
Wie sorgt man in der Waldorfwelt für Ruhe? Mit „Mundzukleben“? Richtig laut wird es, wenn Detlef Hardorp Waldorfeltern die nobelpreisverdächtigen Leistungen seines Gurus Rudolf Steiner erklärt. Der soll schlauer gewesen sein als viele Physiker. Von unserem Gastautor Tobias Maier.
Rudolf Steiner soll schon sechs Jahre vor Erwin Schrödinger (Nobelpreis für Physik 1933) die nach ihm benannte Gleichung erfunden haben. Dr. Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg und Anthroposoph zur Rolle Rudolf Steiners als Wissenschaftler:
„Bemerkenswert ist u.a., daß er (Steiner) in einem dieser Vorträge schon im Jahre 1920 eine Differentialgleichung für Lichtwirkungen entwickelte, die erst drei Jahre später von Erwin Schrödinger »neu« entdeckt wurde. Sie spielte als Grundlage der Quantenphysik in der modernen Naturwissenschaft eine nicht unbedeutende Rolle.“
Hardorps Äußerungen stammen ursprünglich aus der Publikation „Rudolf Steiner and Schrödinger’s equation“ von Detlef Hardorp and Ulrich Pinkall, in „Mathematisch-Physikalische Korrespondenz“, Nr. 201, Johanni 2000. Im Original liest sich das so:
„Thus the third differential equation that Steiner writes down on the 12th of March in the year 1920 is not only »formally equivalent« to Schrödinger’s equation. Apart from the fact that the value of the constant is not specified as a number related to Planck’s constant, it is Schrödinger’s equation.“
Der promovierte Physiker Andreas Krämer hat sich die Steiner-Publikation und deren Interpretation von Hardorp und Pinkall genauer angesehen. Das Fazit seiner Analyse:
„Für den Physiker ist eine mathematische Formel ohne eine klare Beschreibung der enthaltenen Grössen keine Theorie. Nach meinem Verständnis der Grössen in der Steinerschen Formel (Kontext Wärmeleitung/Energieumsatz) wird daraus sogar eine falsche Theorie.“
Beide, Pinkall und Hardorp haben zur Analyse von Andreas Krämer Stellung bezogen.
Prof. Ulrich Pinkall, TU Berlin, rudert zurück:
„Ich selbst habe auch ein etwas ungutes Gefühl dabei, das ganze Thema als Munition in Debatten um die Wissenschaftlichkeit der Waldorf-Pädagogik zu verwenden.“
Dr. Detlef Hardorp schreibt in seiner Steiner-Verblendung:
„[…] Das aber just Steiner eine Gleichung intuitiv an die Tafel schreibt, die einige Jahre später in der Physik zu den bedeutsamsten Gleichungen überhaupt werden wird, erscheint mir symptomatisch für Steiner zu sein. Denn das hat er doch in vielen Bereichen gemacht: von außen betrachtet stochert er unprofessionell in allen möglichen Gebieten herum, und trifft mit unverschämter Sicherheit immer wieder Goldadern, auch wenn er nicht den wissenschaftlichen Apparat bieten kann, mit dem das dann meist später von anderen wesentlich vollständiger gemacht wird.“
Andreas Lichte, intimer Kenner und Kritiker der Anthro-Szene kommt zu folgendem Fazit:
„Wer Steiner richtig zu lesen weiss, findet dort ALLES, Antworten auf alle Fragen, auch die allerletzten. Verhält sich ähnlich wie Nostradamus: man muss nur richtig lesen können …“
Aber das Verdrehen historischer Fakten ist ja eine bekannte und beliebte Strategie der Pseudowissenschaftler, um ihren realitätsfernen Ansichten ein vermeintlich wissenschaftliches Fundament zu verschaffen.
Zum Autor: Der Artikel ist eine überarbeitete Fassung von „Rudolf Steiner und die Schrödingergleichung“, erschienen auf dem blog „WeiterGen“ von Tobias Maier.
Info: Die Waldorfschule, Rudolf Steiner, und die Anthroposophie
Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.
Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen „Anthroposophie“ neu gründete.
Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“ lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu S C H A U E N , was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“ Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.
Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.