Erinnerung an Tschernobyl

Im Reaktor Atomkraftwerk Fukushima I in Japan ist es zu einer Explosion gekommen. Die Aussenhülle wurde zerstört. Radioaktivität tritt aus. Das alles gab es schon einmal: 1986 in Tschernobyl. Olga Kapustina hat es als Kind miterlebt:

Der 26. April 1986 war ein sonniger Tag. Meine Mutter, die damals so alt war, wie ich heute, ging mit mir spazieren. Wir lebten in einem kleinen Ort in Weißrussland. Nach dem Regen gab es überall Pfützen. Es blühte Löwenzahn. Ich war gerade ein Jahr alt und genoss meinen ersten Frühling. Ich wusch meine Hände in den glänzenden Pfützen und platschte mit meinen Beinen drin herum. Die Pfützen hatten einen gelben Rand, erinnert sich meine Mutter heute. Damals dachte sie, es sei Blütenstaub vom Löwenzahn. Sie wusste noch nicht, dass seit diesem Tag unser Löwenzahn, unser Wasser und unser Boden vergiftet sind.

Ein paar Tage später gab es eine kurze Information in den sowjetischen Medien: In der Nacht auf den 26. April ist der vierte Block des Atomkraftwerks in Tschernobyl explodiert. Es gebe keinen Grund zur Panik, hieß es, niemand sei betroffen, alles in Ordnung. Es wurde allerdings empfohlen, die Fenster in den Wohnungen zu schließen. Am Tag der Arbeit versammelten sich Menschen in unserer kleinen Stadt Tschausy im Osten Weißrusslands auf dem Lenin-Platz. Es waren die üblichen Feiern. Die Leute waren aufgeregt wegen der Nachricht und wegen des Frühlingsfiebers.

Ich kann mich an diese sonnigen Tage nicht erinnern. Dafür habe ich viele positive Erinnerungen aus meiner Kindheit, die mit Tschernobyl verbunden sind. In der Schule bekamen wir drei Mal am Tag kostenloses Essen. Zum Mittag gab es Suppe, Fleisch oder Fisch mit Beilage und einem Getränk. Manchmal gab es Algen. Das mochten wir aber nicht, obwohl (oder gerade weil) sie wegen des hohen Jod-Gehaltes als besonders gesund galten. Was wir wahnsinnig mochten, war das Obst, das wir jeden Tag zum Mittagessen bekamen. Dies wurde vom Staat und den internationalen Organisationen finanziert. Sie hießen „Hoffnung“ oder „Kinder von Tschernobyl“. Wir, die Kinder von Tschernobyl, waren eigentlich ganz glücklich.

Zum Neujahr gab es regelmäßig Pakete aus dem Westen – die so genannte humanitäre Hilfe. In den Päckchen gab es leckere Schokolade, Bonbons, Kaugummis, Kakao. Manchmal gab es auch Briefe, die in einer Fremdsprache verfasst wurden. Dort stand zum Beispiel: „Hallo! Ich heiße Tom und ich bin 8 Jahre alt. Ich wohne in einem Haus mit Garten in Deutschland. Mein Lieblingsspielzeug ist Teddybär. Schöne Weihnachten!“ Als ich etwas älter wurde, antwortete ich auf einen dieser Briefe. Ich schrieb: „Hallo Tom! Ich heiße Olga. Ich bin 10 Jahre alt. Ich habe einen Bruder. Wir wohnen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Ich gehe zur Schule und lerne dort Deutsch“. Ich habe keine Antwort bekommen. Trotzdem sagte ich allen, dass ich einen Brieffreund habe.

Die wichtigste Freude der Kinder von Tschernobyl ist mir allerdings entgangen – die Chance, einen Sommer in einer Gastfamilie im Westen zu verbringen. In meiner Klasse gab es 25 Kinder, 22 davon waren im Ausland. Die meisten flogen nach Kanada, aber auch nach Italien, Belgien oder Deutschland. Ich war unter den drei, die nicht im Ausland waren. Meine Mutter wollte das nicht. Sie meinte, es wird mir nicht gut in einer fremden Familie gehen. Ich war ein kränkliches Kind. Sie sagte: „Ich kaufe dir alles selber und wenn du erwachsen bist, gehst du, wohin du willst.“ Ich nahm es ihr übel. Ich war neidisch auf die vollen Koffer vom Spielzeug und Süßigkeiten und auf die unzähligen Fotos mit einem großen Haus und einem Swimming Pool im Hintergrund, die meine Mitschüler aus Kanada mitbrachten.

Meine Cousine war ihrerseits neidisch auf mich. Sie wohnte in einem Ort 50 Kilometer von uns entfernt. Im Unterschied zu Tschausy überstiegen die Messungen dort die Grenzwerte nicht. Offiziell gehörte die Stadt nicht zu den radioaktiv verseuchten Gegenden. Deswegen hatte ihre Bevölkerung keine Tschernobyl-Vergünstigungen. Meine Cousine durfte nicht wie ich für einen Monat im Jahr kostenlos ins Sanatorium in einen „sauberen“ Ort in Weißrussland.

Während dieses Erholungsmonats waren wir Schüler unter uns, weit weg von den Eltern. Wir hatten nur vormittags Unterricht und bekamen keine Hausaufgaben. Dafür gingen wir abends in die Kinderdiskothek oder ins Kino, schrieben einander Liebesbriefe und organisierten Konzerte. Das sind meine besten Erinnerungen an die Schulzeit.

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AKW Fukushima außer Kontrolle: Kernschmelze droht

In Japan hat der Tag nach dem Erdbeben begonnen. Nach den Erdbeben, besser gesagt. Denn seit dem schweren Beben mit der Stärke 8,9, das die zehn Meter hohe Tsunami-Welle ausgelöst hat, ist Nippons Erde nicht mehr zur Ruhe gekommen. Einige Nachbeben – oder eigenständige Erdbeben, da sind sich die Seismologen nicht ganz einig – haben dabei Magnituden-Werte zwischen 5 und 6 erreicht. Das Ausmaß der Katastrophe ist zur Stunde noch nicht absehbar. Die Zahl der Todesopfer ist mittlerweile auf „über 1000“ hochgesetzt worden. Sie besagt nicht viel. Auch die entstandenen Schäden sind zur Stunde unübersehbar, zumal die Erde – wie gesagt – nicht aufgehört hat zu beben. 

Hierzulande findet die Situation im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi große Beachtung. Zu Recht. Deshalb haben auch die Ruhrbarone sehr frühzeitig über den japanischen Atomalarm informiert. Im Laufe des Nachmittags (MEZ) wurde klar, dass das AKW Fukushima außer Kontrolle geraten ist. Kurz vor 23 Uhr MEZ hat die japanische Regierung bekannt gegeben, dass sie die Evakuierungszone um das AKW deutlich ausgedehnt hat, dass sie „ein wenig“ Druck aus der Reaktorkammer gelassen hat, sprich: (kontrolliert?) Radioaktivität freigesetzt hat. Eine Stunde später soll der Druck wieder doppelt so hoch wie normal sein. 

Nicht nur der Druck im AKW ist stark angestiegen, sondern auch die Radioaktivität. Die Kühlsysteme des Kraftwerks sind wegen des Erdbebens ausgefallen, die für diesen Fall durch Dieselmotoren vorgesehene Kühlung angetrieben konnte ebenfalls nicht bewerkstelligt werden, so dass als letzte Möglichkeit nur blieb, auf Batterien zurückzugreifen. Da die dringend notwendige Kühlung jedoch sehr energieintensiv ist, kann sie nur für einige Stunden batteriebetrieben werden. Gegen Mitternacht sollen Agenturberichten zufolge die Brennstäbe im Block 1 des AKW Fukushima um etwa zwei Meter aus dem Kühlwasser ragen. 

Ungekühlte nukleare Kettenreaktion. Im Kontrollraum des AKWs ist die Radioaktivität auf das 1000fache des üblichen Werts angestiegen. Alles deutet darauf hin, dass eine (partielle) Kernschmelze zur Stunde stattfindet. Der GAU, der größte anzunehmende Unfall. Das erste Mal hatte er sich 1979 im amerikanischen Harrisburg ereignet. US-Spezialisten sollen jetzt dabei sein, den Japanern zu helfen, den Meiler wieder kühlen zu können. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Es muss Strom an die Anlage gebracht werden, das AKW muss gekühlt werden. 

Uns bleibt nur zu hoffen. Ein Kühlsystem muss installiert werden und stabil laufen! Das AKW hat sich mit dem Beben automatisch abgeschaltet; doch die Kettenreaktion setzt sich freilich fort. Wird nicht gekühlt, ist nicht genug Kühlwasser da, schmelzen die Brennstäbe. Dieser Prozess scheint eingesetzt zu haben. Er ist noch zu stoppen. Sollte dies nicht gelingen, wäre das Schlimmste zu befürchten. Sogar eine Explosion in der Reaktorkammer könnte nicht ausgeschlossen werden. Der Super-GAU – wie in Tschernobyl 1986. 

Zur Stunde besteht diese Gefahr. Im Laufe des Freitags hat sich auch hierzulande die sog. „Nuklearangst“ breit gemacht. Die deutschen Behörden sind “alert”. Gut so. Sollten in Fukushima tatsächlich größere Mengen an Radioaktivität in die Atmosphäre austreten, werden auch die Medien die Bewegung der nuklearen Wolke detailliert verfolgen. Ob sie sich auf den Weg ausgerechnet nach Deutschland machen wird? Unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Im Fall des Falles wäre noch eine Woche Zeit. 

Peinlich wäre es, würden wir uns beim Blick auf die Katastrophe(n) in Japan auf unsere „Nuklearängste“ konzentrieren. Die Japaner sind zur Stunde dabei, ihre verwüsteten Städte, ihre verschlammte Außenwelt zu betrachten. Im Viertelstundentakt gibt es kräftige Erdstöße. Wo sind die Menschen, die in den wie vom Erdboden verschwundenen Zügen oder Schiffen saßen? Ihre Angehörigen werden befürchten, dass sie tot sind, es aber nicht glauben wollen. Die Menschen in Japan haben heute noch nicht so recht Platz für Nuklearängste. Dabei wären sie der Situation völlig angemessen. Jetzt wird auch noch gemeldet, dass auch in Fukushima 2 – elf Kilometer entfernt von Fukushima 1 – drei Reaktoren außer Kontrolle geraten sind.

Prozess gegen Blogger Stefan Aigner: Protest gegen Maulkorb

Stefan Aigner, Regensburger Journalist und Blogger verteidigt seine Meinungsfreiheit gegen die Katholische Kirche. Bild: rheinneckarblog.de

Das Hamburger Landgericht hat heute einer Klage der Regensburger Diözese gegen den Journalisten und Blogger Stefan Aigner  von Regensburg Digital „recht“ gegeben. Wir veröffentlichen eine Protestnote des Bloggernetzwerks istlokal, zu dem Stefans Blog gehört. Stefan geht in die nächste Instanz. Wir schließen uns der Erklärung an.

Dem Journalisten Stefan Aigner ist untersagt worden, Zahlungen der katholischen Kirche an die Eltern eines durch einen Priester missbrauchten Jungen als „Schweigegeld“ zu bezeichnen.

Das Netzwerk istlokal.de protestiert auf Schärfste gegen diese mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbare Entscheidung.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Missbrauchsfälle bekannt. Duzende von Priestern hatten teils über Jahre hinweg hunderte von Ministranten und andere schutzbefohlene Kinder, überwiegend Jungen, sexuell missbraucht.

Anstatt diese Missbräuche an Leib und Seelen der Kinder konsequent aufzuklären, hat die katholische Kirche viele Fälle vertuscht, Priester versetzt, „Entschädigungszahlungen“ geleistet.

Nur auf großen Druck der Öffentlichkeit hat die katholische Kirche reagiert und immer nur das allernotwendigste getan, um „Aufklärung“ zu leisten.
Die Öffentlichkeit wurde und wird überwiegend durch mutige Journalisten wie Stefan Aigner über diese schon fast alltäglich zu nennende Missbrauchspraxis informiert.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Journalisten, die über diese Missbrauchsfälle berichten, sich juristisch bedroht fühlen müssen.

Nicht die Journalisten begehen einen Missbrauch, indem sie über Missbräuche berichten, sondern die katholische Kirche missbraucht das Justizsystem, indem sie als „Großkonzern“ gegen Journalisten vorgeht.

Der Regensburger Journalist Stefan Aigner hatte im Vorfeld versucht, sich mit der Diözese Regensburg auf eine andere Formulierung zu einigen. Daran hatte die Diözese kein Interesse. Man muss davon ausgehen, dass dem Journalisten – und mit diesem Fall auch anderen – eine „Lektion“ erteilt werden soll.

Dabei bedient sich die Kirche des so genannten „fliegenden Gerichtsstands“ – man sucht sich das Gericht aus, von dem man sich ein „erwünschtes Urteil“ verspricht.
Das Hamburger Landgericht ist bundesweit für pressefeindliche Urteile bekannt. Die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz gilt hier nicht besonders viel und wird bis an den Rand der Unerträglichkeit begrenzt.

Die Prozesskosten für die erste Instanz schätzt Stefan Aigner auf rund 8.000 Euro. Ohne Unterstützung würden diese Kosten ihn in eine wirtschaftlich-existenzbedrohliche Lage bringen. Nach einem Spendenaufruf kamen rund 10.000 Euro zusammen – sonst hätte Stefan Aigner nicht vor Gericht gehen können, sondern sich sofort einer Unterlassungserklärung beugen müssen.

Aus Sicht des Netzwerks istlokal.de missbraucht die Kirche nun „Lücken“ im Rechtssystem, um sich missbräuchlich an der Presse- und Meinungsfreiheit zu vergehen. Anstatt die schändlichen Taten von Priestern lückenlos aufzuklären und öffentlich zu machen, soll Journalisten das berichten verboten werden. Man muss befürchten, dass Journalisten zukünftig nur noch mit der „Schere im Kopf“ über den Missbrauch von katholischen Priestern an Kindern berichten oder aus Angst vor Klagen ganz darauf verzichten.
Wir halten es für unerträglich und nicht hinnehmbar, dass eine Institution wie die katholische Kirche weder bereit ist, sich außergerichtlich zu einigen, sondern versucht, einen Journalisten wirtschaftlich zugrunde zu klagen.

Das Netzwerk istlokal.de fordert hiermit die Diözese Regensburg auf, alle Kosten des Prozesses zu übernehmen und die Aufhebung des Urteils zu beantragen.
Weiter fordern wir die Diözese Regensburg auf, mit dem Journalisten Stefan Aigner in einen Dialog zu treten und eine für beide Seiten „akzeptable“ Formulierung für den betreffenden Bericht zu finden.

Weiter fordern wir von der Diözese Regensburg eine Erklärung, dass sie die Presse- und Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz achtet und Journalisten bei der der Aufklärung und Veröffentlichung von Missbrauchsfällen ohne Einschränkung unterstützt.

Japan: Reaktor kann wahrscheinlich nicht mit Kühlmitteln versorgt werden

Nach dem Erdbeben in Japan könnte es zu einem Atomkatastrophe kommen. Das Bundesumweltministerium bereitet den  Voralarm vor und  wird dann  zum Intensivbetrieb für die Radioaktivitätsüberwachung  übergehen.

Und für den Voralarm gibt es leider gute Gründe. Nach aktuellem Informationen die Sicherheitskreisen in Berlin via IAEO, die OECD/NEA und nach einem Telefonat  der GRS  mit der japanischen Aufsichtsbehörde vorliegen, stellt sich die Situation wie folgt dar: Eine Anlage am Standort Fukushima Daiichi hat offensichtlich einen Station Blackout. Es gibt keine externe Stromversorgung und die Diesel-Notstromsysteme funktionieren nicht mehr.Die Stromversorgung für die Kühlung des Reaktors kann noch für c. a. 2 Stunden durch die Batterien gewährleistet werden. Danach ist sehr wahrscheinlich keine Einspeisung von Kühlmittel in den Reaktor mehr möglich.Die Anlage befindet sich in einer Notstandsituation.
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Atomalarm – Deutsche Behörden „Alert“

Die deutschen Behörden sind über den japanischen Atomalarm besorgt.

Bei dem schweren Erdbeben in Japan ist auch ein Kernkraftwerk beschädigt worden. Japan hat Atomalarm ausgelöst, obwohl keine Radioaktivität ausgetreten sein soll. Deutsche Behörden  sind nun ebenfalls in Bereitschaft. Sollte es doch noch zu einem Austritt von Radioaktivität kommen, könnte eine solche Wolke nach bis zu sieben Tage Europa erreichen. Nach uns vorliegenden Informationen sind die deutschen Behörden „Alert“.

Frage: Handy und Auto – Strafe auch ohne zu telefonieren?

Eine Bekannte von mir soll 40 Euro zahlen und kassiert einen Punkt. Und ich bin Schuld.

Vorhin rief ich eine Bekannte auf ihrem Handy an. Und was macht die? Drückt mich weg. OK, dachte ich mir, dann eben nicht und holte mit noch einen Kaffee aus der Küche. Eine halbe Stunde später rief sie dann zurück und erzählte mir, dass mein Anruf sie 40 Euro und einen Punkt in Flensburg gekostet hat, denn als ich sie anrief, fuhr sie gerade mit dem Auto durch die Gegend. Die Polizei hatte gesehen, dass sie das Handy kurz in der Hand hatte. Sie konnte beweisen, dass sie nicht telefoniert hatte, da der „letzte Anruf“   0 Sekunden gedauert hatte – klar, ich war ja weggedrückt worden. Das interessierte die Polizisten jedoch nicht. Schon das Handy in die Hand zu nehmen sei verboten. Das kommt mir nun merkwürdig vor, denn ein Handy auszuschalten ist ja nichts anderes als ein Radio zu bedienen. Darf ich ja auch. Nun meine Frage: Sollte sie dagegen Einspruch einlegen?

Libyen im Bürgerkrieg: die Soldateska des Mörders und die geheimnisvollen „Freiheitskämpfer“

Es war wie ein Weckruf; urplötzlich schien mir alles klar. Caren Miosga hat es gesagt. Das Zauberwort „Freiheitskämpfer“. Es war spät geworden in der ARD; der Mainzer Karneval verschob die Tagesthemen bis nach Mitternacht. Ich war schon ein wenig schläfrig. Zack, da war ich wieder hellwach. „Freiheitskämpfer“ hatte sie gesagt, die Caren Miosga.

Das kannte ich noch nicht. Sie benutzte das Zauberwort für die libysche Opposition. „Rebellen“ oder schlicht „das Volk“, okay. Aber „Freiheitskämpfer“, das Wort war neu. Für Libyen. Ansonsten kannte ich das Wort selbstverständlich. „Freiheitskämpfer“ – so hießen die Mudjahedin in Afghanistan dereinst, bevor die USA damit begonnen hatten, die Taliban zur schlagkräftigsten Truppe gegen die Sowjets aufzubauen.

Nichts gegen Caren Miosga. Sie ist eine gute Journalistin, an deren freiheitlicher Gesinnung keinerlei Zweifel bestehen. Sie sympathisiert mit dem libyschen Widerstand – wie fast jeder hierzulande, wie auch Kollegen von den Ruhrbaronen. Aber „Freiheitskämpfer“, das war dann doch eine respektable Eigenleistung. Für welche Freiheit mögen die libyschen Rebellen wohl stehen? Für die persönlichen Freiheitsrechte (Art. 2 GG)? Für die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) oder die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG)? Freiheitskämpfer kämpfen vermutlich für all diese Freiheiten.

Das Guttenberg-Syndrom – die Suche nach einer  Projektionsfläche für das Gute, das Schöne und das Edle. Hohn und Spott für die Landsleute, die in dem Lügenbaron aus dem Frankenland den Erlöser und Heilsbringer sehen, den Verkünder des Wahren und des Guten. Den Mann, dem man vertrauen kann. Was den Lesern der Regenbogenpresse und der Bildzeitung der schnieke Märchenprinz ist, sind den aufgeklärten Intellektuellen todesmutige Guerillakämpfer, die gegen den Despoten antreten. Die große Sehnsucht nach dem Wahren und dem Guten macht unsensibel für Details. Liebe macht blind. Aus libyschen Stammeskriegern werden Freiheitskämpfer.

Die Rebellen haben britische Journalisten verschleppt? Na und, Gaddafi hält schließlich Niederländer fest. Die Schwarzafrikaner in den „befreiten“ Gebieten werden zu Opfern rassistischer Verfolgung? Na klar, das ist aber Gaddafi schuld, schließlich hat der ja Söldner aus afrikanischen Ländern angeheuert. So genau können unter diesen Umständen selbst Freiheitskämpfer nicht differenzieren. Alles Randnotizen; das Entscheidende: der Diktator schießt auf das eigene Volk. Mehr muss nicht gesagt werden, auch jetzt nicht, wo sich der Begriff „Bürgerkrieg“ für das Gemetzel in Libyen längst etabliert hat.

Die „Freiheitskämpfer“ sind in der Lage, Städte einzunehmen und zurückzuerobern, Panzerangriffe zurückzuschlagen. Großer Jubel. Und was macht der Diktator? Schießt nach wie vor auf das eigene Volk. Scheiß auf die Fußnoten! Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was in der Wissenschaft gilt, und dem, was in der Verteidigungspolitik getan werden muss. An die Arbeit! Es ist reichlich zu tun. Die Bestellliste der „Freiheitskämpfer“ liegt auf dem Tisch. Der libysche Nationalrat, der eigentlich noch nicht so recht anerkannt ist, hat umständehalber schon einmal beschlossen: eine Flugverbotszone ist einzurichten, ein Eingreifen ausländischer Truppen auf libyschem Boden wird hingegen strikt abgelehnt, außerdem werden Funkgeräte und Mobiltelefone dringend benötigt. Also hopp!

Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit. Auch in diesem „Krieg, in dem es keine Gnade gibt für Verlierer“, so ein zur Opposition übergelaufener Ex-Offizier in Libyen, der seine fünf Söhne gegen die Gaddafi-Truppen aufzubieten hat. Unterdessen verschärft Gaddafi seine Propaganda. Die Rebellen seien im Grunde durchweg von Al Qaida gesteuert. Das ist entweder Unfug, zumindest aber übertrieben. Wer weiß schon Genaueres?! Klar ist aber, dass auch Al Qaida den bewaffneten Kampf gegen das Gaddafi-Regime organisiert, und dass der Terminus „Freiheitskämpfer“ ein Euphemismus derer ist, deren politische Sehnsüchte Guttenberg nicht stillen konnte.

Wir sehen im Fernsehen junge Männer, die bereit sind, als Märtyrer zu sterben. „Allahu Akbar“ rufen sie stolz in die Kamera und ballern mit ihren MGs in die Luft. Das besagt nicht viel, eigentlich gar nichts. In Tunesien haben Beschwerden über die mangelnden Zukunftsperspektiven der akademischen Jugend die „Jasminrevolution“ ausgelöst. Haben Sie dergleichen schon einmal aus Libyen vernehmen können? In Ägypten war klar, dass es um Freiheit ging. Selbst Muslimbrüder im typischen Outfit erklärten, Religion solle keine Rolle spielen, es gehe ausschließlich um ein freies Land. Schon mal aus Libyen gehört? In Tunesien wie in Ägypten haben wir emanzipationswillige Frauen mit ihren männlichen Laptop-Kommilitonen gesehen, die einfach nur „normal leben“ wollten. Solche Bilder gibt es aus Libyen nicht, obwohl doch Bengasi und viele andere Städte „befreit“ sind. Wie kommt´s nur?

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Libyen deutlich höher als in den meisten Balkanländern, höher als in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Gewiss, der Gaddafi-Clan bestiehlt das Volk. Doch einmal ganz abgesehen davon, dass auch Rumänien und Bulgarien noch nicht völlig korruptionsfrei sind, nochmal die Frage: haben Sie schon einmal Beschwerden über mangelnde Zukunftsperspektiven aus Libyen gehört? Wie oft haben Sie aus dem Mund der „Freiheitskämpfer“ das Wort „Demokratie“ gehört? Oder gar „Freiheit“.

Keine Frage: Gaddafi muss weg. Der ganze Clan und das ganze System sind am Ende, und zwar zu Recht. Und doch zwingt uns niemand, in diesen Bürgerkrieg militärisch einzugreifen. Schon für die Rebellen Partei zu ergreifen, fällt schwer, solange wir nicht sicher sind, ob Mädchen auch unter ihrer Herrschaft noch werden zur Schule gehen dürfen. Solange wir nicht sicher sind, dass die Menschenrechte bei ihnen ein wenig besser aufgehoben sind als bei dem durchgeknallten Langzeitdiktator, der einen ebenso rücksichts- wie aussichtslosen Kampf um sein politisches Überleben führt.

Wem es mit den Menschenrechten ernst ist, sollte sich auf die humanitäre Hilfe vor Ort und auf die Unterstützung der Flüchtlinge in Europa konzentrieren. Die Ereignisse in Libyen sind zu furchtbar für revolutionsromantische Anwandlungen.

letzte Woche / diese Woche (kw10)

„Turning journalists into heroes takes some doing –
turning little liars into heroes, that’s what they’ve always done“

„Empire of the Senseless“ – Mekons

Ts, diese „Wir halten zur Opposition“-Propaganda hält echt unverdrossen an und nervt mit albernen Formulierungen: „Schüsse in Tripolis auf angeblicher Siegesfeier“ z.B. Ist da nun eine oder ist da keine Feier? Und wenn nicht, wo waren die Schüsse dann? Naja, Hauptsache Schüsse, und auf keinen Fall Sieg. Und natürlich glauben wir gern, was da über so etwas gesagt wird, zumindest offiziell. (Und genau das ist nämlich Spießertum, egal welche coolen Hobbies mensch hat.)

„Bizarre Interviews“ waren auch toll in letzter Zeit. „Bizarr“ = „Hat mit Ihrer Wirklichkeit, wie Sie sie zu leben haben, nichts zu tun!“ Na jut.
Icke liesch jedenfalls hier im Wedding in der Sonne und musste gestern über Schwaben diskutieren. Irgendwie landen da sukzessive ein paar Bekannte, während die Schwaben-Schmäh in Ultra-Preußen sogar die Macher der zitty zur Frage treibt: Sind da wirklich so viel Angsthasen und Schwaben auf dem Prenzlberg? Und das geht ja gut zusammen, wie man seit „Die sieben Schwaben“ der Gebrüder Grimm (hoffentlich) weiß.

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Libyen: Und was nun?

Karte: Wikipedia

Gaddafi schießt die Revolution in Libyen zusammen und die Welt schaut zu.  Einmal mehr zeigt sich: Wenn es ernst wird, kommt der Pazifismus an seine Grenzen.

Gaddafi ist in die Offensive gegangen und und droht mit tausenden Toten. Da kann man sich jetzt auf einen pazifistischen Standpunkt zurückziehen und es sich einfach machen. Vor allem, wenn man nicht das Risiko hat, zu den Opfern Gaddafis zu gehören. Und wer der wirklich Böse ist, ist natürlich auch klar: Der Westen natürlich…

Vor der Küste Libyens formieren sich Kriegschiffe der USA und auch Deutschlands. Noch wird ein militärisches Eingreifen dementiert. „Humanitäre Hilfe dient als Vorwand für eine bevorstehende militärische Intervention der westlichen Staaten in Libyen.“ erklärt Nuri Aygün, Mitglied des Landesvorstandes DIE LINKE. NRW. Aygün weiter:
„Wenn humanitäre Hilfe ernst gemeint wäre, müsste der Umgang mit den Flüchtlingen in Europa  nicht so schäbig sein. Das Verhängen von Sanktionen, ein Flugverbot über das Staatsgebiet von Libyen und die Verstärkung von militärischer Präsenz vor Libyen sind Zeichen in Richtung eines militärischen Eingreifens in Libyen.

Ich glaube zwar, dass die meisten Menschen in Libyen im Augenblick andere Sorgen haben als  Genosse Aygün, aber die leben ja auch nicht im idyllischen Hamm.

Der Spiegel hat die verschiedenen Optionen aufgelistet – vom Flugverbot bis zum Einsatz von Bodentruppen. Keine von ihnen klingt wirklich gut. Aber vielleicht kann ja der Westen arabische Truppen dabei unterstützen, zumindest  ein Flugverbot durchzusetzen. Immerhin sieht sich Ägypten als regionale Macht. Nun ist ein guter Zeitpunkt um zu zeigen, dass das Land diesem Anspruch auch gerecht wird.

Es ist auf jeden Fall der Zeitpunkt gekommen, die verschiedenen Möglichkeiten zu diskutieren. Und militärische Optionen gehören zu den Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen.  Die Libysche Opposition ist in der Frage einer Intervention gespalten. Wenn sie allerdings gefordert wird, wird der Westen handeln müssen.