Die Stadt Duisburg hat einen Bericht zur Loveparade-Katastrophe veröffentlicht. Die Quintessenz: Die Stadt hat im Vorfeld der Loveparade einen guten Job gemacht. Für die Sicherheit auf dem Gelände und in dessen Umfeld seien Polizei und Veranstalter verantwortlich gewesen.
Die Stadt Duisburg hat heute auf ihrer Internetseite einen 32seitigen Bericht der Anwaltskanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek veröffentlicht – den sie selbst in Auftrag gegeben hat. Wir haben bei der Stadt und Heuking nachgefragt, was der Bericht gekostet hat. Heuking will sich dazu nicht äussern. Wenn wir die Information von der Stadt erhalten, werden wir sie sofort in den Artikel einpflegen.
Der Bericht belastet den Loveparade-Verantstalter Lopavent und die Polizei: Die hätte beispielsweise durch parkende Wagen Fluchtwege verkleinert. Lopavent soll sich nicht an Auflagen gehalten haben.Schlecht weg kommt auch der Gutachter der Stadt, Prof. Schreckenberg. Der hat das Gesamtkonzept von Lopavent als „gut“ bezeichnet. Der Bericht ist gut für die Stadt: „Die Stadt Duisburg hatte keine allgemeine oder gar übergeordnete Zuständigkeit für die Sicherheit der der gesamten Veranstaltung.“
Der Heuking-Bericht arbeitet formal die Verfahren der Stadt ab und kann keine Mängel erkennen. Fehler haben nur die anderen gemacht.
Das es innerhalb der Verwaltung Kritik an dem Loveparade-Konzept gab, wird ignoriert. Auch die Frage der politischen Verantwortung wird nicht gestellt. Duisburg hat für sein Geld einen weitgehend überraschungsfreien Bericht bekommen, der die Stadt und den OB gut aussehen lässt. Bezahlt von den Steuergeldern der Duisburger Bürger, die Aufklärung und die Übernahme politischer Verantwortung wünschen.
Am 25. Juli haben wir geschrieben, dass die Vertuschungsgefahr Grund genug für den Rücktritt (nicht nur) von OB Adolf Sauerland ist. Der Heuking-Bericht zeigt, dass Sauerland sein Amt zu nutzen weiß, um sich selbst reinzuwaschen. Er hat den Zugriff auf die Akten, er kann bestimmen wie sie interpretiert werden. Und Sauerland nutzt seine Chance. Aufklärung geht anders. Sie geht gegen die Stadt, gegen Sauerland und gegen Lopavent. Vielleicht auch gegen die Duisburger Polizei. Das alles werden wir nach dem Abschluss der Ermittlungen wissen.
Der Geiger Eugene Drucker hat einen beeindruckenden Roman über Schuld und die Liebe zur Musik geschrieben.
Eugene Drucker hat im Laufe seiner Karriere als Musiker eine Vielzahl von Erfolgen gefeiert. Auf der ganzen Welt wird er für seine Kunst geschätzt und hat mit dem von ihm gegründeten »Emerson String Quartet« mittlerweile neun Grammy-Awards gewonnen. Doch von Hochmut keine Spur: Vielmehr legt der 1952 in New York geborene Musiker großen Wert auf die Feststellung, dass er zu jenen Künstlern gehört, die ein Leben lang mit sich und ihrer Kunst kämpfen, um die in ihnen angelegten Möglichkeiten gänzlich auszuschöpfen.
Wo Anderen ihr Talent regelrecht zuzufliegen scheint, hat Drucker jeden seiner Erfolge durch konsequente Arbeit erzwingen müssen. Sein Debütroman aber ist dann doch ein extremer Fall von künstlerischer Hartnäckigkeit. Mehr als dreieinhalb Jahrzehnte hat er an der „Wintersonate“ gearbeitet und alles in allem elf verschiedene Versionen verfasst.
Dass es sich zuweilen also lohnen kann, ein Ziel mit, nun ja, großer Beharrlichkeit zu verfolgen, dafür ist Druckers Roman der beste Beweis. Denn ihm ist ein herausragendes Werk gelungen, das in seiner Eindringlichkeit an Klassiker der Holocaust-Literatur wie Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ oder Louis Begleys „Lügen in Zeiten des Krieges“ heranreicht. Drucker verknüpft gekonnt die fiktive Geschichte des jungen deutschen Geigers Burkhard Keller mit Teilen der Biografie seines Vaters. Dieser war Konzertmeister im Orchester des Jüdischen Kulturbunds in Frankfurt und Berlin, bis er 1938 in die USA emigrierte. Und auch im Roman kann Kellers jüdischer Freund Ernst gerade noch rechtzeitig nach England fliehen.
Keller selbst erhält in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs von einem Offizier den Auftrag, vor verwundeten Soldaten zu spielen. Der Kriegsdienstuntaugliche soll ihnen »Würde und den letzten Tagen ihres Lebens irgendwie einen Sinn verleihen«. Doch statt der von ihm geliebten Bach-Kantaten fordert sein Publikum primitive Kampflieder. All das ist dem sensiblen Schöngeist eine Qual.
Er sieht sich selbst nicht als Nazi, denkt oft an Alina, eine Jüdin, die er einmal geliebt hat. Doch als Mitläufer, der er ist, zieht er sich in die innere Immigration zurück und tut ansonsten, wie ihm geheißen. Als er wenig später in ein Vernichtungslager gebracht wird und sich bei dessen skrupellosen Kommandanten vorstellt, wird er Teil eines perfiden Experiments: Er soll den zu Tode verurteilten Lagerinsassen ihren verloren gegangenen Lebensmut durch sein Geigenspiel zurückbringen, bevor sie ermordet werden.
Dem Autor ist daran gelegen, die Psychologie des Mitläufertums zu sezieren. Die Figur des Burkhard Keller mordet zwar nicht, aus Furcht vor dem Tod unterlässt er aber auch jegliche Hilfe, wenn im Vernichtungslager Menschen kaltblütig erschossen werden. Der erzählerische Rahmen kreist also um jene Frage, die sich immer dann stellt, wenn der Staat die Freiheit des Einzelnen zerstört: Ist man bereit, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen, um sich nicht schuldig zu machen?
»Es geht mir in meinem Buch um die Menschen, die keine Nazis waren, sich aber dennoch nie gegen das System aufgelehnt haben«, sagt Eugene Drucker bei der Buchvorstellung im Berliner Ensemble. »Der große Block zwischen Tätern und Widerstandskämpfern – das ist mein Thema.«
Er habe sich auch gegenüber seinem verstorbenen Vater, der ihm stets begeistert von seiner Heimatstadt Köln berichtete, zum Schreiben der Wintersonate verpflichtet gefühlt. Dieser hat sich Zeit seines Lebens die Frage gestellt, warum er Deutschland verlassen musste. »Mein Buch gibt keine Antworten, die gibt es auch gar nicht«, sagt Drucker. »Aber es stellt Fragen, auf die wir bis heute keine Antwort haben: Wie konnte ein kultiviertes Volk, das so einzigartige Künstler wie Bach, Mozart und Beethoven hervorgebracht hat, so unfassbar viel Schuld auf sich laden?«
„Der Galaktische“ – diese Charakterisierung hört man derzeit in den Sportmedien rauf und runter. Gemeint ist „Rauuuuuuuuuuuuuul“. Von unserem Gastautor Marc Limbach
Die Verpflichtung des Spaniers hat die blau-weißen Herzen auf Schalke in Verzückung gebracht. Ob Saisoneröffnung oder Sponsorenturnier namens LigaTotal, es gibt nur ein Thema. Man könnte glatt meinen, der ehemalige Königliche aus Madrid schießt die Knappen im Alleingang zu Meisterschale, Pokal und Champions League-Titel. Wie viele Versprechungen sich die Königsblauen schon von südländischen Einkäufen machen durften, will ich hier einmal unter den Tisch fallen lassen. Nichtsdestotrotz komme ich angesichts des Hypes um den alternden Stürmerstar nicht drumherum, ein filmisches, jedoch nicht ernst zunehmendes Beispiel zu bemühen: „Fußball ist unser Leben“ mit Uwe Ochsenknecht aus dem Jahr 1999.
Bevor mir ein Schwall von blau-weißen Hasskommentaren entgegen fliegt, will ich eine Sache klarstellen: Ja, ich bin Schalke-Fan. Zwar nicht Schalke-Mitglied, aber nach einigen Verwirrungen (Kaiserslautern, Leverkusen) in der Jugend haben sich Herz und Verstand doch auf Blau-Weiß geeinigt. Und ob ein Vergleich zwischen dem aktuellen Geschehen und einer fiktiven Filmgeschichte nicht die feine englische Art ist, will ich hier nicht beurteilen. Mir geht es auch um etwas ganz anderes bei dieser Assoziation.
Leise kritische Stimmen zum Hype um den alternden Stürmerstar sind nur vereinzelt zu hören oder zu lesen – oder sie entziehen sich meiner Wahrnehmung. Spiegel Online vergleicht den Stürmer etwa mit einem Ferrari älteren Baujahrs. Natürlich ist das aktuelle Geschehen auch ein gefundenes Fressen für die Erbfeinde aus Lüdenscheid-Nord. Da verwundert es auch nicht, dass der Pottblog-Inhaber den Gelsenkirchen-Blog „Der erste kleine Titel“ zum Sieg des Ligatotal-Cups in seinen „Links anne Ruhr“ augenzwinkernd mit den Worten „… und vielleicht auch der letzte?“ kommentiert. Die Bedeutung des Derbys wurde Raul bereits eingeimpft, wie man im „Aktuellen Sportstudio“ betrachten konnte. (Also freut Euch nicht zu früh, Zecken!)
Zurück zum Film: Die Figur „Dios“ spielt bereits bei Schalke und macht eher durch Leistungsverweigerung von sich reden. Als ehemaliger Weltfußballer und alternder Stürmer wird er trotzdem vom Protagonisten Hans Pollak und dessen Fan-Club-Kameraden vergöttert. „Man muss ihn nur ein bisschen motivieren“, so Pollaks Tenor. So makaber es klingt, aber die letzten beide Sätze weisen eine gewisse Nähe auf. Ohne den ganzen Film hier langweilend nachzuerzählen, verweise ich auf den Wikipedia-Artikel.
Gut, Raul hat einiges aufzuholen, nach dem Bankdrücken in Madrid. Fußballerisch ist er ohne Frage ein Juwel. Seine Einsätze beim Sponsorenturnier am letzten Wochenende waren vielversprechend. Ferner ist das Schalke, was die Komödie wiedergibt ein anderes, als das Schalke unter Felix Magath. Kein Parkstadion, kein Yves Eigenrauch, kein kürzlich gewonnener Titel wie damals der UEFA-Cup. Dagegen werden wir wohl im Gegensatz zum Film kein Koksen des Neu-Düsseldorfers oder andere Boulevard-Skandälchen erleben.
Warum mir diese Assoziation zum Film ausgerechnet mit dem Transfer von Raul kommt, kann ich nicht so recht begründen. Es gab in der Vergangenheit einige südländische Sturmhoffnungen im Kader. Eine berechtigte Hoffnung verbinde ich jedoch mit dem Einsatz des Spaniers über 90 Minuten: Das Operettenpublikum auf der Gazprom-Tribüne hat endlich seinen Startenor und braucht nicht mehr 10 Minuten vor Spielende fluchtartig zu seinem Automobil huschen.
Und was wenn die Verpflichtung von Raul auf Schalke keine Früchte in Form von Titeln trägt? Für diesen Fall haben sich die Schalker Fans den entsprechenden Ausruf bei den Anhängern eines früheren spanischen Champions-League-Kontrahenten abgeschaut: „Uiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!“
Sein Tod ging unter in der Woche nach dem Sterben auf der Loveparade. Theo Albrecht, Chef des Nordimperiums im Aldi-Universum, Ruhrpottbewohner ein Leben lang, schwand wie er lebte – unauffällig…
Was hätte Theo Albrecht auch erzählen sollen in dem Interview, auf das so viele Journalisten so scharf waren? „Ich habe das Zeug direkt aus dem Karton verscheuert, meine Mitarbeiter schlecht bezahlt, die Lieferanten gedrückt und T-Shirts unter furchtbaren Bedingungen in Asien zusammennähen lassen. Damit habe ich Milliarden gemacht, schönen Tag noch“? – Als würden die Longsleeves angesagter Streetwear-Labels von glücklichen, durch ihren Fleiß zu Vermögen gelangten Heimarbeitern in Rottach-Egern zusammengenäht.
Es war Harald Schmidt, der aus dem Discounter in der Frühzeit seiner Latenight einen Hype machte. Vorher erfuhr man nur, dass auch Alfred Biolek öfter mal bei Aldi kauft (beim Bruder des Verstorbenen, Köln ist Aldi Süd ist Karl Albrecht), eine Nachricht, sensationeller als Bios späteres Outing. Wahren Aldianer sind die später dazu gestoßenen Trendkunden immer auf den Sack gegangen. Das waren die Typen, die heute irgendwas mit Social Media machen.
In Theos Läden kann ich blind einkaufen, ich kann einen Einkaufszettel schreiben, der sich exakt am Standort der Produkte in der Filiale orientiert. Bei den Shampoos muss ich nicht fünf Minuten überlegen. Ich muss nur entscheiden zwischen Antifett und Antischuppen. Die Produkte tragen bescheuerte Markennamen („Optiwisch“-Putzmittel), und sind designt, als habe der VEB Verpackungsgestaltung Zwickau nach der Wende endlich verbotene Rauschmittel entdeckt.
Das ist das eigentliche Geheimnis des Aldi-Erfolges: Es war ein Stück Osten im Westen. (Was ja auch für das Ruhrgebiet gilt.) Nicht nur die Ausstattung der Läden gleicht dem Interieur früherer HO-Läden der DDR. Die für kapitalistische Verhältnisse erschütternd kleine Auswahl, der landesweit einheitliche EVP (Endverbraucherpreis), die schlichte Warenpräsentation durch Aufeinanderstapeln zeugen von dieser Verwandtschaft. Als hätten die Albrecht-Brüder mehr Marx als Erhard geschmökert, wurde dem Warenfetisch hier keine Messe gelesen.
Einmal die Woche war der Albrecht Discount tiefste DDR. Mittwochs stapelten sich in den Verkaufsstellen die „Aldi aktuell“-Lieferungen im Mittelgang. Das waren Sachen, die niemand richtig brauchte, aber alle rafften und bunkerten, weil man nie wusste, wann man sie wieder bekommt. Kinderschuhe und Schraubenzieher, Waffeleisen und Unterhosen, Zeug halt, das anständige westliche Geschäfte ständig bereit halten. Das führte eine halbe Stunde vor der Öffnung zu langen Schlangen vorm Laden, in der sich nervöse Endverbraucher die Einkaufswagen in die Hacken schoben, nicht nur, wenn Robotron- pardon: Medionrechner erwartet wurden.
Das ist vorbei. „Aldi aktuell“ ist zwei Mal die Woche, wie schon lange im Südreich von Karl Albrecht oder, schlimmer noch, bei Lidl. Aldi ist entzaubert, jeder weiß, dass Schuhspanner und Sonnenbrillen Jahr für Jahr in der selben Kalenderwoche im Laden landen, dass die Sonderlieferungen, weil´s logistisch Sinn ergibt, erst in Spanien, dann in Holland, später im Aldi-Süd und dann vielleicht im Norden auftauchen. Schnickschnack kommt dazu, gefrorener Hummer, edel erscheinende Elektronik, Biofeinkost. Und montags wie donnerstags bleibt öfter mal was liegen von all dem. Das ist die Zeit. Die DDR ist nicht mehr, Aldi nicht mehr, was es mal war, Theo ist tot, und der Nachwuchs will gar mit der Presse reden.
David Schraven war einer der Mitgründer der Ruhrbarone und ist immer noch ein enger Freund. Mittlerweile Recherchechef bei der WAZ hat er uns und andere Blogs, darunter Pottblog und Xtranewsgebeten, ihm bei der Suche nach Fotos der Loveparade-Katastrophe zu unterstützen. Dem kommen wir natürlich gerne nach.
David geht es um die Rekonstruktion der Ereignisse in Duisburg am 24. Juli – dem Tag der Loveparade-Katastrophe. Die Fotos werden nicht veröffentlicht.
Derzeit schieben sich alle gegenseitig den schwarzen Peter in die Schuhe, sei es Polizei, Stadt oder der Veranstalter. Ich versuche der Wahrheit näher zu kommen.
Zunächst bin ich dafür natürlich auf die offiziellen Angaben angewiesen. Gleichzeitig bemühe ich mich um die Dokumente und Protokolle, die den Weg des Dramas nachzeichnen. Doch das alles reicht nicht.
David will herausbekommen wer verantwortlich ist für die Katastrophe ist:
Ich suche möglichst viele Fotos und Videos zur Loveparade, die von Teilnehmern der Parade aufgenommen worden sind. Anhand der Fotos und Videos will ich versuchen, ein möglichst lückenloses Bild der Parade
nachzuzeichnen. Vom Anfang bis zum Ende.
Damit ich sehen und berichten kann, wann und wo die offiziellen Darstellungen der Behörden und Veranstalter von den Erfahrungen der Leute auf der Straße abweichen.
Damit nachvollziehbar wird, wann, und wenn ja, welche Auflagen von den Loveparade-Machern gebrochen wurden? Wie viele Sicherheitsleute waren wo im Einsatz? Wie viele Erste-Hilfe-Plätze gab es?
Ich glaube wirklich, nur mit den Fotos und Videos der Teilnehmer der Love-Parade ist diese Aufgabe zu bewältigen. Nur mit Hilfe möglichst vieler Teilnehmer kann ein Wirklichkeitsnahes Lagebild gezeichnet werden.
David interessieren vor allem drei große Bereiche:
a) Die Situation auf dem Bahnhof und unmittelbar danach. Gab es auf dem
Zuweg zum Veranstaltungsort Hindernisse der Polizei, wann und wo standen
diese, wurden Barrieren errichtet, die den Zufluss regelten? Wurden
diese Barrieren durchbrochen oder geöffnet? Und wann genau geschah das
alles?
b) Die Situation vor den Tunneln. Was passierte hier wann genau? Wann
waren hier welche Hindernisse, Zäune oder Polizei- und Securityketten?
Wie und wann wurden diese überwunden, durchbrochen oder geräumt?
c) Die Lage in den Tunneln und direkt danach in dem Bereich der beiden
Rampen. Wann genau wurde die Polizeikette auf der Rampe gesprengt?
Wieviele Polizisten waren da genau im Einsatz? Wie und wann genau fiel
das letzte Zaun-Hindernis direkt an der kleinen Treppe?
David würde sich freuen, wenn unsere Leser ihm Fotos schicken könnten.
Bitte jeweils mit folgenden Angaben: Namen und Rückrufnummer sowie mit
dem Ort und der Zeit, wann das Foto aufgenommen wurde.
David braucht diese Fotos und Videos alleine zu Recherchezwecken, um den Skandal der Loveparade möglichst gut aufzuklären und wird die Fotos für keinen anderen Zweck einsetzen.
Welche Rolle spielte die Ruhr.2010 GmbH wirklich bei der Planung und Durchführung der Loveparade? Zehn Fragen an Fritz Pleitgen. Ein offener Brief von Uwe Herzog und Stefan Laurin.
Sehr geehrter Herr Pleitgen,
bei der Loveparade in Duisburg starben 21 Menschen, mehr als 500 wurden zum Teil schwer verletzt. Viele Beobachter des Geschehens sind traumatisiert. Der Verlust geliebter Menschen, das seelische Leid und auch die materiellen Folgen für die betroffenen Eltern, Partner, Geschwister oder Kinder sind unermesslich schmerzvoll.
Sie selbst haben als Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH, unter deren Dach die Loveparade stattfand, sehr schnell die „moralische Verantwortung“ für das Geschehen übernommen.
Doch obwohl die Ruhr.2010 GmbH im Vorfeld offen als Schirmherr der Veranstaltung aufgetreten ist, lehnen Sie jede weitere Verantwortung für sich und Ihr Unternehmen strikt ab.
Das Unglück hat jedoch auch eine politische – und vor allem eine zivil- und strafrechtliche Relevanz.
Wer hat sich gegebenfalls strafbar gemacht und muss sich dafür vor Gericht verantworten? Wer kommt für den immensen Schaden der betroffenen Familien auf?
Auf diesem Hintergrund haben Sie in der Öffentlichkeit mehrere Statements abgegeben.
Darin haben Sie unter anderem behauptet, dass
– Ihnen Sicherheitsbedenken im Vorfeld der Veranstaltung nie zu Ohren gekommen seien
– Sie den Tunnel, der als einziger Ein- und Ausgang für die Besucher diente und später zur Todesfalle wurde, vor der Veranstaltung nicht gekannt hätten
und
– weder Sie persönlich noch die RUHR.2010 GmbH jemals „finanziell oder organisatorisch“ an der Veranstaltung beteiligt gewesen seien.
Hierzu stellen sich mehrere Fragen, die im Rahmen einer seriösen Aufarbeitung auch Bestandteil der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sein sollten:
Fragen zu Sicherheitsbedenken im Vorfeld der Duisburger Loveparade
1. Die Diskussion um die allgemeine Sicherheit bei der Loveparade wurde seit geraumer Zeit geführt.
Bereits vor einem Jahr lehnte zum Beispiel Bochum die Ausrichtung der Veranstaltung ab, da die örtlichen Polizei- und Verwaltungsbehörden aufgrund der engen Bebauung der Stadt zu große Sicherheitsbedenken hatten.
Die Entscheidung der Stadt Bochum wurde seinerzeit breit in der Presse diskutiert.
Wie Sie wissen, sind Bochum und Duisburg in Hinblick auf die Bebauungsdichte sehr ähnlich strukturiert (Essen und Dortmund, wo die Loveparade ohne größere Zwischenfälle verlief, sind dagegen weitläufiger ausgelegt).
Haben Sie niemals von den Bochumer Bedenken erfahren?
Falls doch: Warum haben Sie diese Diskussion dann nicht als Warnung für eine solche Veranstaltung in Duisburg begriffen? 2. Das Thema „Sicherheit“ war im Vorfeld der Loveparade in Duisburg auch Bestandteil zahlreicher Besprechungen und Korrespondenzen zwischen den Verantwortlichen.
Sie selbst haben eingeräumt, sich an Diskussionen der verantwortlichen Stellen beteiligt zu haben. Dabei sei es jedoch stets nur um die Finanzierung gegangen.
Um welche Gespräche bzw. Korrespondenzen handelte es sich dabei? Wer war jeweils anwesend oder einbezogen? Was genau war der Inhalt Ihrer Kommunikation mit den übrigen Beteiligten?
3. Wie erklären Sie sich, dass Sie selbst nie etwas von den geäußerten Sicherheitsbedenken erfahren haben (wollen), andere Beteiligte aber sehr wohl davon erfuhren?
So war im Kreis der übrigen Beteiligten u.a. weithin bekannt, dass
– der Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin bereits Monate vor der Veranstaltung massive Sicherheitsbedenken geäußert hatte (der Duisburger CDU-Vorsitzende Mahlberg forderte daraufhin öffentlich die Ablösung von Cebin, der im Frühjahr 2010 regulär in Ruhestand ging, dessen Stelle aber seltsamerweise vor der Loveparade nicht neu besetzt wurde)
– auch der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, diese Bedenken (nicht zuletzt aufgrund seiner guten Kenntnis von Duisburg) teilte
– mehrere verantwortliche Mitarbeiter der Stadtverwaltung Duisburg wie z.B. die frühere Leiterin des Bauordnungsamtes oder der Baudezernatsleiter Jürgen Dressler die Genehmigung aus Sicherheitsgründen in Frage stellten oder ganz verweigerten (was teilweise zu Versetzungen der kritischen Stimmen im Rathaus führte)
Sie selbst wollen auch von diesen Vorgängen nie etwas gehört haben?
Gilt dies auch für die übrigen Mitglieder der Geschäfts- und Programmleitung sowie die weiteren Mitarbeiter der Ruhr.2010 GmbH?
4. Ihr Unternehmen betreibt nach unserer Kenntnis eine Art „Evaluation“, also eine Erfolgskontrolle sämtlicher Aktivitäten der RUHR.2010 GmbH. Dazu gehört auch eine regelmäßige Presse- und Internetschau (einige Ergebnisse dieser Auswertungen finden sich z.B. in der umfangreichen und stets aktuellen Zitate-Sammlung auf Ihrer Website www.ruhr2010.de ).
Wie konnten Ihnen und den übrigen Mitarbeitern der RUHR.2010 GmbH dennoch die zahlreichen Hinweise und Warnungen entgangen sein, die im Vorfeld der Duisburger Loveparade insbesondere im Internet veröffentlicht wurden?
Fragen zur Kenntnis über die Beschaffenheit des Unglücksortes
5. Der Tunnel an der Karl-Lehr-Straße, der in Duisburg zur Todesfalle wurde, liegt relativ zentral in unmittelbarer Bahnhofsnähe.
Sie selbst sind in Duisburg geboren und haben die Stadt auch in späteren Jahren häufig besucht.
Eigentlich hätten Sie den Tunnel schon allein deshalb kennen können. Warum war das nicht der Fall?
6. Ist in keinem einzigen Gespräch und auch keiner Korrespondenz zwischen der RUHR.2010 GmbH und den übrigen Beteiligten (z.B. Lopavent GmbH, Duisburger Rathaus, Duisburger Marketingesellschaft, Medienpartner WDR und „Bild“, Staatskanzlei, Ministerien usw.) jemals der Begriff „Tunnel“ gefallen, als es um die Vorbereitung der Loveparade in Duisburg ging?
7. Ist es nicht üblich, als Mitveranstalter oder auch als Schirmherr Veranstaltungsorte zu derart großen Events zuvor in Augenschein zu nehmen?
Haben dennoch weder Sie selbst noch einer Ihrer Kollegen aus der Geschäfts- und Programmleitung noch einer der zahlreichen weiteren Mitarbeiter der RUHR.2010 GmbH jemals vor dem 24.07.2010 das Veranstaltungsgelände persönlich in Augenschein genommen und der Geschäftsleitung darüber berichtet?
8. Auf der Website der Ruhr.2010 GmbH wurde im Vorfeld der Loveparade unter www.ruhr2010.de ausführlich auf die Veranstaltung hingewiesen und dafür geworben.
Zu diesem von Ihnen verantworteten Informationsangebot gehörte u.a. auch eine Skizze des Veranstaltungsgeländes sowie ein vergrößerter Auszug aus dem Duisburger Stadtplan.
Darauf ist deutlich zu erkennen, dass nur ein einziger Zugang und zugleich Ausgang zum und vom Gelände vorgesehen war – nämlich der besagte Tunnel.
Waren Ihnen die hierzu eigens angefertigte Skizze und der Stadtplan bekannt?
Waren Skizze und Stadtplan (auch) anderen Mitglieder der Geschäfts- und Programmleitung oder anderen Mitarbeitern der RUHR.2010 GmbH bekannt?
Falls ja: Welche Schlüsse wurden bei der RUHR.2010 GmbH daraus gezogen?
Falls nein: Wie kamen Skizze und Stadtplan dann auf Ihre Website?
Fragen zur organisatorischen bzw. finanziellen Beteiligung der Ruhr.2010 GmbH an der Duisburger Loveparade
9. Welche Gespräche oder Korrespondenzen wurden zwischen der Ruhr.2010 GmbH und den übrigen beteiligten Stellen (s. Frage 6) zu den Vermarktungsrechten an diesem Mega-Event geführt und welchen Inhalts waren diese?
10. Unmittelbar nach Ihrer Berufung zum Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH haben Sie in einem Zeitungsinterview angekündigt, dass Sie Ihren Einfluss als Präsident der Europäischen Rundfunkunion bei der medialen Vermarktung der Veranstaltungen Ihres Unternehmens „wirkungsvoll einsetzen“ wollen.
In welcher Form haben Sie die engen Kontakte zu anderen europäischen TV-Sendern, die sie als Präsident der EBU in der Zeit von 2006 bis 2008 geknüpft haben, im Zusammenhang mit der Loveparade genutzt? Welche Unternehmen, TV-Sender, Institutionen oder Personen haben von der regionalen, nationalen und internationalen Lizenzierung von TV-Rechten profitiert oder sollten davon profitieren – und in welchem Umfang?
Soweit unsere Fragen.
Dieser offene Brief erhebt angesichts der zahlreichen aufklärungsbedürftigen Ungereimtheiten zu der Tragödie von Duisburg keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hier gilt es, noch Vieles andere aufzuarbeiten und alle Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Zunächst dürfen Betroffene wie Beobachter des Geschehens jedoch Ihre persönliche Antwort als Schirmherr der Veranstaltung auf die oben gestellten Fragen erwarten.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Laurin (Bochum) / Uwe Herzog (Köln)
*) Laut einem Pressebericht haben Sie zwischenzeitlich nach dem Unglück bestritten, dass die Ruhr.2010 GmbH jemals die Schirmherrschaft für die Loveparade in Duisburg innegehabt hätte. Ihr Unternehmen habe lediglich sein „Logo gegeben“.
Dazu die Definition des Begriffs „Schirmherrschaft“ aus Wikipedia (stellvertretend für ähnlich lautende Definitionen in anderen Lexika):
„Als Schirmherr / Schirmherrin oder (in der Schweiz) Patron, gelegentlich auch Protektor, wird eine (meist prominente) Persönlichkeit oder eine Organisation bezeichnet, die mit ihrem Namen eine Veranstaltung oder eine gemeinnützige Organisation unterstützt.“ Zum Beispiel mit einem Logo, einem Websiteauftritt u.s.w.
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