FDP: Putsch? Wettbewerb!

Der Schleswig-Holsteinischer FDP-Chef Wolfgang Kubicki greift mit einem Papier den FDP-Vorsitzenden Westerwelle an. Putschgerüchte machen die Runde und werden dementiert. Was für ein Unfug.

Was ist ein Putsch? Bei einem Putsch kommen die Panzer aus den Kasernen, umstellen den Präsidentenpalast, besetzen die wichtigsten Sender und Soldaten töten politische Gegner. Nach ein paar Stunden sieht man dann einen Typen, der eigentlich auch Zuhälter sein könnte, im Fernsehen und der ist dann der neue Präsident.

Das ist ein Putsch. Ein Putsch ist nicht, wenn innerhalb einer Partei gegen den Vorsitzenden vorgegangen wird um ihn – auf einem Parteitag bei einer freien Wahl – abzulösen. Das ist Wettbewerb. Und den kann man verlieren. Das ging Rudolf Scharping so und könnte auch Westerwelle passieren. Das Spiel heißt Marktwirtschaft und wer eine Partei führt, sollte auf dem Markt der  Parteien auch mal Erfolg haben. Niemand braucht Nieten an der Spitze. Westerwelle muss sich also nicht vor einem Putsch fürchten, sondern dem Wettbewerb stellen. Das dürfte, gerade aus der Sicht eines Liberalen, eigentlich kein Problem sein.

letzte Woche / diese Woche (KW3)

Letzte Woche ist anscheinend davon ausgegangen worden, dass in diesem Jahr andere Regeln existieren als im letzten. Oder ich hatte da etwas nicht verstanden an dieser unsäglichen „Tatort“-Diskussion. Manchmal verstehe ich diese Sorte Leute einfach nicht, die permanent rummeckern und sich dabei auch noch vor irgendwelche Karren spannen lassen – ohne Not und ohne etwas davon zu haben meist auch. Um etwas weniger kryptisch zu werden: Die größten Kritiker des Ruhrgebietes scheinen mir gleichzeitig die größten Standortstreber zu sein. Und das geht natürlich nicht einher. Kritik darf sich eben nicht gemein machen oder per definitionem gemein sein, dadurch dass mensch z.B. von der Teilhabe an einem regionalen Medium profitiert, in einer Partei-Ortsgruppe ist oder sonst so etwas. „Tatort“? Ach ja. Der Aufhänger.

Falls Sie diese zugegebenermaßen kurze Zusammenfassung eines Symposums der letzten Woche lesen (würden), bekommämen Sie eine (noch) bessere Vorstellung davon, was ich meine. Ungefähr am Ende des ersten Drittels des dritten Teils geht es um Fernsehserien.

Damit wir uns nicht missverstehen: Es ist gut zu sehen, dass trotz Beteiligung von Staat, Land und Konzernen halbwegs unabhängig geforscht werden bzw. Ergebnisse nicht immer so zurechtgelogen werden können, dass es den Auftraggebern passt. Aber mir wird schummerig, wenn ich daran denke, wie direkt oder indirekt (s.o) abhängige Medien, Institutionen und Wichtigtuer dann solche Forschungen interpretieren – nicht dass ich mich da ausnehmen würde.

Soweit zum kuscheligen Standort-Nazi in uns allen. Diese Woche wollen wir uns also nicht für irgendwelche Wettbewerbe zwischen Städten oder Staaten als Jubelruhries oder Jubeldeutsche benutzen lassen. Diese Woche hinterfragen wir mal wieder etwas tiefer, ob und von wem wir uns da benutzen lassen. Diese Woche fragen wir mal andere Leute als die, die uns die Antworten geben, die wir hören wollen. Und wir lassen das ganze Jahr 2011 über – als Gegenmittel gegen unser Verhalten im letzten Jahr – mal dieses inzestuös-regionalistische gegenseitige Schulterklopfen ganz sein. Ja? Nicht? Ich jetzt aber.

Foto: Jens Kobler (feat. „learning to cope with cowardice“ von mark stewart & maffia)

ePetition für freies WLAN

Wer sein WLAN für alle freischalten möchte geht im Moment ein hohes rechtliches Risiko ein. Stefan Meiners will das mit einer ePetition ändern.

Stefan Meiners ist Blogger und sitzt für die Grünen im Rat der Stadt Voerde. Noch bis zum 24. Februar kann man seine ePetition für freies WLAN unterzeichnen.

Sein Ziel:

Ich möchte, dass es eine eindeutige Rechtslage gibt, die mir erlaubt mein privates Wireless-LAN (WLAN) unverschlüsselt zu betreiben und damit Hinz und Kunz einen Zugang zum Netz anzubieten.

In der aktuellen Situation ist der Betrieb eines unverschlüsselten WLAN nicht verboten. Jedoch macht die Rechtsprechung ein  faktisches Verbot durch Gerichtsurteile möglich. Im Rahmen dieser Urteile ist der “Betreiber” eines WLAN verpflichtet, die aktuellste Verschlüsselung zu nutzen. Das bedeutet, dass ich nicht nur WPA  nicht mehr benutzen darf, neuere Urteile verbieten sogar die Nutzung des durch den Hersteller voreingestellten Sicherheitsschlüssels – und sei er noch so zufällig.
Folge ich diesen Vorgaben nicht, mache ich mich nicht strafbar. Wenn aber jetzt jemand hingeht und sich in mein WLAN einloggt, kann ich dafür belangt werden, was er anstellt.
In der aktuellen Situation ist der Betrieb eines unverschlüsselten WLAN nicht verboten. Jedoch macht die Rechtsprechung ein  faktisches Verbot durch Gerichtsurteile möglich. Im Rahmen dieser Urteile ist der “Betreiber” eines WLAN verpflichtet, die aktuellste Verschlüsselung zu nutzen. Das bedeutet, dass ich nicht nur WPA  nicht mehr benutzen darf, neuere Urteile verbieten sogar die Nutzung des durch den Hersteller voreingestellten Sicherheitsschlüssels – und sei er noch so zufällig.
Folge ich diesen Vorgaben nicht, mache ich mich nicht strafbar. Wenn aber jetzt jemand hingeht und sich in mein WLAN einloggt, kann ich dafür belangt werden, was er anstellt.
Den ganzen Text gibt es hier.

Bisher haben über 3200 Menschen die ePetition von Stefan unterschrieben. Da ist also noch Luft nach ob.

Via Zoom

Auflegen ist das neue Problemlösen

In letzter Zeit wurde der Witz „Die vier Feinde des Sozialismus: Frühling, Sommer, Herbst und Winter“ gern abgewandelt zu „Die vier Feinde der Deutschen Bahn …“. Ab heute hat sie einen fünften: mich. Und das, da ich jahrelang dem ganzen Herumgemotze an dem Unternehmen stets ein „Aber mit dem Auto dauert es doch auch immer länger …“ entgegnet hatte.

Ja, es gibt Stau, das ist schlimm – aber im Auto wird man wenigstens nicht behandelt wie auf dem Amt. An der teuren Hotline und beim E-Mail-Dialog – wenn man das Dialog nennen kann, eine Mailadresse bietet die Bahn auf ihrer Webseite nämlich nicht an – bekommt man die AGBs zitiert, die man sich ja auch selbst vorlesen kann. Das ist wie im Zug, wenn die Zugbegleiter per Handy auf bahn.de nachsehen, wie es mit den Anschlüssen steht.

Nein, es geht nicht um das Winter-Chaos im Nah- und Fernverkehr. Sondern um das Kommunikationschaos in den Reisezentren und an der Hotline, mit dem ich inzwischen mehr Zeit zugebracht habe als in verspäteten Zügen. Für die Bahn und ihre Kunden alltäglich. Im Notfall legen die Mitarbeiter an der Hotline eben auf. So einfach ist das.

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Anschlag von Tucson: der Kampf um die Deutungshoheit

 

  

Jared Loughner

 

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie in Amerika so auch hier. Führe uns nicht in die Irre, sondern erlöse uns von den Bösen, sprich: von den politisch Andersdenkenden. Gib nicht ihnen die Deutungshoheit über Deine unergründlichen Wege, sondern uns! Und führe uns nicht in Versuchung, uns zu diesem Zweck einfach irgendetwas zusammenspinnen zu müssen, sondern liefere uns zwecks Preisung Deiner Herrlichkeit in Ewigkeit stichhaltige Belege, auf dass wir nicht so ratlos dastehen mögen, wenn wieder einmal etwas passiert, was Du doch auch nicht gewollt haben kannst.  

Aber Gott antwortete nicht. Denn es entsprang, auch wenn Fred Phelps von der  Westboro Baptist Church dies anders sehen mag, nicht seinem Willen, was sich am letzten Samstag auf dem Supermarkt-Parkplatz in Tucson / Arizona zugetragen hatte, sondern dem Willen eines gewissen Jared Loughner. Er streckte bekanntlich die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords mit einem Kopfschuss nieder und schoss danach noch wild um sich. Entgegen ursprünglicher Meldungen der Polizei handelt es sich bei ihm offenbar um einen Einzeltäter, der entgegen meiner ursprünglichen Annahme jegliche Aussage über seine Motive verweigert.  

Da selbst Gott den Leuten nur vor den Kopf gucken kann, jedoch nicht in ihn hinein, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt nur festzuhalten: unser Vater im Himmel weiß nicht, was das Motiv für Loughners Tat war. Und da es nicht einmal der Allmächtige weiß, wissen wir es schon gar nicht. Der einzige, der es wissen könnte, wäre der 22-jährige Jared Loughner. Aber der junge Mörder ist zweifellos – was recht früh klar war – verwirrt, allerdings auch – was erst bei seiner richterlichen Anhörung zweifelsfrei klar wurde – bei klarem Verstand. Wiederholt hatte Loughner in seinen – in aller Regel recht wirren – Internettexten auf das verfassungsmäßig garantierte Aussageverweigerungsrecht hingewiesen.  

Verwirrt, aber bei klarem Verstand – was auch immer unter diesen Umständen von seiner Motivlage zu halten ist, eines seiner vermutlich wirr miteinander verwobenen Tatmotive lebt Loughner in seiner gegenwärtig extrem unkomfortablen Situation konsequent aus: den größenwahnsinnigen Willen nach weltweiter Aufmerksamkeit. In den USA ist, wie es auf stern.de heißt, mittlerweile ein „Bürgerkrieg der Worte“ entbrannt, während hierzulande gerade eher linke und liberale Medien sich eifrig darum bemühen, nicht in den Verdacht zu geraten, das Blutbad von Tucson für ihre politische Agenda instrumentalisieren zu wollen. Hier auf den Ruhrbaronen legen konservative Kommentatoren Wert auf die Feststellung, dass es zwischen dem Attentat von Tucson und der Tea Party keineswegs eine geradlinige Verbindung gibt.  

Im Tagesspiegel warnt Malte Lehming vor „schnellen Urteilen“ über „die perfide Tat“, bei Telepolis weist Peter Mühlbauer darauf hin, dass „Literaturlisten nur bedingt etwas über Attentäter aussagen“, und Bernd Pickert regelt in der taz auch gleich noch den korrekten Sprachgebrauch: „Die Legende vom Attentat“, so der Titel seines Beitrags; Unterüberschrift: „Debatte nach Amoklauf in Arizona“. Also Amoklauf statt Attentat; denn, so Pickert, „was Loughner hingegen am Samstag angerichtet hat, erinnert mehr an die Schulmassaker der jüngsten Zeit seit Columbine als an das klassische politische Attentat“. Und deshalb sei es „ein billiger Reflex, jetzt eine direkte Linie von dieser Art aggressiver Rhetorik (der Tea Party, W.J.) zu Jared L. Loughners Massaker zu ziehen“.  

Es ist freilich nichts weiter als Rhetorik, wenn Pickert in der taz eine direkte Linie ausmacht, die wer auch immer zu ziehen gedenkt. Und es ist richtig, was auch immer die Motivforschung noch ergeben wird: von einem wie Loughner lassen sich in einer seriösen Argumentation keine direkten Linien ziehen. Alles andere ist falsch: was am Samstag in Arizona passiert ist, war nicht etwa ein Amoklauf statt eines Attentats, sondern ein Massaker und ein Attentat, oder: ein Massaker nach einem Attentat. Ich räume ein, dass es nicht ganz unüblich ist, ein geplantes Massaker als Amoklauf zu bezeichnen. Betrachten Sie diese feine Unterscheidung als Wortklauberei; wichtig ist aber, dass nicht nur das wahllose Abschlachten unbeteiligter Menschen geplant war, sondern auch der gezielte Anschlag auf Gabrielle Giffords.  

Warum wird versucht, dieses Attentat semantisch gleichsam ungeschehen zu machen? Oder dort, wo man nicht so weit zu gehen bereit ist wie in der taz, es als ein Attentat von der Art der Anschläge auf Oskar Lafontaine (1990) und Wolfgang Schäuble darzustellen? Pickerts Spekulation, Loughner habe von der Hetzkampagne der Tea Party gar nichts mitbekommen, ist hanebüchen; seine Schüsse auf Gabrielle Giffords waren nicht nur genauestens geplant, sondern auch politisch motiviert. Letzten Samstag ereignete sich in Tucson der erste politisch motivierte Mordanschlag auf einen US-Bundespolitiker seit 30 Jahren. Warum bringt die taz einen Artikel, der diese Tatsache mit semantischen Spielereien wegdrücken will?  

Warum wird in Sachen Motivforschung überhaupt so einseitig „ermittelt“? Warum werden die Hinweise des US-Heimatschutzministeriums nicht erwähnt, dass Jared Lee Loughner Verbindungen zu einer antisemitischen Gruppe hatte? Sie waren doch recht leicht zu finden – zum Beispiel auf Wikipedia. Warum wird nicht erwähnt, dass untersucht wird, ob Loughner Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppen hatte? Ist auch der britische Guardian nicht seriös genug, als dass sich lohnte, dies zu erwähnen? Dass Loughners Denken alle Ingredienzien eines Tea-Party-Mitglieds aufweist, wie News One for Black America schreibt? Hat etwa der Glaubenskrieg um die Deutungshoheit über das Attentat von Tucson aus dem atmosphärisch vergifteten Amerika bereits auf das behagliche konsensdemokratische Deutschland übergegriffen?  

Es ist zu früh, um auf diese Frage eine politisch befriedigende Antwort geben zu können. Dass es auch hierzulande Interessen gibt, einen aggressiven Rechtspopulismus à la Tea Party hoffähig zu machen, steht außer Frage. Bei den hier zitierten seriösen Medien ist davon auszugehen, dass schlicht der Grundkonsens darüber verteidigt werden soll, dass es unzulässig ist, ein Blutbad für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren. Das Infragestellen eines Zusammenhangs zwischen der aggressiven Tea-Party-Rhetorik und dem Anschlag vom 8. Januar bedeutet in aller Konsequenz jedoch auch, die politische Bewertung des Anschlags von Tucson dem Täter zu überlassen. Das aber ist absurd, ob Loughner nun ein unpolitischer oder ein rechtsradikaler Spinner ist.  

Kopten wollen keine Schutzbefohlenen sein

Boules Shehata

Am vergangenen Donnerstag feierten die koptischen Christen in Nordrhein-Westfalen unter Polizeischutz das Weihnachtsfest.

Schon lange bevor der eigentliche Weihnachtsgottesdienst begann, hatten sie sich versammelt. Ein gutes Dutzend koptischer Gläubiger war in der St. Maria Kirche in Düsseldorf Grafenberg zusammen gekommen, um zu beten. Der Hauptraum der schmucklosen ehemaligen evangelischen Kirche ist mit Ikonen verziert. Es riecht nach Weihrauch. Liturgischer Gesang erfüllt den Raum. Heute wird es voll werden, voller als sonst. Da ist sich Habib Reda, der Geschäftsführer der Gemeinde sicher: „Wir werden heute ein starkes Zeichen der Solidarität erleben. Es werden nicht nur koptische Gläubige kommen sondern auch viele Menschen, die nach dem Anschlag in Ägypten ein Zeichen der Solidarität mit den Kopten setzen wollen.“

21 Kopten starben am 1. Januar nach dem Besuch einer Messe in Alexandria durch einen Bombenanschlag. Die Attentäter kamen wohl aus dem Umfeld der islamistischen Terrororganisation Al Qaida. Es war der größte Terroranschlag auf Kopten in Ägypten seit 2000, als im Süden des Landes ebenfalls 21 Christen getötet wurden.

Doch auch Abseits solch spektakulärer Anschläge werden die koptischen Christen in Ägypten, die bis zu 10 Prozent der Bevölkerung der 80 Millionen Einwohner des Landes stellen, von Verfolgung und Diskriminierung geprägt. Anschläge auf Kopten und ihre Kirchen gehören in Ägypten seit Jahrzehnten zum Alltag. Häufig werden sie von der Polizei nicht einmal geahndet.

In Ägypten, in dem der Islam Staatsreligion ist, haben Kopten zudem immer schlechtere berufliche Chancen. Viele von ihnen leben am Existenzminimum. Im Staatsdienst, der in Ägypten stark aufgebläht ist und vielen Menschen das Einkommen garantiert, haben sie kaum eine Aufstiegsmöglichkeit.

Dabei sind die Kopten die Nachfahren der alten Ägypter. Ihre Sprache, die heute nur noch selten gesprochen wird, ging aus dem Ägyptisch der Pharaonen hervor. Ägypten, das war wie Syrien oder Jordanien, das Kernland des Christentums. Lange bevor Europa christianisiert wurde, hatten sich dort bereits christliche Gemeinden gebildet. Die Geschichte der Kopten geht bis auf das erste Jahrhundert nach Christus zurück. Als Gründer der Kirche gilt der Evangelist Markus, der auch der erste Bischof von Alexandria war.

Die fast zwei Jahrtausende alte christliche Tradition hält militante Islamisten jedoch nicht davon ab, die christlichen Ägypter zu verfolgen und es ist längst nicht nur Al Qaida, die Hatz auf sie macht. Auch in den normalen Moscheen sind Hasspredigten gegen Christen keine Seltenheit. Und die Verfolgung endet nicht an der Landesgrenze. Auch in Deutschland und in anderen Staaten werden die Kopten von Islamisten bedroht. Und so fand auch die Weihnachtsfeier in Düsseldorf wie überall in Deutschland unter Polizeischutz statt. Am Eingang wurden die Besucher kontrolliert. „Angst“, sagt der Geschäftsführer der Gemeinde Reda, „haben wir nicht, aber es ist bedrückend, wenn man, nur um einen Gottesdienst zu feiern, Sicherheitsvorkehrungen treffen muss.“

Und seine Tochter Sofie ergänzt: „Auf der einen Seite freue ich mich, weil Weihnachten ist. Auf der anderen Seite bin ich unendlich traurig wegen der vielen Menschen, die in Alexandria gestorben sind. Dieses Jahr feiern wir ein trauriges Weihnachtsfest.“

Von der Trauer vieler Kopten um ihre ermordeten Glaubensbrüder und -schwestern weiß auch der Pfarrer der Gemeinde, Boules Shehata. Wie er haben viele Mitglieder seiner Gemeinde ägyptische Wurzeln oder sind mit Ägyptern verwandt. Sie stellen, noch vor Eritreern und Sudanesen den größten Teil der geschätzten 6.000 Kopten in Deutschland.

Seit 1987 lebt Shehata in Düsseldorf. Er kam als junger Priester nach Deutschland, um die Gemeinde zu leiten.

„Viele aus der Gemeinde machen sich heute große Sorgen um ihre Freunde und Verwandten in Ägypten. Der Terror gegen die Kopten hat seit den späten 70er Jahren immer mehr zugenommen. Probleme gab es zwar auch vorher schon, aber es war kein Vergleich zu heute. Früher lebten wir Kopten halbwegs friedlich mit den Muslimen zusammen. Diese Zeit ist vorbei. Die Unterdrückung nimmt immer weiter zu.“

Und das nicht nur in Ägypten. Im ganzen arabischen Raum ist es für die Mitglieder der zum Teil  uralten christlichen Gemeinden immer schwerer geworden, zu leben. Radikale Islamisten haben sich die Vetreibung der Christen auf ihre Fahnen geschrieben, und die autoritären Regime der Region lassen sie aus Angst um ihr eigenes Überleben immer häufiger gewähren.

Auch in Deutschland hätten die Kopten in der Vergangenheit viele Probleme gehabt. Koptische Ägypter, die in Deutschland wegen der religiösen Verfolgung Asyl wollten, wurden in der Regel abgewiesen. „Die Behörden erklärten, in Ägypten bestehe Religionsfreiheit.“ Bei Mitgliedern der in Ägypten verbotenen Muslimbrüder hätte sich Deutschland indes, was die Anerkennung von Asylanträgen betraf, immer großzügiger gezeigt.

Die in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründeten Muslimbrüder gelten als Begründer des modernen Islamismus. Ihr Vordenker, der Ägypter Sayyid Qutb, war zugleich der Inspirator islamistischer Terrorgruppen auf der ganzen Welt.

Doch Pfarrer Boules Shehata will nicht, dass die Kopten Ägypten verlassen. „Wir sind Ägypter, wir gehören in dieses Land und es muss auch weiterhin Christen in Ägypten geben.“ Jesus habe dort nach seiner Flucht aus Israel gelebt. Es gibt viele Heilige Stätten. „Sollen wir das alles aufgeben? Ich kann verstehen, wenn viele Kopten es in Ägypten nicht mehr aushalten und fliehen, aber das Ziel muss doch sein, dass wir dort als gleichberechtigte Bürger leben können. Ohne Diskriminierung und ohne Angst. Wir wollen auch keine Schutzbefohlenen sein.“ Schutzbefohlene, Dhimmis,  nicht gleichberechtige Partner auf Augenhöhe, ist der rechtliche Rang den der Islam Christen und Juden zugesteht.  Zumal es eine Illusion sei, dass Kopten in Deutschland ohne jede Sorge leben würden: „Unsere Kinder werden von ihren islamischen Klassenkameraden auch an deutschen Schulen beschimpft und bedroht. Sicher, die Lage ist mit der in Ägypten nicht zu vergleichen, aber es ist auch hier nicht immer einfach, ein Kopte zu sein und zum Glauben zu stehen.“ Auf Anfrage der Welt am Sonntag erklärte die Landesregierung, von solchen Vorkommnissen in NRW keine Kenntnis zu haben.

Aber es gibt bei aller Trauer um die Toten von Alexandria und die Bedrohung der Gemeinden im Ausland auch Zeichen der Hoffnung. In den Niederlanden haben such Muslime angeboten, die koptischen Gemeinden zu beschützen, und auch in Düsseldorf gab es am Donnerstag Zeichen der Solidarität. Aus anderen christlichen Gemeinden kamen Gläubige in die St. Maria Kirche um gemeinsam mit den Kopten das Weihnachtsfest zu begehen. Vom Zentralrat der Muslime kam der Vorsitzende, Aiman A. Mazyek gemeinsam mit seiner Frau und drei weiteren Vertretern nach Düsseldorf. Ganze Busladungen an gläubigen Muslimen hätte er zum Gottesdienst mitbringen können, allerdings sei ihm gesagt worden, wegen des hohen Andrangs könnten nur fünf Plätze für Abgesandte des Zentralrats bereit gestellt werden.

Mazyek: „Wir sind hier, um zu zeigen, dass die Terroristen gescheitert sind. Ihr Ziel war es, mit dem Anschlag auf die Kopten in Alexandria einen Keil zwischen die Religionen zu treiben. Das ist ihnen nicht gelungen.“

Das Verhältnis der Muslime zu den Kopten sei zudem traditionell ein besonderes: „Mitglieder der ersten Gemeinde Mohammeds in Mekka flohen noch zu seinen Lebzeiten nach Äthiopien und wurden  dort von den Kopten aufgenommen und geschützt. Das haben und werden wir nie vergessen.“

In Folge der Aufnahme wurden die äthiopischen Kopten von Mohammed persönlich vom Dschihad ausgenommen – gegen sie durfte kein heiliger Krieg geführt werden. Zu blutigen Kriegen kam es bei der islamischen Expansion nach Äthiopien hinein später trotzdem.

Mazyek sprach sich für einen Bestand der koptischen Gemeinden in Ägypten aus: „Die Kopten sind unsere Brüder und Schwestern. Natürlich haben sie wie jeder ein Recht, ihren Glauben zu leben.“

Auf die Frage, ob denn die koptischen Brüder und Schwestern wirklich gleich berechtigt sein sollten, wie es auch Shehata fordert, und nicht nur Schutzbefohlene, antwortet der eloquente Islamfunktionär, der auch Delegierter der alljährlich in Kairo von der ägyptischen Regierung ausgerichteten internationalen Islamkonferenz ist, ausweichend. Die Frage nach der Rolle der Schutzbefohlenen im Islam sei rechtlich  kompliziert und ihre Beantwortung schwierig. Aber ja, in einem Land wie Ägypten, das sich arabische Republik nennt, gäbe es zur vollständigen Gleichberechtigung keine Alternative.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

Terror in der Nachbarschaft – Brandanschlag auf die Moschee in Berlin-Wilmersdorf

Berlin, Wilmersdorfer Moschee, Brienner Straße Foto: Axel Mauruszat

Der siebte Brandanschlag auf Berliner Moscheen innerhalb weniger Monate lässt die Ermittler ratlos zurück. Von Andreas Lichte.

Yasir Aziz, 27, geboren in Pakistan, studiert in Schweden. Vor einem Monat kommt er nach Berlin, um in Ruhe an seinen Masterabschlüssen in Marketing und in Weltpolitik – Spezialisierung in Menschenrechten – zu arbeiten. Am Samstag, 8. Januar 2011, um 1:45 Uhr nachts, ist es mit Ruhe und Menschenrechten vorbei, Aziz sagt:

„Ich arbeitete gerade am Computer, als ich lautes Knallen hörte. Zuerst dachte ich: »vielleicht die Sicherungen, ein Kurzschluss«, aber dann schaute ich aus dem Fenster und sah das Feuer vor der Tür.“

„Die Tür“ ist die Tür zum Wohnhaus des Imam, direkt neben der Moschee. Dort ist Aziz für 2 Monate zu Gast.

Aziz ruft die Polizei, und versucht selber das Feuer zu löschen. Die Polizei-Streife, die schon nach 3 Minuten da ist, kann mit ihrem Feuerlöscher den Brand der Haustür erfolgreich bekämpfen.

Aziz sagt: „Ich war geschockt.“ Was wäre passiert, wenn er geschlafen hätte, und die Polizei nicht so schnell am Einsatzort gewesen wäre? Aziz: „Wenn es erst einmal brennt, dann gibt es für das Feuer keine Grenzen mehr. Von der Tür hätte das Feuer leicht auf die Holzfenster darüber übergreifen können …“

Und auch die Kriminalpolizei nimmt den Anschlag ernst, untersucht 5 Stunden lang den Tatort, obwohl der Brandsatz dilettantisch aus Gaskartuschen, Spiritusflaschen und Silvesterböllern gebastelt war. Der Hintergrund, die Berliner Morgenpost schreibt:

„Schon von Juni bis Dezember 2010 hatte die Polizei in Berlin insgesamt sechs Brandanschläge auf islamische Einrichtungen registriert. Im Juni, zweimal im August und im November war die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm Ziel gewesen. Weitere Anschläge wurden im November auf die Neuköllner Al-Nur Moschee und im Dezember auf ein islamisches Kulturzentrum in Tempelhof verübt.“

Also sagt ein Polizeisprecher zum Fall der Wilmersdorfer Moschee: „Ob ein Zusammenhang mit Brandanschlägen oder versuchten Brandanschlägen auf Moscheen in der Vergangenheit besteht, wird derzeit geprüft.“

Ich wohne in Sichtweite der Ahmadiyya-Moschee, der unter Denkmalschutz stehenden, ältesten Moschee Deutschlands in Berlin-Wilmersdorf. Ich liebe ihre Architektur: Ein UFO in der biederen Villen- und Reihenhausbebauung.

Im Winter letzten Jahres kam ich abends nach Hause, der Feuerwehr-Grosseinsatz war nicht zu übersehen, die Strasse war gesperrt. Mein erster Gedanke: „Die Moschee!“ Nein, damals war es nur ein Wohnhaus in ihrer Nähe. Aber was ist da los, dass ich jederzeit mit einem Anschlag rechnete?

Und das war noch bevor „Deutschland schafft sich ab“ des geistigen Brandstifters Thilo Sarrazin das ganze Land in Hysterie versetzte.

Das Attentat von Tucson, die Tea Party und die vielen verwirrten Einzeltäter

Screenshot YouTube-Video

Gabrielle Giffords hatte keine Angst, obwohl eine ganze Reihe von Vorfällen in den letzten beiden Jahren Anlass genug dazu gegeben hätten. Die demokratische Kongressabgeordnete pflegte gar einen ironischen Umgang mit der schießwütigen Atmosphäre in ihrem Wahlkreis: „Wenn man einen Distrikt repräsentiert, zu dem die Wildwest-Stadt Tombstone gehört, dann überrascht einen nichts mehr.“ Allerdings kritisierte Giffords die Tea-Party-Bewegung wegen ihrer „unglaublich aufgeheizten Rhetorik“. An deren Sprecherin Sarah Palin gerichtet sagte Giffords: „Wenn man so etwas tut, dann muss man auch wissen, dass es Konsequenzen haben kann.“ Palin hatte auf der Website ihres Political Action Committees auf einer US-Karte die Wahlbezirke der demokratischen Abgeordneten mit Fadenkreuzen markiert, die für die Gesundheitsreform gestimmt hatten. Palin beeilte sich, den Opfern und den Angehörigen der schwer verletzten Demokratin ihr Beileid auszusprechen.

Jared Lee Loughner ist der Name des “verwirrten Einzeltäters”, der gestern Morgen Gabrielle Giffords aus nächster Nähe in den Kopf geschossen hatte, danach noch mindestens sechs Menschen erschossen und mehr als zehn weitere Menschen – zum Teil schwer – verletzt hatte. Ein recht hübscher Bengel, der 22-jährige Schütze, der „im übrigen … nicht im rechten Lager zu finden (sei), da er beispielsweise das Kommunistische Manifest, neben anderen Büchern, als favorite Buch angibt“, worauf uns ein Kommentator namens Müller freundlicherweise hinweist. Nun gut, auch Hitlers Mein Kampf gehört zu den Favoriten des Mörders; aber zugegeben: ob Jared Lee Loughner nun dem „rechten Lager“ zuzurechnen ist oder nicht, wird bei solch einem komplizierten Typen letztlich nicht zweifelsfrei zu klären sein. „Natürlich haben“, schreibt Müller, „Palin und die Tea Party Bewegung die politische Rhetorik radikalisiert, zu einem Mord haben sie aber nie aufgerufen.“

Das ist natürlich – gemeint i.S.v. „selbstverständlich“ – richtig. Allerdings hat eine Radikalisierung der politischen Rhetorik, hält man sich die politische Atmosphäre in den USA vor Augen, nichts Natürliches an sich. Und die Art und Weise, wie Palin und die Tea Party die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern verschärft haben, ist zwar – natürlich – noch nicht der Aufruf zum Mord; der Grad, der von offener Mordhetze noch getrennt hatte, war jedoch schon recht schmal. Und ja: dieser Jared Lee Loughner war und ist verwirrt. Dass er ein Einzeltäter war, darf schon jetzt als widerlegt gelten. Die Polizei sucht nach (mindestens) einem Komplizen. Freilich lässt sich, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es sich um ein Mordkomplott von zwei, drei oder vier Männern gehandelt hat, immer noch von Einzeltätern sprechen.

Nur: dabei übersähe man die hetzerische politische Stimmung, die in Arizona und den Vereinigten Staaten insgesamt herrscht. Der in Tucson zuständige Sheriff Clarence Dupnik beschreibt sie folgendermaßen: „Der Zorn, der Hass, die Bigotterie, die in diesem Land herrschen, werden allmählich ungeheuerlich.“ Gewiss, die Westboro Baptist Church markiert auch eine in den USA als extremistisch geltende Position; und doch: letztlich treibt Fred Phelps, der Prediger dieser Sekte , die reaktionäre, antisemitische und homophobe Hetze der Tea-Party-Bewegung einfach nur auf die Spitze. Ja, Phelps´ Gemeinde ist klein; aber es gibt viele, allzu viele dieser schönen kleinen christlich fundamentalistischen „Kirchen“ des Hasses. Ein Video-Kommentar von Fred Phelps findet sich inzwischen auf YouTube. Titel: “Thanks God for the Shooting of Congresswoman Gabrielle Giffords”. Man muss nicht perfekt Englisch können, man muss nicht jeden Satz ganz genau verstehen, um ein Feeling dafür zu bekommen, dass im großen Land der Frommen die Uhren (noch?) ein wenig anders ticken als in good old Europe.

Phelps erklärt die “komplizierte Persönlichkeit” (Sheriff Dupnik) kurzerhand zum Soldaten Gottes, dem man ohnehin eigentlich immer nur danken kann, in diesem Fall für das Attentat auf diese gottlose Sünderin namens Gabrielle Giffords. Ohnehin ein Abkömmling aus dem Volk der Christusmörder kämpft diese Babymordpropagandistin (Giffords befürwortet embryonale Stammzellenforschung) für den Kommunismus (anderer Terminus für Obamas Gesundheitsreform). Im Land of the Free ist es erlaubt zu sagen, dass Giffords schon allein wegen einer einzigen Sünde aus diesem umfangreichen Sündenregister den Tod verdient hat. Und man dankt Gott dafür. Nochmal: Phelps´ Baptisten-Sekte ist klein, und es gibt viele Amerikaner, die entsetzt sind über das Massaker, die sich spontan zum Beten für die Opfer versammeln, die nichts mit diesen fundamentalistischen Mordhetzern zu tun haben. Aber es gibt auch die Tea Party. Deren Differenz bspw. zur Westboro Baptist Church ist graduell, nicht prinzipiell. Sie ist taktisch motiviert, nicht ethisch. Es ist kein Antiamerikanismus zu sagen, dass viele US-Amerikaner von ihren Abstiegsängsten in diesen Irrsinn getrieben werden.

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letzte Woche / diese Woche (KW2)

Letzte Woche hat mir überhaupt nicht gefallen, wie wieder einzelne Politiker mit mehr oder weniger gezielten Provokationen oder auch nur Parteitagen wichtige Themen wie das Zusammenleben der Menschen in Deutschland aus den Schlagzeilen gefegt haben. Plus natürlich die Tatsache, dass neben den Parteien offensichtlich das Wetter am besten verkauft – aber damit hatte ich letzte Woche schon gelangweilt. Gestern hatte ich dann eines dieser typischen Pamphlete geschrieben. Zum Glück gefällt mir das heute nicht mehr. Aber das Foto ist zumindest übrig geblieben. Oben steht „Sei Berlin: Sei BND“ und darunter sehen wir zwei überangepasste „Volldeutsche“ – dieses Wort war mir gestern eingefallen. Auch war mir aufgefallen, dass hierzulande – gestern schrieb ich „im postfaschistisch sozialdemokratisierten Deutschland“ – immer lieber Postkommunistinnen und Vertreter des freien Marktes als Exoten herzuhalten haben (und sonstige total alternative Volldeutsche), als dass sich auch nur ansatzweise mit anderen Lebensweisen beschäftigt wird, die nicht hausgemacht sind.
Ich befürchte, dass viel zu wenige deutsche Migrantinnen und Migranten etwas zu sagen haben bei der „vierten Macht im Staate“, und wenn dann halt nur diese Überangepassten. Auch war mir aufgefallen, dass alle möglichen Oppositionen hier bis hin zu den Antideutschen grundsätzlich zu deutsch sind. Diese Woche möchte ich mich folgerichtig damit beschäftigen, inwiefern es in Deutschland überhaupt undeutsch orientierte politische Gruppen gibt, die mehr tun dürfen, als für ihre „Minderheit“ zu sprechen. (Vielleicht wird ja ein Artikel daraus.) Was für die Frauen hierzulande vor Jahrzehnten erst möglich war, sollte doch so sachte auch für Migranten möglich sein: Quote, Macht, uneingeschränkte Betätigung auf allen gesellschaftlichen Ebenen nicht nur als Vorzeigeobjekte. Dass dabei dann keine Überanpassung an den gängigen Mainstream stattfindet, sollte also nicht nur Hannelore Kraft gefallen. Es steht aber zu befürchten, dass „die Ausländer“ dann dafür natürlich viel zu rassistisch, sexistisch und egomanisch sind. Alles das, was wir natürlich nie sind oder womit wir uns lieber intern beschäftigen, um bloß keinen Spiegel vorgehalten zu bekommen.

Letzte Woche in Berlin hatte ich nicht nur einen kurzen Einblick in so ein deutsch-alternatives WG-Leben (gestern schrieb ich etwas von „Terror nach Innen“ und „totaler Küchenkrieg“ oder so), sondern mir fiel auch auf, dass mir die Artikel über die Stadt am besten gefielen, in denen eher „Externe“ schreiben. Solche wie eben Roger Boyes von der Times im Tagesspiegel oder die Leute von Exberliner. Überhaupt schreiben immer zu viele Ruhries über die Ruhr, etc. und seit dieser Woche schreiben bei 2010lab zusätzlich verstärkt Londoner über London und Milanesen über Milan. Dem Chef von Heimatdesign gab ich letztens wiederum den Rat, er möge doch spätestens in diesem Jahr einmal seine Hefte auch außerhalb des Ruhrgebietes auslegen – ähnlich den Ruhrbaronen. Immer noch frage ich mich: Was will ich da eigentlich? Wie geht all das zusammen?
Ich denke mal und schreibe: Wenn alle immer nur in ihrem kleinkarierten Platzhirschrevier und über es schreiben, ist das a) naheliegend und b) kostengünstig, bringt aber nur wenig neue Perspektiven und erst recht keinen Austausch. (Gruß an Herrn Schurian!) Blickt und geht man hingegen über den Tellerrand – am besten mehrsprachig – so muss man sich damit auseinander setzen, dass man eben nicht für eine homogene Zielgruppe schreibt. Und das muss von vielen noch gelernt werden, denn auch hier schreiben alle eher „frei nach Schnauze“ und beleidigen viel mehr Leute als sie denken. Also müssen letztlich die Designer raus aus Deutschland. (Nach Italien vielleicht?) Und wer nicht so sachte einmal andere als den eigenen Blickwinkel in seine Medien integriert, gehört gescholten oder besser von nicht-volldeutschen Medien beobachtet und ggf. bloßgestellt. Und so sieht es wohl aus: Ich meine es doch ernst. Liebe Migrantinnen und Migranten: Seien Sie Ruhr: Seien Sie BND! Seien Sie Wikileaks! Im Zweifel Ihr eigener. Vielleicht schon in dieser Woche? Oder bleiben Sie auch gern weiter unbeeindruckt und lassen uns am langen Arm verhungern in unserer tollen Datenwelt, in der wir uns ja so gerne mit uns selbst beschäftigen. Und jetzt vielleicht doch wieder etwas über Guido und Gesine? Und Sie so: *click*

Foto: Jens Kobler (feat. u.a. den Tagesspiegel vom 8.1.2011 und das Cover von „First take then Shake – F.S.K. meets Anthony ‚Shake‘ Shakir“)

Zum Attentat auf Gabrielle Giffords in Tucson / Arizona

Gabrielle Giffords
Gabrielle Giffords

Es ist die Nacht vom Samstag auf Sonntag in Deutschland; noch ist nicht klar, ob es sich bei dem Anschlag auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords in Tucson / Arizona um ein politisches Attentat handelt oder nicht. Klar ist, dass „Gabby“ Giffords noch lebt.  Zwar wurde ihr Tod bereits gemeldet, doch inzwischen weiß man, dass sie eine Notoperation überstanden hat, sich jedoch nach wie vor in Lebensgefahr befindet. Aus kurzer Entfernung schoss der 21-jährige Täter der 40-Jährigen in den Kopf – ein glatter Durchschuss. Danach feuerte er noch wild um sich, die Polizei meldet sechs Tote, darunter ein neunjähriges Mädchen. Weil er unverletzt verhaftet werden konnte, werden wir vermutlich im Verlauf des Sonntags erfahren, ob der „Amoklauf“ – wie auch zu lesen ist – politisch motiviert war. Es wäre keine Überraschung, wenn dem so wäre.

Gabrielle Giffords unterhielt sich gestern an einem Infotisch vor einem Supermarkt in ihrem Wahlkreis mit einigen Bürgern, als kurz nach 10 Uhr Ortszeit der Attentäter zunächst auf sie schoss. Im November hatte Gabby Giffords zum dritten Mal den Sitz im Repräsentantenhaus errungen, diesmal allerdings nur mit äußerst knappem Vorsprung – vor ihrem Gegenkandidaten Jesse Kelly. Kelly, der zur Tea-Party Bewegung gehört, hatte seine Anhänger im Wahlkampf dazu ermuntert: „Helft uns Gabrielle Giffords aus dem Amt zu werfen. Feuert eine vollautomatische M16 mit Jesse Kelly.“ Dem Tagesspiegel zufolge kommen solche Aktionen im Wahlkampf gut an in Arizona, einem Staat mit vielen Waffennarren, in dem zur Zeit unter anderem darüber diskutiert wird, Waffen in Schulen zu legalisieren. Dies geschah im Juni 2010.

Bereits im März 2010 hatte Sarah Palin, die als Sprecherin der Tea Party gilt, eine US-Karte mit Zielscheiben auf 20 Wahlkreisen veröffentlicht, deren Abgeordnete für die Gesundheitsreform gestimmt hatten. Auch Gabrielle Giffords befand sich in einem der Fadenkreuze; Parole des Wahlplakats: „Stellung beziehen!“ Zu Palins Reden gehört regelmäßig die Aufforderung, gegenüber dem politischen Gegner „nicht nachzugeben, sondern nachzuladen“. Im März 2010 wurde Giffords Wahlkampfbüro in Tucson verwüstet. Bereits 2009 hatte bei einer Giffords-Veranstaltung – ebenfalls an einem Supermarkt – ein Gegendemonstrant eine Pistole bei sich; von der Polizei sei er weggebracht worden, nachdem die Waffe auf den Boden fiel. Darauf hatte dann die Polizei im Herbst 2010 verzichtet; denn auf Giffords Wahlkampfveranstaltungen waren regelmäßig politische Gegner mit Waffen erschienen.

Video Pressekonferenz der Klinik

Gabby Giffords selbst konnte und wollte dagegen nichts vortragen, die Demokratin ist nämlich Anhängerin des in Amerika geltenden liberalen Waffenrechts. Giffords, die als erste Jüdin für Arizona ins Repräsentantenhaus gewählt wurde und in Washington als Nachwuchsstar der Demokratischen Partei gilt, ist bekannt als „moderate“ Abgeordnete – heißt: sie gehört dem rechten Flügel der Demokratischen Partei an, den sog. „Blue Dogs„. Diese vertreten eine konservative Finanzpolitik, d.h. sie vertreten die – fast „deutsche“ – Position, die Staatsverschuldung zu senken, um ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. In der Wirtschaftspolitik gelten die Blue Dogs als ausgesprochen unternehmerfreundlich. Giffords war Chefin einer vom Großvater gegründeten Reifenfirma und Geschäftsführerin einer Kapitalanlagegesellschaft, aber eben auch engagierte Unterstützerin von Obamas Gesundheitsreform.

Damit zog sie den Hass der politischen Rechten auf sich, die den Einbau „europäischer“ Elemente ins amerikanische Krankenversicherungssystem mit Hitler- und Stalin-Plakaten bekämpft hatte. Vermutlich ist ihr dies gestern zum Verhängnis geworden. Der junge Attentäter wird sich erklären. Wir bangen derweil um Gabby Giffords Leben.