Sarrazin, das Lehmbruck-Museum und der Couch-Künstler

Horst Wackerbarth hatte eine Idee: Er fotografiert eine rote Couch. Immer an anderen Standorten. Das ist nett. Nun rechtfertigt er die Einladung  Tilo Sarrazins ins Duisburger Lehmbruck Museum.

Die geplante Veranstaltung mit Tilo Sarrazin in Duisburg ist – wenig überraschend – in die Kritik geraten. Gestern hat nun Horst Wackerbarth mit einem Brief auf die Kritiker reagiert. Wir dokumentieren ihn nachfolgend:
Stellungnahme von Horst Wackerbarth zur Veranstaltung im Lehmbruck Museum am 29.11.10 ab 18 Uhr „Thilo Sarrazin liest & diskutiert mit dem Künstler und dem Publikum“:
In diesen Tagen erreichen mich zahlreiche Anrufe und Emails von Einzelpersonen  und organisierten Gruppen, mit der Aufforderung und/oder der Bitte die Veranstaltung am 29. November mit/gegen Thilo Sarrazin abzusagen.
Man dürfe Thilo Sarrazin und seinen umstrittenen Aussagen kein öffentliches Forum geben und/oder es sei eine billige Masche für das Lehmbruck Museum und die Ausstellung „Here & There“ Reklame zu machen.
Hierzu nehme ich Stellung:
1. Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ hat sich über 650.000 Mal verkauft. Das Thema wird in allen führenden Talkshows und allen relevanten Medien, Print und TV, rauf und runter behandelt.
Thilo Sarrazin hat faktisch sein Forum, die große Öffentlichkeit. Bei der Veranstaltung im Lehmbruck Museum ist der Kontext aber ein völlig anderer.
2. Die Veranstaltung im Lehmbruck ist keine Talkshow oder Selbstdarstellung für Thilo Sarrazin und dessen Buch. Denn die Ausstellung „Here & There“ ist das lebendige, menschliche Gegen-modell zu den in „Deutschland schafft sich ab“ vertretenen Thesen.
Die  Gegensätze können größer nicht sein:
– Technokrat vs. Künstler
– „preußischer“ Beamter vs. Weltbürger
– Statistiken, Wahrscheinlichkeitsrechnungen, Prognosen
vs. Biografien von Individuen
– Populismus vs. Kunst
3. Mein Lebenswerk „ The Red Couch – A Gallery of Mankind“ bringt alle Menschen auf Augenhöhe. Die Rote Couch ist eine Bühne für Integration und Gegensätze. Seit „Here & There“ ist die Funktion der Roten Couch erweitert um eine Kommunikationsplattform für Menschen, die sich im normalen Leben nicht begegnen oder sogar aus dem Weg gehen, zum Beispiel:
– Der Neo-Nazi mit Kampfhund und Trabi und der Türke, jüdischen Glaubens vor dem
ehemaligen Hauptquartier der Gestapo in Weimar, der Stadt von Goethe, Schiller,
Beethoven, aber auch Buchenwald.
–  Die Einbürgerung vor dem Duisburger Rathaus und die Abschiebung in der JVA Büren.
– Die Polizeibeamtin mit türkischem Hintergrund und der Ultra-Fussballfan mit
italienischem Hintergrund.
– Der Vorstandsvorsitzende der TUI und die türkisch-marokkanische Auszubildende eines
Reisebüros.
– Der Kardinal aus Mittelamerika in der Moschee in Duisburg-Marxloh, usw.
Auf der Couch ist auch Platz für eine „Auseinander-Setzung“ mit Herrn Sarrazin!
Deshalb war ich mit dem Vorschlag von Raimund Stecker, Thilo Sarrazin in die Ausstellung einzuladen, einverstanden und nehme an der Veranstaltung teil.
Horst Wackerbarth, Düsseldorf im November 2010
P.S.:  Das Lehmbruck Museum, ein Haus für Internationale Skulptur, befand sich zwei Jahrzehnte im „Dornröschen-Schlaf“.
Vom Bestand und der Bedeutung her Bundesliga spielte es leider Regionalliga. Wenn der neue Direktor Raimund Stecker u. a. Shirin Ebadi (Iran, Friedensnobelpreisträgerin 2003), Günther Grass (Nobelpreisträger Literatur 2008) und jetzt Thilo Sarrazin einlädt, ist dies auch der Versuch, das Museum aktiv am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben zu lassen und das ist sinnvoll.

Geständnis eines Euro-Befürworters

 
Ja, ich gestehe: auch ich hatte zu denen gehört, die damals – also so vor zehn, fünfzehn Jahren – die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung befürwortet hatten. Ja, ich weiß: es erscheint bigott, etwas zuzugeben, was ohnehin nicht zu leugnen ist. Ich möchte nicht dastehen, wie ein überführter Politiker, der scheibchenweise nach jeder neuen Enthüllung ein neues Teilgeständnis nachschiebt. Ich packe aus. Alles.

Ja, ich hatte für den Euro geworben – überall, zu jeder sich bietenden Möglichkeit. Selbst dann noch, als er längst eingeführt war, die Leute dies jedoch noch nicht bemerkt hatten, weil sie noch die guten alten Scheine und Münzen im Portemonnaie hatten und die Preise im Supermarkt mit dem D-Mark-Zeichen ausgezeichnet waren. Ich hatte für den Euro geworben, wohl wissend, dass ich ohnehin nicht die Mehrheit von meiner Auffassung überzeugen werde … – und, dass es darauf aber auch nicht ankommen würde.

Ich wusste, dass die politische Elite dieses Landes das Projekt in jedem Fall durchziehen würde. Dennoch hielt auch ich es für geboten, in der Bevölkerung zumindest für ein Mindestmaß an Verständnis zu werben. So machte ich mir die Argumente zu eigen, die in der Kampagne für den Euro landläufig benutzt worden waren. Das, wenn schon nicht unbedingt überzeugendste, so doch stärkste war, dass die Gemeinschaftswährung so stark werde wie die geliebte D-Mark.

Aus diesem Grund hatten die Deutschen die sog. Maastricht-Kriterien als Aufnahmebedingungen in die Eurozone durchgesetzt. Obgleich ich wusste, dass diese Kriterien nicht nur absolut willkürlich gesetzt, sondern auch ökonomisch durch nichts zu rechtfertigen waren, ging ich mit ihnen hausieren. Auf skeptische Rückfragen konnte ich sogar versichern, dass die Maastricht-Kriterien nicht nur die Aufnahmebedingungen waren, sondern auch fortwährend als Spielregeln gelten würden, deren Nichteinhaltung bestraft werden würde.

Freilich war mir völlig klar, dass es völlig idiotisch ist, wenn für jede Phase des Konjunkturzyklus die gleichen Vorgaben für Inflation und Staatsverschuldung gelten. Mir war auch klar, dass solange es keine einheitliche europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik gibt, gleiche Kriterien für sich unterschiedlich entwickelnde Volkswirtschaften völlig unsachgerecht, ja: letztlich gar nicht einzuhalten sind. Insbesondere mit einheitlichen Leitzinsen, die von einer nach deutschem Vorbild in Deutschland errichteten unabhängige Zentralbank festgelegt werden, würde das Projekt Euro niemals gelingen können, wenn es nicht zu einer zentralen Wirtschaftspolitik, also zu einer europäischen Wirtschaftsregierung käme.

Dies war absolut klar. Klar war aber auch, dass es besser war, diese ökonomische Binsenweisheiten hinter dem Berg zu halten, wenn man zu einem Quäntchen mehr Legitimation der Gemeinschaftswährung beitragen wollte. Eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion würde niemals funktionieren können, und so vertraute ich auf die „normative Kraft des Faktischen“. Etwas amüsiert nahm ich zur Kenntnis und wertete es als Zeichen, dass sich der Euro auf dem richtigen Weg befände, dass ausgerechnet die Deutschen die ersten waren, die gegen den von ihnen noch einmal auf die Maastricht-Kriterien draufgesattelten Stabilitätspakt verstoßen hatten, woraufhin sie, um der „Strafe“ zu entgehen, sogleich die Regeln an die Realität anpassten.

Spätestens jetzt war ich sehr zuversichtlich, dass der Weg zu einer echten Wirtschaftsunion frei ist, womit unausweichlich auch eine politische Union vorgegeben wäre. Ich wollte das mit der Wiedervereinigung größer und souverän gewordene Deutschland unumkehrbar in den europäischen Integrationsprozess eingebettet wissen. Ich war ein überzeugter Anhänger der vom damaligen Bundeskanzler vorgegeben Linie, dass die deutsche und die europäische Einigung zwei Seiten einer Medaille seien, also: zu sein hätten. In diesem Punkt wurde Helmut Kohl auch vom damaligen Vorsitzenden meiner Partei, Oskar Lafontaine, umstandslos unterstützt.

Ich beschäftigte mich zu dieser Zeit intensiv mit Norbert Elias, der mich gelehrt hatte, dass das Erlangen einer größeren Integrationsstufe unvermeidlich mit einer temporären Entdemokratisierung einhergeht. Außerdem sträubte sich in mir alles, den Deutschen in dieser zumindest für den ganzen Kontinent entscheidenden Frage ein „nationales Selbstbestimmungsrecht“ zuzubilligen. Da sich auch alle demokratischen Parteien für den Euro stark gemacht hatten, hatte ich diesbezüglich nicht die geringsten Bedenken. Im Gegenteil: ich hielt es für meine Pflicht als Demokraten, für den Euro zu werben. Mit der – wie ich damals annahm – daraus zwingend entstehenden Wirtschaftsunion, die eine politische Union nach sich ziehen werde, würde das Risiko Deutschland ganz wesentlich entschärft werden.

Ja, ich gestehe: auch ich hatte vor der Irreführung der deutschen Öffentlichkeit nicht zurückgeschreckt. Ich gebe zu, dass gerade die ablehnende Haltung der Mehrheit mir Ansporn war, meinen kleinen Beitrag dazu beizutragen, dass mit dem Euro klar Schiff gemacht wird. Dabei hätte mir klar sein sollen, dass es auf Dauer nicht gelingen kann, ein Wirtschaftsmodell (und damit verbunden ein politisches Modell) gegen den Willen des Volkes stabil zu halten. Dass der Euro jetzt am Rande des Zusammenbruchs steht, ist letztlich eine Folge seiner nach wie vor mangelnden Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung.

Wenn der Euro scheitert, dann nicht wegen der Refinanzierungsprobleme von Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal. Jedes dieser Länder erwirtschaftet nur ein bis zwei Prozent des BIP in der Eurozone. Umgekehrt wird ein Schuh draus: die Refinanzierungsprobleme dieser kleinen Länder erklären sich aus der Euro-Krise – nicht umgekehrt. Der Schutzschirm für den Euro kann diese drei Staaten auch nach Abkopplung vom Kapitalmarkt mit dem nötigen Geld versorgen. PIG (Portugal, Irland, Griechenland) geht; für PIGS (das „S“ steht für Spanien) wird es schon nicht mehr reichen. Und auch die Spanier müssen schon jetzt einen Zinssatz berappen, der so hoch ist wie der der Griechen im Mai.

Dass die Zinssätze in dermaßen absurde Höhen spekuliert worden sind, liegt nicht allein an der Unfähigkeit der Merkel-Regierung. Sie geht letztlich zurück auf den Unmut der Deutschen, in einer europäischen Wirtschaftsunion leben zu wollen. Auch jede andere Regierung stünde vor kaum zu meisternden Problemen, wollte sie eine Ausweitung des Schutzschirms der Bevölkerung gegenüber legitimieren. Der Schutzschirm ist vom Volumen auf 600 Mrd. Euro und zeitlich bis Ende 2012 limitiert. Jeder weiß, dass beides vorn und hinten niemals ausreichen wird – auch der „Markt“, der gnadenlos die Antwort der Deutschen einfordert, ob sie nun den Euro haben wollen oder nicht.

Dabei liegt die Antwort im Grunde längst auf dem Tisch. Auch das Gefasel über ein „geordnetes Insolvenzverfahren“, das für die „Sünder“ ab 2013 gelten solle, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Es steht zu befürchten, dass der Euro die nächsten beiden Jahre nicht überleben wird. Ich hatte die Hartnäckigkeit der Deutschen unterschätzt. Die Folgen eines Scheiterns der Gemeinschaftswährung wären verheerend. Ich weiß: die Deutschen übersehen nicht, was auf sie zukäme, wenn sie es statt mit dem Euro wieder mit der guten, alten D-Mark oder – was auf Dasgleiche hinausliefe – mit einem kleinen Währungsverbund der „starken“ Nachbarländer zu tun hätten. Gegen das, was in diesem Fall auf sie zukäme, sind die ökonomisch-sozialen Verwerfungen, unter denen die Griechen, Iren und Portugiesen derzeit zu leiden haben, fast kaum der Rede wert.

Das haben sie nicht verdient – meine deutschen Landsleute. Ich hatte das nicht gewollt. Keiner von uns hatte das gewollt. Es tut mir leid. Entschuldigung!

Der Ruhrpilot

Eine Tragödie ohne Schuldige?

Loveparade: 1336 Zeugen wegen Loveparade-Tragödie befragt…Der Westen

Loveparade II: Ketchup-Spritzer will Sauerland wieder provozieren…Der Westen

Ruhr 2010: KNSK startet abschließende Dankeschön-Kampagne…Horizont

NRW: Grundschüler müssen häufiger zur Nachhilfe…RP Online

NRW II: Mehr Platz für Pendler in NRW…Ruhr Nachrichten

Duisburg: Wie die Terrorangst auf Muslime wirkt…Zeit

Dortmund: Polizei durchsucht Wohnungen nach Nazi-Tonträgern…Ruhr Nachrichten

Gelsenkirchen: Bergmannsglück Inititative…Hometown Glory

Umland: Haarmann in Hell…Frontbumpersticker

Bildung: Manchmal macht das Internet richtig Spaß…Zoom

White IT Symposium: Immer noch kein Massenmarkt für Kinderpornographie…Netzpolitik

Fußball: NRW-Liga vor dem Aus…RP Online

Offener Brief gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV): Jens hat mit unterzeichnet…Pottblog

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Wenn der Integrationskurs stumm macht

Migrantinnen in Münster: "WIr sind Menschen vierter Klasse"

Alle Politiker wollen sie, alle Zugewanderten sollen sie belegen: Die Integrationskurse gelten als Wundermittel für den Zugang zur deutschen Gesellschaft. Wie es in den strammen Kursen wirklich zugeht, erzählen hier MigrantInnen

Neun Monate lang hat Violeta geschwiegen. Hat den Kopf über das vor ihr liegende Heft gebeugt darauf gewartet, dass der unverständliche Integrationkurs endlich vorüber geht. „Es war eine Qual“, sagt die 41 Jahre alte gebürtige Polin. Sie habe sich geschämt etwas zu sagen und nur sehr wenig verstanden. Jetzt aber ist die Frau mit den sorgfältig manikürten Fingernägeln und der schnellen Zunge aufgeblüht. Sie besucht an der Volkshochschule in Münster die Kurse „Basiskompetenzen für Arbeit“. Dazu gehören Deutschkurse, EDV-Stunden und persönliche Beratungen. Es ist ein bundesweit einmaliges Projekt, dass Migranten den Zugang zur deutschen Gesellschaft erleichtern soll. Ein Auffangbecken für die vielen Zugewanderten, die der Integrationskurs hilflos zurück ließ. „Hier verstehe ich und hier lerne ich zum ersten Mal“, sagt Violeta.

Dabei hat die vor wenigen Tagen beendete Innenministerkonferenz noch einmal einmütig betont, die Integrationskurse müssten deutschlandweit ausgebaut werden. Sie gelten den Politikern fast aller Parteien als Allheilmittel für den Zugang zur deutschen Gesellschaft. An der VHS in Münster wird offenbar, wie fatal sich hingegen diese Kurse auswirken können: In sechs bis neun Monaten sollen Zugewanderte deutsch lernen und die vergangenen Bundeskanzler kennen, sie sollen die Bundesländer aufzählen und die Daten den II. Weltkrieges auswendig können. Viele Migranten sind nach den Kursen völlig verunsichert: Darin sitzen Analphabeten mit geflohenen Ärzten und Unidozenten zusammen, Menschen mit Fremdsprachenkenntnissen und Menschen, die in ihrer Heimat gefoltert wurden.

Elena und Violeta: "Haben nur geschwiegen"

„Einige sitzen seit Monaten in den Kursen und können anschließend kaum ein Wort deutsch sprechen“, sagt Helena Donecker. Die Sprachlehrforscherin berät an der VHS die Zugewanderten, wie sie sich dem Deutschen nähern können. Einige von ihnen haben nur wenige Jahre eine Schule besucht und wissen gar nicht, wie sie lernen sollen. „Häufig verlieren die Menschen jedes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, das müssen wir hier erst wieder aufbauen,“ so die Lernberaterin. Die 29-Jährige beobachtet, wie schwer es manchen fällt, die Integrationskurse zu nutzen. „Manche haben Gewalt erfahren, sind alleinerziehend verantwortlich für vier oder mehr Kinder oder müssen existenzielle Fragen über ihren Aufenthaltsstatus klären – da ist wenig Raum für lange Vokabellisten.“

Deshalb lernen die Teilnehmer in ihren Kursen auch nicht stumpf die Grammatik auswendig. Sie pauken die Obst- und Gemüsenamen, lernen eine Kündigung zu schreiben oder welche Vokabeln beim Frauenarzt wichtig sind. Auch die bislang unverständliche Post vom Amt wird hier geöffnet und erschlossen. Violeta möchte gerne wieder in ihrem früheren Job arbeiten, sie war Friseurin. Bislang scheint das unmöglich. „Ich spreche nicht gut genug und sehe vielleicht etwas anders aus“, ist ihre Erklärung. Auch ihre Sitznachbarinnen können den Beruf ihrer Heimat nicht ausüben, sie waren zum Beispiel Modedesignerinnen, Handelskauffrauen oder Kosmetikerinnen. Keine von ihnen glaubt, jemals wieder in ihrem erlernten Job arbeiten zu können.

Die Integrationskurse werden von der Bundesregierung immer wieder als wichtigster Schritt in den deutschen Arbeitsmarkt hervor gehoben. Auch auf der vor wenigen Tagen beendeten Innenministerkonferenz sprachen sich alle Politiker dafür aus, diese Kurse noch auszuweiten. Denn entgegen der Warnungen von Christdemokraten, den „Verweigerern“ ein Bleiberecht zu verwehren, sind die Wartelisten lang. Häufig kommen die Teilnehmer in der VHS mit dicken Aktenordner aus den Kursen an. Sie haben ordentlich jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets abgemalt und können doch kein Wort schreiben.

Amir Pirzad: "Niemand guckt darauf, was in den Kursen passiert"

„Niemand achtet darauf, was in den Kursen passiert“, sagt Amir Pirzad. Der Iraner ist vor drei Jahren nach Deutschland gekommen und hat in seinem Integrationskurs „drei Monate verzweifelt rumgesessen.“ Die Lehrer hätten zu schnell gesprochen und das Buch durchgepaukt. Auch Pirzad ist jetzt an der VHS und glücklich über die verständnisvollen Pädagogen. „Zum ersten Mal lerne ich wirklich etwas“, sagt der junge Mann mit der trendigen Sportjacke. Aufgebracht und heftig gestikulierend erzählt er vom Integrationskurs, der ihm offenbar nicht geholfen hat und „nur verunsichert“ hat. Die Prüfung am Ende des Kurses hätten nur drei von 30 Menschen bestanden. „Das ist doch ein Skandal“, meint er. Pirzad findet, alle Migranten sollten zuerst so einen Kurs wie an der VHS besuchen dürfen.

Finanziert wird dieses Angebot von der Arbeitsagentur in Münster. In der bürgerlichen Stadt in Westfalen mit rund 300 000 Einwohnern leben 1500 arbeitslose Menschen mit Migrationshintergrund. „Menschen aus anderen Kulturen mit extremen Erfahrungen müssen viel individueller gefördert werden“, sagt Marianne Jaehnke, Teamleiterin bei der Agentur. Sie sollen lernen, sich in Deutschland zurecht zu finden. Dazu sei es wichtig, die Geschlechter in den Kursen zu trennen, weil gerade islamische Frauen in gemischten Gruppen sehr gehemmt seien. „Wir wollen auch diese Rollenbilder kräftig aufmischen“, sagt sie. In ihrem Amt säßen häufig die Ehemänner auf dem Flur, um ihre Frau direkt nach der Beratung abzufangen. „In diesen Kursen hier sind Frauen alleine und gehen selbstbewusster wieder nach Hause“, so Jaehnke.

Amir Pirzad möchte am liebsten wieder als Heizungs-und Sanitärinstallateur arbeiten, wie er es schon sieben Jahre lang im Iran getan hatte. Aber seine Ausbildung wird nicht anerkannt. So reihen sich auch bei ihm die „Maßnahmen“ der Arbeitsagentur und Praktika aneinander. Zuletzt hat er als Hausmeister gearbeitet und sein Chef, sagt er, sei „sehr zufrieden mit ihm gewesen“. Weil er aber nicht ausreichend auf deutsch schreiben kann wurde er nicht länger beschäftigt.

Der Russe Andrej Krasnokutzki lacht unaufhörlich über die „absurden Kurse“, die er schon besucht hat. Darunter waren ein Sprachkurs am Goetheinstitut, zwei Integrationskurse, zahlreiche Praktika als KFZ-Mechaniker und im Metallbau. Dutzende Bewerbungen hat er geschrieben, für Möbelhäuser, eine Metallfabrik, als Gabelstaplerfahrer. Bislang hat er nicht einmal eine Antwort erhalten. Aysche war Bürokauffrau in der Türkei und wurde hier vom Arbeitsamt „putzen geschickt“. Die quirlige junge Frau spricht verächtlich über den Job, den sie gegen ihren Willen ausüben musste. Sie habe sich am Berufskolleg beworben, um Erzieherin zu werden, sie wollte an der katholischen Schule Sozialarbeiterin lernen. „Aber das Amt hat gesagt: Du hast schon eine Ausbildung, wir geben Dir kein Geld dafür,“ sagt die alleinerziehende Mutter von drei Kindern. „Ich will aber nicht immer nur von Wasser und Brot leben, sondern möchte auch mal Süßes essen“, sagt sie blumig. „In Deutschland sind wir nicht Menschen zweiter Klasse, wir sind in der vierten oder fünften Klasse.“

Muschelschubses neues Blog

Die Zeit von Muschelschubserin ist vorbei. Sonja Kaute hat ein neues Blog gestartet: Stift und Blog.

Schade: Sonja hat – erst einmal – ihr Blog Muschelschubserin geschlossen.

Ich bin seit über vier Jahren die Muschelschubserin. Über dieses Blog habe ich nicht nur das Social Web für mich entdeckt, sondern auch Vieles für meinen Beruf gelernt. Und es hat den Ausschlag gegeben für mein Diplomarbeitsthema.
Schon lange denke ich darüber nach, etwas Neues anzufangen. In ganz anderer Form. Jetzt habe ich endlich die Zeit gefunden, das anzugehen. Was das für dieses Blog bedeutet, weiß ich noch nicht.
Ich lasse das auf mich zukommen und bin gespannt. Und ich danke bei der Gelegenheit meinen Lesern hier, die mich zum Teil die ganzen vier Jahre lang begleitet haben und die so ein Blog erst richtig lebendig machen. Danke für die schöne Zeit, auch wenn sie weiter geht. Vielleicht.

Aber Sonja macht weiter. In einem neuen Blog und der heißt Stift und Blog. Vom Design her etwas kühler als Muschelschubse geht es um das Spannungsfeld Social-Media / Journalismus:

Stift und Blog soll die Ergebnisse meiner Diplomarbeit zugänglich machen und aufarbeiten. Außerdem wird es hier auch die ein oder andere Reportage zu lesen geben.

So warb die GTZ für den PCB-Verseucher Envio

Das Dortmunder Unternehmen Envio verseuchte über Jahre hinweg seine Mitarbeiter und die Umwelt mit hochgiftigem PCB. Die bundeseigene Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) arbeitete mit dem Unternehmen zusammen. Und war mit dabei, als Envio einen Werbefilm produzierte. Wir dokumentieren die verschwundenen Videos über diese Zusammenarbeit.

Das gemeinsame Projekt mit Envio lief von Januar 2007 bis Oktober 2008. In dem Projekt ging es um die Planung eines Zwischenlagers für PCB-kontaminierte Geräte sowie Trainingsmaßnahmen zur Inventarisierung derselben in Mazedonien. Die Filme, die sie mitfinanzierte, sieht die GTZ nicht als Werbung an. Auf Anfrage wurde uns mitgeteilt:

Die GTZ hat auch nicht bei der Anwerbung internationaler Kunden mitgeholfen oder Aufträge besorgt.

Gut, so kann man die Filme auch interpretieren. Man kann sie aber auch als Reputationshilfe für ein Unternehmen sehen, das keine Reputation verdient hat. Der Laden hat Insolvenz angemeldet, die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Chancen sind hoch, dass für die Reinigung des Geländes der Steuerzahler aufkommen wird.

Vor diesem Hintergrund wirkt eine Antwort der GTZ makaber. Wir fragten wie die GTZ sichergestellt hat, in Envio einen zuverlässigen und seriösen Partner zu haben.

Die Antwort:
Wie üblich prüfen dies unsere Experten, bevor wir einen Vertrag schließen. Envio hatte sich als zuverlässig erwiesen und dies hatte sich auch während der Projektlaufzeit bestätigt.

Die von uns hier veröffentlichten Videos hat Envio vor ein paar Wochen aus dem Netz genommen. Wir baten Euch um Hilfe, um die Videos wieder zugänglich zu machen. Ihr habt uns geholfen – vielen Dank. Hier nun die Dokumente:

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UZDO: Stadt erteilt Absage für den 4. Dezember – Zwischennutzung jedoch möglich

Die von der Initiative für ein Unabhängiges Zentrum (UZDO) am 4. Dezember geplante Veranstaltung im ehemaligen Museum am Ostwall kann nicht stattfinden. Aber es gibt auch eine gute Nachricht.

Die Stadt hat UZDO mitgeteilt, dass die Initiative das Museum am Ostwall nicht am 4. 12. für eine Diskussionveranstaltung nutzen kann. Noch werde das Gebäude als Lager und Büro genutzt. Auch die Reinigung und Sicherung könne nicht gewährleistet werden. Erst zum Jahreswechsel, wenn auch die Mitarbeiter in den U-Turm ziehen werden, wird das Gebäude für andere Nutzungen zur Verfügung stehen. Das teilte uns auf Nachfrage mit.

Dann soll in einem offenen Verfahren über die neue Nutzung des ehemaligen Museums entschieden werden. Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann wird sich bald mit einem Brief an die UZDO-Leute wenden in denen er ihnen versichert, dass die Stadt in diesem Verfahren versuchen wird, auch ihre Interessen zu berücksichtigen.

UZDO: Offener Brief an die Stadt Dortmund

Die Initiative für ein Unabhängiges Zentrum in Dortmund (UZDO) möchte am 4. Dezember das leerstehende  ehemalige Museum am Ostwall für eine Veranstaltung nutzen. Wir dokumentieren einen offenen Brief der Intiative und zahlreicher Unterstützer an die Stadt Dortmund

OFFENER BRIEF (für offene Türen)

Das Dortmunder U ist eröffnet. Das kann man finden, wie man will: ästhetisch, ökonomisch, stadtpolitisch. Die Initiative UZDO hat vor allem den Umzug der Ausstellung des Museums am Ostwall am 09. Oktober zu Kenntnis genommen.  Das wollen wir zum Anlass nehmen und uns am Samstag, 04.12.2010, ÜBER das Museum am Ostwall IM Museum am Ostwall unterhalten. Hierbei wollen wir uns über “Progressive Formen der kollektiven Selbstverwaltung” informieren und über die Stadt ohne Geld sowie die Zukunft des Hauses diskutieren. Wir, die Unterzeichner/innen fordern die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung zur Kooperation auf, vermeintliche Hindernisse (Versicherungsdetails und letzte Umzugskartons) aus dem Weg zu räumen.  Es ist “5 vor 12”, also Zeit, dass die Bewegungen für ein UZDO im Kulturhauptstadtjahr erneut diskutiert werden und im Museum am Ostwall ihre Bühne finden. Die Initiative drängt auf diesen Termin, da eine Lagernutzung, dem Raum nicht angemessen ist und vor allem, weil öffentliches Interesse an diesem Gebäude besteht. Eine Verzögerung des Umzugs betrachten wir als bürokratischen Akt, der einmal mehr zeigt, wie weit entfernt Stadtpolitik und Verwaltung von der Idee kreativer Veränderung sind. Was soll das werden?  Eine Machbarkeitsstudie ohne Macher/innen? Versicherungsbedenken als (Ver) sicherung des Leerstands sind nicht akzeptabel. Die Entwicklung rund um die Privatisierung und Neustrukturierung des FZWs sendet ebenfalls ein deutliches Zeichen in eine ganz andere Richtung. Es ist nicht hinnehmbar, dass das FZW in wenigen Wochen auf mainstream und Kommerz gebürstet wird, und Alternativen keine Alternative mehr haben.

Das Museum am Ostwall (MaO) entspricht unserem Anspruch auf Zentralität in der Stadt und bietet dem UZDO ausreichend Raum für soziale, kulturelle, politische Veranstaltungen, Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen, Konzerte.  Auch wenn hier Arbeitsräume wie Ateliers, Proberäume und Werkstätten erst einmal zu kurz kommen, stünde eine Nutzung des MaO für soziale Bewegung und kreative Veränderung der Sub/kultur/politszene dieser Stadt. Wenn der kreative Imagewandel der Stadt Dortmund ernst gemeint ist, dann sollte vonseiten der Politik Bestreben gezeigt werden, das Gebäude in einer kulturellen Nutzung zu belassen. Eine Neunutzung des Gebäudes mit damit einhergehender Instandhaltung (Heizung, Lüftung) sowie kulturellen Angeboten sollte im öffentlichen Interesse liegen.

Am Ostwall treffen wir auf eine gute öffentliche Infrastruktur, in der das UZDO keine Lücke in der Dortmunder Clubszene schließt, sondern vor allem Raum für unkommerzielle Experimente fernab der ökonomischen Verwertungslogik bietet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Leonie Reygers im Zuge der MaOGründung damit begonnen ein Gegenkonzept zur konventionellen, bürgerlichen Kunst zu entwickeln. Dazu gehörte auch, die moderne Kunst, die unter dem NS-Regime als “entartet” galt, wieder in den stadtgesellschaftlichen Blickpunkt zu rücken.

Das MaO wurde ein Treffpunkt für Kreative – junge internationale und unbekannte Künstler/innen stellten aus. Neue Kunstbewegungen wurden dort gezeigt und diskutiert. Das MaO wurde zu einem Platz, an dem Neues entstand. Diese Chance bietet sich nun am selben Ort erneut.

Eine Diskussionsveranstaltung am 04.12.2010 + Tag der offenen Tür am 05.12.  stehen für Transparenz, Bewegung und tatsächliche Partizipation in der Stadtentwicklung.  Abwarten, Verzögerung, Nichtverhandlungen stehen symbolisch für den städtischen Anspruch auf die Planbarkeit des Unplanbaren und für das große Missverständnis kreativer Veränderung in Dortmund. Umzugskartons und ein Keller voller Bilder sind keine ernstzunehmenden Hindernisse, sondern lassen sich anders sichern, ausstellen, bewegen. Gerne bieten wir hier unsere Mitarbeit an, eine kreative Lösung zu finden und/ oder beim Umzug zu helfen.  Das machen wir gerne.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

UZDO

Unterstützer: Addicted, AG Kritische Kulturhaupstadt 2010, Almut Rybarsch, ASTA Fachhochschule Münster ,Aponaut, Büro für Möglichkeitsräume (BFM), Banana Underground, Buko/ASSR,Bataclan, Evil Flames, Fräulein Nina, Freiräume für Bewegung, Freiraum2010, Freiraumtanz, Gängeviertel Hamburg, Get addicted, GrünBau Dortmund, Immerwinter, INURA Rhein/Ruhr, Johannes Lührs, Rosette, KLuW e.V., Kratzeis, Kulturgrube e.V., Labor für sensorische Annehmlichkeiten e.V., LabourNet, Land For What, Langer August e.V., Lenny Weinstein, Martin Kaysh, Mauerblümchen e.V. Marc Suski, Mieterverein Dortmund, Musik und Kulturzentrum Güntherstraße e.V., Patrick Joswig, Progressiver Eltern- und Erzieherverband e.V., Radio BonteKoe & EL Zapote, Recht auf Stadt (NRW), Reclaiming Spaces, Kaltscha Club, Taranta Babu, Theater Lebendich, Transnationales Aktionsbündnis, Uwe Rothe