Gott wohnt in der Nordstadt – Ein Portrait von beiden

3,80 Euro für Pommesmayo, Currywurst, Cola. Wir sind im Herzen der Nordstadt. 55.000 Menschen wohnen in diesem Dortmunder Stadtteil, in dem sich prachtvolle Altbauten wie Perlen aneinanderreihen. Hier leben all die Abgehängten und Gestrandeten dieser Gesellschaft, die, denen Drogen und Alkohol durch den Tag helfen, die ohne Jobs und Geld, die Hälfte mit Migrationshintergrund. Und Gott, Boris Gott.

Der Musiker wohnt zurzeit am Hafen, einen Steinwurf vom PCB-Verseucher Envio entfernt. Die Nordstadt beginnt direkt hinter dem Hauptbahnhof, seit zehn Jahren ist Gott hier, gekommen aus Kehl am Rhein, dem Sauer- und dem Münsterland. 1977 haben seine Eltern sich scheiden lassen, da war er gerade fünf. Seine Mutter war damals eine der ersten Alleinerziehenden, sie lebten von Sozialhilfe, „Armut war für mich ziemlich präsent“, sagt er. Die Schattenseiten des Lebens sind bis heute sein Thema. Und so kam er wohl auch in die Nordstadt, der er viele seiner Lieder gewidmet hat. In „Bukowski-Land“ zum Beispiel reimt sich Bordsteinrand auf Nordstadtstrand. „Hier sind alle irgendwie fremd, und in dieser Fremdheit ist man wieder gleich“, beschreibt Gott das Lebensgefühl.

Sucht und Wahnsinn

Zunächst hat Boris Gott Diplompädagogik studiert, dann als Sozialarbeiter in einem Obdachlosenbrennpunkt in Ahlen gearbeitet. Später war er rechtlicher Betreuer in Mülheim. „Auch da hatte ich es mit Extremen zu tun, mit Leuten, die am Rand leben. Als Betreuer ist man von Sucht und Wahnsinn, von Demenz und von Armut umgeben“, erzählt er aus dieser Zeit. Gott und ich sitzen zunächst vorm Café Fink, direkt am Nordmarkt, einer der dunkelsten Seiten der Stadt. Das fällt jedoch nicht auf, weil die Sonne an diesem Spätsommertag auf die Menschen mit den Bierflaschen in der Hand scheint und noch die finstersten Ecken erhellt. Viele erhabene Häuserzeilen mit Gründerzeitflair schmücken die Straßen, viele saniert, viele nicht. Die Nordstadt ist das größte zusammenhängende Altbaugebiet der Region.

Seit einem Jahr gibt es das Café Fink, von der Straße aus erkennt man es nur an der roten Fassade. Kein Schild weist den Weg – dazu wäre ein Bauantrag nötig gewesen. Vor einigen Jahren gab es viele Kampfhunde auf dem Nordmarkt, heute kriegt man hier für kleines Geld Maultaschen auf schwarzen Gemüsegnocchis in Senfsauce. Dem Sänger gefällt die Stimmung in seinem Stadtteil: „Was woanders hinter verschlossenen Türen stattfindet, ist hier ganz offensichtlich. Im Grunde ist es ein harmonisches Miteinander, ich bin noch nie angemacht oder überfallen worden. Wenn die Leute hier Stress haben, dann untereinander in ihren Gruppen.“ Die Migrationsdebatte hält er vor allem für ein Medienproblem: „Man sieht immer nur entweder den türkischen Bollo-Gangsta-Rapper oder den toll integrierten Superaufsteiger.“

Überzeugter Spießer

Vor zwei Jahren hat Gott seinen Job an den Nagel gehängt und arbeitet seitdem hauptberuflich als Musiker. Einfach war die Entscheidung nicht. „Mit Musik Geld verdienen zu wollen, ist schon sehr idealistisch, und ich bin überzeugter Spießer“, erklärt er. Mittlerweile hat er sogar sein eigenes Label gegründet, Nordmarkt Records. Im November erscheint die neue Platte. Musikalisch ist er Autodidakt, spielt und singt, seit er vierzehn ist. Herausgekommen sind dabei so Zeilen wie die im Stück „Irgendwo in DO“: „Ein Penner krakeelt, grad ist Gott explodiert. Wenn das stimmt, wird das kein guter Tag.“ Apropos Gott. Es ist ein Künstlername, und Boris ist nicht der uneheliche Sohn von Karel Gott, der heißt nämlich wirklich so, fast zumindest. Trotzdem sagt er: „Karel Gott hat mich durchaus beeinflusst, Biene Maja fand ich damals großartig.“

Ein gewisser Schlagereinfluss lässt sich nicht verhehlen. Meine allererste Assoziation war ein Mix aus Stephan Sulke und Rio Reiser. Der Vergleich freut den Musiker, er summt „Uschi, mach kein Quatsch“. Selbst nennt er seine Musik Folkpop mit Ü 30-Blues, wahlweise Ruhrpottpop. Die eingängigen Melodien bringen auch seriöse Ü 60-Damen zum begeisterten Mitklatschen, gleichzeitig kichern sie bei mancher Textzeile verlegen. Beim bodo-Jubiläum letztens selbst gesehen.

Arbeiter- und Straßenstrich

Wir fahren ein Stück mit dem Auto. Direkt an den Nordmarkt grenzt die Schleswiger Straße, bekannt für den bulgarischen Arbeiterstrich. Dunkelhaarige Männer jeden Alters stehen hier vor den Häusern und warten auf Arbeit. Tagelöhner, die zur türkischsprachigen Minderheit in Bulgarien gehören. Für ein paar Euro am Tag entrümpeln sie Wohnungen, schleppen Steine, übernehmen Hilfsarbeiten. Oft haben sie keine eigene Wohnung, sondern teilen sich die Betten, schlafen in Schichten wie zur Zeit der Industrialisierung. Manche übernachten in den Autos, die vor den Häusern parken.

Weiter geht es, überall Gewusel, viele Menschen, viel Verkehr, vorbei am Baumarkt. Hinter Hornbach beginnt der Straßenstrich. Stark geschminkte, langbeinige Frauen in sehr engen Leggins auf sehr hohen Schuhen sind auf dem Weg zur Arbeit. Der Straßenstrich an der Bornstraße grenzt im Westen an das riesige Gelände der Westfalenhütte, deren Fläche etwa dreimal so groß ist wie das der Dortmunder Innenstadt. 25.000 stolze Hoeschianer haben in der Hochphase hier gearbeitet, heute sind es noch 1.300. Ein Viertel der Menschen im Stadtteil hat keine Arbeit.

Pommes Rot-Weiß


Dann kommen wir zur Pommesbude am Borsigplatz. Sie bietet nicht nur unschlagbare Preise, sondern auch echte Dortmunder Tradition. Genau hier war früher der „Wildschütz“, die Kneipe, in der 1909 der BVB gegründet wurde. Heute heißt der Laden „Pommes Rot-Weiß“ und drinnen hängen viele Erinnerungen an Schwarz-Gelb. Herbert Grönemeyer ist mit seiner Bochum-Hymne und der häufig widerlegten Behauptung, der VfL mache mit seinem Doppelpass jeden Gegner nass, reich und berühmt geworden. Gott winkt ab, er interessiert sich nicht für Fußball und möchte dem örtlichen Ballsportverein kein Lied widmen.

Weiter zum Hafen. Trotz des Spätsommertages weht der Wind nordseegleich. 1899 löschte hier der erste Dampfer seine Fracht, gebaut worden war der Hafen für die Montanindustrie. Eisenerz wurde importiert, Kohle exportiert. Heute hat die Logistik das Ruder übernommen, ungezählte Container stapeln sich im Hafen, Waren werden aus aller Welt und in alle Welt verteilt. Viel Importkohle wird umgeschlagen. Boris Gott mag den Hafen, geht gern hier spazieren.


Unfreiwillig hip

An den Hafen schließt sich der Fredenbaumpark an. Er gehört zu den großen Parkanlagen der Stadt und grenzt direkt an den Dortmund-Ems-Kanal. Da ist er also, der Nordstadtstrand. „Im Sommer kann man hier super schwimmen gehen, das wissen viele Leute gar nicht“, erzählt der Sänger. Gott ist damals zufällig in der Nordstadt gelandet, aber „es war Liebe auf den ersten Blick. Schicksal.“ Was er noch an seinem Stadtteil mag: „Die Leute hier sind unfreiwillig hip geworden, weil die Achtziger zurückgekommen sind und sie immer noch die Klamotten aus den Achtzigern tragen.“

Licht und Schatten, Schwarz und Weiß, das sind seine Themen, ganz persönlich und auch in seiner Musik. Er mag die Extreme, sieht den Stadtteil als Metapher für das Leben an sich. Auf der Bühne trägt er ein schwarzes Hemd und eine weiße Weste, weiße Schuhe. Sein „Ruhrpott-Dreikampf“ führte den Musiker von der Kneipe in die Pommesbude zum Arbeitsamt. Er spielte an jeweils zwanzig Orten, zuletzt am 1. Mai bei der „Hartz IV Tour Ruhr 2010“ vor zwanzig Arbeitsämtern.


Im November erscheint die neue CD mit dem Titel „Es ist nicht leicht ein Mensch zu sein“. Da gehts um den „Bahnhofs-Blues“, der ähnliche Hitqualitäten hat wie seinerzeit „RTL & Rohypnol“, um „Sonnenschein“ und „Niemandsland“. Manchmal verlässt Gott das Ruhrgebiet und ist „Nackt in Brunsbüttel“.

Wir fahren zurück, vom Kanalufer wieder mittenrein, ins dunkle Herz des Ruhrgebiets. Wie heißt es bei Gott? „Heute ist ein schöner Tag, hier im Norden meiner Stadt. Junkies leuchten, Mütter schreien, es ist schön hier zu sein.“

(Alle Fotos: Barbara Underberg)

Der Ruhrpilot

Kohle: Konflikt zwischen Grünen in NRW und Bund…RP Online

Kohle II: „Ausstieg nicht im Sturzflug“…FR Online

Unis: Bildungs-Protest-Perspektiven-Treffen…Bo Alternativ

Kultur: Weltmusik aus dem Kolenpott…Hometown Glory

Ruhrgebiet: Ein Kumpel als Diktator…taz

Dortmund: Rechter Mörder aus Haft entlassen…S4

Bochum: Rasanter „Sturm“ voller Effekte und Bilder…Ruhr Nachrichten

Essen: 35.000 Besucher beim Zechenfest auf Zollverein…Der Westen

Duisburg: OB Sauerland–ein selbstinszeniertes Opfer ?…Xtranews

WM 2010: Deutschland gegen Polen…Exportabel

Events: dmexco, reVierphone, OMClub…Pottblog

Wissen: Kennt jemand die Bedeutung der unteren Skala auf diesem Winkelmessgerät?…Zoom

Gute Gründe für den Glauben

Christuskirchen Foto: Ayla Wessel/Kulturagentür

Aller Aufwand erwies sich letztlich als vergebene Liebesmüh: die groß angelegte Langzeit- und Querschnittsstudie konnte die Existenz Gottes nicht beweisen. Von unserem Gastautor Werner Jurga.

Auch für ein Leben nach dem Tode konnte kein zweifelsfreier Nachweis erbracht werden. Zahlreiche Indizien ergaben sich jedoch zur Stützung der Hypothese von der Reinkarnation. Die vielen Zeugnisse deuten jedoch darauf hin, dass ausschließlich Menschen höherer Stände in den Genuss einer Wiedergeburt kommen, während für Angehörige des Fußvolkes mit dem letzten Atemzug definitiv Feierabend zu sein scheint. So konnten viele Interviewpartner davon berichten, im Vorleben Kaiser, König, Prinzessin oder Courtisane gewesen zu sein, wohingegen das Forscherteam auf der Suche nach ehemaligen Stallknechten, Waschfrauen oder an von einer Kinderkrankheit hinweg gerafften Straßenkindern nicht fündig geworden ist.

„Ich denke, also bin ich“. Wie kein anderer Satz markiert eben dieser den Beginn der Aufklärung. „Cogito ergo sum” – das war der Beweis. Ergo: das Cogito war der Beweis für das Sum. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Diesem Satz folgt ein seitenlanges Traktat Descartes´, mit dem der Universalgelehrte beabsichtigte, die Existenz Gottes zu beweisen. Diese Absicht ging gründlich in die Hose, die ganze Schrift ist nicht weiter erwähnenswert, ein einziger Unfug. Okay, auch ein Descartes hat mal seine schlechten Tage. Wie wir alle, wenn wir uns Dinge vornehmen, die nicht menschenmöglich sind. Wenn man Gott wäre, vielleicht … – so aber, als Normalsterblicher kann das einfach nicht gut gehen: die Existenz Gottes beweisen. Mal ehrlich: wenn Sie Gott wären, würden Sie dann einer von Ihnen geschaffenen Kreatur erlauben, Ihr Dasein wissenschaftlich zu beweisen?! Na also!

Descartes´ Gottesbeweis: einfach lächerlich. Aber egal: der erste Satz war der Bringer. „Ich denke, also bin ich“ kennt jeder, ein echter Hit. Evergreen. Etwas idealistisch, zugegeben. „Ich bin, also denke ich“ wäre mir plausibler vorgekommen. Aber wir sind halt alle Kinder unserer Zeit. Wir sind aufgeklärt, meinen wir. Descartes leitete die Epoche der Aufklärung ein. Klar: wenn man schon meint, die Existenz Gottes beweisen zu müssen, ist es um selbige schlecht bestellt. Nicht nur, dass man bis dato davon ausgegangen ist, dass sie sich von selbst verstehe. Sondern auch die von Descartes vermutlich nicht bedachte Implikation: heute beweist einer, dass es Gott gibt. Morgen kommt der nächste und beweist das Gegenteil. Übermorgen stellt jemand fest, dass Gott eine Frau ist. Armer Gott!

Nach dem gegenwärtig allgemein anerkannten Schöpfungsmythos stellt ein Urknall den Anfang aller Dinge dar. Gegenüber dem lieben Gott hat die Theorie des Urknalls den unbestreitbaren Vorteil, dass sie zu beweisen ist. Und tatsächlich: sie ist bewiesen. Es hat nachweislich geknallt. Man kann heute noch, wenn man entsprechende Instrumente zur Hand hat, das Rauschen hören. Damit ist die Angelegenheit empirisch belegt. Auch theoretisch erweist sich der Urknall als gut belastbar. Zumindest für die Phase vom Knall bis heute, die Zeit davor – so haben es die Physiker festgelegt – ist „nicht definiert“. „Nicht definiert“, Ende, Aus. Tja, es ist schon geil, wenn man die Definitionsmacht hat.

Fest steht: es hat urig geknallt. Wir wissen halt bloß noch nicht, wo und vor allem warum. Es knallt ja nicht einfach so; es muss doch einen Grund geben, warum es „auf einmal“ so – ich möchte fast sagen: nachhaltig – geknallt hat. Da Sie mir ohnehin nicht glauben würden, wenn ich behauptete, dass es daran gelegen habe, dass der liebe Gott gerade mit Streichhölzern gespielt habe, schlage ich vor, wir einigen uns darauf, dass kein metaphysischer, sondern ein ganz „natürlicher“, also physischer Grund für den Big Bang vorliegen dürfte. In Kürze werden die Physiker auch dieses Rätsel entschlüsselt haben.

Damit wäre dann wirklich das letzte Rätsel entschlüsselt, wenn wir davon absehen, dass es freilich auch für den Auslöser des Urknalls eine Ursache geben muss. Und auch dafür wieder einen Auslöser, eine Ursache, einen Grund. Und so weiter und so fort. Ein Regressum ad infinitum. Unendlichkeit am Anfang, sprich: Anfangslosigkeit. Beweist dies irgendetwas? – Ja. Die Welt / das Universum ist prinzipiell erkennbar, und wir werden die Welt letztlich nicht erkennen können. Denn jede beantwortete Frage wird eine Reihe neuer Fragen auf. Lenin hat Recht, der liebe Gott aber auch. Auch der kritische Rationalist, der sich jenseits leninistischer Ideologen und verbohrter Moraltheologen wähnt, muss damit irgendwie zurecht kommen.

Was bleibt, ist die Ethik. Aber wo kommt die nun wieder her? Fest steht, dass diejenigen, die sich schwerer Verstöße gegen die Ethik schuldig gemacht haben, keinen Monopolanspruch auf Ethik erheben können. Damit sind wir aber bei der Beantwortung der Frage, wo denn wohl die Ethik herkomme, keinen Schritt weiter. Ethik aus einer dem Menschen vermeintlich innewohnenden Vernunft herzuleiten, erscheint abwegig. Einerseits sind Geschichte und Gegenwart voll von Beispielen unethischen – insofern also unvernünftigen – Verhaltens. Zweitens könnte ich etliche Beispiele dafür anführen, dass das – ethisch kaum vertretbare – Ausschalten unliebsamer Konkurrenten ein hohes Maß an Rationalität aufweist. Wer an die Allmacht der Vernunft glaubt, braucht kein Strafgesetzbuch.

Die eingangs erwähnte, groß angelegte Langzeit- und Querschnittsstudie über die Religiosität ist nicht völlig ergebnisfrei abgeschlossen worden. Vielmehr konnte sie nachweisen, dass Menschen, die an Gott glauben, zufriedener, gesünder und auch – am einfachsten zu quantifizieren – länger leben. Ein, wie ich finde, guter Grund, an Gott zu glauben. Das Blöde ist: die Sache funktioniert nur, wenn man auch wirklich an Gott glaubt, und nicht einfach nur so tut, als ob. Man weiß nicht warum. Ob es daran liegt, dass der liebe Gott alles sieht? Oder an bislang unerforschten psycho-neuro-immunologischen Abläufen? Wie gesagt: man weiß es nicht. Dennoch: man muss wirklich glauben und nicht nur so tun, als ob. Scheiße! Wie soll man das denn bloß machen. Das scheint mir ja ein ganz schönes Arschloch zu sein, dieser Gott.

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Kollosaler Nazibau: Die Kongreßhalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände Nürnberg

50.000 Nazis auf einmal erschlagen? Das hätten diese beinahe selbst zustande gebracht, als sie das Kolloseum in Rom mit einem monströsen Bau in Nürnberg noch übertrumpfen wollten.

P1030041crDie Dutzendteiche in Nürnberg waren eigentlich seit dem Mittelalter ein Wasserspeicher, aus dem Stadt und Fabriken versorgt wurden, und ein Naherholungsgelände, um eine Vokabel der 70er wieder aufzugreifen, mit Volksfest und Tiergarten.

Bis in den 30ern die Nazis an die Macht kamen. Da hatte das Vergnügen nun dem Aufmarsch und dem Blick auf den Führer zu weichen. Der Tierpark, ein Leuchtturm (!) und ein Teil der Teiche verschwanden.

P1030043crDas Zeppelinfeld im ehemaligen Nürnberger Reichsparteitaggelände kennt man, auf dem zuvor ebenjene Luftschiffe landeten. Hitler ließ dort stattdessen SA, SS, Wehrmacht & Co. aufmarschieren. Die Amerikaner nutzten das Gelände nach 1945 dann für etwas ganz anderes, nämlich als soldier field. Heute finden unter anderem Rockkkonzerte auf dem Betonfeld statt, ansonsten wird der ehemalige Park nun als Park-Platz genutzt.

P1030044crWeniger bekannt ist die Kongreßhalle. Auch für diese wurden KZ-Zwangsarbeiter zu Tode geschunden und Unmengen Stein angeschleppt. Sie sollte größer und eindrucksvoller als das Kolloseum in Rom werden – eine 70 m hohe Versammlungshalle für 50.000 Parteimitglieder. Damit diese nicht im Regen stehen, sollte sie von einem Flachdach von 175 x 155 m überdeckt werden – freitragend, ohne Stützsäulen.

P1030045crDoch dann ging den Nazis das Geld aus – es entstand nur ein 39 m hoher Torso ohne Dach. Das allerdings hätte ohnehin nie gehalten – eine solche Größe ist freitragend auch mit modernen Materialien nicht als Stein-Flachdach realiserbar: Das Vorbild, das Kolloseum in Rom, hatte Zelttuch verwendet.

Heute ist das gesamte Gelände frei zu besichtigen, nur in einem Teil des Kongreßhallen-Torsos sind Lagerräume und Büros untergebracht. Auch die Kongreßhalle huldigt heute einem anderen Kult: dem Automobil – auch sie wird als Parkplatz genutzt.

Aber es wäre eine Ironie der Geschichte geworden, wenn auf diese Art den selbsternannten nazi-germanischen Göttern der Himmel auf den Kopf gefallen wäre…

(Alle Bilder: Jo Frank)

Drei Probleme und die neue Kassierer CD

Heute möchte ich die neue Kassierer CD vorstellen. Das stellt mich vor genau drei Probleme. Grund genug für eine Nabelschau.

Es gibt viele Dinge, die ich nicht kann. Das Schreiben von CD-Kritiken kommt dazu. Perik hat mich in all den gemeinsamen Jahren beim Marabo nur zwei Platten besprechen lassen. Und er hatte gute Gründe dafür. Viel mehr als toll oder öde fällt mir nicht ein. Musik zu hören ist für mich etwas ganz persönliches und die Geschichten, die ich mit der Musik verbinde sind oft so privat, dass ich nicht daran denke, sie aufzuschreiben. Ein abstrakter, kritischer Blick auf Musik ist mir fremd. Keinerlei Sachkenntnis trübt meinen Blick.

Und dann die Kassierer. ich mah Wolfgang Wendland und wenn wir uns mal im Intershop sehen trinken wir ein paar Bier. Es macht Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Er ist klug und strahlt, wie viele wohlbeleibte Menschen, zudem eine Ruhe und Behaglichkeit aus, die mir sympathisch ist.

Als mich Wolfgang fragte, ob ich die neue Kassierer CD bei den Ruhrbaronen vorstellen will sagte ich sofort ja. Dann erst fiel mir ein, dass ich die Musik der Kassierer nicht mag. Ich weiß, viele meiner Freunde mögen sie. Ich mag die Haltung der Kassierer, ihre Lässigkeit, ihre Bösartigkeit und ihren Hang zum Exhibitionismus. Alles klasse. Aber es ist nicht meine  Musik. Und hören konnte ich die CD auch nicht, weil mein Gutscheincode nicht funktionierte. Ich hätte die Kritik sowie versemmelt. Und das will ich nicht, weil ich nicht will, dass mich Wolfgang doof findet. Also: Die neue Kassierer CD ist da. Die Kassierer sind eine der erfolgreichsten Punk-Bands Deutschlands. Ihre Konzerte sind legendär. Sie haben Haltung. Sind Konsequent. Und hier ist die sehr schöne Pressemeldung zu der neuen Kassierer CD mit dem Namen Physik.

Das Album „Physik“ erscheint zum 25jährigen Bandjubiläum der Kassierer aus Wattenscheid. Wie der für ein Punk-Album ungewöhnliche Titel andeutet, geht die musikalische Reise der Kassierer dieses Mal in Richtung Wissenschaft. Das Album verbindet in noch nicht dagewesener innovativer Weise die Themenkreise Quantenphysik, Astronomie und Kot – wobei auch die kassierertypischen Anliegen Saufen und Geschlechtsverkehr nicht zu kurz kommen.

Musikalisch ist das Album noch ausgereifter und abwechslungsreicher als die letzte Scheibe „Männer, Bomben, Satelliten“, die mittlerweile sieben Jahre zurückliegt.

Zu Beginn knüppelt ein Drill Instructor auf den überraschten Zuhörer ein und stimmt ein Loblied auf Wölfi ein – garantiert die nächste Hymne für’s Stadion.

Punkmäßig wird dem Alkohol gehuldigt und er in eine logische Reihe der großen Menschheitserfindungen eingereiht. Obskure Zimmer tauchen auf bei „Ich fick dich durch die ganze Wohnung“, und in jedem dieser Zimmer kann man und frau herrlichen Sex haben.

Melancholisch wird es beim „Zitronenhai“ einem balladenhaften Werk, welches vomvon einem Zitherorchester begleitet wird, dessen betagte Mitglieder mit wahrem Spieleifer dabei sind. Auch lernt der geneigte Hörer, dass Sänger Wölfi rückwärts sprechen und singen kann, eine ganz erstaunliche Darbietung.

Wer nach einem Song über das bisher vernachlässigte Thema Niesen sucht, wird fündig und kann im Selbstversuch probieren, ob es gelingt, „Scharlatan“ laut zu niesen. Erinnerungen an Kraftwerk steigen auf, wenn die Kassierer die schlimmste Substanz des Universums besingen. Was könnte das sein? Richtig, es ist von Kot die Rede.

Alle Kinder, die mit dem Werk „Weihnachtsbäckerei“ groß wurden, sollten sich unbedingt informieren, wie eine Punkband dieses Lied genial verfremdet hat.

Der Skakracher „Ich war ein Spinner – doch jetzt bin ich seriös“ wirft die Frage auf, wie viel Autobiographisches in diesem Album enthalten ist.

Wir werden es – und das ist jetzt wieder typisch Kassierer – wahrscheinlich nie erfahren. Ständig wird man bei „Physik“ in ein Wechselbad von Erwartungen, Stimmungen, musikalischen Stilen und unerwarteten Wendungen geworfen, das jede Menge Spaß macht, verblüfft und oft Staunen macht. Was die Songs der Kassierer stets ausgemacht hat, ist ein geniales, jeder Konventionalität entzogenes Songwriting, das so von keiner anderen deutschen Band erreicht wird. Dieses Prinzip der absurden Kombination von Musikstilen und hirnverdrehenden Texten ist bei „Physik“ auf den Höhepunkt gebracht worden.

Kassierer-Tour:

30. 9. 2010 Hamburg – Markthalle
1. 10. 2010 Berlin – Astra
2. 10. 2010 Chemnitz – AJZ
8. 10. 2010 München – Backstage
9. 10 .2010 Wien – Arena
19.11.2010 Stuttgart – Zapata
20. 11. 2010 Kassel – Spot
11.12.2010 Köln – Essigfabrik
26.12.2010 Münster – Sputnikhalle
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Der Ruhrpilot

NRW: Rot-Grüne Landesregierung will Integrationsgesetz…Kölner Nachrichten

NRW II: Kraft erstmals im Bundesrat…RP Online

Dortmund: Die 10. Museumsnacht…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Befürchtungen der Envio-Mitarbeiter werden wahr…Der Westen

Dortmund III: Gift, Geld, Gier – Envio und die kriminellen Kasachen…Der Westen

Bochum: „Candide“ in Bochum – das fängt ja gut an…Der Westen

Herne: Streit um Dezernenten-Posten…Der Westen

Duisburg: Es hat sich ausgeschwiegen…Mimi Müller

Oberhausen: Apple-Store eröffnet…Pottblog

Umland: Der Hamburger Haushalt und das Elend der Kultur…Zoom

Umland II: Hamburg…Wirres

Medien: “Printmedien sind und bleiben für die Demokratie unverzichtbar”…Carta

Mehr Geld für die Städte ist das falsche Signal

Die Landesregierung vermindert den finanziellen Druck der Städte. Das mindert den Zwang zur innovation und festigt überkommene Strukturen und Pläne.

Ja, die Städte im Ruhrgebiet sind arm. Und sie sind daran nicht alleine Schuld. Das Kommunen im Revier den Aufbau-Ost finanzieren müssen ist Unsinnig. Aber Unsinnig sind auch die Strukturen im Ruhrgebiet, die sich nur durch finanziellen Druck aufbrechen lassen. Auf Einsicht und Verständigung zu hoffen, habe ich längst aufgegeben.

Was werden die Städte machen, wenn sie wieder einen größeren finanziellen Spielraum haben? Sie werden, wie Bochum, versuchen sinnlose Prestigeprojekte wie das Konzerthaus zu realisieren. Sie werden auf Leuchttürme und Landmarken setzen und aufhören darüber nachzudenken, Ämter zusammen zu legen.

Je mehr Geld, je weniger Kooperation – das ist die einfache Formel und die Politik der Landesregierung setzt auf die starken Städte und die ach so beeindruckenden OBs der Region, von denen die meisten ja ein SPD-Parteibuch habe. Auf die Entwicklung zukunftsfähiger Kooperationen setzt sie nicht. Es war Christa Thoben (CDU), die die Städte dazu zwang, bei geförderten Maßnahmen zusammen zu arbeiten. OK, was daraus kam war meist Kooperation auf dem kleinsten, gemeinsamen Nenner,. Aber deswegen war diese Politik nicht falsch – nur der Druck war nicht groß genung.

An 53 Orten im Ruhrgebiet  dürfen Politiker und Verwaltungsleute Stadt spielen. In den meisten Fällen tun sie das nicht gerade erfolgreich. Das Ruhrgebiet verliert an Einwohnern, die Arbeitslosigkeit ist hoch, noch nicht einmal zu einem vernünftigen Nahverkehr reicht es.  Stadt spielen ist ein teures Spiel. Dank der Landesregierung kann es jetzt weiter gespielt werden. Anders wäre besser.