Der Ruhrpilot

Ruhr2010: Feiern, feiern, feiern auf der Autobahn…Spiegel

Ruhr2010 II: The Day after the Volksaufmarsch…Xtranews

Ruhr2010 III: Mehr als drei Millionen Besucher waren bei der längsten Tafel dabei…Pottblog

Ruhr2010 IV: Ein offener Brief an die Verkehrspolitiker…Zoom

Ruhr2010 V: Ein Tag auf der Überholspur…Patje

Ruhr2010 VI: Auffe 40 war wat los…Gelsenkirchen Blog

Ruhr2010 VII: Es ist bewiesen, “Die Linke” ist nicht ernsthaft politisch…Pottblog

Kultur: Bochum Total knackt die Million…Ruhr Nachrichten

NRW: Linkspartei lässt Muskeln spielen…Kölner Stadtanzeiger

NRW II: Linkspartei stellt Rot-Grün Bedingungen…Welt

NRW III: Eine Projektionsfläche namens „Palistinänser“…Lizas Welt

Dortmund: Friedlicher Protest gegen Rechts…Der Westen

Bochum: Film über Karlheinz Deschner…Bo Alternativ

Online: Reset-Knopf für Internet-ausschalten…Netzpolitik

Mein Still-Leben

Heute der Tag auf der Autobahn, kurz hinter der Auffahrt Ruhrstadion, A40, war schön. Wie ein Volksfest minus all der Sachen, die einem auf den Sack gehen, wenn die Schützen auf Adler schießen. Also, keine Wurststände, keine Sauf-Riten, bis der Arzt kommt, kein Bumschaka-Bum aus überdrehten Lautsprechern.

Natürlich gab es Abstriche. Wie diese nervige Versuche, Werbung zu machen, für dieses und jenes, hab’s schon vergessen. Oder die Bespassungsversuche, die albernen, auch schon verdrängt.

Im Großen und Ganzen hat mir das super gefallen, dass es die Leute selbst waren, die Spaß für sich und andere machten. Nicht jeder für alle na klar, eher die meisten für sich und die Kumpels, aber doch: es gab auch die Band, die ein spontanes Tunnelkonzert gab, mit Trompeten und Pauken, bejubelt und dann doch verboten. Es gab die Burschenschafter, die Bier tranken, und keinem auf die Nerven gingen. Es gab die Gesichteranmaler und Geburtstagskinder. Selbst die Abschiedsfeier von Schuri gab es. Es gab das alles. Und noch mehr. Alle Menschen, die es gibt im Ruhrgebiet, so schien es, die gab es. Das ganze Volk, so bunt, wie es ist. Langhaarige, Rothaarige, tätowierte, geschminkte, blonde, krumme, grade, schiefe, alte, junge. Vom jedem Typ waren viele da. Ja.

Außer die Türken, die Araber, außer die Muslime. Und wie Stefan, frage ich mich: warum waren von denen so wenige da?

Weil das A40-Ding wirklich so was war, wie das oben angesprochen Schützenfest – ohne Saufen? Da sieht man ja auch kaum Türken. Weil wir einfach nichts miteinander zu tun haben? Weil ich auch nicht weiß, wann die High-Lights vom Ramadan sind? Weil ich nicht weiß, wann und wo da gefeiert wird? Weil ich nicht weiß, wie ich da machen soll, das Fastenbrechen?

Wissen vielleicht die Türken nicht, was sie machen sollen, wenn der durchschnittliche Käsegesichtige auf einer Autobahn Schützenfest feiert?

Was ist sonst mit gemeinsamen Festen?

Ich denke an die anderen Ruhr.2010-Feiern. Ich denke an Zollverein. Ich denke an die Museen, an die Theater, an die Ausstellungen, an all das. Und ich kann mich nicht erinnern, Türken gesehen zu haben. Klar hier und da einer. Aber sonst? Ich meine, so im Schnitt, müsste jeder zehnte ein Türke sein, oder Araber, oder Muslim. Ich sehe sie nicht.

Ich denke an die Partnerstadt Istanbul, wo auch gerade Kulturhauptstadt Europas ist. Ich höre davon nichts hier. Ich sehe davon nichts hier. Was ist da?

Haben wir nichts gemein, außer den Ort, an dem wir wohnen? Ist das Ruhrgebiet kein Schmelztiegel, sondern nur ein Raum, an dem man aneinander vorbei lebt?

Wo soll man sich treffen, wenn man sich nicht mal bei den Volksfesten über den Weg läuft?

Komisch ist das komisch. Und das so kurz nach der WM, wo doch alle gemeinsam auf den Straßen tanzten, oder nicht?

Auch daran denke ich nach diesem Tag auf der A40.

Zum Schluss: Ich finde, man könnte die Nummer alle drei Jahre wiederholen. Damit man sagen kann: Ich war dabei, es war gut und ich gehe wieder da hin. Mit allen meinen Freunden – auch mit Türken und Arabern und wer sonst noch so hier rumturnt..

A40-Party: Scheytt schämt sich nicht mehr für das Ruhrgebiet

Ja, es war ein tolles Fest auf der A40. Und ganz nebenbei wissen wir jetzt auch, warum aus Oliver Scheytt nichts mehr wird.

Denn bei Welt-Online gibt es ein schönes Zitat von Scheytt. Still-Leben sei „große soziale Skulptur, die ein neues Selbstbewusstsein der Menschen prägt. Man muss sich jetzt nicht mehr entschuldigen, dass man zwischen Münster und Düsseldorf wohnt“. OK, musste man vorher auch nicht. Habe ich zumindest noch nie getan. Aber schön, dass Scheytt jetzt auch seinen Frieden mit dem Ruhrgebiet gemacht hat. Und noch schöner, dass man hier bald nichts mehr von ihm hören wird.

Bildungsreformen: Die Gewinner sind die Privatschulen

In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Privatschulen in Deutschland in Deutschland beständig erhöht. Fast 8 Prozent aller Schüler haben dem staatlichen Bildungssystem schon den Rücken gekehrt. Setzt die Politik auf längeres gemeinsames lernen befeuert sie den Privatschul-Boom. Oder bekommt, wie in Hamburg, Ärger mit den Wählern. Dort haben die Eltern das Reformvorhaben der Bürgerschaft offensichtlich gekippt.

Es gab eine Zeit, in der waren Privatschulen vor allem etwas für Trottel: Wer es auf einer normalen Schule nicht schaffte, ging auf eine Privatschule. Dort, so hieß es, könne man das Abitur kaufen. Wer aus einem wohlhabenden Elternhaus stammte und in der Pubertär arg über die Stränge schlug, kam in ein Internat. Ausnahmen bestätigten auch damals die Regel. Heute ist das anders: Fast jedes zehnte Kind besucht mittlerweile eine Privatschule. Internationale Schulen, Waldorfschulen, kirchliche Einrichtungen – das Angebot ist groß und bietet für jeden etwas. Vor allem auch einen gute Begründung, um im Bekanntenkreis zu erklären, warum die eigene Nachkommenschaft nicht in die Schule gehen darf, die für einen selbst ja gut genug war.

Sicher, einen internationalen Schulabschluss, den IB, kann man nur an wenigen staatlichen Schulen machen. Vor allem weil Kommunalpolitiker nicht wissen, wie einfach es ist, ihn auf öffentlichen Schulen anzubieten. Und große Klassen und ein mieser Matheunterricht machen gleich doppelt so viel Spaß, wenn man auf einer Waldorfschule ordentlich dafür zahlt. Nein, um Qualität geht es nicht bei den Privatschulen. Es geht um Homogenität. Ob konservativ, links, liberal – wenn es um die eigenen Kinder geht, sind sich da alle ziemlich einig. Auch wenn es nicht offen zugegeben wird.

Je größer der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und aus den bildungsfernen Schichten in den Schulen wird, umso mehr Eltern entschließen sich, ihre Kinder auf Privatschulen anzumelden.

Man will einfach nicht mit „denen“ zusammen auf eine Schule sein.

Darüber wird nicht gerne geredet, schon gar nicht offen, aber das ist fast immer der Grund, der nach ein wenig weiterbohren genannt wird, wenn Eltern einem erklären, warum die Wahl für eine Privatschule gefallen ist. Nahezu alle anderen Argumente sind aufgesetzt.

Eine der Fluchtburgen die es noch vor den vermeintlichen Schmuddelkindern gibt ist  das Gymnasium: Nach vier Jahren ist für Gymnasiasten Schluss mit dem gemeinsamen lernen. Auf dem Gymnasium herrscht wieder die angestrebte Homogenität – zumindest in einem deutlich höheren Maße als auf den Grund- oder Gesamtschulen. Migrantenkinder die es hierhin geschafft haben, kommen normalerweise aus der langsam größer werdenden Migranten-Mittelschicht. Geht es gegen das Gymnasium, geht es um die Verkürzung der Gymnasialzeit, verstehen viele Eltern keinen Spaß mehr. Sicher, ihnen ist klar, dass es für Kinder aus bildungsfernen Schichten – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – besser ist, länger mit leistungsstärkeren Kindern auf eine Schule zu gehen. Nur was ihre Kinder, die sie als leistungsstark einschätzen, davon haben, kann ihnen niemand erklären. Sie werden das Gymnasium, die frühe Trennung der Kinder mit allen Mitteln verteidigen.

Deshalb war der Schulkampf in Hamburg so heftig. Und deswegen hat die Hamburger-Bürgerschaft auch den Volksentscheid verloren. Und deswegen wir der Widerstand auch in NRW hart werden, wenn die Gemeinschaftsschule eingeführt werden soll. Setzen SPD und Grüne hier das gemeinsame längere lernen durch, wie es alle Parteien in der Hamburger Bürgerschaft versuchten, werden cdie Eltern nicht nur protestieren. Sie werden, wenn sie es sich leisten können, ihre Kinder zunehmend auf Privatschulen schicken.

Entsprechend optimistisch sind die Privatschulen. Redet man mit Funktionären ihrer Verbände, gehen die von einem weiteren Wachstum aus. Die Faustformel: Je mehr Reformen, umso mehr Privatschüler. Und so könnten die anstehenden Bildungsreformen das Gegenteil vom dem erreichen, was ihre Initiatoren wollen. Wer es sich leisten kann, wird immer häufiger eine Privatschule wählen. Wer sich das nicht leisten kann, schickt seine Kinder auf eine öffentliche Schule. Geändert werden könnte dieses  Elternverhalten nur durch massive Investitionen in die frühkindliche Bildung, die frühzeitig Defizite ausgleicht. Kindergartenpflicht, Sprachkurse, Sportangebote, Kultur für Kinder und vieles mehr wären, nötig um das zu erreichen. Den Willen, das zu finanzieren sehe ich leider nicht.

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Update Still-Leben A40: Auch eine Autobahn kann ein angenehmer Ort sein…

Es wird voll auf der A40: Schon vor zehn Uhr machten sich tausende auf den weg zur größten Ruhr2010-Aktion. Mittlerweile präsentiert sich die A40 in gewohnter Fülle. Nur das heute entspannte Spaziergänger und Radfahrer das Bild bestimmen.

15.12 Uhr: Langsam aber sicher wird es etwas weniger voll. Hier in Bochum verlassen deutlich mehr Menschen die A40 als neu hinzukommen. Ich dem Bereich den ich mitbekam war die Stimmung sehr schön. Locker. Ärger? Nö, nirgends.  Ein schöner Sommertag der gezeigt hat, dass selbst eine Autobahn ein sehr angenehmer Ort sein kann, wenn ihn sich die Menschen aneignen. So, ich bin dann mal weg :-).

13.52 Uhr: Es ist richtig voll. Und die Stimmung ist gut. Ein schönes großes Fest bei bestem Wetter. Etwas Pech haben die Radfahrer in Duisburg: Die werden gerade wegen Überfüllung von der Bahn geholt. Also: Rad abschliessen, laufen und feiern :-). Das mit dem Grillverbot geht übrigens in Ordnung. Klar, es wäre schon gut gewesen, wenn wir hier den ersten Großgrill geschafft hätten, der vom Weltall aus zu sehen gewesen wäre. Aber es ist so voll, dass es ganz beruhigend ist, dass nicht Tausende ihre  Wurst nicht über offenem Feuer zubereiten. Rohes Fleisch ist auch lecker.

13.25 Uhr: Ruhr2010 meldet 1,5 Millionen Besucher. Alle Auffahrten sollen gesperrt sein – was so nicht ganz stimmt. In Bochum kommen immer noch Menschen auf die A40. Genial ist ein Blasorchester, dass hier in Bochum rumläuft und im Augenblich ein Konzert im A40 Tunnel gibt.  Eine Zugabe wird es nicht geben: Das Musizieren im Tunnel ist verboten. Ansonsten: Sehr schönes Fest. Passend dazu haben wir auch neue Fotos. Natürlich von Fred.

12.45 Uhr: Ruhr2010  – das sollte auch ein großes Multi-Kulti-Fest sein. Mit Aslı Sevindim gibt es sogar eine eigene künstlerische Direktorin für dieses Themenfeld. Es verbirgt sich hinter dem Namen „Stadt der Kulturen“. Aber wenn ich mich hier so auf der A40 umschaue, sehe ich kaum Türken oder Araber. Was man hier sieht ist ein Schnitt der Bevölkerung des Ruhrgebiets – ohne die Muslime. Bei einem Bevölkerungsanteil von gut zehn Prozent ist das schon alles etwas merkwürdig. Selbst die populärste Aktion der Kulturhauptstadt scheint an dieser Gruppe vorbei zu gehen. Schade.

11.50 Uhr: Jetzt sind alle Tische in unserer Umgebung voll besetzt. Kuchen wird gegessen und der Duft eines Paprika-Auflaufs sorgt für Mittelmeerstimmung. Gut dass ich ausgiebig gefrühstückt habe. Der A40-Tunnel, der nur ein paar Meter von uns entfernt liegt,   wird von den Spaziergängern und Radfahrern in Beschlag genommen.

11.30 Uhr: Blauer Himmel, ab und zu eine kleine Wolke und angenehme Temperaturen: Das Wetter meint es gut mit der Ruhr2010-Aktion Still-Leben. Allein in der Nähe unseres Tisches (Block 79, Km 10, Tisch 5)  in der Nähe der Auffahrt Stadion in Bochum sind  etliche Tausend unterwegs. Hier ist auch eines der Schachtzeichen zu sehen. Nette Idee. Es wird gefrühstückt, an ein paar Ständen gibt es Musik und an d en Getränkeständen bilden sich die ersten Schlangen. Schönes Erlebnis: Ich habe Kueperpunk kennengelernt. Der macht Fotos und wird sie sicher in sein Blog stellen.

Tanz auf dem Vulkan

Viele feierten auf der Halde Hoheward beim Sunset Picknick

„Man müsste viel öfter hier oben raufkommen“ – dieser Gedanke kommt immer wieder beim Hinaufwandern auf eine der Ruhrgebiets-Halden. Alles scheint in bis zu stattlichen 150 Metern über Normallnull so ganz anders als „dort unten“. Schwarze Aschefelder muten – wie auf der Halde Hoheward – fast wie eine Vulkanlandschaft an, dabei lässt eine angenehme Weitläufigkeit jede urbane Hektik mindestens so weit weg wie das unten irgendwo geparkte Fahrzeug erscheinen. Tatsache ist: Der industrielle Strukturwandel hat mitten in einer der zugebautesten Regionen der Welt neue Dimensionen von „Landschaft“ entstehen lassen!
Und auch die Beschwerdekultur seitens frustrierter Anwohner muss unten bleiben, wenn hier mal mit lauter Musik und satten Bässen Umgang gepflegt wird. Das dachten sich auch die Veranstalter vom Emscher-Landschaftspark, als im Rahmen von Ruhr 2010 zum „Sunset Picknick“ geladen wurde. Das Kalkül ging auf – bis hin zu einem postkartenreifen Sonnenuntergang nach einem dramatischen Wechselspiel der Lichtstimmungen.
Herumstehfaktor gleich Null auf dem runden Areal am Sonnenuhr-Obelisken! Vor allem, weil DJ Phil Fuldner aus Recklinghausen ganze Arbeit leistet.
„Tresor- True Spirit 1991 -3000“ heißt es auf einem T-Shirt eines Besuchers. Nun ja. Der Lauf der Zeit (auf einer Skala von 1991 bis 3000 – so vorsichtig man mit Jahrtausend-Prophezeiungen heute sein sollte…) hat im Jahr 2010 die vielen einst zukunftsweisenden Ausdifferenzierungen elektronischer Tanzmusik-Stile längst abgeschliffen zugunsteneines partykompatiblen Techhouse-Disco-80erJahre-Popzitat-Konsens-Dings. Dennoch kommt damit zu dieser Zeit an diesem Ort sowas wie der gern beschworene „Spirit“ auf – und bei dem gehört neben der lebendigen Mixkunst des Recklinghäuser DJs und der ungewöhnlichen Location vor allem die verlässliche Begeisterungsfähigkeit der Ruhrgebiets-Crowd zu den komplentären Bestandteilen!

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Der Ruhrpilot

Ruhr2010: Informationen rund um die längste Tafel der Welt…Pottblog

Ruhr2010 II: A40 Still-Leben: Der Moment der Sperrung…Kueperpunk

Ruhr2010 III: Bühne frei für das schönste Straßentheater der Welt…Xtranews

Ruhr2010 IV: Das A40-Stillleben wird ohne uns stattfinden…Zoom

NRW: Linke sucht Machtprobe mit Kraft…Spiegel

NRW II: Gysi fordert Kraft zu Kooperation mit Linken auf…Welt

Essen: Ein Superman mit Davidstern…FAZ

Essen II: Aalto-Intendant Soltesz „glücklich und erleichtert“…Der Westen

Bochum: Bochum Total – eine Stadt in Partystimmung…Der Westen

Bochum II: Gaspreise in Bochum und Dortmund…Bo Alternativ

Duisburg: Sorge vor „Umwelt-Ideologie“…Der Westen

Umland: In Hamburg sagt man Tschüss…F!XMBR

Debatte: Renaissance des Elitedenken…Jungle World

Piraten: Ehemalige packen aus…Isis

Spiegel: Wenn das Community-Management pennt…Blogbar

A local Hero´s Diary IV: Ganze Tiere grillen

Unser Gastautor Carsten Marc Pfeffer schreibt im vierten Teil seines Ruhr2010-Tagebuchs über Bochum Total

Donnerstag, 15. Juli: Fanmail. Liebe Nina, am 14. Juli 2010 um 13:09 mailtest Du: “Drei Akkorde weiter” wäre ich, wenn ich mal in deine songs reinhören könnte: wo? hast du einen link? – Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich Dir antworten könnte. Ich versuche es jetzt einfach mal: Nein, ich habe keinen Link, nicht einer meiner Songs ist im Netz. Warum? Kittler unterscheidet noch zwischen Speicher- und Repräsentationsmedien. Wir müssen das bald nicht mehr tun. Bald werden wir die eine große Wunschbox in unseren Händen halten. Lesen wir doch mal nach bei Aristoteles: die Sache mit dem Krug und wie sich das fortsetzt bei Heidegger und Derrida. Ich finde das super. Aber selbst wenn dieses große Projekt realisiert wurde, werden aus dieser Wunschbox keine Songs von mir ertönen, weil es einfach das falsche Medium ist. Warum im Internet Lieder hören? Ich verstehe das nicht. Aber meine Medienschelte geht weit über das Internet hinaus. Mit der Etablierung der Schallplatte hat sich ein Denkfehler eingeschlichen. Wir sind es gewohnt, ganze Alben zu kaufen, wenn wir bestimmte Songs hören wollen. Mittlerweile liegt der Song nur noch einen Mausklick entfernt. Man kann ihn grabben mit dem iPhone, das App Midomi macht es möglich. Und so benutzerfreundlich das alles auch ist, so ist das Ganze doch grundsätzlich falsch. Denn das Medium des Liedes ist die Stimme. Wenn Du, liebe Nina, also meine Songs hören willst, dann komm zu meinem Gig. Ich will, dass Du meinen Schweiß siehst, meine Unsicherheit spürst und meine Liebe. Deine Anwesenheit wird sich auf mich auswirken und in die Songs mit einfließen. Es werden nicht mehr nur meine Lieder sein, sondern unsere. Das ist doch eine ganz andere Rezeptionsästhetik als sich bei Myspace durchzuklicken. Und so war es eigentlich immer schon. Homers Odyssee wurde doch nicht am Schreibtisch entwickelt, sondern mündlich überliefert. Lange Zeit bevor Homer sie niederschrieb. Odyssee ist Gesang. Homer hat durch seine Niederschrift diesen Gesang zerstört. Klingt seltsam, nicht? Ist aber leider wahr. Nina, wenn Du jetzt vor deinem Bücherregal stehst und soeben die gesammelten Werke von Aristoteles entdeckt hast, dann greif doch mal links daneben zu Platon. Diese großartige Abwehrbewegung gegenüber der Schrift! Phaidros 275a, wenn ich mich recht erinnere: „Ein Pharmakon für das Gedächtnis, nicht für die Besinnung bietest du mir an…“ – Da steht doch schon alles: bis hierhin und keinen Schritt weiter! Nein, ich habe keinen Link, keinen Song im Internet. Und wenn ich jemals eine LP aufnehmen sollte, dann nur unter Protest. Komm doch einfach zum Gig ins Zacher, Nina. Weißt Du, ich brauche an diesem Abend nicht für meine Getränke zu zahlen, und ich teile gerne. Kibi darf natürlich nichts davon mitbekommen. Aber der wird hinter der Theke eh beschäftigt sein. Also komm vorbei, vielleicht können wir ja Freunde sein. Solltest Du es nicht schaffen, dann komm am 15. August ins Rottstr.5-Theater. Bin vorhin im Konkret dem Arne Nobel in die Arme gelaufen und hab mit ihm den Termin abgekaspert.

Vier Tage volles Programm

In der City ist natürlich das große Gewusel ausgebrochen. Bochum Total und so. Verstärkeranlagen werden durch die Stadt geschleppt, Boxentürme aufgebaut. Schon cool, mit einem Gitarrenkoffer durch die Menge zu schreiten. Auch am t.a.i.b. herrscht an diesem Morgen Betriebsamkeit. Eine Vernissage zum Thema Virtuelles Wasser von Naemi Reymann. Ich versteh nur Bahnhof. Muss also gut sein. Überhaupt hat sich das Prinzip Bahnhof in der Kunst ja durchgesetzt. Man muss sich das so vorstellen: da sitzen zwei oder drei stilsicher gekleidete Typen im Büro vom Finanzvorstand, Bein mit Bein gedeckt. Der Finanzvorstand hat vielleicht Gombrich gelesen, aber ansonsten von Kunst naturgemäß keine Ahnung. Die Typen quatschen jetzt zwei Stunden lang von ihrer geplanten audiovisuellen Performance. Schön urban soll es dabei zugehen. Der Finanzvorstand versteht natürlich nur Bahnhof. Doch das ist gut so, denn der Finanzvorstand verlässt sich auf seinen Instinkt. Versteht er Bahnhof, dann weiß er, dass es Kunst ist und sagt: 50.000 Euro, kein Problem, hier bitte sehr, aber machen sie noch mein Logo mit drauf. Tolle Sache, Jungs. Danke, Pappi.

Im Westen heute die Überschrift: Still-Leben A40: „Titel verhöhnt die Anwohner“ – großartig. So langsam juckt es mir auch schon wieder in den Fingern, aber ich will ja nicht mehr so viel Arbeiten, wegen des inneren Gleichgewichtes. Nein, keine Zeitungsartikel bis Montag oder sagen wir: Dienstag. Wie wird das wohl am Sonntag auf der Autobahn? Es gibt keinen übersichtlichen Programmplan. Außerdem hört man viel von Verboten. Grillverbot. Glasflaschenverbot. Fahrverbot da ja, da nein. Hui-Buh, Public Relation geht aber anders. Geschenkt. Unter anderem Max und ich werden die Gitarren auspacken und fertig. An den muss ich jetzt eh denken, da sein Gesicht auf dem Display meines BlackBerrys erscheint. Wat willste? Er spiele heute im FKT und fragt, ob ich Lust hätte in seinem Set ein paar meiner Lieder zu spielen, aber nicht mehr als zwei. Abgemacht. So verpasse ich jedoch den Auftakt von Bochum Total. Ich entscheide mich, meine Agenten zu schicken. DAS GEZEICHNETE ICH, 19:30 Uhr, WAZ-Bühne. Der beste Artikel wird veröffentlich. Alles klar.

Ein Lied gegen den Krieg

Das Konzert mit Unter anderem Max ist natürlich fürchterlich. Ich mein, wann kauft der sich mal eine richtige Verstärkeranlage? Ein Auto kann er sich ja auch leisten. Aber so laufen Gitarre und Gesang über einen halbdefekten Fender-Twin. „Herzlich willkommen zu Bochum Marginal“, begrüßt er die zwölf erschienen Gäste. Ich stürze ein erstes Bier. Besonders die melancholische Coverversion von Highway to Hell gelingt ihm sehr genial. Ich hingegen habe nur Pech. Ich betrete die Bühne und Max so von oben herab: aber nur zwei Songs, verstanden? Dafür hätte ich ihn eigentlich schon eins mit der Gitarre überbügeln müssen. So wie damals bei den Sex Pistols. Aber man ist ja Kulturmensch. Außerdem ist Tommyboy im Publikum und ich will seinem widerlichen Zynismus nicht auch noch Futter geben. Ich singe ein Lied über die Freundschaft. Applaus. Ich singe ein Lied gegen den Krieg in Afghanistan. Betretenes Schweigen. Entnervt zieht mich Tommyboy zur Seite.

„Bist du verrückt geworden, diese Liedermacherpose aus den 60ern anzunehmen?“
„Aber ich bin wirklich gegen diesen Krieg.“
„Das hat damit doch gar nichts zu tun, du Idiot!“
„Was dann?“
„Das war Kabarett und Kabarett ist out, out out.“
„Idiot!“
„Hehe.“

Mittlerweile trudeln die ersten Artikel der Agenten ein. Hier der Gewinnertext, eingesendet von einem Dozenten am germanistischen Institut der Ruhr-Universität: „Hier wie versprochen ein paar Worte zu Das Gezeichnete Ich: Mit was für ner Erwartungshaltung nähert man sich einem Künstler, der sich hinter einem Pseudonym versteckt, das direkt Gottfried Benns Gedicht NUR ZWEI DINGE entlehnt ist und der als Inspiration gleich Wagner, Mahler und Mozart und Grönemeyer ins Rund wirft? Hirnnovellen meets Klassik meets Genie und Wahn? Meets CURRYWURST? Meets Übergroßes Ego und elitärer Habitus? Nix da: stattdessen Einmannorchester hinter einer schimmernden Trutzburg aus silbernen Dreiecken plus zugekleisterten Pophymnen, dass man laut aufschreien möchte: Mach es mir bitte unplugged, sofort jetzt. Weniger ist manchmal mehr: Das nächste Mal entweder gleich mit hundertköpfigen Orchester oder einfach nur mit Flügel. Grüße, Dr. T.“

Die Nacht verwöhnt uns. Die Kopfhörerparty ist im Zacher in vollem Gange. Aber auch davor. Auf der gesamten Brüderstraße tanzen Menschen mit Kopfhörern in der Stille. Die Fernsehteams kommen. Dann hat auch noch der DJ Renate von Rosen Geburtstag, dem wir all das zu verdanken haben. Ich gebe ihm einen Zungenkuss. Er schmeckt nach Sambuca, einfach genial. Wir kommen alle ins Fernsehen. Kibi haut die Biere raus, comme vache qui pisse, wie Mademoiselle Richeux bemerkt. Komm, einen noch. Tommyboy gibt ne Runde aus und bekommt es selbst gar nicht mit. Bitte alles auf die 41 bongen. Herrlich. Dann die Schöne im schwarzweiß-gekringelten Twiggy-Kleid. Ich würde sie gerne ansprechen, aber ich bin schon zu besoffen, als dass ich jetzt noch reden könnte. Morgen vielleicht. Aber direkt nach dem Gig wäre das auch blöd. Da muss ich ja dann Aufmerksamkeitsökonomien walten lassen. Außerdem bestünde die Gefahr, dass sich das Ganze in so einer bescheuerten Popstar-Pose verliert. Verflixt, wie dreh ich das bloß? Aus dem Kopfhörer jetzt: „You have to show them that you’re really not scared. You’re playin’ with your life, this ain’t no truth or dare. They’ll kick you, then they beat you, then they’ll tell you it’s fair. So beat it, but you wanna be bad. Just beat it, beat it, beat it, beat it. No one wants to be defeated. Showin’ how funky and strong is your fight. It doesn’t matter who’s wrong or right.”

Was bisher geschah – A local Hero´s Diary:
I: Drei Akkorde weiter…Klack

II: Alles in vollem Gange…Klack

III: Sex, Drogen & Godard…Klack