Update II: Twitter: Flashmob gegen OB Sauerland – E-Petition für Rücktritt

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, 17.31 Uhr, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. rubapic

Von Stefan Laurin und Thomas Meiser

Update – 18.36 Uhr. Nach Angaben der Duisburger Polizei nahmen an dem per Twitter erst am Nachmittag angekündigten Flashmob zum Rücktritt des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland rund 30 Personen teil.

Der Flashmob fand unter so großer Medienbeobachtung statt, daß er mir persönlich (Thomas) gar nicht aufgefallen ist. Vielmehr belagerte eine definitiv größere Zahl von Journalisten – Kamerateams, Knipser usf – die Treppe des neogotischen Duisburger Rathauses.

Von der Treppe herunter begab sich gegen 17.40 Uhr nach meiner Beobachtung Eckhart von Klaeden, der Staatsminister im Bundeskanzleramt, der in seinem S-Klasse-Benz verschwand. Um reifenquietschend um die Ecke zu biegen.

Von Klaeden klärte wohl die am Samstag anstehenden Trauerfeierlichkeiten in der neben dem Rathaus gelegenen Salvatorkirche ab, an denen Bundeskanzlerin Merkel teilnehmen wird.

Auf Twitter häufen sich die Tweets, die zu einem Flashmob gegen Duisburgs OB Adolf Sauerland aufrufen.

Sauerland weigert sich  weiterhin von seinem Amt zurückzutreten. Der Grund Er will bei der Aufklärung helfen. Längst ist das die Aufgabe der Staatsanwaltschaft.  Der Flashmob soll sich um 17.30 Uhr vor dem Duisburger Rathaus zusammenfinden.

Update: Mittlerweile kann man auch online für den Rücktritt Sauerlands eintreten. Unter Petitiononline findet sich folgender Text:

OB Adolf Sauerland

Nach den Ereignissen der Duisburger Loveparade am 24.07.2010 ist das Verhalten des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland untragbar und verhöhnt die Opfer dieses Unglücks.

20 Tote und über 500 Verletzte ist die Bilanz einer Katastrophe, die hätte vermieden werden können, wenn nicht Profit- und Profilierungsgedanken Triebfeder gewesen wären. Sie, Adolf Sauerland, der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg besitzen nun noch nicht einmal den Anstand, von Ihren Ämtern zurückzutreten.

Ihr Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht aller Duisburger und vor allem der Verwandten und Freunden der Opfer.

Deshalb fordern wir Ihren Rücktritt Herr Adolf Sauerland.

Ruhrgebiet und Loveparade: Der Zwang zum Megaevent

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, um 17.31 Uhr, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. rubapic

Auf Exportabel findet ihr  guten Text darüber, warum Duisburg eine abgelegte Veranstaltung wie Loveparade nicht nötig hatte.  Doch Veranstaltungen wie die Loveparade stehen im Zentrum  der Kommunikationsstrategie des Ruhrgebiets. Die Region hat sich von Megaevents abhängig gemacht.

Es war in den 80er Jahren, als das Ruhrgebiet Kommunikationsgeschichte schrieb: Mit der Kampagne „Ein starkes Stück Deutschland“ setzte das Ruhrgebiet als erste Region auf Regionalwerbung. Die Kampagne zeigte das „neue Ruhrgebiet“ und sorgte für viel Aufmerksamkeit. Zu jedem der Anzeigenmotive konnten per Postkarte Informationen angefpordert werden – Tausende machten jedesmal davon gebrauch.

Mitte der 90er beendete  damalige Kommunalverband Ruhrgebiet das „Starke Stück Deutschland“. Die Städte wollten keine teuren Anzeigenkampagnen mehr finanzieren. Es kam noch 1999 zur Kampagne „Der Pott kocht“, aber die war nur der kommunikative Schlusspunkt der internationalen Bauausstellung.

Im neuen Jahrzehnt setzte das Ruhrgebiet in der Kommunikation auf zwei Wege: Die Präsenz auf Messen wie der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin oder auf den Immobilienmessen Expo Real in München und MIPIM in Cannes sollte Immobilieninvestoren und  Touristikunternehmen vom Standort Ruhrgebiet überzeugen.

Die breite nationale und internationale Öffentlichkeit sollte hingegen mit Events auf das Ruhrgebiet aufmerksam werden. Ob Klavierfestival Ruhr, Kulturhauptstadt, Loveparade oder die  gescheiterte Olympia-Bewerbung: Möglichst große Events sollten als Kommunikationsvehikel  die Botschaft des strukturgewandelten Ruhrgebiets transportieren.

Auf den ersten Blich ein schlüssiges Konzept: Die Kontakte, die man auf diesem Weg erzielt hat, hätte sich das Ruhrgebiet über klassisches Werbung nie leisten können. Die Bilder des Stilllebens auf der  A40 gingen um die Welt – unbezahlbar.

Der Nachteil dieser Strategie: Es mussten immer neue, möglichst große Events her. In der Region gewachsene Veranstaltungen wie Bochum-Total oder Juicy Beats wurden nie gefeatured. Sie waren schlicht zu klein, sorgten nicht für das nötige mindestens bundesweite mediale Interesse. Lieber kaufte man die Marke Loveparade ein. Klar, die Veranstaltung war eigentlich schon tot als sie 2007 ins Revier kam. Aber es war damals kein  andere Megavent auf dem Markt, das man ins Ruhrgebiet holen konnte. Und langfristig auf die eigenen Stärken zu setzen passte nicht ins Konzept.

Der Zwang zum Megaevent war einer der Gründe warum bei der Sicherheit alle Augen zu gedrückt wurden. Die Loveparade durfte nicht scheitern – wer auf große Events als Haupt-Kommunikationsmittel setzt  kann das Scheitern eines solchen Events nicht auffangen. Das Ruhrgebiet definierte sich über Massenveranstaltungen und wurde von den großen Zahlen abhängig wie ein Junkie vom Heroin: Es mussten immer Millionen Besucher sein.

Diese Kommunikationsstrategie ist der Grund, warum das Ruhrgebiet, warum Duisburg  die Loveparade brauchte. Warum die Sicherheit im Hintergrund stand und Warnungen ignoriert wurden. Diese Kommunikationsstrategie ist am vergangenen Samstag endgültig gescheitert. 20 Menschen liessen für sie ihr Leben.

Fußball: Dem Mythos sein zu Hause

Wenn sich die Fußball-Berichterstattung via Print, Hörfunk oder TV dem Ruhrgebiet annimmt, sprudeln die Klischees vom „Malocher-Fußball“ gerade so. Blumige Sätze wie „Hier wird Fußball noch gearbeitet“ oder „Das Publikum will die Spieler vor allem kämpfen sehen“ reihen sich aneinander. Mit der  Wirklichkeit hat das oft nichts zu tun. Von unserem Gastautor Ludger Claßen.

Das berühmte Zitat des 2009 verstorbenen Rolf Rüssmann „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“ gilt dabei fast als regionales Glaubensbekenntnis. In der gesamten Fußballrepublik gilt die Gleichung: „Ruhrgebiet gleich Arbeit gleich Fußball“. Die industrielle Arbeitswelt, so die gängige Auffassung, hat das Ruhrgebiet und den Fußball geformt und beide hervorgebracht. Die Geschichten aus der Geschichte des Revier-Fußballs handeln immer davon, wie der SPIEGEL schrieb, dass „Fußball und Arbeit noch Brüder waren“. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Gleichung „Arbeit = Fußball = Ruhrgebiet“ historisch nur teilweise anzuwenden ist und gerade für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts nicht zutrifft.

Bürgerliche Fußlümmelei

„Schalke um die Jahrhundertwende: ein Kumpel-Dorf. Rund um die Zeche Consolidation als ‚Brötchengeber‘ kleine, in die Brachwiesen hingeduckte Siedlungshäuser, schmucke Gärten dahinter mit Stallgebäude. Qualm und Ruß in der Luft. Mittagsschicht. Die Frauen mit dem Henkelmann in der Hand – Essen für die Malocher unter Tage. Kohleabbau in den fetten Flö-zen fast 1.000 Meter unter der Erdoberfläche. Wer nicht im Pütt schuftete, malochte am Hochofen oder an der Walzstraße. Das war Heimat. Identität. Fußball – das war ein Stück ‚wirkliches‘ Leben. Das gehörte zum täglichen Einmaleins wie der Qualm aus Schalker Schloten“, entwarfen Hans-Josef Justen und Jörg Loskill in ihrem Buch „Anstoß. Fußball im Ruhrgebiet“ (1985) das Entstehen des Traditionsvereins im Revier als sozial-romantisches Bild. Nur: Auch an Ruhr und Emscher waren es um 1900 vor allem junge Bürgersöhne der Höheren Lehranstalten, Angestellte und Akademiker, die den als „englische Krankheit“ und „Fußlümmelei“ diffamierten neuen Sport huldigten. Der Wittener FC, 1892 aus dem Real-Gymnasium entstanden, ist der älteste Fußballclub der Region. In Herne gründete sich im Jahr 1904 ein distinguierter „Club“, dessen erster Versammlungsort der „Rittersaal eines Schlos-ses“ war. Mit stolzer Brust und in roten Schärpen auf weißer Bluse präsentierten sich die Fußballer des „S.C. Westfalia Herne“ in voller Fußballausrüstung dem Fotografen.

Fußball wurde vor allem zu einem Teil der Angestelltenkultur, und man versuchte, in Habitus, Kleidung und mit Vereinsnamen wie „Borussia“ oder „Westfalia“ die den Angestellten ver-schlossene Welt des studentischen Verbindungswesens zu imitieren. Bis in die 1920er Jahre dominierten im Ruhrgebiet drei Vereine, in denen Arbeiter bestenfalls am Rande eine Rolle spielten: der Duisburger Spielverein (bis 1927 zehnmal Westdeutscher Meister), ETB Schwarz-Weiß Essen und der Duisburger Sport-Club Preußen. Die ersten Hochburgen des Fußballs waren denn auch Dienstleistungszentren wie Berlin, Hamburg, Hannover, Leipzig, Dresden, Düsseldorf, Köln und Frankfurt.

Der Durchbruch zum Massensport

Aber wie entwickelte sich nun der Fußball von der aristokratisch-bürgerlichen Exklusivität hin zum Massenphänomen? Laut einer viel zitierten Studie des Historikers Siegfried Gehr-mann („Fußball – Vereine – Politik. Zur Sportgeschichte des Reviers“, Essen 1988) erklärt sich der Siegeszug des Fußball in der Arbeiterschaft aus einer Veränderungen in der Arbeits-welt: dem Achtstundentag und einem daraus entstehenden ausreichenden Freizeitbudget. Tatsächlich wurde die neue Arbeitszeitregelung jedoch erst 1923 eingeführt, der Siegeszug des Fußballs hingegen setzte direkt nach Ende des Ersten Weltkriegs ein. 1913 hatte der DFB über 160.000 Mitglieder, die sich 1920 auf über 756.000 fast verfünffachten. Auch die Zuschauerzahlen explodierten: Vor 1914 fanden Schlagerspiele vor hunderten von Zuschauern statt, nach 1918 kamen nun zehntausende. Tatsächlich war die Initialzündung für den Siegeszug des Fußballs der Erste Weltkrieg. Besonders folgenreich für seine massenhafte Verbreitung war ein Militär-Turnerlass, der 1910 den Sport in den Ausbildungsplänen der Armee verankerte.

„Die Erfahrung, dass das Fußballspiel bei weitem das beste Bewegungsspiel für die Mannschaften ist, habe ich überall bestätigt gefunden. Neben den Vorzügen, die überhaupt aus dem Sport für Körper und Geist erwachsen, Gelenkigmachen und Kräftigen des Körpers, Steigern der Entschlussfähigkeit und Energie, Konzentrieren der Gedanken auf ein Ziel, hat der Fußballsport noch den großen Vorzug, der gerade in militärischer Hinsicht sehr schätzenswert ist: er zeigt dem Mann die Notwendigkeit der Unterordnung und den Erfolg der Zusammenarbeit“, heißt es in einer Denkschrift des Admiral von Prittwitz-Gaffron. Diese Herkunft kann der Fußball bis heute nicht verleugnen, ist doch seine Sprache von militärischen Begriffen ge-prägt: „Schuss“, „Flanke“, „Deckung“, „Sturm“, „Flügel“, „Feld“, „Schlachtenbummler“ und was es da sonst noch alles gibt.

Und so ist es auch nichts mit der Schwärmerei, der Fußball begann seine Karriere als „subversives Element gegen die Deutschtümelei, den deutschen Militarismus und die deutsche Autoritätsfixiertheit“, denn er verdankt seinen Durchbruch dem Interesse der Reichswehr, die militärischen Produktivkräfte ihrer Soldaten zu verbessern – eine nicht gerade mit Subversion und Antimilitarismus identifizierbare Zielsetzung. Der Gründungsmythos des Fußballs im Ruhrgebiet, das „wilde Kicken“ auf Straßen und Hinterhöfen sei adäquater Ausdruck des Lebensgefühls und habe den Fußball quasi naturwüchsig hervorgebracht, bedarf daher mindestens einer Überprüfung, wenn nicht gar einer Revision.

Fußball und Kommerz

In der Weimarer Republik entwickelte sich der Sport allgemein zum Teil einer populären Massenkultur. Auch der Fußball war erwachsen geworden und mit ihm das Umfeld des Spiels. Zigarettenmarken warben mit dem Bild eines „bekannten Fußballspielers in jeder Packung“, eine Dose Schuhwichse der Firma Erdal enthielt „zwölf Fußballsammelkarten“, Fußballzeitschriften waren massenhaft am Kiosk zu kaufen, Mannschaften aus den Profi-Ligen Englands, Österreichs und Ungarns gastierten im Ruhrgebiet, um ihre Spielkunst vorzuführen. In unmittelbarer Reaktion auf diesen neuen Zuschauerandrang entstanden Stadien wie die „Vestische Kampfbahn in Gladbeck“ (1928), die Kampfbahn „Rote Erde“ in Dortmund (1926), die „Kampfbahn Katzenbusch“ in Herten (1925) oder die „Schwelgern-Kampfbahn“ in Duisburg-Marxloh (1925). Die Vereine kalkulierten mit den Zuschauereinnahmen und konnten schon mal hier und da aus „schwarzen Kassen“ die Spesen einiger Spieler begleichen. Der Fußballsektor entdeckte seine wirtschaftliche Potenz, nur der DFB verharrte auf seiner Position zum Amateurstatus. Eine Haltung, die zu einem guten Teil ideologisch begründet war, da Individualismus und soziale Aufstiegsmöglichkeiten durch den Sport nicht im Sinne der bürgerlichen Funktionärsriege waren, die an einer deutsch-nationalen und wertkonservativen Definition des Fußballs festhielt. Für sie war Fußball körperliche Ertüchtigung eines elitären, nationalen Geistes zum Wohle des Vaterlandes und keine professionelle Spiel-kunst zur Unterhaltung der Massen.

Zu den vielen Geschichten des Ruhrgebietsfußballs gehört die Überlieferung, die Spieler hät-ten früher „für ein Butterbrot“ gespielt. Im Mittelpunkt habe die Fußballbegeisterung gestanden, Geld habe nie eine Rolle gespielt. An dieser Stelle folgt unweigerlich der Hinweis, dass der Kommerz den Fußball kaputt macht. Dabei ist historisch gesehen genau das Gegenteil der Fall: Ohne den entlohnten Fußball hätten die Arbeiterstars von einst nie ihren Aufstieg geschafft. „Mit den Kohlen, die ich gehauen habe, hätte ich noch nicht einmal einen Kessel Wasser heiß gekriegt“, soll die Schalker-Legende Ernst Kuzorra einmal bekannt haben. Er arbeitete auf der Schachtanlage Consolidation am Leseband über Tage und kam als Bremser und Schlepper auch unter Tage vor Kohle. Allerdings malochten oft die Kumpels für ihn, während der Fußballhochbegabte sich ausruhen konnte. Zu den Vergünstigungen am Arbeitsplatz kamen noch die inoffiziellen Zuwendungen des Vereins, die bald zum Konflikt mit dem Westdeutschen Spielverband führten. Im August 1930 wurden nahezu alle Spieler der ersten Mannschaft wegen Annahme überhöhter Handgelder zu „Berufsspielern“ erklärt und aus dem Westdeutschen Fußballverband ausgeschlossen. Eine Maßnahme, die durchaus als „Tätlichkeit“ des bürgerlichen Establishments gegen den aufkommenden und aufmüpfigen Arbeiterverein zu verstehen ist. Die „Schalke-Affäre“ schlug monatelang ungeahnte Protestwellen, und der Verband sah sich gezwungen, die Spieler nach einem Jahr zu begnadigen. Zu spät für den Geschäftsführer Willy Nier. Er beging Selbstmord im Rhein-Herne-Kanal.
Für die damalige Summe illegaler Spielergehälter würde sich heute ein einzelner Bundesligaspieler vermutlich noch nicht einmal umziehen; und dass das Spiel Schalke 04 gegen Arminia Bielefeld im Bundesligaskandal der Saison 1970/71 für insgesamt 40.000 Mark verschoben wurde, wäre als Siegprämie für heutige Bundesligaprofis vermutlich ein zu geringer Anreiz, um ein engagiertes Spiel zu liefern. Die Dimensionen haben sich halt ins Exorbitante verschoben.

Mythos und Marketing

Auch das Aufblühen des Fußball-Westens in den 1950er Jahre ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Ruhrgebiet als schwerindustrielles Zentrum wirtschaftliche Stärke mit großer Bevölkerungsdichte vereinte. Der Ballungsraum bot ein ausreichendes Potential an Spielern und Zuschauern. Und die „Kohle“ kam auch nicht nur von den Zuschauern. Vor der Einführung der Bundesliga und des „Profis“ 1963 konnten spielstarke „Vertragsamateure“ nur dann an Vereine gebunden werden, wenn Geld unter der Hand gezahlt wurde und die Spieler über Anstellungsverträge ohne vollen Arbeitseinsatz bei Vereinsmäzenen ein Einkommen erzielten. So wurde die Zeche Nordstern zum „Sponsor“ des STV Horst-Emscher. Als 1949 das Vertragsspielerstatut eingeführt wurde, das erstmals direkte Zuwendungen an die Spieler zuließ, bekamen die Emscher-Husaren im Lohnbüro des Pütts das Geld ausgezahlt. Die Zeche Ewald-Fortsetzung in Oer-Erkenschwick wurde zum Arbeitgeber für die Schwarzroten der SpVgg. Erkenschwick und das Stimberg-Stadion lag direkt gegenüber dem Pütt. Die Spieler zogen sich in der Waschkaue um. Als Stahlarbeitervereine galten Hamborn 07 und die Borussia vom Borsigplatz – sie wurde unterstützt von Thyssen und Hoesch. Der 2008 verstorbene Schriftsteller Hand Dieter Baroth schrieb 1988 „Jungens, euch gehört der Himmel“, in dem er die Verhältnisse und Geschichten der alten Oberliga West rekapitulierte. Als das Buch im Klartext-Verlag auf den Markt kam, mussten die Bestellungen Waschkörbeweise bearbeitet werden. Das Buch erschien genau in einer Phase des Strukturwandels, in der mit dem Ver-schwinden der Schachtanlagen und Bergwerke die Erinnerung an das „alte Ruhrgebiet“ salonfähig wurde. Und der Fußball gehörte dazu, denn gerade die Vereine der Oberliga West symbolisierten eine Einheit von Sport, Arbeit, Stadtteilkultur, Menschen und Identität, die vor dem Hintergrund des damals aus Reviersicht höchst bedrückenden Profifußballs – die 1980er Jahre waren die erfolgloseste Zeit des Reviers seit Einführung der Gauliga 1934 – in vielerlei Hinsicht geradezu idyllisch wirkten.

Gleichzeitig ist die Gleichung „Krise des Bergbaus und der Montanindustrie = Niedergang des Revierfußballs“ auch zu kurz gegriffen. Der Absturz von Borussia Dortmund und Schalke 04 nach den ersten Jahren der Bundesliga scheint eher hausgemacht. Mitunter wurden die klassischen Ruhrgebietsmythen der Tradition, des sozialen Zusammenhalts, der wirtschaftlich Schwächeren und Gebeutelten von Vereinsführungen und Präsidenten auch als Legitimation des Versagens benutzt. „Wer es bei Versammlungen verstand, diese Mythen zu vertreten, das Gefühl der Anwesenden anzusprechen, sich auf Tradition zu berufen und vage Versprechungen zu machen, konnte genügend Stimmen erhalten – und anschließend im alten Trott weiter machen. Während andernorts neue Wege beschritten wurden, erfolgreiche Trainer über längere Zeit arbeiten konnten und neue Strukturen entstanden, blieb der Ruhrgebietsfußball auf sich bezogen und in seinen Mythen befangen“, liest der Sozialwissenschaftler Franz-Josef Brüggemeier der Vereinspolitik der 1970er und 1980er Jahre die Leviten. Vereine in vergleichbaren industriellen Krisenregionen wie Liverpool und Manchester erlebten während der Zeit eine vollkommen andere Entwicklung.

Vielleicht könnte die Einsicht, dass Fußball immer schon mit Kommerz zu tun hatte, den Blick dafür schärfen, was den Fußball der Gegenwart ausmacht und in welche Richtung sich die „schönste Nebensache der Welt“ bewegt. Der Ruhrgebietsfußball ist ungebrochen lebensfähig. Mythos und Marketing können wirtschaftliche Prosperität und damit sportliche Erfolge wirksam fördern, was man in oder auf Schalke und rund um die Geschäftsstelle des BVB nicht erst seit einigen Jahren beherrscht. Zum Mythos geworden lässt sich das veränderte Ruhrgebiet und auch der Fußball offenbar leichter auf den Begriff bringen – und auch besser vermarkten. Im Jahr 1997 skandierten Bergleute bei einer Demonstration für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in Bonn lautstark „Ruhrpott“; Anhänger des BVB und des S04 nahmen dies als Schlachtruf bei den Siegen ihrer Vereine im selben Jahr in den europäischen Wettbewerben auf. Der Schlachtruf ertönte nach dem Rückzug von Kohle und Stahl und ist dennoch kein Abgesang auf das untergegangene Ruhrgebiet des Bergbaus und der Schwerindustrie. Die Region bekennt sich vielmehr zu einer historischen Identität und markiert ein neues Selbst-bewusstsein. Mit gänzlich neuen Marketingoptionen.

Ludger Claßen ist Verleger. Schon Ende der 1980er Jahre brachte er in seinem Essener Klartext Verlag Fußball-Bücher heraus, die das Spiel und seine sozialen Verankerungen ernst nahmen, bevor der sinnstiftende Begriff „Fußball-Kultur“ überhaupt von den Feuilletons entdeckt wurde. In seinem historischen Exkurs räumt er mit einigen Mythen zum Ursprung des Fußballs im Ruhrgebiet auf. Der Text ist aus dem Buch Heimspiel B1, das im Klartext Verlag erschienen ist.

Der Ruhrpilot

Loveparade: Heftige Vorwürfe gegen Veranstalter der Loveparade…Süddeutsche

Loveparade II: Duisburg macht dicht…Zeit

Loveparade III: Es war wunderschön…Welt

Loveparade IV: OB Sauerland versteckt Familie…Der Westen

Loveparade V: Was ist Techno…Julia Seeliger

Loveparade VI: Der Mythos von den 1,4 Millionen Besuchern…Welt

Loveparade VII: Alle Opfer bei Loveparade wurden erdrückt…FAZ

Loveparade VIII: Loveparade, the final chapter…Frontmotor

Loveparade IX: Was passierte auf der Loveparade warum?…Odem

Loveparade X: Warum Duisburg die Loveparade nicht nötig hatte…Exportabel

Dortmund: „Zweites Envio darf nicht vorkommen“…Der Westen

Bochum: Ausstellung im Bochumer Bahnhof eröffnet…Ruhr Nachrichten

Demos: Polizei darf nicht grundlos filmen…Law Blog

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Essener Hausbesetzer: Gorny vermittelt

Dieter Gorny

In der vergangenen Woche besetzten zahlreiche Künstler aus dem Ruhrgebiet ein leerstehendes DGB-Haus in der Essener Innenstadt. Am Dienstag kamen sie der Räumung durch den DGB zuvor und verliessen das Gebäude wieder. Nun wird verhandelt.

Die Besetzung des ehemaligen DGB-Hauses in der Essener Innenstadt machte deutlich, das im Ruhrgebiet zwar viel über Kreative und Kreativwirtschaft geredet wird, Künstler allerdings trotz massiven Leerstandes kaum Räume finden. Und dass das eigentlich auch kaum jemanden interessiert. Das scheint sich nun ein wenig zu ändern. Morgen verhandeln die einstigen Besetzer und die Vermögens- und Treuhandgesellschaft des DGB (VTG-DGB), der das Haus an der Schützenbahn in Essen gehört, miteinander. Die Aufgabe des Vermittlers zwischen VTG-DGB und den Besetzers hat Dieter Gorny, Direktor der Ruhr2010 GmbH, übernommen.
Noch morgen Nachmittag soll über die Ergebnisse der Verhandlungen berichtet werden. Unabhängig vom Ausgang wird es ab 18.00 Uhr vor dem leerstehenden DGB-Haus ein Straßenfest geben.

Die absehbare Katastrophe

"Mitarbeiter wurden massiv unter Druck gesetzt"

Es war nicht eine einzelne Fehlentscheidung oder eine einzelne Person, die das tragische Unglück auf der Duisburger Loveparade zu verantworten hat. Die gesamte Stadt, der gesamte Rat war seit Monaten gefangen in dem unbedingten Willen, das Event statt finden zu lassen. Nur wenige hatten Bedenken – und haben diese geschluckt. Eine Chronologie der Tragödie

Es blieben nur noch wenige Tage für die dringend benötigte Unterschrift, und der Mitarbeiter des Duisburger Ordnungsamtes fühlte sich sehr unwohl. Er sollte eine baurechtliche Genehmigung für den Umbau des alten Güterbahnhofes in Duisburg erteilen, damit dort plangemäß die Loveparade statt finden kann. Schon seit einigen Tagen liegt die Vorlage auf seinem Schreibtisch, aber ihm erscheint das gesamte Projekt waghalsig, das Gelände zu klein. Doch der Druck von der Stadtspitze unter Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) ist groß. Das Projekt darf nicht platzen, sagt sein Chef mehrfach. Am Ende unterschreibt er, die Loveparade wird stattfinden.

Wahrscheinlich hatte dieser Mitarbeiter nur einen kleinen Anteil an der Reihe von Fehlentscheidungen, die am Ende 20 Menschen das Leben gekostet und hunderte Verletzte nach sich zogen. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau aus Kreisen des NRW-Innenministeriums und aus dem Rat der Stadt wurden Mitarbeiter des Ordnungsamtes systematisch unter Druck gesetzt, Bedenken in den Wind zu schlagen und die erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Parierte ein Mitarbeiter nicht, wurde die Vorlage umstandslos an einen zweiten gegeben, der sie dann unterschrieb. „Sie wurden gezwungen, alles abzunicken“, so ein Ratsmitglied.

Nicht nur einzelne Mitarbeiter des Amtes mussten ihre Bedenken schlucken. Auch Polizisten und Feuerwehrleute melden sich nun zu Wort, die gewarnt haben wollen. „Ich habe vor einem Jahr Duisburg als ungeeignet für die Loveparade abgelehnt und bin dafür als Spaßverderber und Sicherheitsfanatiker beschimpft worden“, sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, Rainer Wendt. Der NRW-Landeschef ergänzt: „Polizei und Feuerwehr haben viel Erfahrung mit Großveranstaltungen. Praktisch nichts davon wurde umgesetzt.“

Vielleicht fehlte Duisburg einfach das Geld, den alten Güterbahnhof als Veranstaltungsort entsprechend umzubauen. Mehr als 160 Millionen Euro muss die Stadt einsparen, sie hat den Etat für Jugendprojekte und Prostituiertenberatung und Nahverkehr gekürzt und kein Geld mehr. Aber sie will mitsingen im Chor des Ruhrgebiets. Nachdem die Loveparade in Berlin gestorben ist, brüstet sich das gesamte Revier damit, die Zukunft für die Millionen Raver zu sein. Auch in Duisburg sprechen sich schon 2007 beinahe alle Fraktionen grundsätzlich für die Loveparade aus, die Linken enthalten sich. Im Juli 2007 schließt die Stadt mit dem Veranstalter Lopavent einen Rahmenvertrag. Darin enthalten ist in Paragraph 1 auch noch eine Ausstiegsklausel: „Sollte für die noch offenen Parameter in der Stadt keine geeignete Lösung gefunden werden, werden die Veranstalterin und die Partner gemeinsam nach einer Alternativlösung für die Durchführung der Loveparade suchen.“

Davon Gebrauch gemacht wurde bekanntlich nicht. Ende des Jahres 2009 beruft die Stadt laut einem Sprechers der Stadt Duisburg vier Arbeitsgruppen ein, die jeweils „mehrfach getagt“ hätten, so Frank Koptaschek. Der Sprecher räumt gegenüber dieser Zeitung auch ein: „Es hat immer Diskussionen darüber gegeben, ob Duisburg ein so großes Ereignis braucht und auch stemmen kann.“ Mehr möchte Kopatschek aufgrund der „laufenden Ermittlungen“ nicht sagen.

Immer wieder fordern verschiedene Fraktionen im Rat, die finanzielle Machbarkeit zu überprüfen. Rund eine Millionen Euro soll das Spektakel nach den Erfahrungen in Essen und Dortmund kosten, obwohl es 2007 hieß, die Stadt müsse nicht zuzahlen. Eine Lösung bleibt die Stadt zunächst schuldig. Oberbürgermeister Sauerland ist zwischenzeitlich auf der Suche nach Geld in Düsseldorf. Sauerland steht selbst unter Druck. Die Macher der Kulturhauptstadt 2010 werben für die Loveparade als eines der Highlights des Jahres. Schon andere Projekte wurden mangels Geld in der klammen Kohleregion wieder abgesagt, die Loveparade soll stehen. Und Sauerland ist dafür verantwortlich. Am Ende wird er in Düsseldorf fündig. Auch sein Parteifreund und damaliger Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will über den Kulturetat Geld beisteuern. In einer Sondersitzung zur Finanzierung der Loveparade am 20 Februar, einem Samstagmorgen um 8 Uhr, informiert er den Rat dürftig über die Finanzierung. Kritik gibt es dennoch regelmäßig. So sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Mettler in einer Sitzung am 21. Januar diesen Jahres laut einem schriftlich vorliegendem Protokoll: „Die Beschreibungen zu dieser Veranstaltung haben mich sehr erschrocken. Ich frage mich, wie die Risiken beherrscht werden sollen.“ Mettler sagte, es seien viele Fragen ungeklärt. „Wenn man viele junge Menschen nach Duisburg einlädt, dann muss ein reibungsloser Ablauf allein aus Sicherheitsgründen garantiert werden“, so der Sozialdemokrat damals. Worte, die heute fast prophetisch klingen. Doch der Duisburger Rat war mehrheitlich den Verheißungen der Kulturhauptstadt erlegen. In derselben Sitzung äußert sich ein FDPler, Duisburg könne es sich aus „Imagegründen kaum leisten, die Loveparade abzusagen. Das würde insbesondere im Kulturhauptstadtjahr sehr schlecht in der Außendarstellung wirken.“

Sie alle hatten das Bochumer Beispiel vor Augen. Die 50 Kilometer östlich liegende Stadt hatte im Frühjahr 2009 die Loveparade kurzfristig abgesagt, weil die „Infrastruktur nicht geeignet ist.“ Dafür wurde die Opel-Stadt damals mit Häme überschüttet und als Provinz-Dorf beschimpft. Das wollten die Duisburger vermeiden, obwohl auch ihre Infrastruktur nicht als geeignet galt.

„Der Rat wurde systematisch im Dunkeln gelassen“, sagt der Duisburger Fraktionschef der Linken Hermann Dierckes der Frankfurter Rundschau. Die Linke hatte schon im April einen Antrag gestellt, das Verkehrskonzept für die Loveparade zu veröffentlichen. Am 1. Juni erteilt Sauerland eine Antwort, die das Problem des Zugangs zum Gelände schon klar thematisiert. „Die Nähe des Hauptbahnhofes zum Veranstaltungsgelände stellt ein besonderes Problem dar“, heißt es in der Mitteilungsvorlage. Der Veranstalter – die Firma lopavent GmbH – habe bereits ein Konzept zur umfangreichen Sicherung des Veranstaltungsgeländes zu den Bahngleisen vorgelegt. Dieses Konzept wiederum wurde den Ratsherren nicht vorgestellt. Gefragt danach haben sie aber auch nicht.

Loveparade: Duisburgs OB Sauerland steht in Nibelungentreue zum eigenen Versagen

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream um 17.31 Uhr: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. Bild Meiser

Vielleicht verstehen wir den Mann einfach nicht. Vielleicht will Adolf Sauerland nur nicht so ein Weichei sein wie all die anderen, die sich vom Acker gemacht haben in den letzten Monaten.

Die zurückgetreten sind wegen lächerlicher Sachen, wegen mangelnden Respekts (Köhler), anderer Lebensplanung (Koch), lockender Sandstrände (von Beust), besoffenen Autofahrens (Käßmann) und geschwundener Lieblichkeit (Jepsen). Die beiden Letztgenannten dürften für Sauerland kein Maßstab sein. Sie sind Frauen, noch dazu evangelisch, naja. Wegen Suffs am Steuer hätte sich jeder katholische Bischof rausgeredet mit dem Argument, da müsse etwas schief gegangen sein mit dem Messwein bei der Wandlung.

Sauerland ist der letzte Kerl in der CDU, der sich seiner Verantwortung stellt, der Kohls Aussitzen neu interpretiert als Festkrallen notfalls mit Gewalt, der in Nibelungentreue zum eigenen Versagen steht, als handele es sich dabei um ein Projekt der Kulturhauptstadt. Wahrscheinlich verbringt er die nächsten Nächte schlaflos, weil er auf den Anruf der Kanzlerin wartet, die ihn gefälligst mal mit Lob überschüttet für sein Durchhalten. Das ist sauerländische Starrköpfigkeit, wie man sie am Niederrhein nie vermutet hätte.

Von atemberaubender Schönheit ist Sauerlands Argument, nur durch sein Verweilen im Amt könne er zur Aufklärung beitragen. Dass sich auch Verbrechen besser aufklären lassen, wenn die Hauptakteure im Knast kunstvoll befragt werden, hat ihm nur noch keiner gesagt.

Es geht ihm doch nur um die Stadt, die sich für den Tatort-Kommissar Schimanski erst schämte, ihn dann an die Brust drückte und schließlich beweinte, als er 1991 am Drachen entschwebte. Vorbei war es mit dem Alleinstellungsmerkmal des quotenbringenden Tötens, unterbrochen nur von den seltenen Schimmi-Comebacks und den Mafiamorden 2007.

Jetzt ist die Stadt endlich wieder in den Schlagzeilen, wird sich Sauerland bis Samstagabend gedacht haben und danach, dass schlechte Schlagzeilen immer noch besser sind als gar keine Presse. Dafür geht er durch die Hölle und über 20 Leichen, bis zur Selbstverleugnung und darüber hinaus. Schuld hat er nicht, vorläufig, vielleicht ist alles eine Täuschung, die Toten gab es gar nicht, die Loveparade hat nie stattgefunden, jedenfalls nicht in dieser Stadt, deren Namen ihm gerade entfällt. Nur Oberbürgermeister ist er noch. Das zählt.

Nicht zählen kann er auf alte Kumpels. Widerlich muss ihm ein Panikforscher mit dem klingenden Namen Schreckenberg sein, der erst das Sicherheitskonzept auf absurde Art lobt, um wenig später die Wende zum einzig kundigen Kritiker hinzulegen. Zufrieden kann er sein, dass er nicht so ist wie das Kulturdreigestirn Pleitgen, Scheytt und Gorny, das erst die Loveparade knutschte, als sei es komplett auf Ecstasy, um nach der Flucht durch luxuriös ausgelegte Notausgänge darauf hinzuweisen, nur rein zufällig von diesem Event in der Zeitung gelesen zu haben. Noch vor Wochenfrist sabberten die Offiziellen auf der gesperrten A40 vom emotionalen Gründungsmoment der Metropole Ruhr. Die Toten gab es dann sechs Tage später woanders, in dieser Schmuddelstadt kurz vor Holland, irgendwo an der Rheinschiene, in äh… Duisburg.

Der Ruhrpilot

PresseEingang Koloniestraße 17.00 Uhr
PresseEingang Koloniestraße 17.00 Uhr

Loveparade: Größenwahn und Provinzialität…FAZ

Loveparade II: Die Polizei hätte die Loveparade abgesagt…Welt

Loveparade III: Fritz Pleitgen wird wohl irgendwie irgendetwas gemeint haben...Xtranews

Loveparade IV: Augen zu und durch…Weissgarnix

Loveparade V: Party um jeden Preis…Spiegel

Loveparade VI: Hinter den trüben Schlieren…FAZ

Loveparade VII: Fitmacher in Erklärungsnöten…Stern

Loveparade VIII: Pleitgen: „Wir dürfen jetzt nicht aufgeben“…Der Westen

Loveparade IX: Ex-Polizeipräsident warnte schon 2009 vor Problemen…Ruhr Nachrichten

Loveparade X: Duisburg war nicht zu klein, nur schlecht vorbereitet…Welt

Loveparade XI: Warum ich bei McFit nicht kündige…Law Blog

Loveparade XII: Der Mob ist unterwegs…Querblog

Loveparade XIII: Pyrotechnische Glanzlichter…Christuskirche

NRW: Schock zum Start…Spiegel

Karstadt: Letzte Hürde für Karstadt-Rettung überwunden…Der Westen

Dortmund: Envio drohen Klagen und Zahlungen…Der Westen

Debatte: Was ist eigentlich »Liquid Democracy?«…Kontextschmiede

Online: FDP wird wegen Kommentaren bei den Ruhrbaronen ermahnt…Pottblog

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In eigener Sache: PR-Rat mahnt FDP

Im vergangenen Sommer haben wir eine Geschichte über den mangelnden Arbeitseifer der damaligen Europawahl FDP-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin veröffentlicht. Das begriff mindestens ein Mitarbeiter der FDP als Arbeitsaufforderung.

Und sie waren fleißig, kommentierten in den betreffenden Artikeln. Was natürlich absolut ok gewesen wäre, wenn sie es nicht anonym getan hätten. Dafür wurde die FDP nun vom Deutschen Rat für Public Relations abgemahnt. Hier die Presseerklärung der DRPG:

PR-Rat mahnt FDP
Berlin, 26.07.2010 Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) hat nach eingehender Prüfung eine öffentliche Mahnung gegen die Bundesgeschäftsstelle der FDP ausgesprochen. Diese hatte zugegeben, dass ein Mitarbeiter der Pressestelle mehrfach unter verschiedenen Pseudonymen Kommentare zu einem FDP-kritischen Blogbeitrag gepostet hat. Die verdeckte PR wurde von FDP Rechnern aus online gestellt.

Nachweislich sechs anonyme Kommentare im Blog www.ruhrbarone.de können einem Mitarbeiter der FDP zugeordnet werden. Zwar wurden die FDP-freundlichen Kommentare nicht von Vorgesetzten beauftragt, allerdings gab es auch keine internen Richtlinien oder Verweise auf Verhaltenskodizes der Kommunikationsbranche, die Mitarbeitern der FDP verdeckte PR untersagt hätten.

Wenn wie in diesem Fall Mitarbeiter einer Organisation in deren Sinne anonyme Kommentare in Blogs einstellen, verstoßen sie gegen verschiedene Kodizes der Branche. Insbesondere das Transparenzgebot des DRPR zur Kontaktpflege im politischen Raum wird verletzt. Daher spricht der Rat eine Mahnung gegen die FDP-Bundesgeschäftsstelle aus.

Positiv bewertet der DRPR, dass die Bundesgeschäftsstelle der FDP sich von verdeckten PR-Maßnahmen distanziert und ihre Mitarbeiter für die Problematik sensibilisiert hat. Die FDP hat zudem an der Aufklärung des Falls mitgewirkt. Allerdings sind bislang Richtlinien zur transparenten Kommunikation für Mitarbeiter der FDP-Bundesgeschäftsstelle nicht verpflichtend. Der Rat empfiehlt daher, umgehend klare Verhaltensregeln für die gesamte Kommunikation der Partei einzuführen, online und offline.

Die Mahnung des Rates erfolgte mehrheitlich.

Foto: FDP Baden-Württemberg

„Mit einem Konzept sind Menschenmassen gut zu kontrollieren“

"Wenn die Panik ausbricht, ist es zu spät"- Biologe Krause

Biologe Jens Krause von der Humboldt-Universität zu Berlin forscht darüber, wie Menschenmengen gesteuert werden können, zum Beispiel für eine Evakuierung bei einem Brand. Seine These: Ausreichend platzierte und geschickt agierende Ordner hätten die Loveparade leiten und Paniken verhindern können.

Herr Krause, Sie erforschen das Verhalten von Menschenmassen. Sind so große Veranstaltungen wie die Loveparade mit Millionen von Teilnehmern überhaupt zu kontrollieren?

Jens Krause: Mit dem richtigen Konzept sind auch Millionen Menschen gut zu kontrollieren. Wenn der Veranstalter weiß, wo sie sich lang bewegen und wo es möglicherweise eng wird, ist das sogar sehr gut zu regulieren. Aber die Organisatoren müssen auf den Ansturm vorbereitet sein. Niemand kann hoffen, wenn die Massenpanik oder Enge auftritt noch reagieren zu können. Dann ist es zu spät.

Wie kommt es denn, dass Personengruppen von einer Minute auf die andere so unkontrollierbar werden wie auf der Duisburger Loveparade?

Meist baut sich das Unglück langsam auf. Wenn sich große Menschenmengen bewegen und an bestimmten Stellen wie hier in einem Tunnel verdichtet werden wie in einem Flaschenhals, dann verliert der einzelne die Kontrolle. Zuerst werden die Bewegungen immer langsamer und wie im Straßenverkehr setzt dann ein Stop- and-Go ein. Dann wird es dichter und dichter, manchmal stehen sieben bis zehn Menschen auf einem Quadratmeter. Die Menschen werden an die Tunnelwand gedrückt, wollen fliehen oder sie fallen und kommen nicht mehr hoch.

Werden Menschen in der Panik dann egoistisch und helfen dem an Boden liegenden zum Beispiel nicht mehr auf?

Nein, sie können nicht helfen. In einer so dichten Menschenmenge können sie nicht mehr gezielt handeln, sie sind in einer Druckwelle gefangen. Sie wollen raus und verschlimmern es meistens noch, in dem sie anfangen zu drücken und zu schieben. Dadurch wirken enorme Kräfte. Es treten Turbulenzen wie im Wasser auf, die Leute werden wie Wellen hin- und hergeschoben. Keiner will das, aber niemand kann das stoppen.

Das klingt wie eine ausweglose Situation. Können denn die Ordner nicht eingreifen?

Wenn sich einmal dieser Druck aufgebaut hat kann auch das Sicherheitspersonal nicht mehr reagieren. Sie müssen von Anfang an die Gruppe unter Kontrolle haben. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass sie fünf bis zehn Prozent Personen brauchen, um eine Menge zu kontrollieren. Sie können 200 Menschen mit zehn Personen in die richtige Richtung leiten, zum Beispiel zum Notausgang. Dafür müssen diese Ordner nicht gestikulieren oder über das Megaphon sprechen, sie müssen nicht einmal eine Uniform tragen. Sie müssen sich einfach nur deutlich und zielgerichtet bewegen, alle anderen kopieren sie dann. Wir bezeichnen das als Schwarmintelligenz.

Umgerechnet auf die Loveparade hätten dann ja 100 000 Ordner da sein müssen, das ist doch unmöglich.

Sie müssen ja nicht die ganze Menge beeinflussen, sondern ihr vor allem am Anfang den richtigen Impuls geben. Diese Anzahl brauchen sie dann an den gefährlichen Stellen, wie an diesem Tunnel. Dort müssen sich Sicherheitsleute strategisch positionieren, nicht nur am Rand, sondern auch in der Mitte der Menge und die anderen anleiten. Gerade in Gruppen neigen Menschen dazu, Personenzu folgen, die offenbar Ortskenntnisse haben.

Als die Panik einmal ausgebrochen war, was hätte dann getan werden müssen?

Sie müssen sofort den Druck verringern, in dem die gedrängte Menge sich auflösen kann. Sie müssen nach hinten sperren und Seitenausgänge schaffen. In Mekka haben sie nach dem großen Unglück von 2006 Videokameras installiert, die die Dichte der Menschenmasse misst und das Stop – and Go-Phänomen beobachtet. Wenn es brenzlig wird, werden die Eingänge verschlossen und Ausgänge geöffnet. Das funktioniert ganz hervorragend.

Verhalten sich denn Pilger von Mekka genauso wie die jungen Techno-Raver?

In so großen Mengen werden individuelle Unterschiede unwichtig. Alle unsere Tests zeigen, dass sich Menschen in Massen gleich verhalten, egal ob sie 18 oder 80 sind. Wenn die Raver viele Drogen konsumieren, sind sie möglicherweise desorientierter. Aber das spielt auch nur eine geringe Rolle. Der Einzelne kann in der Masse ohnehin nicht rational entscheiden.