Diese PR-Meldung vom heutigen Tag kostete „Die Zeit“ nicht nur ein paar Hundert Euro, sondern sie weckt auch falsche Hoffnungen: „Günter Wallraff fördert Nachwuchsjournalisten mit Stipendium“. Bravo, möchte man rufen. Von unserem Gastautor Uwe Herzog.
Aber dazu fällt mir ein, wie „Die Zeit“ es seinerzeit aufnahm, als 1987 bekannt wurde, dass junge Wallraff-„Ghostwriter“ wie ich es damals war, nicht unwesentlich Anteil am Entstehen von Bestsellern wie „Ganz unten“ hatten. Aber nicht jeder „Nachwuchs“ von Wallraff fand den Mut, offen darüber zu sprechen.
Also rede ich nur für mich und fasse an dieser Stelle noch einmal kurz zusammen, was ich seit 1987 zum Beispiel über das Buch „Ganz unten“ zu sagen habe – ohne dass Wallraff oder sein Verlag mich für diese angeblich „unbewiesenen Behauptungen“ jemals verklagt hätten:
1. Allein meine Texte finden sich auf 40 Seiten im Bestseller „Ganz unten“ wieder.
Bezogen auf die deutsche Erstausgabe handelt es sich dabei um die Seiten 48, 49, 116, 117, 118, 138, 139, 140, 141, 148, 149, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 220, 221, 222, 223, 239, 240, 241, 242, 243, 244. Betroffen sind sieben Buchkapitel.
2. Zudem ist ein weiteres Kapitel, nämlich der Höhepunkt des Buches, mit der Überschrift „Der Auftrag“ unmittelbar von meinen Recherchen in der Rolle des „AKW-Abgesandten Hansen“ abhängig.
Diese Rolle konnte nur ich übernehmen, da ich damals zu den wenigen Journalisten gehörte, die wussten, wie ein AKW von innen aussieht und sich bei ihren Recherchen der radioaktiven Gefahr ausgesetzt haben.
Und: Der gesamte Komplex zum Thema „Arbeit in Atomkraftwerken“ im Buch „Ganz unten“ wäre ohne meine Recherchen und meine Urheberschaft nicht in das Buch eingegangen.
Und noch einmal für alle diejenigen, die der damaligen PR-Suggestion von Wallraffs Hausverlag Kiepenheuer&Witsch aufgesessen sind und etwas anderes glauben wollten: Wallraff selbst war für das Buch damals NIE in einem AKW.
Außerdem: Einige Texte, von denen alle Welt glaubt, Wallraff sei ihr Urheber, wurden bereits Monate vor Erscheinen von „Ganz unten“ als Reportagen von der ARD ausgestrahlt – unter meinem Namen und meiner alleinigen Urheberschaft.
3. Bis heute wurden meine Texte in „Ganz unten“ weder durch Wallraff noch durch seinen Verlag entsprechend gekennzeichnet (auch, wenn er damals etwas anderes zugesagt hatte).
Stattdessen wurde ich als junger Autor in eine Vertragsfalle gelockt. Für rund 100.000 DM Honorar sollte ich auf alle „künftigen Ansprüche“ verzichten.
Wallraffs eigene Einnahmen allein aus diesem Buch dürften mehrere Millionen Euro betragen („Die Zeit“ schätzte sein Honorar bereits kurz nach Erscheinen auf „rund acht Millionen Mark“).
Nach einer projektbezogenen Zusammenarbeit von mehr als einem Jahrzehnt kündigte ich Wallraff damals für immer die Mitarbeit auf, denn mir schien die „Wallraff“-Methode mehr und mehr zu einer billigen Geschäftsidee zu verkommen.
Außerdem ließ Wallraff den nötigen Informatenschutz vermissen.
So sprach er etwa die Verwendung von Interviewstatements in vielen Fällen nicht vor Veröffentlichung mit den Betroffenen ab und setzte diese damit der Gefahr aus, erkannt zu werden. Für so manchen ‚illegalen‘ Leiharbeiter bei Thyssen und anderswo bedeutete dies ein nicht kalkulierbares Risiko – möglicher Ärger mit Behörden bis hin zur Gefahr einer Abschiebung. Oder auch eine brutale „Abreibung“ durch einen der rüden Subunternehmer, die bei ihren dreckigen Geschäften in Duisburg und anderswo keine Zeugen gebrauchen konnten.
Zu einem wirklich seriösen und wirkungsvollen Undercover-Journalismus gehört mehr Sorgfaltspflicht und Verantwortungsgefühl als ich es bei Wallraff erlebt habe.
Dies waren also damals – neben den Urheberrechtsverletzungen – meine Gründe, Wallraff adieu zu sagen.
Aus alten Stasi-Akten lässt sich im Rückblick schließen, dass es für diesen Entschluss noch weitere gute Gründe gegeben hätte, von denen ich allerdings damals noch nichts ahnte: Nach heutiger Aktenlage führte die Stasi Wallraff als „IM“ (was er vehement bestreitet) – ich selbst jedoch unterlag einer sogenannten „Operativen Personenkontrolle“ (OPK) der Stasi, wurde von Stasiagenten hier im Westen jahrelang überwacht. Der dafür verantwortliche Major leitete bei der Stasi übrigens ausgerechnet die Abteilung „Nachwuchsförderung“ …
Fazit: Vielleicht sollte ich mich heute bei Wallraffs neuem „Studiengang“ als Dozent bewerben. Immerhin verfüge ich über jede Menge Praxiserfahrung aus der „Firma Wallraff“.
Allerdings könnte ich den Stipendiaten nur dazu raten, lieber etwas Anständiges zu lernen als – wie Wallraff – aus der Not anderer Menschen geschickt Kapital zu schlagen.
Ach ja, fast hätte ich vergessen zu erwähnen, mit welchen klaren Worten „Die Zeit“ noch 1987 kurz nach Erscheinen von „Ganz unten“ die Aktionen ihres heutigen „Star-Reporters“ Wallraff kommentierte. Zitat:
„Die Kampagne gegen die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte ging rasch über in einen Werbefeldzug für das Wallraff-Buch. Immer mehr war dabei von Ali-Wallraffs selbstlosen Taten im Dienste der Humanität die Rede; immer weniger vom Elend der real existierenden Türken (…) Eine echte Wallraff-Geschichte, Überschrift ‚Wie der Entlarver sich selber entlarvt‘. Der moralisierende Millionär, der Böll der Türken, steht plötzlich da wie ein ganz gewöhnlicher Scharlatan.“