Murat Yildiz* ist einer der hoch qualifizierten Einwanderer, nach denen neuerdings deutsche Wirtschaftslenker und Politiker schreien. Aber der Facharzt wird hier gegängelt und degradiert

Murat Yildiz trägt Verantwortung. Wann immer sich die Geburt der Patientinnen auf seiner gynäkologischen Station bedrohlich nach hinten schiebt, entscheidet er über einen Kaiserschnitt. Wenn während einer Operation Komplikationen auftreten wird der Oberarzt an den Schneidetisch gerufen. „Aber ich bin trotzdem Arzt zweiter Klasse“, sagt Yildiz. Denn obwohl der in der Türkei geborene Mediziner schon seit drei Jahren in deutschen Kliniken arbeitet, wird ihm immer noch die Approbation verweigert, die deutsche Ärzte mit dem ersten Staatsexamen erhalten. Yildiz hat nur eine befristete Berufserlaubnis, die ausschließlich für diese eine Klinik gilt.
Schon als Kind wollte Murat Yildiz Arzt werden. In seinem Dorf in der Osttürkei standen die Menschen auf, wenn ein Mediziner den Raum betrat, so angesehen war der Beruf. Yildiz arbeitet sich hoch und legt an einer renommierten Istanbuler Universität einen glänzenden Abschluss hin, 2007 macht er dann in einer Klinik seine Facharztprüfung als Gynäkologe. Zu der Zeit bringt er 4000 Kinder jährlich zur Welt. Diese erfolgreiche Biografie ist in Deutschland „wie weggewischt“, so Yildiz. „Ich kam als spezialisierter Arzt und wurde wie ein Abiturient behandelt.“
Bei der Hochzeit eines Freundes in Istanbul lernt Yildiz vor vier Jahren seine Partnerin aus Mannheim kennen. Schnell werden die beiden ein Paar und bekommen eine Tochter. Die Familie entscheidet sich für Deutschland. „Nie hätte ich gedacht, dass es hier so schwer ist“, sagt Yildiz. „Ich war bestens ausgebildet, hatte an einer renommierten Uni studiert und die Deutschen haben arrogant meine Papiere belächelt und für wertlos erklärt,“ sagt er aufgebracht. Dabei spricht der 33-jährige Mediziner deutsch, türkisch, arabisch und englisch und ist für jede Geburtsstation mit migrantischen Patientinnen eine Bereicherung.
Aber zunächst muss er sich durch langwierige Behördengänge ein Visa verschaffen, dann eine Duldung und schließlich eine Aufenthaltsgenehmigung. „Als Vater eines deutschen Kindes hatte ich das Recht, hier zu leben“, so Yildiz. „Aber die Behörden behandelten mich wie einen Schmarotzer, der sich deutsches Geld einverleibt.“ Dabei lebt die Kleinfamilie von seinem in Istanbul erarbeitetet Geld, und Yildiz will unbedingt arbeiten. Er bewirbt sich bundesweit und wird schließlich an einer Klinik im niedersächsischen Meppen angestellt. Als Assistenzarzt, denn seine Facharztprüfung muss er erneut ablegen. Die Kollegen sind sehr nett. „Aber Deutschland behandelt uns schlecht“, sagt er.
Durch die Degradierung zum Assistenzarzt kann er nicht nur einige Operationen nicht mehr durchführen, die er längst beherrscht, sondern sein Gehalt ist auch viel geringer. Yildiz verdient hier nur einen Bruchteil, während seine türkischen Studienfreunde in Istanbul mit mindestens zehntausend Euro monatlich nach Hause gehen. Weil er so schnell und zuverlässig arbeitet, lässt ihn der Chefarzt nach einem guten Jahr die Facharztprüfung absolvieren. Ohnehin sind seine Kollegen immer schnell von dem engagierten jungen Arzt überzeugt und geben ihm Verantwortung. Auch die Patientinnen waren immer „alle sehr freundlich“, sagt er. Viele türkischstämmige Frauen sind froh, medizinische Sorgen in ihrer Muttersprache mitteilen zu können.
Die Behörden interessieren diese Erfolge nicht. Nach seiner Stelle in Meppen bewirbt er sich in Hamburg. Jedes Land hat für ausländische Ärzte andere Hürden aufgebaut, jedes Mal ist ein anderes Amt zuständig. „Das ist reine Willkür“, sagt Yildiz. Nie ginge es um das Fachliche. Seine Odysee geht in Hamburg weiter. Er bekommt eine Stelle an der renommierten Uniklinik. „Ich war hoch motiviert, wollte mich an der Uni weiter fortbilden und auch Lehre betreiben“, so Yildiz. Auch die Klinik ist begeistert, sie wollen den erfahrenen viersprachigen Arzt unbedingt haben. Aber das Landesprüfungsamt des Stadtstaates erkennt weder seinen Uniabschluss noch den Facharzt an. Wieder muss er dutzende Akten von der Istanbuler Universität vorlegen, Bescheinigungen aus allen Semestern übersetzen und beifügen. Das Amt behandelt ihn „wie einen lästigen Bittsteller“. Die nach monatelangem Warten erteilte Berufserlaubnis gilt erneut nur für ein Jahr, danach steht wieder eine „Gleichwertigkeitsprüfung“ an. Yildiz verliert langsam die Geduld, er fühlt sich matt und müde. „In Hamburg war ich nicht willkommen, ich musste weiterziehen.“ Dabei hatte seine Partnerin ihren Job in Mannheim schon gekündigt. Die Familie guckte sich Wohnungen in der Hansestadt an und war bereit für einen weiteren Neuanfang. Wieder alles vergeblich, die unsicheren Aussichten machen die Planungen zunichte. „Über uns schwebt dauernd das Damoklesschwert, in die Türkei gehen zu müssen“, sagt die Heilpädagogin. Jeder Tiefschlag auf dem Amt bringt das Leben der Familie in Deutschland ins Wanken.
Zum Glück setzt sich sein ehemaliger Meppener Chef für ihn ein und verhilft ihm in diesem Sommer zu einer Stelle am Klinikum in Frankenthal bei Mannheim. In der Stadt mit den vielen Migranten ist Yildiz der einzige Mediziner im Krankenhaus, der nicht in Deutschland geboren wurde. Obwohl er nun als Facharzt arbeitet, operiert und therapiert, muss er wieder in spätestens zwei Jahren eine Prüfung zur Approbation ablegen. Erst dann ist er einem deutschen Facharzt gleich gestellt. Das Examen aber wird voraussichtlich wieder alle physiologischen und chemischen Grundlagen der Humanmedizin abfragen. „Ich könnte jede gynäkologische Prüfung sofort bestehen“, sagt er. „Aber für dieses Examen müsste ich monatelang lernen.“ Wieder eine große Hürde. „Ich helfe den Menschen gerne, das ist mein Beruf“, sagt Yildiz. Ihm selber aber sei in Deutschland nur von sehr wenigen Menschen geholfen worden.
*Name von der Redaktion geändert