehr viel mehr als in Ruhr. Ganze Stadtbezirke haben sich zu dem gemausert, was man heute Szeneviertel nennt. Nach Prenzlauer Berg („Prenzelberg“), Kreuzberg und Friedrichshain ist jetzt wahrscheinlich der Wedding dran. Zumindest sind erste Anzeichen dafür vorhanden.

Der dazugehörige Szenetourismus ist gewaltig. Immer noch mehr schlacksige dünne Männchen mit großen Brillen und auf wild geföhnten und gelegten Haaren mit darauf drapierten kleinen Hütchen. (Ich habe natürlich grundsätzlich nichts gegen kleine Hütchen. Einer meiner deutschen Lieblingssänger trägt ständig eins. Kommt letztlich immer auf den Kopf an der drunter steckt.) Immer noch mehr weißhäutige Mädchen mit ebenso großen Brillen, dafür aber umso kleineren Hund(ch)en, deren Frau(ch)en ihren nichtssagenden Gesichter mit Amy-Winehouse –Frisurvariationen Authentizität verleihen. Das ist im ersten Moment ganz spannend, wird aber sehr schnell langweilig. Da siehst du in jeder S-Bahn im Ruhrgebiet zwar nicht so gestylte, dafür aber wesentliche interessantere Menschen. Ihre Unterhaltungen, vertont in babylonischer Sprachverwirrrung, drehen sich nur sehr selten um die Szenenstandards Kunst, Kultur und neue Medien, dafür jedoch umso mehr um das, was man das reale Leben nennt.

Bei den „Skinny People“ (nicht nur) in Berlin geht es dagegen in der Hauptsache um verbale Selbstinszenierung. Ihre Internationalität demonstrieren sie dabei mit (schlechtem) Englisch und dieses möglichst in der amerikanischen Fassung, denn dann könnten die Zuhörer meinen, dass man/frau aus New York wäre. Es gibt nämlich mehr New Yorker in Berlin als in sonst einer deutschen Stadt. Ihre Zahl ist allerdings lächerlich klein gegenüber der Menge von Leuten, die so tun als ob und deren krampfhafte Intonation sie in jeder Sekunde dafür Lügen straft. Dann lieber Kanak-Deutsch vermischt mit Ruhrslang.

So halte ich mich in Berlin sehr wenig in den sogenannten Vierteln der „Kreativen“ auf. Nicht nur das man die Miete für ein Loft oder auch nur ein kleineres Apartment dort nicht mehr bezahlen kann. Es sind die besondere Art von Menschen die mich (und nicht nur mich) dort zunehmend nerven. Ihre ständigen Versuche anders zu sein als alle anderen, ihre angestrengten Bemühungen immer cool zu wirken, haben etwas tief Vergebliches und damit äußerst Lächerliches an sich. Als „boringly different” werden sie in New York selbst bezeichnet. „From being cool to being a fool it´s only a little step”. Stimmt!

Ich suche in Berlin sowie in Ruhr deswegen ganz bewusst die weniger „szenigen“ Orte auf um mich inspirieren zu lassen. Und dazu benutze ich das urbanste aller Fahrzeuge: das Fahrrad. Der 3D-Film den ich dann jedoch jeweils zu sehen bekomme, könnte unterschiedlicher nicht sein. In Berlin die fast immer währende Dichte und Höhe der kompakten großen Stadt, in Ruhr das nicht enden wollende Straßendorf mit Einsprengsel von etwas, dass man landläufig City nennt. Ja, und Stadtteilzentren gibt es auch. Hunderte. Viel mehr als in Berlin. Dafür aber kleiner und umso weniger frequentiert. Abends und nachts häufig komplett tot. Solche Gegenden gibt’s natürlich auch in Berlin. Mehr als die meisten denken. Aber der größte Teil des innerstädtischen Bereichs ist auf Grund eben dieser baulichen Hochstapelung und der Zuwanderung vieler junger Leute auch nach 20 Uhr flächendeckend belebt.

Das vermisse ich manchmal in Ruhr. Dieses räumlich breit gestreute und durchaus juvenile urbane Leben. Da muss ich dann doch regelmäßig ins Bermudadreieck nach Bochum um mir in der Ruhrstadt genügend Kompensation für die sonstige Leere zu holen. Wobei Leere nicht das wirklich trifft, was diesen zweifellos überwiegenden, wenn nicht dominanten Teil dieser ehemaligen Industrieagglomeration ausmacht. Es gibt sehr wohl Fülle in dieser Leere. Man muss sie nur entdecken wollen. Sie ist nicht offensichtlich, liegt nicht auf der Straße. Sie hat etwas Melancholisches, Verlorenes. Eine Urbanität die hinter den Kulissen stattfindet.

Sie hat, was die kreativen Menschen die (auch) dort leben, betrifft, etwas Dissidentenhaftes. Ihre Protagonisten verweigern sich nämlich den dröhnenden Treffpunkten der Selbst- und Fremdinszenierung. Des ständigen Sehen und Gesehen-Werdens. Zum einen weil sie es nicht nötig haben, weil ihre Selbstvermarktung auch ohne das gelingt. Zum anderen weil es die Inspiration des verschworenen kleinen aber feinen Kreises gibt, der vertrauten Gruppe, die sich in der urbanen Diaspora in eben ihrer Distanz zur „Szene“ heimisch fühlt. Die nur ab und zu die Impulse großer Gruppen und einer Menge fremder Gesichter braucht.

Besucht man diese Leute, sofern man von ihnen überhaupt weiß, ja sie sogar kennt, in der urbanen „Wüste“ der Ruhrstadt, so springt einem im selben Moment der Begriff der „Oase“ an. Ein gerade in seiner Abgelegenheit inspirierender Ort, der allerdings auch von seinen ständigen Besuchern lebt. Diese wiederum müssen in der Ruhrstadt – im Gegensatz zu Berlin – jedoch, wie die urbanen Wüstenkamele, bereit sein, längere Durststrecken der augenscheinlichen Leere zu überstehen.

Aber wie die Leere der Wüste eben selbst eine eigene sehr wohl inspirierende ästhetische Qualität hat, so hat diese auch das nicht endende Straßendorf namens Ruhr, die sogenannte größte Kleinstadt der Welt. Denn sie enthält im Gegensatz zu provinziellen Ordnung üblicher ländlicher Kleinorte so viele Brüche, Verschachtelungen und Fragmentierungen, dass auch der Weg zu den Oasen selten langweilig wird. Zumindest am Tag und in den frühen Abendstunden. Wer Gespräche führen will, kann das während dessen alle Nase lang tun. Er muss sich nur hinsetzen. Pause machen. Oder von sich aus Jemanden ansprechen. Selbst die schlichte Frage nach dem Weg kann hier ohne Weiteres zu einem überraschend langen Gespräch werden, dem sich in kürzester Zeit weitere (auf den Fremden) Neugierige anschließen.

Wer hoch interessante bisweilen sogar ausgesprochen schöne Gebäude bzw. Gebäudekomplexe sehen möchte kommt ebenfalls auf seine Kosten, sofern er die sonstige Banalität der Zwischenstadt nicht als Augenbeleidigung sondern als Ausdruck von Normalität auffasst. Auch Berlin ist in seiner Peripherie voll davon und nicht nur da. Wie alle Vorstädte dieser Welt. Die alte europäische Stadt, für die gerade aktuell wieder so viele der „Kreativen“ Schwärmen, macht nun mal auch in Europa nur noch einen Anteil von unter einem Prozent der städtischen Flächen aus. Das kann man bedauern und/oder sich in ihren letzten vorhandenen Enklaven ein mehr oder weniger teures Plätzchen sichern. Oder man kann sich dem stellen und auf Entdeckungsreise gehen. Im Emschertal zum Beispiel.

Gäbe es allerdings das B3E nicht, dann würde ich mich in Ruhr als Urbanaut , der ich nun einmal bin, nicht mehr so oft aufhalten. Dann wäre für mich Berlin eindeutig die erste Wahl in Deutschland. Egal wie viele tolle Museen, Theater, Konzerthäuser usw. usw. es in Ruhr gibt und noch geben wird. Egal wie viele kreative Oasen und Dissidenten sich im Ruhrstadtdschungel verstecken. Egal ob sich das ganze zu einer Stadt mit einer Verwaltung zusammenfindet oder weiter im Klein-Klein der Stadtfürstentümer verharrt.

Ich brauche auch die Impulse durch die dichte Menge der Unterschiede. Ich brauche auch das Schaulaufen der Vielen, die Selbstinszenierung der anderen, und sei es nur als Zuschauer. Ich brauche klassische sinnlich-interaktive Urbanität durch Menschendichte. Und da ist das sogenannte B3E im Ruhrgebiet (immer noch) nicht zu toppen. Und auch an diesem Ort –an dem es natürlich auch ein paar „Skinnys“ gibt – ist der Unterschied zu Berlin sichtbar. Nicht nur, dass es diese wenn auch nur städtisch punktuelle Dichte an so vielen Restaurants, Kneipen, Kinos usw. auf engstem Raum selbst in Berlin (noch) nicht gibt.

Hier begegnen sich in der Regel andere Leute. Sie sind bodenständiger und ihre Unterschiedlichkeit und Vielfalt ist real größer als in den meisten Szenevierteln Berlins. Dort werden sie in der Mehrzahl sowohl vom Outfit als auch vom Szene-Sprech von der mittlerweile weltweit recht einheitlichen Style- und Face-Book-Generation bestimmt. Und natürlich von ein paar echten und erfolgreichen „Kreativen“ die ihren Epigonen als umschwärmte Vorbilder gelten. Vielfältigkeit aus dem Worldwide Copyshop mit anschließender (Selbst-)Bildbearbeitung zwecks individueller Note. Nicht wirklich inspirierend eben.

Kreativität und Mobilität

Kreativität und Mobilität sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wer Kreative locken oder halten will muss ihnen deswegen Orte bieten, zu denen man gut hin u n d wieder weg kommen kann. Denn Kreative wollen immer wieder geistig u n d körperlich unterwegs sein. Die virtuelle Welt reicht ihnen nicht aus. Sie sind sinnliche Wesen und lieben deswegen auch die physisch vermittelten Anregungen des Lebens. Würde man sie mit Schiffen vergleichen , dann wären sie speziell für die hohe See gemacht. Solch Schiffe brauchen Häfen, die am Meer liegen. Häfen die mehr bieten als Schutz und Verpflegung. Die mit der Welt verbunden sind und in denen zugleich die Welt zuhause ist. Ein großer Stadtsoziologe nannte das einmal auf das Festland übertragen eine „Karawanserei des Geistes“.

Ich würde es als gelebte Urbanität bezeichnen. Als Urbanität also, die sich nicht (nur) durch den gebauten Raum sondern durch die dort aktiven Menschen und ihre besondere Art und den besonderen Inhalt ihrer Kooperation und Interaktion definiert.

Im Jahrhundert des Klimawandels kann der Zugang zu diesen kreativen Orten nur der Bahnhof sein. Er ist das ökologische Tor der sogenannten „kreativen Stadt“ . Für eine oder einen KreativeN kann das nur ein ICE-Bahnhof sein. Einer von dem man nicht nur schnell zur nächsten ICE-Stadt sondern auch zum nächsten internationalen Flughafen kommt, denn der interkontinentale Verkehr wird auch in weiterer Zukunft per Luft stattfinden (müssen).

Vergleichen wir diesbezüglich Berlin und Ruhr, oder sagen wir konkreter den Berliner mit dem Essener oder dem Dortmunder Hauptbahnhof, dann gibt es funktional wie ästhetisch nur einen und zugleich überragenden Sieger. Nimmt man dann die Taktzeiten der S-Bahnverbindungen zwischen den großen Bahnhöfen Berlins und des Ruhrgebiets hinzu, vergrößert sich der negative Mobilitätsabstand zu Hauptstadt noch einmal erheblich. Nehmen wir den Luftverkehr dazu, so wird, spätestens mit der Fertigstellung des neuen Großflughafens Schönefeld, Berlin auch bei den Interkontinentalverbindungen Düsseldorf überlegen sein. Eine für finanzstarke Kreative besonders wichtige tägliche direkte New York Linie gibt es allerdings schon seit ein paar Jahren von Tegel aus.

Für die weniger betuchten Kreativen, und das ist die große Mehrheit, gibt es – seit gut 10 Jahren auf der ganzen Welt beobachtbar – eine neue Form der Mobilität, die aus der Natur des Fahrzeuges heraus eine vorrangig innerstädtische ist: das Fahrradfahren. Es ist mittlerweile sogar stilprägend für die sogenannten LoFiBos (Low Finance Bohemiens). Nicht nur was den Typ und das Design des Vehikel selbst , sondern auch was die seiner häufigen Benutzung entsprechende Bekleidung betrifft. Und je mehr diese Form der urbanen Mobilität zum „Style“ wird, desto mehr wird sie auch von den Kreativen übernommen, die sich ein Auto selbst der höheren Klassen leisten können bzw. auf dessen Besitz und/oder Nutzung schon aus Statusgründen nicht verzichten wollen.

Die Fahrradfreundlichkeit eines Ortes ist damit für Kreative nicht mehr nur ein ökologisches sondern auch ein lebenskulturelles Thema geworden. Sie ermöglicht den Differenz- und damit auch Identitätsgewinn als Pionier einer neuen urbanen Mobilität. Das ist in sich logisch, ist doch für Kreative Urbanität auch als materieller dichter und damit tendenziell autofreier Lebensraum ein verteidigungswertes Gut geworden. In gewisser Weise habe Kreative mit dem Fahrrad ein Vehikel gefunden das nicht nur zu ihrer Lebensart sondern auch zu dem von ihnen bevorzugten Lebensraum passt.

Und da holt das Ruhrgebiet mobiltätsmäßig wieder etwas auf. Aber (noch) nicht wirklich, denn schon in den rot-grünen Jahren Berlins, d.h. noch vor dem massiven Zuzug an jungen Kreativen, ist ein innerstädtisches Radwegeprogramm umgesetzt worden, dass sich sehen lassen kann. Hinzu kommen die überbreiten Bürgersteige, die auch da das Radfahren ermöglichen , wo es der dicht befahrende Straßenraum bzw. die fehlenden Radwege verbieten oder nur unter Lebensgefahr erlauben.

Für die Kreativen ist aber nicht nur das Rad sondern die leichte, flächendeckende und billige Kombination aus Pedal- und Schienen/Linienverkehr von großer Bedeutung. Erlaubt es ihnen doch auf das Auto aus finanziellen und/oder ökologischen Gründen zumindest als Besitz gänzlich zu verzichten. Zusammen mit niedrigen Mieten ergibt sich damit ein unschlagbarer materieller Vorteil vor allem für jüngere und/oder (noch) nicht erfolgreiche innovativer Menschen. Und genau diese Gruppe ist für die Zukunft von Ruhr besonders interessant. Es gibt also noch viel zu tun, was die Mobilitätserleichterung für diese Gruppe betrifft. Maßnahmen die im Endeffekt jedoch allen Bewohnern von Ruhr nützen würden.

Kreativität und Flexibilität

Kreativität ist weder zeitlich noch räumlich steuerbar. Deswegen werden Kreative nach dem Ergebnis und nicht nach der Effizienz ihrer Arbeit beurteilt und bezahlt. Die ist ausschließlich ihre eigene Sache und führt unausweichlich bei den noch nicht angemessen Entlohnten unter ihnen zu enormer (Selbst-)Ausbeutung.. Kreative sind ihrer Kreativität nämlich in gewisser Weise ausgeliefert. Sie kommt und geht wann sie will, lässt sich nicht erzwingen, ist im Prinzip überall möglich und kann sich sehr plötzlich beschleunigen oder auch bis zum Stillstand verlangsamen. Zeitliche und räumliche Flexibilität sind deswegen das Nonplusultra eines kreativen Prozesses. Das sieht für Außenstehende nach großer Freiheit aus, ist für die Betroffenen aber pure Notwendigkeit. Sie wissen einfach nicht genau wann und wo ihnen etwas einfällt.

Deswegen schleppen die Kreativen der Wissensgesellschaft fast immer ihren Laptop und ihr Handy mit sich herum. Wie es schon die Wandergesellen im Zeitalter der Manufaktur mit ihrem Handwerkszeug gemacht haben. Da kreative Prozesse oft in direkten Zusammenhang mit anderen geistigen und materiellen Produktionsprozessen stehen, die räumlich unbeweglicher sind, ist direkter und permanenter Kommunikationszugang die andere Seite der räumlichen Ungebundenheit. Konkret heißt das, ständig Online sein und/oder das Handy nie abschalten.
Das setzt wiederum eine bestimmte räumliche und technische Infrastruktur voraus. Kneipen, Parks, Hotels und andere öffentliche sowie private Orte die weder im Funkloch liegen noch für den flächendeckenden Online-Zugang private Kosten verursachen sind deswegen für Kreative beliebte Aufenthaltsorte jenseits der eigenen Wohnung und/oder des Büros. Erst recht, wenn Letzteres (noch) gar nicht vorhanden oder klitzeklein ist.

Verfügen diese Orte obendrein über inspirierende natürliche (Wasser, Flora und Fauna usw.), und/oder bauliche (Architektur, Ambiente usw.) und/oder soziale (Multikulti, hohe Besucherfrequenz, andere Kreative usw.) Elemente, dann werden sie besonders bevorzugt. Fügen sich alle Elemente an einem Ort zusammen wird er für die Kreativen zum sogenannten „Hot Spot“, was nichts anderes als eine begriffliche Übertragung des Begriffs Hot House (Treibhaus) auf Räume im Allgemeinen ist.

Dazu gehören, was die Nahversorgung betrifft, wenn möglich auch Restaurants, Kinos, und Geschäfte die 24 Stunden, zumindest aber bis in die späten Abend- respektive frühen Morgenstunden geöffnet haben. Arbeitspausen haben bei Innovationsprozessen keinen festen Rhythmus und damit auch nicht das Bedürfnis nach Ablenkung, Mahlzeit oder einfach nur „Chillen“. Vervielfältigungs- und sonstige mediale Produktions- und Reproduktionsdienstleistungen sollten, weil meistens „outgesourct“, auch in der Nähe und (fast) durchgehend zugänglich sein.

Es gibt aber für Kreative auch einen innerhäuslichen Anpassungszwang an die Gesetze der Flexibilität. Die überdachten und zugleich nicht öffentlichen Orte ihrer Arbeit, also Büro/Werkstatt und/oder Wohnung müssen schon deswegen multifunktional ausgestattet sein, weil es auf Grund der Nichtsteuerbarkeit von Innovationen für die Akteure keine Trennung zwischen Arbeit und Leben gibt. Weder eine räumliche noch eine zeitliche. Obendrein gilt, dass jede Innovation unerwartete Elemente ins Spiel bringt.

Für Kreative die nicht nur mit dem Computer sondern auch oder vorwiegend mit Pinsel, Farbe, Bleistift und Leinwand, ja sogar mit Modellen und/oder kleineren Werkzeugen und Maschinen arbeiten, ergibt sich dadurch in der Regel ein überdurchschnittlicher Platzbedarf. Viel natürliches Licht und große hohe Räume sind da ein großer Produktionsvorteil. Die Möglichkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit einen gewissen Grad von Lärm/Unruhe zu erzeugen ebenfalls.

Lofts, erst recht in dickmäuerigen ehemaligen Fabrikgebäuden, sind deswegen für Kreative nicht nur Wohn- oder Lifestyle sondern vor allem notwendige bis optimale Arbeitsvoraussetzungen. Wenn dann in der Nähe dichtes Leben stattfindet d.h. das eigene oder mit anderen geteilte Loft Teil eines „Hot Spots“ ist oder dieser zumindest in erreichbarer Nähe liegt, dann ist der Standort perfekt.

Im Gegensatz zu Berlin gibt es Lofts und „Hot-Spots“ in dieser engen räumlichen Kombination im Ruhrgebiet so gut wie gar nicht, bzw. müssen sie hier erst entwickelt respektive gebaut werden. Das obwohl viele der durch den vielgerühmten Strukturwandel leergefallenen Fabrik- und Zechengelände innerstädtische Lagen haben oder hatten. Es ist vielmehr keiner (rechtzeitig) auf die Idee gekommen, sie auch in diese Richtung umzunutzen.

In Ruhr sind deswegen Fabriklofts zu Zeit, wiederum im Gegensatz zu Berlin, eher in städtischen Rand- oder Zwischenlagen zu finden. Manche davon sehr wohl mit inspirierendem Blick auf Wasser und/oder Natur und/oder guter, ja spektakulärer Industriearchitektur, dafür aber meilenweit entfernt von etwas, das man „Hot Spot“ nennen oder was man dazu entwickeln könnte. Erst recht wenn man nicht über einen privaten PKW verfügt. Für die Kombination aus Hot-Spot und Loft haben der Innenhafen von Duisburg und der Dortmunder Stadthafen noch die meisten Qualitäten, liegen aber nach meiner Einschätzung schon zu weit von den jeweiligen Hauptbahnhöfen entfernt.

Das Ruhrtal hat dagegen, was die landschaftliche Umgebung der dortigen Lofts betrifft, innerhalb des Ruhrgebietes faktisch ein Alleinstellungsmerkmal, liegt aber von den Nahverkehrsanbindungen noch weiter vom Schuss. Ganz anders z.B. das Girardet-Haus in Essen-Rüttenscheid, von dessen Art es in Berlin allerdings dutzende in innerstädtischer Lage gibt.

Bleiben die vielen Kanäle und still gelegten Kanalhäfen des Ruhrgebietes. Hier wäre die Bildung ganz spezieller und urban eigenständiger „Hot Spots“ möglich, wenn die Hausbootkultur massiv gefördert und wasseramtlich erlaubt wird. (Natürlich erst recht in Teilen der oben schon erwähnten Stadthäfen von Duisburg und Dortmund)
Das gleiche gilt für die Kultur der landgebunden Mobile-Homes die auf den großen noch vorhandenen wilden Freiflächen des“ Ruhr-Stadt-Dschungels“ eigene kreative Dörfer mit W-LAN-Anschluss ausbilden könnten. Auch hier wäre allerdings amtliche Erlaubnis und ideelle und materielle Unterstützung nötig.

Während sich Berlin auf Grund der kompakteren Stadtform mit den Mobile Homes, speziell in Form der „Wagenburgen“ schwer tut, hat sie sich auch bezüglich der schwimmenden Siedlungen schon einen Vorsprung erarbeitet, in dem sie dafür offizielle Stellen/Wasserflächen innerhalb des gesamten Stadtgebietes ausweisen wird, bzw. teilweise schon ausgewiesen hat. Fabriklofts aber auch Loft- und Atelierneubauten direkt am Wasser und zugleich in zentraler Lage gibt es schon lange und enorm großer Auswahl.

Aber auch im Ruhrgebiet werden zunehmend auch in innerstädtischen Lagen dauerhaft Räume frei werden. Unter anderem auch leerfallende Einzelhandelsgeschäfte/ Komplexe und öffentliche Gebäude, die entsprechende Raumgrößen und -höhen bieten und die vom Gesamtumfang eine sogenannten Clusterbildung auf einen Schlag ermöglichen. Kreative brauchen wie gesagt vor allen andere Kreative in der Nähe, denn erst als Horde oder Schwarm entfalten sie in einem unvermeidlichen qualitätsorientierten Ausleseprozesse ihre eigentliche urbane Intelligenz. Und genau hier könnte mittel- bis langfristig das Ruhrgebiet wieder aufholen, denn gerade die zentralen Lagen werden in den Boomregionen über kurz oder lang und trotz aller Kämpfe für eine gerechte Stadt nur noch der Minderheit der kommerziell sehr erfolgreichen Kreativen zu Verfügung stehen.

Hier könnte die Bochumer Innenstadt besonders interessant werden, denn mit dem dortigen Szeneansätzen in und um das Bermuda-Dreieck ist ein idealer Ausgangspunkt für ein sehr zentral gelegenes und überdurchschnittlich großes Kreativitätscluster gegeben, wenn die Bochumer Politik und Verwaltung sowie die lokale Wirtschaft die Zukunft ihrer City nicht mehr nur als Einkaufs- und Dienstleistungsstandort sieht.

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UZDO: Das Programm zum Wochenende

Die Initiative für ein unabhängiges Zentrum in Dortmund wird am Wochenende Veranstaltungen im ehemaligen Museum am Ostwall durchführen. Hier ein kurzer Überblick.

Los geht es morgen um 15.00 Uhr mit einem Vortrag über erfolgreiche Hausbesetzungen wie dem Langen August, dem AZ Mülheim oder dem AZ Köln.

Um 18.00 Uhr folgt ein Vortrag des Miethaussyndikats Freiburg:

„Was als kleine unbeugsame Enklave im Süden der Republik begann, findet immer öfter auch in anderen Gegenden Anklang. Ein Ende ist nicht absehbar. Doch was verbindet den Anfang Zwanzigjährigen Punker denn eigentlich mit einer WG von über Sechzigjährigen? Kleinstprojekte mit sechs Menschen, Kasernenhäuser mit 260 BewohnerInnen, Projekte mit, ohne und oder ausschließlich gewerbliche Nutzung; alles scheint möglich. Die Gemeinsamkeiten liegen in den Köpfen der Menschen, die in den Häusern wohnen und arbeiten, in der Organisationsstruktur und oft auch in den Geschichten, die die Häuser zu erzählen haben“.

Kultur steht dann ab 20.00 Uhr auf dem Programm:

addicted to machines, Punkrock aus Dortmund
aniyokore, Trip Hop

Electronic music:

André Rother, House

Philipp Nusch, Tech-House

Plain, Techno

Roberta Trash, Techno, Berlin

Das ganze Programm mit ausführlichen Erläuterungen findet ihr hier.

„Der Wedding ist für Juden die Hölle“

Für Arye Sharuz Shalicar war der tägliche Weg zur Schule im Berliner Stadtteil Wedding „ein Spießrutenlauf“. Muslimische Mitschüler lauerten ihm auf und verprügelten ihn, nachdem sie erfahren hatten, dass er und seine Familie iranische Juden sind. Vor zehn Jahren zog er von Deutschland nach Israel, heute ist er Sprecher der israelischen Armee und hat nun ein ebenso verstörendes wie lesenswertes Buch über seine Jugend in Berlin verfasst.

Herr Shalicar, Ihre kürzlich erschienene Autobiographie trägt den Titel „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“. Was hat es auf sich mit diesem Satz?

Das ist eine gängige Redensart in Iran. Meine Eltern können sich noch gut daran erinnern, wie ihnen dieser Satz im Ghetto von Babol hinterhergerufen wurde. In Iran werden Juden seit Jahrhunderten als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Deshalb sind sie vor meiner Geburt nach Deutschland gezogen. Sie wollten in der Bundesrepublik ein besseres, von antisemitischen Anfeindungen freies Leben führen.

Haben Ihre Eltern diese Entscheidung rückblickend bereut?

Ja und nein zugleich. Einerseits waren wir in Deutschland viele Jahre außerordentlich glücklich. Wir wohnten zuerst im friedlichen Berliner Multikulti-Stadtteil Spandau, dort wurden wir als Juden akzeptiert und hatten zahlreiche Bekannte. Dann zogen wir in den Wedding, was ein kolossaler Fehler war. In diesem Ortsteil herrschen Zustände, die es rund sechseinhalb Jahrzehnte nach Hitler nicht geben darf.

Was genau änderte sich durch den Umzug in den Wedding?

Erst einmal nicht viel. Nur dass man auf den Straßen keine Deutschen mehr sah, sondern nur noch Türken und Araber. Weil ich jedoch genauso dunkel aussah wie alle Jugendliche im Wedding, habe ich schnell Anschluss gefunden. Alle nahmen an, dass ich wie sie ein Muslim sei.

Bis Sie eines Tages mit einer Goldkette zur Schule gingen, um mit Ihren Kollegen, die alle Halsketten trugen, mithalten zu können. Nur hingen an Ihrer keine arabischen Schriftzeichen, sondern ein großer Davidstern.

Ja, von dem Tag an hat mein bester Freund Mahavir, ein muslimischer Inder, nicht mehr mit mir geredet. Weil alle Juden Todfeinde von Muslimen seien und verrecken müssten, erklärten alle Muslime im Wedding mich zu ihrem Feind. Seitdem war nichts mehr wie zuvor. Mein Leben wurde von einem Tag auf den anderen zu einem Spießrutenlauf. Es war die Hölle.

Inwiefern?

Ich wurde von den muslimischen Jungs gequält, erniedrigt und gedemütigt. Sie versuchten, mich systematisch fertigzumachen. Am schlimmsten war eine Begegnung in einer U-Bahn-Station mit den sogenannten „PLO-Boys“, einer palästinensischen Gang. Mit deren Anführer Fadi hatte ich vor meinem „Outing“ öfters zusammen Basketball gespielt, nun befahl er mir: „Jude, mach das Maul auf!“, stopfte mir Erdbeeren in den Mund und ohrfeigte mich. In meiner Weddinger Zeit wurde ich oft beschimpft, bespuckt und geschlagen, aber den Mund im wahrsten Sinne des Wortes gestopft zu bekommen hat mich mehr traumatisiert als alles andere.

Wie geht ein 13-Jähriger mit so einer massiven körperlichen und seelischen Verletzung um?

Im Gespräch mit meinen Eltern wollte ich unbedingt verstehen, warum ich auf einmal anders gesehen wurde. Ich hatte viele Fragen.

Was haben Ihre Eltern geantwortet?

Mein Vater sagte: „Sharuz, bevor ich anfange, dir Geschichten zu erzählen, um dir verständlicher zu machen, wer oder was du bist, musst du eins im Voraus wissen und es dein ganzes Leben lang behalten: Du bist Jude, und die ganze Welt hasst dich!“ Es klingt komisch, aber bevor er mir das sagte, wusste ich nicht, dass wir Juden sind. Wir haben zwar regelmäßig meine Großeltern in Israel besucht, aber meine Eltern haben mich nie mit etwas Jüdischem konfrontiert.

Würden Sie sagen, dass es diese fortwährenden Anfeindungen im Wedding waren, die Sie zum Juden gemacht haben?

In gewisser Weise ja, denn dadurch habe ich erkannt, dass meine Hauptidentität das Jüdische ist. Bis dahin habe ich mich immer als Berliner gesehen, dessen Eltern aus dem Iran stammen. Durch den Hass meines Umfelds und den Gesprächen mit meinen Eltern aber habe ich gemerkt, dass ich mich geirrt hatte. Das Persische und das Berlinerische waren nebensächlich.


Das Interview erschien, in anderer Version, zuerst auf Cicero Online.

Spiel ist aufm Platz

Hach, was war er schön. Der Netzsperren-Sommer 2009. Es formierte sich eine neue Bürgerrechtsbewegung, flankierend wuchs die Piratenpartei Deutschland um ein Vielfaches über sich hinaus. Alles war möglich, so schien es. Die Zeit war reif für eine neue Netzpolitik.

Nicht mehr im Verborgenen, dunklen Computerkellern, in Blogs und beim damals für viele noch unbekannten Kurznachrichtendienst Twitter. Erstmals schien es so, dass um die Politik dessen, was kaum jemand noch aus seinem Leben wegdenken kann – dem Internet – ernsthaft gestritten werden würde.

Ein Jahr später: Ernüchterung.

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Zum Wodka ein Clausthaler

So jetzt ist es raus. Die Fußball-Weltmeisterschaft wird 2018 in Russland stattfinden und vier Jähre später sind die Emirate dran.

Die Fußball-Fans müssen sich nach der Brasilien-Tour 2014 im Jahr 2018 auf eine große Rundreise einstellen. WM-Ausrichter Russland ist groß und die Spielstätten weit über das Land verstreut. Wer sich einen Eindruck über die exzellenten Bahn- und Flugverbindungen verschaffen will, der kann 2014 schon mal zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi reisen.

Am besten gleich ein paar Flaschen Wodka mehr einpacken. Der hilft nicht nur gegen Kälte, sondern könnte auch helfen, den einen oder anderen Engpass vier Jahre später zu überbrücken. Der WM-Kick in Katar dürfte die trockenste aller Zeiten werden. Ich kann mir bildlich vorstellen was passiert, wenn in einer Bar einem englischen Hooligan ein Clausthaler vorgesetzt wird. Viele Spass.

Nico Lumma: Die Partei, die Partei die hat immer Recht…

Es war klar wie die SPD auf die Kritik am JMStV reagieren würde: Schnell soll eine neue Version nachgeschoben, das Werk verbessert werden. Das sagt Marc Jan Eumann, der Vorsitzende der SPD Medienkommission und Medien-Staatssekretär in NRW. Und nun springt ihm der Blogger Nico Lumma bei:

Worauf ich hinauswill: der Jugendmedienschutzstaatsvertrag sollte eine erneute Revision erfahren, die die Realitäten des Internet besser abbildet. Aber es sollte allen klar sein, daß ein derartiger Staatsvertrag immer auch einen Kompromiss darstellen wird.

Wie schön, dass die Partei nicht irrt – und wie peinlich, dass die Rechtfertigungsversuche so schön vorhersehbar sind.

Klar, es wird bald eine neue Version des JMStV geben. Und sie wird härter werden. Von Freiwilligkeit wird dann keine Rede mehr sein und die Sperren und Kontrollen werden serverseitig bei den Providern liegen. Aber auch dann wird sie Recht haben, die Partei. Wie könnte es auch anders sein?