Der Ruhrpilot

Loveparade: Fakten und Wissenswertes rund um die Loveparade…Der Westen

NRW: Ab Wintersemester 2011 keine Uni-Maut mehr…Der Westen

Bochum: Die kleinste Disco der Welt…Kochplattenteller

Bochum II: Ermittlungen gegen Bochumer EGR-Chef…Der Westen

Essen: Stiftung Zollverein: Es gab keine Abmahnungen, sondern nur Zahlungsaufforderungen…Pottblog

E-Post & DE-Mail: Und täglich grüßt das Wochenende…Netzpolitik

Umland: Hysterie um Aygül Özkan…Frontbumpersticker

Umland II: Wie geht das eigentlich? – Tempo 30 …Zoom

Medien: Bin dann mal morgen früh im Radio…Pottblog

Noch kein Klink-Nachfolger in Sicht

Kurz vor Ende der Bewerbungsfrist gibt es noch keinen heißen Kandidaten für die Nachfolge von Heinz-Dieter Klink als Chef des Regionalverbandes Ruhr. Noch kann man sich also mit der Frage beschäftigen, was zukünftiger RVR-Chef eigentlich mitbringen sollte.

Chef des Regionalverbandes Ruhr und seiner Vorgänger, dass war einmal ein Job für Menschen die etwas gestalten wollten. Der erste Revier-Chef, Robert Schmidt, sorgte dafür dass es im Ruhrgebiet Straßen gab, die die Revierstädte miteinander verbanden. Unter Gerd Willamowski bewarb sich das Ruhrgebiet um den TitelKulturhauptstadt, wollte die Olympiade ausrichten und stemmte sich gegen Clements Plan den damaligen KVR in eine schnöde Agentur umzuwandeln. Der jetzige Amtsinhaber hat weniger vorzuweisen: Die Kulturhauptstadt bekam er geschenkt, die Regionalplanung wurde dem RVR gegen seinen Willen übertragen.

Einen wie Klink, der von der Leistung seiner Vorgänger zehrt, kann das Ruhrgebiet nicht noch einmal ertragen. Da ist nichts mehr, von dem man zehren kann. Was würde das Ruhrgebiet gebrauchen? Jemanden, der Ideen hat, Mut, sich mit den Oberbürgermeistern anzulegen, wenn es darum geht, die Interessen der Region gegen die Kirchturmpolitik zu vertreten. Und wenn es noch ohne zu stottern in ein Mikrofon reden kann, wäre das auch nicht schlecht.

SPD und Grüne haben gesagt, dass sie eine solche Person nominieren wollen. Eine Peinlichkeit wie Klink soll sich nicht wiederholen. In wenigen Wochen wissen wir, ob sie Wort halten. Oder ob sie überhaupt Wort halten können. Denn es kann schon sein, dass der Posten des RVR-Regionaldirektors so unattraktiv ist, dass sich kein vernünftiger Bewerber findet. Hoffen wir mal, dass es so schlimm nicht kommt.

Der Ruhrpilot

LoveparadeWestbams „Gerhard-Schröder-mäßige“ Entscheidung…Welt

Bahn: Milliardenvertrag mit VRR wackelt…Der Westen

Ruhrgebiet: Termine…Pottblog

Koalitionen: Rot-grün ist zurück…Querblog

Bochum: Die Ära des Elmar Goerden…Der Westen

Dortmund: Dortmunder staunen in der Baustelle Phoenixsee…Der Westen

Digital: Elke Wittich, Kontrollverlust im Blogger-Dorf…Zoom


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Bahn bangt um Nahverkehr

lukrativer als viele ICE: Der Nahverkehr

Ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf zwingt die Nahverkehrsbetreiber in Deutschland, ihre Strecken künftig vermehrt öffentlich auszuschreiben. Konkret ging es um einen Vertrag zwischen der Bahn und dem nordrhein-westfälischen ÖPNV-Riesen VRR, der nun für ungültig erklärt wurde. Weil dieses Urteil vom späten Mittwochnachmittag einem anderen Urteil des OLG Brandenburg widerspricht, wird nun der Bundesgerichtshof das letzte Wort sprechen.

Mit der Düsseldorfer Entscheidung nimmt ein alter Konflikt zwischen dem VRR und dem Konzern eine überraschende Wende. Schon im Juni 2008 hatte der Verbund Verträge über 18 000 Zugkilometer in Nordrhein-Westfalen fristlos gekündigt. Die Strecken, fast die Hälfte aller nordrhein-westfälischen Gleiswege, sollten zukünftig frei ausgeschrieben werden. Die Züge führen zu spät, sie seien zu dreckig und nur wenig Servicepersonal stehe den Fahrgästen zur Seite, führte der VRR zur Begründung an. Nach einem weiteren Gerichtsurteil einigten sich die beiden Konzerne dann darauf, dass die Bahn auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtete und der VRR den ursprünglich bis 2018 laufenden Vertrag bis zum Jahr 2023 verlängert. Unter der Hand und ohne Ausschreibung. Dieser mühsam ausgehandelte Friedensvertrag zwischen den beiden staatlichen Großkonzernen ist nun hinfällig.

Zur Freude der privaten Anbieter. „Das Urteil ist ganz entscheidend für den fairen Wettbewerb auf der Schiene“, so Engelbert Recker, Geschäftsführer des Interessenverbandes der privaten Zuganbieter, „Mofair“ , zu dieser Zeitung. „Bisher wird noch viel zu viel zwischen der Bahn und den Verkehrsbetreibern gekungelt.“ Geklagt hätte bislang nur deswegen niemand, weil die meisten Firmen an anderer Stelle schon mit den Verkehrsverbünden im Geschäft seien. Diese würden dann nicht wagen, den potentiellen Auftraggeber vor Gericht zu zerren. Klagen dürfen aber nur diejenigen, die sich um ein konkretes Geschäft betrogen fühlen und nicht etwa ein Verband wie Mofair. „Wir erwarten, dass der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigt und somit mehr Strecken ausgeschrieben werden.“

Dabei geht um viel Geld. Die Bundesländer vergeben die Aufträge für den Schienen-Nahverkehr an Verkehrsunternehmen wie die Deutsche Bahn oder deren Konkurrenten. Der Markt gilt als äußerst lukrativ: Jedes Jahr geben die Länder annähernd sieben Milliarden Euro für den Nah- und Pendlerverkehr aus. Die Sparte DB Regio ist daher seit Jahren die profitabelste im DB Konzern.

Die Sparte hat ihre größte Herausforderung aber noch vor sich: In den kommenden Jahren enden Verträge über rund die Hälfte der befahrenen Zugkilometer in Deutschland. „Jetzt versucht die DB alles, um ihre Marktanteile zu halten“, so Andreas Winter, Sprecher des größten privaten Anbieters Veolia-Verkehr. Meistens laufen die Verträge über so viele Jahre, dass diese Entscheidungen sehr weitreichend sind. „Wer jetzt viel abgreift vom großen Kuchen, hat die nächsten Jahre das Netz in der Hand“, prophezeit Winter. Bislang liegt der Anteil der privat betriebenen Strecken bei rund 20 Prozent.

Allerdings müssen die kleinen Nebenbuhler der Bahn sich zukünftig auch auf allen Ebenen messen lassen. Gewerkschaften kritisieren, dass die günstigen Angebote der Privatanbieter mitunter durch niedrige Löhne erkauft würden und fordern einen Branchentarifvertrag. Dieser wiederum käme sogar den Bahnmitarbeitern zugute: Denn der Staatskonzern soll seine Mitarbeiter in Tochterfirmen ebenfalls schlechter bezahlen. Auch dies könnte zukünftig bei einer größeren Transparenz im Nahverkehr zutage treten.

Reuters führt Gedankenpolizei ein

Die Nachrichtenagentur Reuters ist eine der ältesten der Welt. Gegründet wurde sie 1850 an der belgischen Grenze, um Börsennachrichten zu verbreiten. Heute sitzt die Agentur als internationaler Konzern in London. Lange war Reuters ein Vorbild für seriösen Journalismus, unabhängig und frei. Doch diese Tage könnten vorbei sein, wie unser Gastautor Paul Julius R. aus Aachen schreibt. Was Konzern-Fremde über privaten Äußerungen von Reuters-Reporter denken, soll über deren Job entscheiden. Hier seine Gedanken zur Einrichtung einer Reuters-Gedankenpolizei:

Reuters, die nach eigenen Worten größte Nachrichtenagentur der Welt, die ihre Integrität und Unabhängigkeit von einer eigenen Stiftung garantieren läßt, legt seine Journalisten an die Kandare: Die Chefredaktion hat die Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass alles, was sie außerhalb ihrer Arbeit sagen oder tun, Folgen für ihr Arbeitsverhältnis haben kann, sollte es aus irgendwelchen Gründen auf Missfallen stoßen.

In einer Email weist Chefredakteur David Schlesinger darauf hin, dass es aufgrund des Internets und sozialer Netzwerke nun wesentlich leichter sei nachzuvollziehen, wes Geistes Kind ein Journalist denn sei – und dass dies ihn durchaus für seinen Job disqualifizieren kann.

Er nennt mehrere Beispiele aus anderen Medienorganisationen, wie z.B. CNN, die eine Mitarbeiterin feuerte, weil diese in einem Tweet einen gestorbenen Angehörigen der Hisbollah als „Giganten“ bezeichnete, den sie „respektiere.“ Oder die Geschichte eines Bloggers der Washington Post, der kündigte, weil er in einer privaten Diskussionsgruppe abfällige Kommentare über die US-amerikanischen Konservativen machte, über die er auch beruflich berichtete.

Ohne sich die Einstellung CNNs oder der Washington Post zu eigen zu machen, sagt Schlesinger, dass im Internet gemacht Kommentare Rückschlüsse zulassen, ob ein Reporter in der Lage ist, seine Arbeit zu machen.

“Wenn man Leuten Grund oder Anlass gibt, seine Fähigkeit anzuzweifeln, ein fairer oder objektiver Journalist zu sein, wird das notwendigerweise Einfluss auf unsere Möglichkeit haben, jemandem Aufträge zu geben oder auf dem Dienst veröffentlichen zu lassen.”

Die Fülle des Nichtgesagten hinter diesen Kommentaren lassen erschrecken. Und dabei muss man nicht einmal die Frage stellen, wieso Schlesinger gar nicht darauf eingeht, warum denn seiner Ansicht nach Journalisten außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit keine Meinungsfreiheit genießen sollen?

Man muss sich nur fragen, warum laut Schlesinger gar nicht im Einzelfall geprüft werden muss, wie denn die private Meinung eines Journalisten tatsächlich Auswirkungen auf seine Arbeit hat? Wieso muss gar nicht dargelegt werden, dass dieser nicht in der Lage war zu trennen zwischen beruflichen Pflichten und persönlicher Einstellung? Wieso reicht eine „unliebsame“ Äußerung aus, das anzunehmen?

Kann denn beispielsweise ein ausgewiesener Marxist nicht gemäß den Richtlinien von Reuters über Aktienunternehmen schreiben? Auch wenn er die Unternehmen ebenso wie das wirtschaftliche System in dem sie operieren ablehnt?

Aber wie Schlesinger selber schreibt, geht es ihm gar nicht darum, es geht ihm – in vorauseilendem Gehorsam – um den Eindruck gegenüber unspezifizierten anderen „Leuten“ – offensichtlich externen Gruppen, vor denen er als Vertreter Reuters‘ enormen Respekt zu haben scheint.

Im Falle der entlassenen CNN Reporterin spielte laut New York Times tatsächlich eine Rolle, dass andere Interessengruppen an das Unternehmen herantraten und diesen Journalisten für untragbar erklärten.

Und das entlarvt vieles: Denn hier zeigt sich deutlich wie selten, wie Journalismus in weiten Teilen eine Vertretung für die Interessen machtvoller Gruppierungen ist, die bestimmen, was in die Öffentlichkeit gehört und was nicht.

Das Internet läßt diesen Sachverhalt nur noch deutlicher zu Tage treten, da es die Medien zwingt nach neuen Wegen zu suchen, Ihre Mitarbeiter zu kontrollieren. Obwohl eigentlich ein Journalist auch Bürger ist und das Recht zu seiner eigenen Meinung hat. Und obwohl es keinen Unterschied machen darf, ob ein Reporter dieses Recht wahrnimmt, indem er seine Meinung weltweit nachvollziehbar in einem „Tweet“ äußert oder auf einer Demonstration oder gegenüber seiner Ehefrau.

Gerade für dieses Recht sollten Medien eigentlich eintreten, denn schließlich ist genau das ihre Existenzgrundlage und eigentlich auch der Grund, warum Menschen Zeitungen kaufen oder Radiosendungen hören.

Doch genau das passiert nicht. Die Unternehmen unterwerfen sich widerspruchlos dem Diktat anderer – im Fall der CNN Reporterin offensichtlich der US-amerikanischen Außenpolitik und damit der Regierung — und räumen diesen Gruppen damit das Recht ein, zu bestimmen, was für die Öffentlichkeit bestimmt ist und was nicht.

Und zwar in einem enormen Ausmaß, der weit über das hinausgeht, was Schlesinger mit seiner Email eindämmen will: Denn wenn diese Gruppierungen schon solchen Einfluss haben, wenn es um private Äußerungen geht, kann man sich ausmalen, wie groß der Einfluss erst sein muss, wenn es darum geht, was tatsächlich publiziert wird.

Wenn schon für angestellte, gewissermaßen erprobte Journalisten diese Grundsätze gelten, kann man sich auch fragen, welchem Diktat sich erst angehende Journalisten unterwerfen müssen. Wie angepasst muss man denn sein, um überhaupt im Journalismus Fuß zu fassen – und was bedeutet das für das, über das berichtet wird?

Reuters jedenfalls könnte sich Gedanken machen, ob man nicht in Zukunft jedem Artikel den Zusatz hinzufügen könnte, gleich einem Wasserzeichen – „Von der Gedankenpolizei für unbedenklich erklärt.“

Blogger wegen Tortencomic verurteilt – „Aufforderung zur gefährlichen Körperletzung“

Gestern verurteilte das Amtsgericht Bochum den Betreiber den Betreiber des Blogs Bo-Alternativ, Martin Budich, zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro. Der Grund: Er hatte einen Artikel gegen eine Nazi-Demo mit einem Tortencomic verziert.

Als im Herbst 2008 die NPD berichtete  Martin Budich auf seinem Blog Bo-Alternativ über die Proteste gegen die Nazi-Demo. Einen dieser Texte illustrierte er mit einem Comic aus dem Computerspiel  Super-Bomberman.

Das hatte Folgen: Die Staatsanwaltschaft Bochum zog gegen ihn vor Gericht: Begründung: Der Comic sei ein Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung und zum Verstoss gegen das Versammlungsrecht. Gestern fiel das Urteil vor dem Amtsgericht Bochum: Martin Budich wurde zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Der Grund: Die Comictorte sei eine Bombe. Budich erklärte gegenüber den Ruhrbaronen, dass er in Berufung gegen wird. Eine Strafe für eine Comictorte zu zahlen sieht er nicht ein. Für die Staatsanwaltschaft Bochum wird es also bald wieder eine Gelegenheit geben, sich lächerlich zu machen. Mehr zum Tortenprozess auf Bo-Alternativ…Klack

Arnsberg will wieder für das Revier planen

Die Bezirksregierung Arnsberg gehört zu den überflüssigsten Institutionen in Nordrhein Westfalen. Ihr Aus würden wahrscheinlich nicht einmal die eigenen Mitarbeiter bemerken. Nun soll sie  wieder mehr zu sagen bekommen.

Seit kurzem ist der Regionalverband Ruhr wieder für die Planung im Ruhrgebiet zuständig. CDU und FDP geendeten den Irrsinn, das die Planung des Ruhrgebiets auf drei Regierungsbezirke Düsseldorf, Münster und Arnsberg aufgeteilt war. Der schöne Plan von schwarz-gelb aus den fünf Regierungsbezirken drei zu machen, davon einer für das Revier wurde nichts. Die Land-Lobby war zu mächtig, das Ruhrgebiet zu blöd, die Reform einzufordern.

Nun wollen einige Politiker aus dem Regionalrat Arnsberg die Planungshoheit über das zum Regierungsbezirk-Arnsberg gehörende östliche Ruhrgebiet  zurück. In einer großen Koalition haben die Fraktionen von SPD und CDU ein 10-Punkte-Papier, das den Ruhrbaronen vorliegt, für den Regierungsbezirk Arnsberg erstellt. Darin sorgen sie sich auch um den demographischen Wandel, wünschen sich Anschluss an das Breitband-Netz und wollen natürlich ihre Pöstchen behalten: Die Beibehaltung des Regierungsbezirks Arnsberg ist ihnen besonders wichtig.

Menschen wie Hermann-Josef Droege (CDU) aus Burbach (ca. 14.000 Seelen) und Hans-Walter Schneider (SPD) aus Winterberg (ca. 13.000) fühlen sich anscheinend berufen, für ein Ballungsgebiet mit 5 Millionen Einwohnern zu planen. Das zeugt entweder von einem großen Selbstbewusstsein oder einem schweren Alkoholproblem. In der Ruhrgebiets-SPD hat das Papier für Irritationen gesorgt. Die Pläne aus dem Regionalrat werden als nicht realistisch bezeichnet. Die Planungshoheit scheint man sich im Ruhrgebiet nicht wieder wegnehmen lassen zu wollen.

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A local Hero´s Diary VI: Schnick Schnack Schnucki

Im sechsten Teil seiner Local-Hero-Reihe schreibt unser Gastautor Carsten Marc Pfeffer über das Wiedersehen mit seiner Lieblingskneipe auf der Autobahn.

Samstag, 17. Juli: Das Telefon klingelt. Hausanschluss. Absolut privat. Ich dreh mich zur Seite und lege mir das Kissen aufs Ohr. Es ist doch erst 11 Uhr, vor drei Stunden bin ich zu Bett gegangen. Wie kann denn das alles nur sein? Das Telefon klingelt. Muss wohl wichtig sein. Ist es auch. Werner ist am anderen Ende der Leitung und gratuliert mir zu meinem großartigen Local-Hero-Tagebuch. Oh, wie mich das freut! Werner ist einer der ganz Großen und dabei völlig smart und easy geblieben. Wir plaudern ein bisschen über Bukowski und den gestrigen Gig. Auch Werner ist ja in den 60ern Liedermacher gewesen, bevor er sich entschieden hatte Journalist und Schriftsteller zu werden. Der Artikel, mit dem er heute den Bochumer Kulturteil aufmacht, liest sich denn auch wie eine Hommage: „Als der Beat durch den Pott klang“. Es geht um die aktuelle Ausstellung im Industriemuseum Zeche Hannover „Kumpel Anton, St. Barbara und die Beatles“. Ausstellungsleiterin Dagmar Kift betont: „das Motto der Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2010 WANDEL DURCH KULTUR – KULTUR DURCH WANDEL hätte auch damals gut gepasst.“ Stimmt genau, muss ich denken. „So avancierte Dortmund in den 1950er Jahren zur Jazz-Metropole und Recklinghausen in den 1960er Jahren zum Mekka der Beatbewegung.“ – Ach, da wäre ich gerne dabei gewesen, als die Rickets (Bottrop) und die Blue Flames (Gelsenkirchen) damals die Tanzlokale unsicher machten. Als diese bescheuerten Altnazis über „Negermusik“ schimpften, und ein entspannter Umgang mit Sexualität für viele noch ein Tabu war, da konnte man herrlich polarisieren. Heute ist ja vieles indifferent geworden. Damals sagte man: Das sind rechtskonservative Schmierpisser, für die werde ich niemals schreiben. Heute sagt man: Das sind rechtskonservative Schmierpisser, vielleicht haben die einen Job für mich. Die Existenzangst ist das große Thema. Die meisten Kids wollen (möglichst schnell) ihre Seelen verkaufen, egal an wen, Hauptsache Pappi schimpft nicht. Deshalb begegnet man heutzutage im Nachtleben auch nur noch den Besten, hehe. – Wird wohl der Restalkohol sein.

Was für ein großartiger Morgen! Mittlerweile hat sich mein Körper an den Alkohol gewöhnt. Das kann ruhig noch ein paar Tage so weiter gehen. Ab nächster Woche heißt es dann wieder: trimm dich. Ich habe ja einen Coach, eine Saunakarte und viel Freizeit. Das lässt sich alles wieder korrigieren. Muss auch. „Ohne Körper geht es nicht“, sagt der Coach. Aber heute ist Bochum Total und die Party muss weiter gehen. Schade nur, dass mir die Sparkasse mein Konto gesperrt hat. Was soll denn das? Die sehen doch am Kontoverlauf, dass ich ziemlich schnell sehr viel Geld verdienen kann. Na ja, auf der anderen Seite sehen sie auch, dass ich ziemlich schnell sehr viel Geld ausgeben kann. Egal, müssen halt die anderen mal zahlen. Und Kibi schimpft erst, wenn der Deckel die 200€-Grenze übersteigt und gestern konnte ich frei saufen, müsste also noch Spielraum sein. Außerdem haut das Ansagemädchen auch gerne mal einen raus. Ich hoffe nur, dass Ayleen heute auch wirklich kellnert.

Meike, warum nur?

Jetzt die SMS von Mondrian: „Pfeffer, du Wichser, nie wieder ein Wort!!!“ – Der kam mir gestern nach dem Gig schon so blöd: Ich hätte in meinem Song „Oh, Mondrian“ zu viel Pikantes über sein Privatleben preisgegeben. – Na und? Ich bin Künstler, womit soll ich denn sonst arbeiten, als mit dem, was ich vor Augen habe? Einfach irgendwas erfinden? Man kann nicht einfach irgendwas erfinden. Und wenn uns die Künstler dies immer wieder glauben machen, dann hat das etwas mit ihrem Handwerk zu tun, aber doch nicht mit ihrer Erfindungskraft. Schöpfungskraft heißt abschöpfen nicht erschaffen. Wie kann man nur so zimperlich sein, Mondrian? Ich wäre stolz, wenn ich in einem deiner Songs vorkommen würde. Ich will doch einfach nur loslabern. Das tut so gut und immer kommt etwas Gescheites dabei raus. Warum nur kommt es immer wieder zu solchen Missverständnissen? Ach Meike, warum hast du mir das alles nur angetan?

Bochum Total ist am Samstag natürlich überlaufen von Menschen, die ansonsten Themenparks besuchen würden. Dazu die Mitglieder dieser Festival-Jugend, die die Einlassbänder von drei Jahren Dixiklo-Kultur an ihren Handgelenken tragen. Schade, dass sich Dr. Schröder wegen einer Konferenz in Toronto für drei Wochen verabschiedet hat. Dem wäre bestimmt etwas Bissiges dazu eingefallen. Schön dagegen, dass man barfuß laufen kann. Ein Hund wäre heute ein treuer Begleiter. Das Glasflaschenverbot war die richtige Entscheidung gewesen. Ich treffe die Jungs und schnorr mich so durch. Esse zu viel gegrilltes Bauchfleisch in einem pappigen Brötchen, das sich langsam auflöst im Saft des Krautsalates. Trinke eine Bowle mit Erdbeere. Trinke eine Bowle mit irgendwas. Auf der Ringbühne jetzt: Reefer Madness. Klingt nach Seeed. Sie spielen „Sei laut“. Der Sänger so: „Ey, Bochum – ey, könnt ihr laut sein?“ Alle: „Yeah!“ Er wieder: „Jau, jau. Wir finden das so geil, dass ihr jedes Jahr dieses Festival hier auf die Beine stellt. Ey, Bochum, ey – jau!“ – Das nervt natürlich schnell. Peter Fox in allen Ehren, aber es hat auch alles seine Grenzen. Danach dann Frida. Das Bochum-Wunder 2010. Ich weiß noch, wie sie im letzten Jahr im Schaufenster von Nastys Vintage-Laden gespielt haben: Off-Programm, die dicken Boxen auf die Brüderstraße, die Band hinter der Scheibe und dann Rawumms. Mir haben sie damit den Auftritt kaputt gemacht. Denn ich spielte im Zacher direkt nebenan und musste ganz leise sein wegen dem Ordnungsamt. Das war schon schlimm genug, aber als dann auch noch alle rausrannten, weil sie wissen wollten, was da draußen los ist, da wusste ich, es ist Zeit für meinen letzten Song. Und jetzt sind Frida eben Popstars mit MTV und so. Wie ich die Sängerin auf der großen Bühne über dem Meer der hochgeworfenen Arme betrachte, denke ich, da könnte jetzt auch die Meike stehen.

Als mir Meike vor ungefähr vier Jahren zum ersten Mal mailte, war ich an kultureller Betätigung nicht interessiert. Ich untersuchte zu dieser Zeit die ökonomischen Prozesse innerhalb der europäischen Literatur seit der Renaissance bis Houellebecq. Was spannend war und schon die Formen einer potentiellen Dissertation in sich trug. Diese Arbeit erforderte meine ganze Aufmerksamkeit. Meike hatte von mir gehört und wollte, dass ich ein paar meiner Texte auf ihrer Kleinkunstbühne im Riff lese. Dreimal ignorierte ich ihre Anfrage. Dann begann ich rumzuspinnen: wie sieht diese Meike eigentlich aus? Wie mag sich wohl ihre Stimme anhören? So rief ich sie an und sagte zu, um sie näher kennenzulernen. Klar, mir hatte das auch sehr gefallen, wie hartnäckig sie viermal versucht hatte, mich zu buchen. Kleines Leistungsmädchen, tough und gut. Spätestens in diesem Augenblick zerstörte ich meine akademische Karriere endgültig. Meike war zauberhaft. Sie wohnte mit ihrer kleinen Tochter in einer riesigen Wohnung über den Dächern der Stadt. Ich war wahnsinnig verliebt in sie, aber ich versuchte, sie das nicht spüren zu lassen. Denn irgendetwas sagte mir, dass ich in dieser Frau, die gut zehn Jahre jünger war als ich, eine Lehrerin gefunden hatte und keine Geliebte. Auch sie liebte den Schreibtisch, aber nicht so verbiestert wie ich ausgelutschter Schlagmichtot. Nein, sie benutzte ihren Schreibtisch wie einen Flipperautomaten: Text schreiben, Mail raus, Netzwerken, Clip schneiden, einmal alle grüßen, Clip raus. Dann in die Küche: Kaffee kochen, Zigarette drehen, Songs schreiben. Telefonieren, Kaffee trinken, loslabern. Suppe kochen, Kind abholen. – Und da begriff ich, dass ich zu langsam lebte. Das irgendetwas fehlte.

Ruhrwiesen

Nach wie vor weigerte ich mich, eine Gitarre in die Hand zu nehmen. Ich hatte schlechte Erfahrungen damit gemacht. Schon meine erste Karriere hatte ich wegen einer lausigen Punk Band ruiniert. Das sollte mir nicht noch mal passieren. Meike hingegen machte jeden Tag neue Songs. Sie spielte auf Nylon-Saiten, viel Hammering, oft A-moll und E-moll, meine absoluten Lieblingsakkorde. So verging ein schöner Frühling. Eines Tages fuhren wir nach Dahlhausen an die Ruhrwiesen. Wir ließen uns am Ufer nieder und Meike spielte mir ihre neuen Songs vor. Die Schwäne wurden neugierig. Da sagte die Meike, sie müsse sich mal die Hände waschen, legte ihre Gitarre beiseite und ging zum Bootshaus. Zwei Stunden ließ sie mich dort am Ufer warten. Als sie zurück kam, hatte ich drei Songs geschrieben. Und ich war absolut überzeugt von diesen drei Songs, und so dumm sie aus heutiger Sicht auch waren, glaubte ich an sie, weil ein Stück meiner Liebe zu Meike in diese Songs übergegangen war. Seitdem trage ich dieses Feuer in mir. Es zerstört jegliche Aussicht auf Prosperität in meinem Leben. Es lässt mich trotz fortschreitender Vergreisung wie ein Jugendlicher leben und täglich verlangt es alles von mir. Es weckt mich in der Nacht und zieht mich zurück in seine Flammen. Am Tage hält es mich unter einer permanent fordernden Spannung, die Menschen in meinem Alter nur schwer ertragen können. Es stößt mich hinab in tiefste Demut, dann zieht es mich wieder herauf auf den Olymp. Dieses Feuer ist der Rock’n Roll. Er ist mir zur Religion geworden, und auf seinen Altären habe ich alles geopfert, was ich jemals besessen habe. Ich habe das Sonnenlicht gegen die Nacht getauscht, die Karriere gegen die Freundschaft, die Altersvorsorge gegen das Hier und Jetzt. Und so fahre ich über den Ruhrschnellweg direkt bis in die Hölle. Und, verdammt noch mal, ich liebe das.
Irgendetwas war anders geworden als Meike an das Ufer zurückkehrte. Nachdenklich sah sie mich an, auch glaube ich, sie hatte ein bisschen Angst vor mir. 2006 spielten wir zusammen auf Bochum Total. Kurz darauf zog sie nach Berlin, bewarb sich bei DSDS, erreichte den Re-Call und flog mit Dieter Bohlen in die Karibik. Tough, wie sie war, hatte sie natürlich keinen Bock sich vom Produktionsteam alles vorschreiben zu lassen. Sie ging sogar soweit, sich über die Zustände am Set in einem Blog zu beklagen. So wurde sie kurzerhand rausgeschmissen. Ich erfuhr von all dem leider viel zu spät, weil ich gemeinhin auf DSDS einen Fick gebe, aber das wäre meine große Story gewesen…

Das BlackBerry blinkt. Aha, endlich der Ankündigungstext für morgen. 17 Stunden vor dem Auftritt keine Minute zu früh: „Autobahn unplugged: Die Goldkante auf der A40. Bisher hat eure Lieblingskneipe das Kulturhauptstadtjahr schnöde vorbeiziehen lassen. Das dauert einfach, ein neues Zuhause zu errichten. Unser Motto muss in diesem Jahr deshalb sein: Größe statt Quantität. Beim größten Ruhr.2010-Projekt „Still-Leben Ruhrschnellweg“ ist die Goldkante ganz vorne mit dabei. Kilometer 5,6, Block 70, Tisch 12. Ein adäquates Programm fand sich quasi ganz von selbst. Die solidaritätserfahrenen Songwriter Carsten Marc Pfeffer und Unter anderem Max geben sich auf dem Tisch die Ehre und spielen mindestens zwei Songs. Das ist ganz besonders, das ist selten, das ist exquisit. Und findet um 14 Uhr statt. Kommt alle.“ – Lieber Unter anderem Max, bitte lasse deinen Fender-Twin zuhause, muss ich denken. Aber den müsste er ja über die halbe Autobahn schleppen, das macht der bestimmt nicht, hehe. Körperliche Arbeit kennt der doch nur aus dem Fernsehen, hehe. – Hab schon wieder ganz schön einen sitzen. Ich muss unbedingt schlafen, sonst wird das morgen mit dem Gig nichts. Außerdem ist da ja auch noch die Lesung im FKT. Wann war das nochmal? 10:30 Uhr! Wie soll das alles nur funktionieren. Immerhin muss ich doch auch noch zur Weltmeisterschaft. Denn wer dieses Spektakel nicht gesehen, der nie auf Bochum Total gewesen.

Schere in Brunnen

Die Schnick-Schnack-Schnuck-Weltmeisterschaft ist seit vielen Jahren der absolute Geheimtipp des Festivals. Sie ist mehr als so ein halbironisches WG-Ding, aber sie hat schon viel Glamour in manche WG gebracht. Ungefähr zweihundert Leute stehen vor dem Intershop. Von außen sieht es aus wie eine Kampfszene aus Fight Club. Es kommt sogar immer wieder vor, dass gewaltbereite Street-Gang-Mitglieder auftauchen, weil sie auf die Schlägerei ihres Lebens hoffen, sich jedoch angewidert abwenden, sobald sie entdeckt (und verstanden) haben, was sich im Auge des Taifuns dieser großen bewegten Masse wirklich abspielt: Schnick, Schnack, Schnuck. Weltmeisterschaft! Es gibt eine Fee, die erhöht auf einem Stromkasten steht und die Gegner für die kommende Runde ermittelt, indem sie Namenskärtchen aus einem großen Pokal hervorzieht. Diese Fee wird sehr verehrt. Viele der Kontrahenten wollen von ihr berührt werden, weil das angeblich Glück bringt; andere preisen sie mit an Fußballchören erinnernden Hymnen. Doch ist der Kult um die Fee nichts anderes als eine „Fickbeziehung ohne Sex“, wie Kurti gerne behauptet. Dafür sorgt allein schon der verhasste Schiedsrichter. „Nicht an die Fee packen!“ – Dieser Typ ist wirklich ein harter Knochen. Was er jedoch auch sein muss, denn während der Weltmeisterschaft verliert diese Disziplin alle Attribute eines harmlosen Kinderspiels. Das ist Psychokrieg, wenn man plötzlich Männern wie Helmut gegenüber steht, die sich mitten im Duell einfach umdrehen und das Spielfeld verlassen, nur um den Gegner zu verunsichern und die johlende Menge weiter anzustacheln. Der Schiedsrichter ist immer kurz vorm Durchdrehen. Im Zentrum des Geschehens: Tommyboy und sein neuer Mitbewohner Mr. Big Bee, einem Grundschullehrer aus Osnabrück. Tommyboy weist ihn gerade in die Geheimnisse des Spiels ein, denn Mr. Big Bee wurde vom Komitee für das Turnier nominiert.

„Am besten ich mach immer Papier.“
„Nein, so darf man gar nicht denken.“
„Klar, weil der Gegner das auch weiß.“
„Eben. Der Gegner weiß, dass du es weißt und jeden Schritt, den du weiter denkst, denkt der Gegner mit.“
„Aber was dann?“
„Du musst eben blitzschnell entlang dieser Endlosschleife vorandenken.“
„Ja, und dann?“
„Keine Ahnung, aber auf jeden Fall kein Papier. Besser Stein, das kommt unerwartet und zeugt von Selbstbewusstsein.“
„Warum nicht Schere?“
„Von mir aus auch Schere, aber der Gegner darf dir das nicht ansehen. Am besten du denkst an Papier und machst dann Schere.“

Da zieht die Fee auch schon seinen Namen aus dem Pokal. Mr. Big Bee muss direkt gegen den mächtigen Helmut antreten. Was für ein Wahnsinn: er schlägt ihn 3:1! Tommyboy und ich liegen uns in den Armen. „Bring Glamour in die WG“, skandiert Mademoiselle Richeux. Der WM-Pokal ist sehr begehrt, denn seine Reputation zählt innerhalb der Szene beinah genauso viel, wie eine offen beglaubigte Affäre mit der Fee. Punkt 0.12 Uhr erreicht Mr. Big Bee das Viertelfinale. Besonders ich tue mich mit wüsten Beschimpfungen der gegnerischen Fans hervor. Um 0.47 Uhr heißt es dann Halbfinale. Was für eine Sensation! Leider fliegt Mr. Big Bee im Halbfinale raus. Aber immerhin ist er jetzt in Bochum angekommen. Sie wissen jetzt, wer wir sind. Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken.

Vertrauen

Ich sollte jetzt schleunigst ins Bett. Nein, nicht noch saufen mit My Baby Wants To Eat Your Pussy. Unbedingt brauche ich ein bisschen Schlaf, denn morgen gibt es viel zu tun. Vor meiner Wohnungstür hat jemand eine Flasche Jacquart hinterlassen. Wirklich sweet, aber auch gefährlich. Noch ein Schluck und ich würde morgen auf der Autobahn tot umfallen. So liege ich im Bett und kann nicht schlafen. Meine Nerven sind so überdreht, dass ich kein Auge zubekomme. Immer wieder schrecke ich beim Gedanken an die morgige Lesung auf. Aus purer Gehässigkeit hatte mich Tommyboy noch heute ganz großartig in der Tageszeitung angekündigt: „Carsten Marc Pfeffer liest Gedichte aus seinem Amsterdam-Zyklus“. Dabei weiß er genauso so gut wie ich, dass ich überhaupt keine Gedichte geschrieben habe. Ich wollte welche schreiben. Ja, das ist richtig. Ich war auch mehrere Wochen in Amsterdam, um den Beat einzufangen. Aber als ich zuletzt in meinen Entwürfen blätterte, hätte ich weinen können. Da stand nur Mist. „Wer brachte das Feuer? Heute ist es Rauch!“ – Fürchterlich. Das Gedicht über den Elektroschuppen Korsakow an der Lijnbaansgracht 161 könnte vielleicht noch gehen. Besonders der Epilog:

glockengiebel cruise grachten
langgestreckte leidsestraat
matzerazzi gegen planke
50 cent und schiebedach
jugend war jugend bleibt
blutsturz ecke prinzengracht
aspirin statt etikette
eine letzte zigarette
die atmung verflacht

Das geht doch schon ganz gut an, aber für eine Überarbeitung letzter Hand bedürfte es mehrerer Tage. Gedichte sind Arbeit. Aber Absagen will ich die Lesung auch nicht. Das sind so nette Leute beim FKT. Außerdem gibt es einen Brunch, und da ich eh nichts mehr zu essen im Haus habe und auch ansonsten total abgebrannt bin, könnte ich mich dort schadlos halten. Aber ohne Text geht das natürlich nicht. Also los jetzt. Raus aus dem Bett, den Champagner aufgemacht und noch einmal kurz an den Schreibtisch. Hab Vertrauen. Irgendetwas fällt dir immer ein.
Ich beginne einen Text, der in verschlungenen Prosaschleifen die Entwicklungsphasen meiner letzten Jahre thematisiert: „gegen darstellung“. So war es halt schon immer. Seit meiner Kindheit muss ich dauernd irgendwelche Geschichten erzählen. Und weil ich eben immer älter werde, fallen mir immer bessere Geschichten ein. Es ist perfekt. Besonders die Passage über Meike ist mir ausgesprochen allegorisch gelungen: „Ihre Finger brachen an meinem Glöckchen. Doch einmal hatte es geschlagen“, hehe. Immer wieder schichte ich nun die Phasen übereinander, bis der Verdichtungsgrad der beiden Seiten Prosa hoch genug ist, um als Gedicht durchzugehen. Dann erst spanne ich das Netz der Leitmotive. Schließlich rhythmisiere ich das Ganze noch, so gut ich kann und schraub ein bisschen an den Vokalen rum. Fertig. Als ich aufblicke ist es 9:30 Uhr. Sonntagmorgen. Prima. Dann kann es ja sofort weitergehen.