Anfang November entscheidet der Initiativkreis Ruhr, welche Stadt im Revier sich mit dem Titel Innovation City schmücken darf. Die Nervosität unter den Teilnehmern ist groß – es geht um Milliardeninvestitionen.
Wenn Bottrop die Milliarden-Investitionen aus dem Innovation-City Projekt des Initiativkreises Ruhr bekommt, so verspricht der Imagefilm der Stadt, könnte die Arbeitslosigkeit in der Ruhrgebietsstadt niedriger werden als in München. Die ist mit 8,3 Prozent (Stand: September 2010) für Ruhrgebietsverhältnisse schon heute recht gut. Im Revierdurchschnitt suchen 11,3 Prozent der Menschen einen Job.
Innovation-City – das ist im Augenblick der größte Hoffungsträger der Kommunen im Ruhrgebiet. Bis zu 2,5 Milliarden Euro an privaten Investitionen und Fördermitteln sollen mobilisiert werden, um ein Quartier des Ruhrgebiets zu einer ökologischen Musterstadt zu entwickeln. Über die Hälfte des C02 Ausstoßes soll innerhalb von zehn Jahren einegspart werden. Innovation City – das soll auch ein großes Labor werden, in dem Unternehmen Technologien zum Ennergie- und C02-Sparen zur Marktreife entwickeln können.
Es ist das große Projekt des ehemaligen Eon-Chefs Wulf Bernotat in seiner Zeit an der Spitze des Initiativkreises Ruhr. Der Zusammenschluss von 60 Großunternehmen wie ThyssenKrupp, Eon und der Deutschen Bank war 1988 vom damaligen VEBA-Vorstandsvorsitzenden Rudolf von Bennigsen-Foerder, Franz Kardinal Hengsbach und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen gegründet worden, um den Strukturwandel im Ruhrgebiet zu beschleunigen. Auschlaggebend war die damalige Stahlkrise und die Konflikte um das Krupp-Werk in Duisburg-Rheinhausen. Die Unternehmen, so die Idee, sollten sich aktiv daran beteiligen, dem Ruhrgebiet eine neue wirtschaftliche Basis zu geben. Von diesem Ziel hatte sich der Initiativkreis (IR) in der Zeit vor Wulf Bernotat immer mehr entfernt. Der IR widmete sich der Förderung der schönen Künste, organisierte das international beachtete Klavierfestival Ruhr und gab einen auflagenstarken Klinikführer für die Region heraus.
Das führte im vergangenen Winter zu einem heftigen Richtungsstreit innerhalb des IR. Evonik-Chef Klaus Engel bezeichnete die hohen Mittel für das Klavierfestival Ruhr in einem Brief an Bernotat als das „falsche Zeichen der Ruhrwirtschaft an die Menschen der Region”. Immer mehr Mitglieder forderten den IR dazu auf, sich wieder mehr um Wirtschaft und Technologie zu kümmern.
Mit Innovation City, das bis zum Jahr 2020 laufen soll, hat der IR seine Politik verändert.
Von den 16 Revierstädten, die sich anfangs um Innovation-City bemühten, sind nach einer Vorauswahl im Frühling fünf übrig geblieben. Am 3. November entscheidet eine Jury unter der Leitung des Vizepräsidenten des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Manfred Fischedick, ob Bottrop, Gelsenkirchen/Herten, Bochum, Essen oder Mülheim an der Ruhr den Zuschlag bekommen. In der Jury sitzen Fachleute. Mit einer Ausnahme: Heinz-Dieter Klink, Chef des RVR und ehemaliger SPD-Ratsherr in Gelsenkirchen.
Alle Städte haben umfangreiche Pläne und Projektlisten eingereicht. Sie wollen die Elektro- und Wasserstoffmobilität und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, die Nutzung von Erdwärme und Solarenergie fördern und den Energieverbrauch in heute noch maroden Siedlungen durch Fassendendämmung und moderne Heizungen senken.
Doch nun, kurz vor der Entscheidung, ist Streit zwischen den Bewerberstädten ausgebrochen. Der Grund: Die gemeinsame Bewerbung von Gelsenkirchen und Herten, die sich mit den Stadtteilen Bertlich (Herten) und Hassel (Gelsenkirchen) und dem Gelände des ehemaligen Bergwerks Lippe bewerben. Der Vorwurf: Die Bewerbung sei mit 112 Seiten deutlich länger als die in der Ausschreibung genannten 60 Seiten. Und mit 79.000 Einwohnern wäre die Projektfläche auch deutlich größer als vom IR gefordert. Der sucht für Innovation-City ein Quartier mit 50.000 Einwohnern und erlaubt eine Spanne von 40.000 bis 70.000 Bewohnern. Auch dass Gelsenkirchen und Herten ihre Bewerbung bereits im Internet veröffentlicht haben, stößt auf Missfallen.
In einem gemeinsamen Brief an den Geschäftsführer des IR, Peter Lampe und Markus Palm, den Geschäftführer der für das Projekt zuständigen Innovation City Management GmbH, der uns vorliegt, protestieren Bochum, Mülheim an der Ruhr, Bottrop und Essen gemeinsam: „Mit Verwunderung haben wir nunmehr den Wettbewerbsbeitrag aus Gelsenkirchen/Herten gelesen. Uns stellt sich nun die Frage, wie Sie damit umzugehen gedenken, dass hier extreme Abweichungen von den Wettbewerbsvorlagen (…) vorliegen.“ Die Städte fordern einen fairen Wettbewerb ein und machen deutlich, dass eine kurzfristige Rückmeldung für eine weitere Zusammenarbeit, beispielsweise bei gemeinsamen Zeitungsbeilagen, von entscheidender Bedeutung ist. Kurzfristig hatten sich einige Städte sogar überlegt, aus dem Wettbewerb auszusteigen. Doch den öffentlichen Bruch mit dem IR wagte man dann doch nicht. Lampe reagierte prompt. In dem Brief an die Städte, der uns vorliegt, schreibt Lampe: „Die von Ihnen bemängelten Punkte haben wir bereits wahrgenommen, die Veröffentlichung der Bewerbung von Gelsenkirchen/Herten im Internet war nicht im Sinne des Initiativkreises Ruhr (…). Der IR-Geschäftsführer verspricht den Städten: „Ihr Schreiben wird im weiteren Verfahren Berücksichtigung finden.“
Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski hält die Kritik an der Bewerbung Gelsenkirchens und Hertens für überzogen. „Was die anderen als Anlage beigefügt haben, haben wir in die Bewerbung integriert. Unser eigentlicher Bewerbungstext entspricht den geforderten 60 Seiten.“ Auch an der mokierten Vorab-Veröffentlichung im Internet findet Baranowski nichts Schlimmes: „Wir wollen Transparenz, und wir wollen die Bürger mitnehmen. Dazu gehört, dass man sie über jeden Schritt informiert und ihnen zeigt, was wir bei Innovation-City vorhaben.“
Die Fehler in der Bewerbung könnten trotzdem Konsequenzen haben. Friedbert Pautzke, Professor am Institut für Elektromobilität der Hochschule Bochum und Mitglied der Jury, die über die Innovation-City-Vergabe entscheidet zur Welt am Sonntag: „Bevor wir die Bewerbungen sehen, werden sie von einem Institut auf ihre Schlüssigkeit und auf formale Kriterien überprüft.“ Mit Pech scheiterte die ansonsten viel gelobte Bewerbung von Gelsenkirchen und Herten schon an dieser Hürde.
Aber auch dann wäre die Arbeit Gelsenkirchens und Herten nicht umsonst gewesen. Alle an Innovation beteiligten Städte werden nicht nur mit Informationen aus dem Projekt versorgt, sondern können ihre Vorarbeiten auch für die wahrscheinlich anstehende Bewerbung des Ruhrgebiets als European Green Capital verstehen.