Eileen Rose, Montag, 11. Oktober, 20.00 Uhr, Café Steinbruch, Duisburg
Der Ruhrpilot
Theater: Szenenwechsel im Revier…Welt
Kohle: Brüderle blockiert Merkels Pläne…Spiegel
NRW: Das Rheinland will sich neu positionieren…Welt
NRW II: Neues Leben auf alter Fläche…Welt
NRW III: Studienberatung soll besser werden…Ruhr Nachrichten
Dortmund: Hat Envio vor der Razzia Akten entsorgt?…Der Westen
Bochum: Das Funkloch-Fach oder eine kleine Revolution…Kochplattenteller
Überwachung: Zoll hört auch Skype-Telefonate mit…Law Blog
Krise, Kreativwirtschaft und Simulation
Unter dem neuen Intendanten Kay Voges könnte das Theater Dortmund zu spannendsten Bühne der Ruhrgebiets werden. In dem Stück Stadt ohne Geld wird die Grenze zwischen Theater und Wirklichkeit mit Lässigkeit übersprungen. Ein Gewinne für das Publikum – aber nicht immer für die Protagonisten.
Dortmund ist Pleite und man weiß gar nicht mehr so genau, wie Pleite die Stadt ist. Immer wieder verkündet das Rathaus neue Horrorzahlen. 138 Millionen mächtig soll das Defizit im städtischen Haushalt in diesem Jahr sein. Aber die Zahl ist schon ein paar Tage alt. Rechnen wir also damit , dass sie bald überraschend nach oben korrigiert werden muss.
Das hat natürlich Folgen. Für die Menschen, die sich auf ihre Stadt nicht mehr verlassen können und letztendlich für ihre Steuern immer weniger Leistungen erhalten – aber auch für die Kunst. Die hat sich immer stärker den Geflogenheiten des Marktes unter zu ordnen. Das wird dann auch noch als Zukunftschance verkauft und nennt sich dann Kreativwirtschaft. Kreativwirtschaft – über den Begriff wird in dem Stück wunderbar hergezogen. Das gefakte Institut für Urbane Krisenintervention (ifuk)und sein dynamischer Mitarbeiter Hendrik Feldkamp führen durch den Abend. In kleinen Szenen und Einspielern wird das Geschwätz der Gornys und Fesels entlarvt. ifuk – das könnte auch das berüchtigte ECCE, das Europen Center for Creative Economy sein. Allerdings ist das ifuk professioneller im Auftritt. Das ifuk verkündet all die Sprechblasen des Struktuwandels durch Kreativwirtschaft, all das Gelaber der Kulturhauptstadt über den Wandel durch Kunst und die Kunst des Wandels und des Wandels durch Wandel und was sich die PR-Agenturen noch so haben einfallen lassen. Und stellt es bloß.
Das Stück ist schnell – Szene reiht sich an Szene. Und beinahe jede trifft. Selbst als Verkäufer der Obdachlosenzeitung Bodo auf die Bühne kommen, ist das nicht peinlich. Etwas anders sieht das aus, wenn die Hausbesetzer des UZ mit einer simulierten Besetzung der Bühne den Protest vollends zur Polit-Darstellung werden lassen. Die UZ-Leute nutzten die Gelegenheit noch nicht einmal, um gegen die Stadt oder ECCE zu protestieren – mit denen sie sich ja in Pseudo-Verhandlungen befinden – sondern argumentieren gegen das fiktive ifuk. Da ist das Stück selbst kritischer, treffender und besser. Aber vielleicht wollten Kay Voges und die Macher von kainkollektiv und sputnic uns ja auch noch etwas über Protestsimulation im 21. Jahrhundert erzählen. Sollte das so sein – es wäre es ihnen gelungen.
Übrigens: Es hätte Dortmunds Kulturdezernenten Stüdemann gut zu Gesicht gestanden, die Premiere zu besuchen.
S4 Bündnis wirft Dortmunder Polizei überzogenen Einsatz vor
Am 29. September kam es zu Protesten gegen die Freilassung einen Neonazis, der im Jahr 2005 den Punker Thomas „Schmuddel“ Schultz erstochen hat. Als die Nazis die Demonstranten filmten und die sich vermummten griff die Polizei ein.
In einer Erklärung zu den Vorfällen schreibt das S4 Bündnis:
Die Neonazis selbst hielten sich während der Zwischenkundgebung bedeckt.
Aus einem Fenster im ersten Obergeschoss wurde jedoch die Demonstration
durch vermummte Personen gefilmt.
Aufgrund eindeutiger Drohungen verbargen daraufhin einige
Demonstrationsteilnehmer_innen ihr Gesicht, um sich vor
Veröffentlichungen von Aufnahmen oder späteren Übergriffen zu schützen.
Bereits am 28.09.10 hatten die Neonazis rund um ihren Laden Plakate
verklebt, auf denen zu lesen war: „5 Jahre für ein ganzes Leben! – 4 zu
1 für uns!“ Damit spielen sie neben dem Mord an Thomas Schulz auf die
Tat des Neonazis Michael Berger im Jahr 2000 an, der drei Dortmunder
Polizist_innen erschoss, bevor er sich selbst durch einen Kopfschuss
tötete.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Outingseite, auf der
vermutete Antifaschist_innen aus der Umgebung von Dortmund mit möglichst
vielen Details ihres Privatlebens und Fotos öffentlich präsentiert werden.
Nach der Zwischenkundgebung kehrte die Demonstration auf dem selben Weg
zurück zum Ausgangspunkt an der Kampstraße, wo nach einer kurzen
Abschlusskundgebung die Demonstration beendet werden sollte.
Allerdings gingen kurz vor Auflösung der Veranstaltung Einsatzkräfte
ohne erkennbaren Grund mit äußerster Brutalität auf
Demonstrationsteilnehmer_innen los, um die Personalien von drei Personen
zu kontrollieren und ihnen eine Anzeige wegen Vermummung auszusprechen.
Das S4 Bündnis verweist in seiner Erklärung darauf, dass das Vermummen zum Selbstschutz auch heute noch legal ist und verweisen auf Ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Hannover.
Sachverhalt:Die Angeklagte war politisch engagiert im Kampf gegen
Neonazis. Infolgedessen kam es in der Vergangenheit häufig zu
Auseinandersetzungen mit Anhängern der rechten Szene. Mehrfach
veröffentlichten die Rechtsradikalen auf ihren Internetseiten Fotos von
der Angeklagten und verhöhnten sie in verschiedenen Berichten. Während
einer Demonstration gegen Neonazis filmte die Polizei die beteiligten
Personen. Die Angeklagte war auf dem Videomaterial zu sehen wie sie eine
Sonnenbrille trug und ihr Gesicht mit einem Schal vollständig vermummte.
Darin sah das Amtsgericht in der 1. Instanz einen Verstoß gegen das
Vermummungsverbot, da es davon ausging, dass die Angeklagte ihre
Identität vor den Strafverfolgungsbehörden verschleiern wollte. Gegen
das hierzu ergangene Urteil legte die Angeklagte Berufung ein.
Entscheidung:
Die Berufungsrichter entschieden zugunsten der Angeklagten und sprachen
sie frei.
Sie stellten fest, dass die Angeklagte ihr Gesicht nur zum Schutz der
eigenen Identität vor den Neonazis vermummt habe und gerade nicht vor
der Polizei. Sie habe dadurch verhindern wollen, dass Anhänger der
rechten Szene erneut von ihr Bilder machten, die später im Internet
veröffentlicht würden. Bereits in der Vergangenheit sei sie von
Anhängern der Neonazi-Szene massiv bedroht, terrorisiert und angegriffen
worden. Es sei mehrfach vorgekommen, dass sich im Internet Bilder und
Filmmaterial von ihr befunden hätten, in dem sie von den Rechtsradikalen
aufgrund ihres politischen Engagements verhöhnt worden sei. Das
grundgesetzlich geschützte Demonstrationsrecht sei dahingehend
auszulegen, dass sich die Teilnehmer nicht dem politischen Gegner und
dessen Repressalien auszuliefern hätten. Sonst bestehe die Gefahr, dass
politische Demonstrationen auf Dauer durch das systematische
Fotografieren in die Demonstrationszüge hinein unterbunden würden. Denn
die einzige Alternative sei dann das Fernbleiben von der Demonstration,
was eine erhebliche und unzumutbare Einschränkung des
Demonstrationsrechts darstelle.
Marteria
Marteria, Sonntag, 10. Oktober, 20.30 Uhr, Stadtgarten/Studio 672, Köln
RVR: Der große kleine Kommunalverband
Der 1920 als Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk gegründete Regionalverband Ruhr ist der größte Kommunalverband Deutschlands. Doch die Größe wird nicht in Politik umgesetzt.
Der Regionalverband Ruhr (RVR) ist ein Riese: 53 Städte und vier Landkreise liegen in seinem Bereich. Fünf Millionen Menschen, das gesamte Ruhrgebiet umfasst der RVR. Er ist der größte kommunale Waldbesitzer Deutschlands, betreibt Revierparks und Freibäder. Ihm gehört das immer dichter werdende Radnetz zwischen den Revierstädten. Auf seinen zahlreichen Halden drehen sich Windräder, leuchten Scheinwerfer in die Nacht und stehen Observatorien. Der RVR ist der Hauptträger der Kulturhauptstadt 2010 und seine Wirtschaftsförderung sorgt dafür, dass das Ruhrgebiet auf Messen wie der Internationalen Tourismus Börse (ITB) in Berlin oder der gerade beendeten Immobilienmesse Expo Real in München für sich werben kann.
Doch wer sich in München den Stand des Ruhrgebiets anschaute, der auch in diesem Jahr mit einer Standfläche von gut 800 Quadratmetern der größte der ganzen Messe ist, erkennt auf den ersten Blick das ganze Dilemma des RVR und des Ruhrgebiets.
Hier in München sollen jährlich internationale Investoren für die Region gewonnen werden. Büroprojekte werden vorgestellt, Industrieflächen angeboten, und das Revier zeigt, was es hat: Hochschulen, Häfen, Autobahnen – alles, was einen attraktiven Standort ausmacht. Doch wer wissen will, welche attraktiven Bürostandorte es im Ruhrgebiet gibt, muss sich an dutzenden von Ständen die Informationen mühselig zusammen suchen. Der Ruhrgebietsstand ist kein Ruhrgebietsstand – er tut nur so. Auf ihm haben die Städte und Kreise kleine Unterstände. Das ist schön für die Wirtschaftsförderer der Städte, die sich so auf wenigen Quadratmetern ihre eigene Wichtigkeit beweisen können, aber schlecht für Investoren. Die haben an dem Ruhrgebietsstand meist nur mäßiges Interesse. Richtig voll wird es nur, wenn kostenlos Currywurst gereicht wird.
Das Ruhrgebiet ist stolz auf seine Kooperationskultur, die sie mit Slogans wie „Kooperation aus Eigensinn“ bewirbt. Schaut man näher hin, bleibt von einer echten Zusammenarbeit wenig übrig. In seinem vor wenigen Wochen noch einmal aktualisierten Vorschlag für einen Ruhrplan stellt das Frankfurter Planungsbüro Albert Speer und Partner (AS&P) fest: „…die Region (gehört) ohne Zweifel zu den am dichtesten überplanten Räume Deutschlands (…)“. Der Großteil der gemeinsamen und zumeist mit viel Getöse der Öffentlichkeit vorgestellten Pläne seien aber, so die Frankfurter Planer, informell.
Ob das Konzept, bei dem sich die Region scheinbar auf wichtige Wirtschaftsförderungsprojekte geeinigt hat, oder der Regionale Flächennutzungsplan: Immer ist das gleiche Schema zu erkennen: Die Städte setzen sich an einen Tisch, jede nennt ihre Projekte und Pläne, am Ende werden sie unter einem imposanten Namen zusammengefasst und dem Land, der EU oder dem Bund überreicht, mit dem Ziel, öffentliche Mittel zu kassieren. Die Gemeinsamkeit besteht nicht in gemeinsamen Vorhaben sondern in dem gemeinschaftlichen Wunsch an das Geld der Steuerzahler zu gelangen.
All das soll sich in den kommenden Jahren ändern. Der Regionalverband Ruhr hat von der Regierung Rüttgers die Regionalplanung für das Ruhrgebiet zurückerhalten, die sie unter Rau in den 70er Jahren an die drei das Revier teilende Regierungsbezirke in Münster, Arnsberg und Düsseldorf abtreten musste.
Neues Personal an der Spitze des von einer Mehrheit von SPD und Grünen regierten Verbandes soll zudem dafür sorgen, dass nicht nur die Regionalplanung mit neuem Schwung vorangetrieben wird, sondern der Verband auch mit mehr Strahlkraft das Revier nach außen Vertritt. Einen personellen Komplettausfall wie den bisherigen RVR-Chef Heinz-Dieter Klink (SPD) an der Spitze sollte es nicht noch einmal geben. Klink, dessen Amtszeit im kommenden Jahr ausläuft, wurde 2005 vom damaligen Dortmunder OB Gerhard Langemeyer an die RVR-Spitze bugsiert. Der hatte kein Interesse an einem starken RVR und sah in Klink einen Garanten für die Schwäche der Ruhrgebietsinstitution. Klink erfüllte diese Erwartungshaltung. Unter ihm gab es kaum neue Ideen und Initiativen. Der RVR, der einst mit Kampagnen wie „Ein starkes Stück Deutschland“, der Idee zur Kulturhauptstadtbewerbung oder einer Initiative, die Olympischen Spiele ins Revier zu holen für Schlagzeilen sorgte, viel in einen tiefen Schlaf. SPD und Grüne haben den ehemaligen Eon-Personalvorstand Christoph Dänzer-Vanotti zum neuen Regionaldirektor vorgeschlagen. Er gilt als politisch unerfahren, allerdings weltläufiger im Auftritt als Klink.
Der bisherige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ruhrparlament des RVR, Martin Tönnes soll Chef der wichtigen Planungsabteilung werden, und der ehemalige Juso-Bundesvorsitzende Thomas Westphal Chef der Wirtschaftsförderung des Ruhrgebiets, die sich des imposanten Namens Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr erfreut.
Westphal war in den vergangenen Jahren als Geschäftsführer diverser Logistiikunternehmen vor allem in Süddeutschland tätig und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft. Für einen Wirtschaftsförderer, der eigentlich internationale Investoren vom Ruhrgebiet überzeugen soll, sicher ein eher ungewöhnliches Hobby. Doch da Wirtschaftsförderung im Ruhrgebiet nach wie vor vor allem die Jagd nach staatlichen Fördermitteln ist, könnte die intime Kenntnis sozialistischer Wirtschaftspolitik auch ein Vorteil sein. Mit der Idee des Marktes haben sich ohnehin viele Politiker des Reviers noch nicht angefreundet.
Schon die Bestimmung der drei auf ihre Posten erinnert an alte Tage sozialdemokratischer Alleinherrschaft im Ruhrgebiet: Die Namen waren vor dem Ablauf der Bewerbungsverfahren bekannt. Wer auf ein transparentes Verfahren zur Bestimmung der RVR-Spitzenleute gehofft hatte, wurde enttäuscht. Für Roland Mitschke, der CDU-Fraktionsvorsitzende im RVR, war das ganze Verfahren eine Farce: „Die SPD macht wieder was sie will, und die Grünen werden zu Steigbügelhaltern.“
Weder Westphal noch Dänzer-Vanotti standen für ein Gespräch zur Verfügung. Was sie vorhaben, bleibt also vorerst im Dunkeln.
Anders sieht es bei Martin Tönnes aus. Der Grünen Fraktionsvorsitzende und Mitarbeiter der Landtagsfraktion gilt als Planungsexperte – allerdings ohne jede Verwaltungs- und Führungsverantwortung.
Tönnes will sich bei der künftigen Regionalplanung an dem gemeinsamen Flächennutzungsplan orientieren, den sechs Städte des Reviers in den vergangenen Jahren erarbeitet haben. Keine gute Grundlage. Ein Gutachten renommierter Planungsexperten im Auftrag des Landeswirtschaftsministerium kam 2008 zu einem vernichtenden Ergebnis: „ Folglich kommt die Evaluierung zu dem eindeutigen Befund, dass das Instrument RFNP unter den nordrhein-westfälischen planungsrechtlichen Bedingungen sowie der gegebenen Raumstruktur die von Bundes- und Landesgesetzgeber mit seiner Einführung beabsichtigten Ziele weitgehend verfehlt. (…) Es findet keine verbesserte regionale Abstimmung der Siedlungsentwicklung statt, sondern diese wird vielmehr über das für regional bedeutsame Entscheidungen fatale Einstimmigkeitsprinzip und die absehbare Unverbindlichkeit vieler Planinhalte gefährdet.“
Das Ruhrgebiet ist wieder fest in der Hand sozialdemokratischer Oberbürgermeister. Die erfolglose Simulation von Kooperation werden sie weiter führen wollen – koste es, was es wolle.
Der Artikel erschien in in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag
Funny van Dannen
Funny van Dannen, Samstag, 9. Oktober, 19.30 Uhr, Kulturfabrik, Krefeld
Der Ruhrpilot
Ruhr2010: Kunst im Brauereiturm…Welt
Ruhr2010 II: Museum Ostwall eröffnet heute…Ruhr Nachrichten
NRW: Kraft zieht aus Stuttgart 21 Lehren für NRW…Der Westen
S21: Politische Brandstifter…Weissgarnix
Loveparade: Kein Image-Schaden für Duisburg…Der Westen
Loveparade II: Antworten stehen aus – FDP und CDU treten auf der Stelle…WN
Ruhrtriennale: Willy Decker zieht erfolgreiche Bilanz…Ruhr Nachrichten
Essen: 20 zu 10 Paukenschlag zur Blauen Stunde…Hometown Glory
Essen II: Pannen im Cinemaxx bei Facebook-Film…Pottblog
Bochum: Vorwürfe gegen OB und Kämmerer…Der Westen
Bochum II: Warum Ansgar Schwenken auf keinen Fall Nachfolger von Werner Altegoer im Aufsichtsrat des VfL Bochum werden darf…Pottblog
Dortmund: Thilo Sarrazin und das „Hassthema Steuern“…Der Westen
Umland: “Steck den Finger rein …”…Zoom
TV-Kritik: „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ startete auf RTL 2…heise
Computer: Mein aktueller Desktop…Querblog
Kommunikation: Das Werkzeug ist nicht das Medium…Kontextschmiede
Envio: PCB und PR

Der einseitige Pakt

Siemens hat mit seiner kürzlich versprochenen Beschäftigungsgarantie für alle Mitarbeiter viel Lob geerntet – doch nicht für jeden gilt der Pakt. Die Bochumer Siemens-Tochter Ruhrtal wird im kommenden Jahr geschlossen
Gregor Malten kann die Lobeshymnen auf seinen Arbeitgeber nicht fassen. „Ich wurde fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel“, sagt der Bochumer. Er ist bei der Ruhrtal AG beschäftigt, einer hundertprozentigen Tochter von Siemens. Der deutsche Elektro-Riese hatte erst Ende September einen unbefristeten Beschäftigungspakt für seine 128.000 in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter geschlossen. Die Firma verpflichtet sich darin, künftig bundesweit auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten und erhielt dafür viel öffentliches Lob. „Bei uns im Betrieb sieht die Realität aber anders aus“, sagt Malten.
Im Mai haben die rund 140 Mitarbeiter erfahren, dass ihr Werk geschlossen werden soll. Bislang wurden dort Geräte für Umspannwerke hergestellt, so genannte Trennschalter für die Oberleitungen von Stromnetzen. Vor knapp zehn Jahren hatte Siemens die Ruhrtal-Firma aus der Insolvenz aufgekauft. „Damals wurde uns garantiert, dass wir unsere Jobs alle behalten“, sagt Malten. Dann hieß es plötzlich , das Werk in der Revierstadt sei nicht mehr konkurrenzfähig. „Es gibt einen enormen Druck auf dem Weltmarkt“, sagte Siemens damals. Das liege vor allem an den ausbleibenden Investitionen der Energiekonzerne, hieß es. Deshalb sollte ein Teil der Produktion in das Siemens-Starkstromkompetenzzentrum in Berlin verlagert werden, ein anderer in das Niedriglohnland Türkei.
Damals galt der Beschäftigungspakt noch nicht, sagt Georg Lohmann, Sprecher der Siemens AG in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben den Mitarbeitern einen bunten Strauß an Möglichkeiten angeboten.“ Das Unternehmen habe beispielsweise eine Beschäftigungsgesellschaft gegründet, in der die Mitarbeiter noch bis Ende des Jahres eintreten können. Unabhängig davon würden „nicht wenige Mitarbeiter“ nach Berlin oder Istanbul wechseln oder sich auf andere Stellen bei Siemens bewerben. „Wir haben in Deutschland etwa 3000 offene Stellen“, so Lohmann. Allerdings werden vor allem Ingenieure gesucht, um die die Firma auch mit der Beschäftigungsgarantie gebuhlt hat. Die Ruhrtaler hingegen sind weniger nachgefragt – meist sind es einfache Handwerker, die es schwer haben auf dem Arbeitsmarkt.
„Auch ein Umzug nach Berlin ist für die meisten keine Alternative“, sagt Malten. Die Kollegen erwarteten Nachwuchs oder hätten sich ein Häuschen gebaut. Auch Ulrike Kleinebrahm bedauert, dass „wieder ein Werk in Bochum schließt“. Die Bevollmächtigte der IG Metall in Bochum hat schon viele menschliche Katastrophen im Ruhrpott miterlebt – das Aus für Nokia, die dauernde Bedrohung des Opelwerkes. „Siemens kümmert sich besser um seine Angestellten als viele andere Firmen“, sagt Kleinebrahm. Aber der Beschäftigungspakt sei dennoch als absolute Job-Garantie überbewertet worden. „Der Pakt hat seine Grenzen.“ Wenn ein ganzer Standort wie jetzt in Wattenscheid geschlossen würde, käme nicht jeder unter. „Die Ingenieure und Facharbeiter können sich die Stellen im Unternehmen aussuchen“, so Kleinebrahm. Aber die Sekretäre, Bürokräfte und Elektriker könnten leer ausgehen.
Malten ist untröstlich. „Vor drei Jahren haben wir Siemens aus der Patsche geholfen“, sagt er. Damals hätten er und sein Team viele Stunden umsonst gearbeitet, um das Werk zu retten. Jetzt stünden sie vor dem Nichts. „Der Pakt war in Bochum immer nur einseitig – die Mitarbeiter haben garantiert, unter allen Bedingungen weiterzuarbeiten.“