Die Stadt Bochum wollte den liberalen Rabbiner Moshe Navon nach Israel abschieben. Der Grund: Im Moment braucht er staatliche Unterstützung, um über die Runden zu kommen. Dass sich das bald ändert, interessierte die Stadt nicht. Nun wird er wenigstens für die Dauer des Eillverfahrens in der Stadt geduldet.
Eigentlich ist Moshe Navon ein ausgeglichener und unaufgeregter Mensch. Doch seitdem die Ausländerbehörde der Stadt Bochum ihm mitgeteilt hat, dass er und seine Familie Deutschland bis Ende August verlassen müssen, ist es mit der Ruhe des Reformrabbiners vorbei. Die Behörde sieht die Sicherung seines Lebensunterhalts und den seiner Frau sowie ihrer vier schulpflichtigen Kinder nicht gewährleistet. Es droht die Abschiebung nach Israel.
»Seit Wochen kann ich an nichts anderes denken«, sagt Navon und geht aufgeregt in seiner Wohnung in der Bochumer Innenstadt auf und ab. »Wir leben gerne in Deutschland und möchten unbedingt bleiben und hier das liberale Judentum stärken.« Um dieses Ziel zu erreichen, hat er nun Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht. Er hofft, dass das Gericht ihm ermöglicht, beruflich weiter in Deutschland Fuß fassen zu können. Seit August 2009 bezieht der in der Sowjetunion Aufgewachsene Arbeitslosengeld.
PERSPEKTIVEN Grund zur Hoffnung gibt ihm die Einschätzung seiner Anwältin Annette Kärger-Steinhoff. »Die beruflichen Perspektiven der Eheleute Navon sind durchaus vielversprechend«, sagt sie und verweist darauf, dass Navons Frau gerade eine Beschäftigung als Tagesmutter auf 400-Euro-Basis gefunden hat. Moshe Navon selbst hat für das kommende Wintersemester drei Lehraufträge im Umfang von insgesamt acht Wochenstunden sicher. Der in Jerusalem promovierte Rabbiner soll an der Ruhr-Universität Bochum, der Evangelischen Fachhochschule Bochum sowie am Jüdischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf die Geschichte des Judentums lehren. Darüber hinaus ist er im Laufe der vergangenen zwei Jahre für die liberalen Gemeinden Unna, Oberhausen und Bad Pyrmont unverzichtbar geworden. Seit 2008 hält er dort regelmäßig Gottesdienste ab und wird dafür vom Zentralrat vergütet.
Doch auch wenn Navons und die Einnahmen seiner Frau nicht für den Lebensunterhalt ausreichen sollten, gelte es für das Gericht noch einen anderen Aspekt zu berücksichtigen, meint Kärger-Steinhoff. »Die Arbeit von Moshe Navon liegt im öffentlichen Interesse, denn sie trägt in hohem Maße zur Wiederbelebung des christlich-jüdischen Dialogs bei.« Und dass dieser Dialog floriere, zeige schon die Tatsache, dass sich Universitätsdozenten, Pfarrer, Lehrer und Studenten, zusammen 40 Personen, für den Rabbiner starkmachen. »Nicht zuletzt auch deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass unsere Klage Erfolg haben wird«, sagt die Anwältin.
Alles andere als optimistisch schätzt Barbara Gottschlich, Sprecherin der Stadt Bochum, die Lage ein. Auf Anfrage sagte sie der Jüdischen Allgemeinen, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Urteil Navons Aufenthaltsgenehmigung ausschließlich dann verlängern könne, wenn er nicht weiterhin auf finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen sei. Dieses Kriterium müsse er erfüllen, denn für Nicht-EU-Bürger wie ihn sei dies eine Bedingung für das Bleiberecht. Für die Dauer des Eilverfahrens hat die Stadt nun eine Duldung ausgesprochen. Solange das Eilverfahren am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen anhängig ist, kann Navon bleiben. Entscheidet das Gericht gegen ihn, muss er gehen.
Jan Mühlstein, dem Vorsitzenden der Union progressiver Juden in Deutschland, würde Navon gerne helfen, doch auch ihm sind die Hände gebunden. Zurzeit sei es den liberalen Gemeinden aus finanziellen Gründen nicht möglich, ihn als Rabbiner fest einzustellen. Das werde sich zwar spätestens 2013, wenn der Staatsvertrag mit dem Zentralrat verlängert werde, ändern, doch so viel Zeit hat Navon nicht. Die juristischen Anforderungen wird er bis Ende August wohl nicht erfüllen können. Er hofft dennoch, dass das Gericht seine Bemühungen anerkennt. Denn nach Israel zurückzukehren, wäre für ihn finanziell gesehen »eine Katastrophe«.