UZDO: Stadt erteilt Absage für den 4. Dezember – Zwischennutzung jedoch möglich

Die von der Initiative für ein Unabhängiges Zentrum (UZDO) am 4. Dezember geplante Veranstaltung im ehemaligen Museum am Ostwall kann nicht stattfinden. Aber es gibt auch eine gute Nachricht.

Die Stadt hat UZDO mitgeteilt, dass die Initiative das Museum am Ostwall nicht am 4. 12. für eine Diskussionveranstaltung nutzen kann. Noch werde das Gebäude als Lager und Büro genutzt. Auch die Reinigung und Sicherung könne nicht gewährleistet werden. Erst zum Jahreswechsel, wenn auch die Mitarbeiter in den U-Turm ziehen werden, wird das Gebäude für andere Nutzungen zur Verfügung stehen. Das teilte uns auf Nachfrage mit.

Dann soll in einem offenen Verfahren über die neue Nutzung des ehemaligen Museums entschieden werden. Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann wird sich bald mit einem Brief an die UZDO-Leute wenden in denen er ihnen versichert, dass die Stadt in diesem Verfahren versuchen wird, auch ihre Interessen zu berücksichtigen.

UZDO: Offener Brief an die Stadt Dortmund

Die Initiative für ein Unabhängiges Zentrum in Dortmund (UZDO) möchte am 4. Dezember das leerstehende  ehemalige Museum am Ostwall für eine Veranstaltung nutzen. Wir dokumentieren einen offenen Brief der Intiative und zahlreicher Unterstützer an die Stadt Dortmund

OFFENER BRIEF (für offene Türen)

Das Dortmunder U ist eröffnet. Das kann man finden, wie man will: ästhetisch, ökonomisch, stadtpolitisch. Die Initiative UZDO hat vor allem den Umzug der Ausstellung des Museums am Ostwall am 09. Oktober zu Kenntnis genommen.  Das wollen wir zum Anlass nehmen und uns am Samstag, 04.12.2010, ÜBER das Museum am Ostwall IM Museum am Ostwall unterhalten. Hierbei wollen wir uns über “Progressive Formen der kollektiven Selbstverwaltung” informieren und über die Stadt ohne Geld sowie die Zukunft des Hauses diskutieren. Wir, die Unterzeichner/innen fordern die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung zur Kooperation auf, vermeintliche Hindernisse (Versicherungsdetails und letzte Umzugskartons) aus dem Weg zu räumen.  Es ist “5 vor 12”, also Zeit, dass die Bewegungen für ein UZDO im Kulturhauptstadtjahr erneut diskutiert werden und im Museum am Ostwall ihre Bühne finden. Die Initiative drängt auf diesen Termin, da eine Lagernutzung, dem Raum nicht angemessen ist und vor allem, weil öffentliches Interesse an diesem Gebäude besteht. Eine Verzögerung des Umzugs betrachten wir als bürokratischen Akt, der einmal mehr zeigt, wie weit entfernt Stadtpolitik und Verwaltung von der Idee kreativer Veränderung sind. Was soll das werden?  Eine Machbarkeitsstudie ohne Macher/innen? Versicherungsbedenken als (Ver) sicherung des Leerstands sind nicht akzeptabel. Die Entwicklung rund um die Privatisierung und Neustrukturierung des FZWs sendet ebenfalls ein deutliches Zeichen in eine ganz andere Richtung. Es ist nicht hinnehmbar, dass das FZW in wenigen Wochen auf mainstream und Kommerz gebürstet wird, und Alternativen keine Alternative mehr haben.

Das Museum am Ostwall (MaO) entspricht unserem Anspruch auf Zentralität in der Stadt und bietet dem UZDO ausreichend Raum für soziale, kulturelle, politische Veranstaltungen, Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen, Konzerte.  Auch wenn hier Arbeitsräume wie Ateliers, Proberäume und Werkstätten erst einmal zu kurz kommen, stünde eine Nutzung des MaO für soziale Bewegung und kreative Veränderung der Sub/kultur/politszene dieser Stadt. Wenn der kreative Imagewandel der Stadt Dortmund ernst gemeint ist, dann sollte vonseiten der Politik Bestreben gezeigt werden, das Gebäude in einer kulturellen Nutzung zu belassen. Eine Neunutzung des Gebäudes mit damit einhergehender Instandhaltung (Heizung, Lüftung) sowie kulturellen Angeboten sollte im öffentlichen Interesse liegen.

Am Ostwall treffen wir auf eine gute öffentliche Infrastruktur, in der das UZDO keine Lücke in der Dortmunder Clubszene schließt, sondern vor allem Raum für unkommerzielle Experimente fernab der ökonomischen Verwertungslogik bietet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Leonie Reygers im Zuge der MaOGründung damit begonnen ein Gegenkonzept zur konventionellen, bürgerlichen Kunst zu entwickeln. Dazu gehörte auch, die moderne Kunst, die unter dem NS-Regime als “entartet” galt, wieder in den stadtgesellschaftlichen Blickpunkt zu rücken.

Das MaO wurde ein Treffpunkt für Kreative – junge internationale und unbekannte Künstler/innen stellten aus. Neue Kunstbewegungen wurden dort gezeigt und diskutiert. Das MaO wurde zu einem Platz, an dem Neues entstand. Diese Chance bietet sich nun am selben Ort erneut.

Eine Diskussionsveranstaltung am 04.12.2010 + Tag der offenen Tür am 05.12.  stehen für Transparenz, Bewegung und tatsächliche Partizipation in der Stadtentwicklung.  Abwarten, Verzögerung, Nichtverhandlungen stehen symbolisch für den städtischen Anspruch auf die Planbarkeit des Unplanbaren und für das große Missverständnis kreativer Veränderung in Dortmund. Umzugskartons und ein Keller voller Bilder sind keine ernstzunehmenden Hindernisse, sondern lassen sich anders sichern, ausstellen, bewegen. Gerne bieten wir hier unsere Mitarbeit an, eine kreative Lösung zu finden und/ oder beim Umzug zu helfen.  Das machen wir gerne.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

UZDO

Unterstützer: Addicted, AG Kritische Kulturhaupstadt 2010, Almut Rybarsch, ASTA Fachhochschule Münster ,Aponaut, Büro für Möglichkeitsräume (BFM), Banana Underground, Buko/ASSR,Bataclan, Evil Flames, Fräulein Nina, Freiräume für Bewegung, Freiraum2010, Freiraumtanz, Gängeviertel Hamburg, Get addicted, GrünBau Dortmund, Immerwinter, INURA Rhein/Ruhr, Johannes Lührs, Rosette, KLuW e.V., Kratzeis, Kulturgrube e.V., Labor für sensorische Annehmlichkeiten e.V., LabourNet, Land For What, Langer August e.V., Lenny Weinstein, Martin Kaysh, Mauerblümchen e.V. Marc Suski, Mieterverein Dortmund, Musik und Kulturzentrum Güntherstraße e.V., Patrick Joswig, Progressiver Eltern- und Erzieherverband e.V., Radio BonteKoe & EL Zapote, Recht auf Stadt (NRW), Reclaiming Spaces, Kaltscha Club, Taranta Babu, Theater Lebendich, Transnationales Aktionsbündnis, Uwe Rothe

Interpol in Dortmund- eine Show, die keine sein will

Zwei Gitarren durchfräsen in Moll-Harmonien die Dunkelheit, umrahmen wie dichte, erdrückende Wände die latent psychotisch anmutende Stimme von Paul Banks. Dazu donnert die Rhythmusgruppe in basslastig treibendem Viererbeat – nicht ohne vereinzelt mit charakteristischen Joy Division-Synkopen auf der Snaredrum aufzuwarten. Auch wenn bei der New Yorker Band Interpol im Jahre 2010 ein Album, der Sound und zum Teil die Besetzung neu sind, blieben die live in der Dortmunder Westfalenhalle erzeugten Stimmungsbilder verlässlich monochrom.
Karg mutet diese Show an, denn sie will gar keine solche sein. Bewegungen auf der Bühne, irgendwelche Konversation mit dem Publikum, ja sogar die gerademal auf trübes Halbdunkel dosierte Bühnenbeleuchtung – all das scheint nach maximaler Verflüchtigung des Äußeren streben zu wollen. Das Erzeugen und Rezipieren von Interpols morbider Romantik ist eben als möglichst autistischer Vorgang intendiert. Aber dadurch wirken solche Emotionen auch so unmittelbar und direkt, eben wie ein gepflegt zelebrierter November-Blues, der jede Massenextase außen vor lässt. Die Versenkung in solche Gefilde hat in Dortmund aber auch wieder etwas latent routinemäßiges.
Treffsicher, nicht wirklich risikofreudig, dosieren Interpol die Mischung ihrer Songs. Da evozieren ältere Stücke vor allem vom zweiten Alben „Antics“ die wütend-treibende, erfrischend punkige Aufbruchsstimmung – was in der Westfalenhalle sogar phasenweise die Tanzbeine in Bewegung versetzt. Zum anderen markieren Stücke wie „Summer Well“, „Safe Without“ oder „Lights“ vom aktuellen, selbstbewusst „Interpol“ betitelten Album die Gegenwart der Band. Theatralischer, grüblerischer und irgendwie auch erwachsener geworden scheint diese.
Es ist ja auch viel passiert inzwischen: Nach Fertigstellung des aktuellen Albums stieg Bassist Carlos Dengler wegen gewandelter Lebenspläne aus der Band aus. Bassist David Pajo und Keyboarder Brendan Curtis setzen das Erbe fort und damit auch die unbestechliche handwerkliche Perfektion dieser Musiker.
Verlässlich verweigern sich Interpol den meisten aktuellen Trends. Denn die düster-melancholischen Rock-Existenzialisten schöpfen nach wie vor aus dem Gründergeist der Jahrtausendwende, der sich bei Post-Punk-Bands wie den Strokes bediente und der -natürlich!- die Austrahlung der „ewigen“ Joy Division reflektiert. Das macht 2010 den zeitlosen Sound von Interpol so wirkungsvoll.

CD-Tipp
„Interpol“ (2010)

Dies und das und irgendwie Kultur – Nachhaltigkeit der Ruhr.2010

Das Logo ist Hölle, der Text furchtbar, das Motto indiskutabel. Die SPD, genauer gesagt ihr Kulturforum Emscher-Lippe, lädt zum 9. Kulturgespräch auf Schloss Herten, es geht um die Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt, und die Bude ist voll.

Am Mittwochabend, obwohl Deutschland in Schweden Fußball spielt. Ich sitze als Experte auf dem Podium und habe mir vorher meine Rolle überlegt. Ich werde als Journalist angekündigt und beschließe, dem Berufsstand, dem ich allenfalls als Randexistenz angehöre,  alle Schande anzutun.  Ich trage missbräuchlich die babyblaue Volunteeruniform der  Ruhr.2010 und sehe aus wie ein Volldepp. Prima.

Ein bisschen Vorstadtentertainment kann die Veranstaltung gebrauchen. Wer im Flyer rot-grün auf schwarzem Grund dichtet: „Ruhr Region Kultur Region“, grafisch angereichert, als müsse der C64 noch erfunden werden,  hat es so verdient. Die 80 Leute im Saal haben sich nicht von der Proseminarlyrik der Ankündigung abhalten lassen, in der es darum geht, „wie Kulturarbeit als kreativer und produktiver Kern von Kulturpolitik für das Gemeinwesen nachhaltig entwickelt und gestärkt werden kann, und zwar im Sinne einer Gemeinschaftsaufgabe von Kunst und Kultur, Zivilgesellschaft, Land und Kommune.“ Solche Texte entstehen normalerweise, wenn die Antragsberatungskommisssion des Bezirksparteitages den Abend vorher zu lange an der Hotelbar gesessen hat. Das Problem ist, ich kann die Leute auf dem Podium gut leiden. Hella Sinnhuber als Moderatorin, den ehemaligen Gelsenkirchener Kulturdezernenten Peter Rose und Hertens Bürgermeister Dr. Uli Paetzel. Der Akademiker mit dem Kosenamen kommt nicht, er ist krank. Gerne hätte ich mit ihm über mein „Griechenriechen“-Blog gesprochen, in dem es um die touristischen Qualitäten seiner Stadt geht. Stattdessen schickt er Uli Stromberg, den Kulturchef der Stadt, auch ein alter Kumpel. Herten ist eindeutig uliaffin. Dazu kommt Ute Schäfer, Landesministerin für dies und das und irgendwie auch Kultur.

Hella erklärt uns, dass wir uns siezen, damit sich das Publikum nicht ausgeschlossen fühlt. Ich dachte immer, in der SPD duzt man sich bis zum Bundeskanzler, so denn die Partei in diesem Jahrhundert diesen Posten noch mal besetzt. Siezen kann ja auch ganz lustig sein, vor allem, wenn ein Diskutant in der Hitze des Gefechts diese Vereinbarung vergisst. Wie Rudi Völler den völlig entschnäuzerten Waldemar Hartmann nach dem Länderspiel in Reykjavik anging – das ist immer noch eine Sternstunde deutscher Fernsehgeschichte. Hitzigkeit droht heute im Hertener Wasserschloss nicht.

Seitdem ich in der Süddeutschen gelesen habe, dass Ursula von der Leyen für einen Auftritt bei Maybritt Ilner zwei Stunden von ihrem Pressesprecher gebrieft wurde, um schick zu vertreten, wofür sie gut bezahlt wird, weiß ich, dass Scripted Reality keine Erfindung des Nachmittagstrash auf RTL ist, sondern dem politischen Gerede im Öffentlich-Rechtlichen entstammt. Ich habe mich vorbereitet. Leider findet der Off-Kultur-Vertreter aus Essen Ruhr.2010 gar nicht so übel, und den Ruhrbaron Laurin will ich nicht anrufen, ich wäre da nur schlechte Kopie.

Ute Schäfer lobt die Kulturhauptstadt. Die Zahl der Übernachtungen in Essen sei enorm gestiegen. Was wohl mehr dem Umzug der ThyssenKrupp-Zentrale und der anspringenden Konjunktur geschuldet sei, haue ich später raus. Sie formuliert den dadaistischen Satz: „Die Nachhaltigkeit lag in der Einmaligkeit“, der ist nah dran an dem Wandel durch Kultur durch Wandel der Ruhr.2010. Dann verkündet sie stolz den Mediawert des Stilllebens auf der A40. Die weltweite Berichterstattung bringe es auf 200 Millionen Euro. Wow, denke ich, da ist aber auch jeder Bericht der Deutschen Welle enthalten, der den verdutzten Bewohner von Burkina Faso erzählt, dass der verrückte Europäer sonntags gerne auf der Autobahn hockt, Bier trinkt und Spaß hat. Wie hoch mag dabei der Wert der beiden 15-Minuten-Live-Schalten im WDR-Fernsehen sein? In denen sah man stundenlang, wie in Duisburg Gurken geschält werden und der Moderator darob vor Glück kurz vorm Kollabieren stand. Und welchen Mediawert mag erst die umfangreiche Berichterstattung von der Loveparade eine Woche später haben? Der muss in die Milliarden gehen. Davon spricht die Ministerin nicht, denn die Loveparade war nicht Ruhr.2010, und mit fremden Federn schmückt man sich heute Abend unter Genossen nicht. Ich mache später eine Gegenrechnung auf. Mit dem Geierabend, jener netten Kleinkunstveranstaltung auf Zeche, hatten wir in der nachrichtenarmen Zeit Anfang Januar Logo und Anmutung der Kulturhauptstadt gekapert und dadurch 800 000 Google-Einträge erschlichen. Eigentlich sei ich virtueller Mediamillionär, ob das mal jemand meiner Bank erklären könne?

Die übrigen Podiumsvertreter tun, wofür sie da sind. Uli Stromberg setzt sich für die kulturelle Bildung ein, was man so tut, wenn man in einer Stadt arbeitet, die eine wunderbare Bibliothek besitzt und ansonsten eine Kleinkunstreihe. Peter Rose redet, dass man glaubt, gleich schneiten Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser herein, söffen uns alle unter den Tisch und riefen ein Hertener Manifest zur Kulturrevolution durch Teilhabe aus. Ich denke mir: Passt mal auf, liebe Kulturverwalter, wenn irgendwo wieder Stress ist in einem Ruhrpottghetto, dann schickt Bullen, Sozialarbeiter und die Bildzeitung da rein, aber lasst die Künstler mal in Ruhe. Ob ich das auch gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich habe es hiermit geordnet und sozialdemokratisch zu Protokoll gegeben.

Wie es mit der Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt aussehen kann, erläutert abschließend Ute Schäfer. Das Land stehe bereit, aber die Kommunen müssten sich melden. Man könne gemeinsam weitermachen, wenn die Städte gemeinsam wollen. Auf dem Heimweg wird sie schallend gelacht haben, weil sie sich geschickt aus der Affäre gezogen hat, wohl kalkulierend, dass die Kulturhauptstadt, vom RVR erschöpfend geführt, am 1.1.2011 wieder aus 53 einzelnen Städten bestehen wird. Das Grend in Essen wird weiter schöne Projekte anstoßen, Rolf Dennemann spannende Inszenierungen hinlegen, die Wattenscheider Schule Geschichten recherchieren, schreiben und lesen. Meine Volunteeruniform wird vielleicht in der Tagesschau auftauchen nach einer Katastrophe in Burkina Faso oder sonst wo auf der Welt, einem Afrikaner würde sie super stehen.

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Jasmin Tabatabai im Interview: „Der Iran befindet sich in Geiselhaft“

Gestern berichtete Stefan Laurin an dieser Stelle über die von Ahmadinedschad & Co. gefangen gehalten BamS-Journalisten. Ihr Verbrechen? Sie hatten mit dem Sohn der zum Tode verurteilten Sakineh Ashtiani gesprochen und wollten über die drohende Steinigung seiner Mutter berichten. So wie es aussieht, das zeigt nicht zuletzt das unberechenbare Verhalten des Regimes gegenüber den deutschen Journalisten, wird auch der Protest des Westen nicht die Tötung Ashtianis verhindern können. Das meint auch die deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabai, mit der ich kürzlich über „den religiösen Fanatiker“ Ahmadinedschad, Steinigungen und Fanatismus geredet habe.

Frau Tabatabai, glauben Sie, dass die Proteste des Westens gegen die drohende Steinigung der vermeintlichen Ehebrecherin und Mörderin Sakineh Ashtiani das Regime in Teheran zum Einlenken bringen werden?

Nein, denn Präsident Ahmadinedschad und seine Clique von religiösen Fanatikern machen, was sie wollen. Sie haben spätestens bei den Protesten der Opposition im vergangenen Jahr ihr wahres Gesicht gezeigt. Was hätten sie heute noch zu verlieren? Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass ihre Politik barbarisch ist.

Warum sollte der Westen dennoch weiterhin gegen die mögliche Steinigung Ashtianis protestieren?

So hilflos und traurig es auch klingen mag: Weil es richtig ist. Denken Sie nur an Sajjad Ghaderzadeh, den Sohn von Ashtiani, der verzweifelt für die Aufhebung der Steinigung seiner Mutter kämpft. Jeder sollte gegen diesen grausamen Akt seine Stimme erheben. In mir steigt Hass auf, wenn ich bloß an die Strafe denke. Die Frauen werden bis zum Hals in die Erde eingegraben. Nach geltendem iranischen Gesetz wirft der Vater oder ein naher Verwandter den ersten Stein. Dann macht die Meute so lange weiter, bis die Verurteilte zu Brei geschlagen wurde. Es ist zum Verzweifeln. Angesichts dieser Lage läuft man Gefahr, irgendwann zu resignieren.

Gilt das auch für die Oppositionsbewegung? In der Vergangenheit gab es immer wieder Proteste, die blutig niedergeschlagen wurden.

Ahmadinedschad und die Basidsch-Miliz haben die Menschen mit Gewalt eingeschüchtert. Der Westen hat trotz seiner ausführlichen Berichterstattung nur einen kleinen Teil dessen gesehen, was die Iraner für ihren Widerstand in Kauf nehmen. Viele sind aus diesem Grund vorsichtiger geworden. Indes: Man kann ein Volk sehr lange, aber nicht ewig unterdrücken. Das zeigt die Geschichte immer wieder. Es gibt dieses Bild von der Glut unter der Asche, das in diesem Fall ganz zutreffend ist. Die Mehrheit der Iraner hasst Ahmadinedschad und das, was er sagt.

Auch seine Drohungen gegenüber dem »Krebsgeschwür« Israel?

Das, was Ahmadinedschad betreibt, ist Politik. Er ist ein religiöser Fanatiker. Sie müssen wissen, dass Iraner Juden nicht hassen.

Mit Verlaub: Der Antisemitismus ist sogar bei Irans Oppositionellen durchaus keine Ausnahme.

Die Juden im Iran haben jahrhundertelang in Freiheit und Frieden gelebt. Es ist mir sehr wichtig, dass diese Botschaft weitergegeben wird. Die Iraner hassen die Juden nicht im Geringsten. Das Land ist von Ahmadinedschad und seiner Verbrecherbande in Geiselhaft genommen worden. Dieser Mann ist ein Wahnsinniger. Das, was er in Bezug auf Juden und Israel sagt, ist nicht das, was die Iraner denken. Die Zustimmung für ihn ist im Land weniger verbreitet, als man gemeinhin glaubt.

Das Interview erschien zuerst in der Wochenzeitung “Jüdische Allgemeine”.

Vielen Dank an Der Westen

Heute wurden unter meinem Namen rassistische Kommentare auf Der Westen gepostet. Eine Mail an das community-Management und sie waren weg. Viele Dank.

Ich kommentiere nicht oft auf Der Westen. Das liegt nicht an den Artikeln. Ich mag nur nicht neben all den Schrambos, Stauffenbergs und wie die ganzen Freaks da so heißen stehen. Zuletzt postete ich vor zwei Wochen etwas zum Thema Kulturhauptstadt. Das wars. Umso verwunderter war ich, als mich ein Kumpel anrief. Unter meinem Namen seien rassistische Kommentare auf Der Westen gepostet worden. War ich natürlich nicht. Was tun? Eine Mail Der Westen geschickt und die Sache war erledigt. Das Ganze hat nur ein paar Minuten gedauert. Guter Service. Vielen Dank. Morgen wird sich die Technik mit dem Problem beschäftigen – und so lange werde ich dort bestimmt nicht kommentieren. Wenn ihr also was komisches findet – ich wars nicht.

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Studiengebühren erst nach dem Studium?

Der Bochumer Ökonom Stefan Winter tritt für Studiengebühren ein. Auch in einem Gastkommentar auf diesem Blog. Nun wird er dem Landtag in NRW nachgelagerte Studiengebühren vorschlagen. Große Chancen hat sein Modell nicht.

Winter hält es für sozial ungerecht, dass alle die Ausbildung derjenigen bezahlen, die später die höchsten Einkommen erzielen. Sein Modell: Studiengebühren – die allerdings erst nach dem Studium fällig werden. Und auch nur dann, wenn das Jahreseinkommen 32.000 Euro übersteigt. Seinen Vorschlag – das an das australische angelehnt ist – wird Winter am 26. November bei einer Anhörung dem Landtag vorstellen:

Nachgelagerte Studienbeiträge, die sich an der Höhe des Einkommens bemessen. Studienzeit sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit und Kindererziehung sollen beitragsfrei sein. Zahlungen werden nur dann fällig, wenn das jährliche Einkommen eine bestimmte Mindestsumme übersteigt, in Winters Beispiel 32.000 Euro. Zehn Prozent der Summe, um die das Einkommen diesen Wert übersteigt, würden im Jahr als Studienbeitrag gezahlt, z.B. bei einem Einkommen von 39.000 Euro (= 7.000 Euro mehr als das Mindesteinkommen) 700 Euro pro Jahr. Ist eine festgelegte Höchstsumme gezahlt, die je nach Kosten von einem Studienfach zu anderen unterschiedlich sein kann, endet die Zahlungspflicht.

Große Chancen hat Winters Modell nicht. SPD und Grüne sind mit dem Versprechen angetreten, die Studiengebühren abzuschaffen. 2013 soll es soweit sein. Die Linkspartei will die Studiengebühren bereits zum kommenden Sommersemester kappen.

Streitfall Datteln: Kompromisssuche hinter den Kulissen

Der Regionalverband Ruhr schlägt in einer Vorlage die Genehmigung des umstrittenen Eon-Kohlekraftwerks in Datteln vor.  Bei Sozialdemokraten und Grünen hat die Suche nach einem Kompromiss begonnen. Hauptziel: Gesichtwahrung.

Jürgen Trittin ist kein Freund von schwarz-grünen Bündnissen. Schon als 1994 in Gladbeck CDU und Grünen die erste schwarz-grüne Koalition in einer Stadt beschlossen, wetterte der damalige Parteivorsitzende öffentlich gegen seine Parteifreunde. Und nun das: Anfang Mai, wenige Tage vor der Landtagswahl in NRW, sah es so aus, als ob die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland unmittelbar bevorstünde. Alle Umfragen hielten für den Tag nach der Wahl nur zwei Konstellationen für möglich: Eine große Koalition und Schwarz-Grün. Die Grünen standen bereit, ihre Verhandlungskommission bestand aus Realpolitiker und linken schwarz-grün Befürwortern.

Trittin suchte einen Weg, die befürchteten  Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu erschweren und rief in der Rheinischen Post  das Eon-Kraftwerk Datteln zum Knackpunkt jeder Koalition aus:

„ Eine nachträgliche Genehmigung für einen rechtswidrigen Bau wird es mit uns nicht geben.“

Doch. Und es ist für Trittin nicht gut gelaufen. Denn jetzt belastet der Konflikt um Datteln eine rot-grüne Koalition. Und das auch noch auf Vorschlag eines grünen Planers. Thomas Rommelspacher, Grüner, ehemaliger Landtagsabgeordneter und im RVR für die Planung zuständig, hat in der vergangenen Woche genau das vorgeschlagen: Über ein sogenanntes Zielabweichungsverfahren will Rommelspacher Datteln genehemigen. Das Land, so sein Argument, lasse ihm keine andere Wahl. Solange das versprochene Klimaschutzgesetz nicht  auf dem Weg ist, könne er Datteln nicht verhindern. Seine Vorlage, über die im Ruhrparlament am 13. Dezember entschieden wird, unterfüttert er mit über 1500 Seiten an Dokumenten.

Die muss nun irgendwie vom Tisch. Denn für den Fall, dass die Sozialdemokraten der Vorlage zustimmen wollen, haben die Grünen schon einmal mit der Aufkündigung der rot-grünen Koalition im RVR gedroht. Sabine von der Beck, stellvertretende Fraktionsvorsitzende: „Wir stehen jetzt am Beginn eines komplizierten Diskussionsprozesses. Die Unterlagen müssen durchgearbeitet und bewertet werden. Sollte die SPD jedoch für die Möglichkeit, in Datteln ein Kraftwerk zu bauen stimmen, wäre das für uns das Ende der Zusammenarbeit. Trittins Stolperstein für schwarz-grün – er ist zur Belastung für die rot-grüne Zusammenarbeit geworden – im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen.

In den Kreisen der SPD reagiert man verschnupft auf die Äußerungen von der Becks: „Solche Vorfestlegungen nutzen im Moment niemanden. Sie erschweren nur die Lösung des Problems.“ Auch das NRW-Wirtschaftsminister Harry Kurt Voigtsberger sich für Datteln ausgesprochen hat, behagt den Genossen im Ruhrgebiet nicht mehr. „Auch Eon muss sich an die Gesetze halten. Wir werden nicht das Recht zugunsten eines Konzerns verbiegen.“ Nun gelte des die Kuh vom Eis zu holen.

Auch NRW-Umweltminister Johannes Remmel ist bemüht die Wogen zu glätten, die von Rommelspacher ausgehen: „Es handelt sich um einen normalen Prozessverlauf. Letztlich wird ausschlaggebend sein, ob die hohen Hürden, die das OVG Münster im Urteil von September 2009 aufgestellt hat, genommen werden können oder nicht. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass kein Recht verbogen werden darf.“

Nur die Union steht noch hinter Datteln Der CDU-Landtagsabgeordneter Josef Hovenjürgen: „Die Grünen können im Moment vor Kraft nicht laufen und sind nicht in der Lage, die industrielle Entwicklung zu akzeptieren. Wir werden auf der gesetzlichen Grundlage abstimmen.“ Aber auch für Hovenjürgen stellt sich die Frage, ob der Kühlturm bleiben kann wo er erreichtet wurde. Und das könnte Teil der von allen hinter den Kulissen gesuchten Kompromisslinie sein: Ein Teilabriss des Kraftwerks, der für Eon teuer wäre, aber immer noch günstiger als der  Verzicht auf den Standort. Hinter den Kulissen wird auch darüber geredet, das Eon das Kraftwerk nicht unter voller Last fährt, um so weniger CO2 auszustoßen. Oder dass das Unternehmen verpflichtet wird, im Gegensatz zur Genehmigung des Baus massiv in regenerative Energien zu investieren. Viele ist denkbar – Hauptsache EON, die Grünen und die SPD können ihr Gesicht bewahren. Das ist auch Eon klar. Auf Anfrage erklärte das Unternehmen, man stehe in einem ergebnissoffenen Prozess. Vieles scheint möglich in den kommenden Monaten.

Aber erst einmal wird geprüft: Die Unterlagen des RVR, denen weitere Prüfungen und Gutachten durch das Land folgen könntenDer Grüne Fraktionsvorsitzende Reiner Priggen bemüht sogar den Dichter Wolf Wondratschek: „Auch bei hoher Geschwindigkeit steht die Kirche im Dorf,“ sagt Priggen. „Die RVR Verwaltung hat eine Beschlussvorlage mit über 1500 Seiten vorgelegt. Die muss man gründlich prüfen und dann sehen, wie es weitergeht.“

Es gilt, Zeit zu gewinnen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form in der Welt am Sonntag