Kampf der Religionen – oder doch nur ein Milieu-Problem?

Es ist ein heikles Thema, das immer wieder tabuisiert wurde. Und das aus gutem Grund. Zu schnell haben ewig Gestrige das Thema instrumentalisiert und grenzdebile Parolen geschwungen. Aus Angst vor den Rechten hat die politische Elite daher das Thema vermieden. Nun entpuppt sich diese Strategie als Bumerang: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Gewaltbereitschaft.

Konkret lässt sich die Studie, die aus einem Forschungsprojekt des Bundesinnenministeriums und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) hervorgegangen ist, auf einen Nenner bringen: Je größer die Bindung junger Männer an den Islam ist, desto größer ist ihre Gewaltbereitschaft. Zudem nehme mit der Religiosität auch die Akzeptanz von Machokulturen und die Nutzung gewalthaltiger Medien zu. Es ist inzwischen der zweite Bericht zu diesem Thema – und deckt sich teilweise mit der Kriminalstatistik, derzufolge die Zahl der Straftaten von Tätern mit Migranten-Hintergrund steigt.

Als Erklärungsansatz ziehen die Autoren Befunde des türkischstämmigen Religionswissenschaftlers Rauf Ceylan heran. Dieser hatte festgestellt, dass die Mehrheit der Imame in Deutschland den Rückzug in einen konservativen Islam fördert. Die meisten Geistlichen seien nur zeitweise in Deutschland, könnten kein Deutsch und deshalb keine positive Beziehung zur deutschen Kultur aufbauen. Für sie sei die Dominanz der Männer selbstverständlich. Verantwortlich für die Phänomene sei nicht der Islam selbst, meinte der zuständige Studienleiter Pfeiffer: „Das ist kein Problem des Islam, sondern der Vermittlung des Islam.“ Damit rückt er vorschnelle religiöse Urteil zurecht, die einen Kampf der Religionen sehen, anstatt tiefer zu blicken.

In dem Forschungsprojekt wurden im Zeitraum 2007/2008 bundesweit in 61 Städten und Landkreisen rund 45 000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse befragt. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Zugehörigkeit zu einer Religion und die persönliche Religiosität auf die Einstellungen und Verhaltensweisen von 14- bis 16-Jährigen und insbesondere auf die Integration junger Migranten auswirken. Das Ergebnis: Während junge Christen mit steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen, ist bei jungen, männlichen Muslimen das Gegenteil der Fall. Junge Migranten ohne Konfession seien am besten in die deutsche Gesellschaft integriert. Sie würden zu 41,2 Prozent das Abitur ansteuern. Bei jungen Muslimen sei dies anders: Sie strebten zu 15,8 Prozent den Abiturabschluss an, hätten zu 28,2 Prozent deutsche Freunde und fühlten sich zu 21,6 Prozent als Deutsche.

Gerade im Ruhrgebiet dürfte diese Studie, auch mit Blick auf die Turbulenzen beim Moschee-Verein in Duisburg, für neue Diskussion sorgen. Die Zahlen sind, das muss ich zugeben, erschreckend. Ob sie wirklich belastbar sind, kann ich nicht beurteilen. Für mich stellt sich aber die Frage, ob es sich hier nicht eher um ein Milieu-Problem handelt – also die sozioökonomischen Faktoren eine Rolle spielen, die ferne vieler Migranten-Haushalte zum Bildungsbürgertum und die geringen Aufstiegsmöglichkeiten, die junge Muslime hier in Deutschland haben, die eben aus einem Elternhaus kommen, das auf Hartz IV angewiesen ist und ein post-modernes Männerbild besitzt.
Bin gespannt, was der Shooting-Star der CDU, Integrationsminister Armin Laschet, der garde fulimant unter die Buchautoren gegangen ist, aus dieser Studie macht. Oder ob er sich wie die letzten fünf Jahre auf verbales tabuisieren des Themas konzentriert und damit weiterhin notwendige Entscheidungen verschleppt. Die Studie zeigt, dass diese Strategie gescheitert ist.

Wird Wulff der nächste Heitmann?

Merkel weht der Wind seit der Wulff-Präsentation ins Gesicht. Ihr geht die Düse, denn sie hat schon einmal miterlebt, wie ein Kanzler mit seinem Vorschlag für einen Bundespräsidenten scheiterte.

Für Helmut Kohl war die Sache klar. Nach dem ungemein populären und ihm in vielerlei Hinsicht  überlegenen Richard von Weizsäcker wollte der Kanzler auf Nummer sicher gehen. Zum Weizsäcker Nachfolger wollte er jemanden küren lassen, der den Schein der Pfälzer Sonne nicht trüben würde. Der Mann hieß Steffen Heitmann, war Justizminister in Sachsen und wurde 1993 der Öffentlichkeit präsentiert.

CDU und FDP verfügten damals über ein ordentliche Mehrheit in der Bundesversammlung und die SPD sah sich unter Rudolf Scharping auf dem Tiefpunkt angekommen. Eine, wie man heute weiß, optimistische Einschätzung.

Doch dann gab Heitmann der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Heitmann sagte Sätze wie: „Eine multikulturelle Gesellschaft kann man nicht verordnen, sie kann allenfalls wachsen.“  oder  „Ich glaube, daß der organisierte Tod von Millionen Juden in Gaskammern tatsächlich einmalig ist – so wie es viele historisch einmalige Vorgänge gibt.“

Das führte zu einem Aufschrei in den Medien. Kohl versuchte die Situation auszusitzen. Aber der Protest gegen Heitmann wurde immer lauter. Die FDP ließ Kohl hängen. Die SPD nominierte Johannes Rau. Der schien auch für die FDP wählbar zu sein. Kohl reagierte: Heitmann verzichtete auf seine Kandidatur. Roman Herzog wurde nominiert und gewann, mit den Stimmen der Liberalen, im dritten Wahlgang gegen Rau.

Merkel hat diese Niederlage Kohl aus nächster Nähe miterlebt. Damals war sie noch sein „Mädchen“ und saß als Ministerin für Frauen und Jugend am Kabinettstisch.

Eine solch Niederlage könnte ihr nun ebenfalls drohen. Nicht weil Wulff so ein fürcherlicher Kandidat wäre, sondern weil Gauck so viele Unterstützung erfährt. „Man erträgt den Gedanken an Christian Wulff nur dann, wenn man den Gedanken an Joachim Gauck verdrängt“ schreibt Nils Minkmar heute in der FAZ und die bezeichnet Gauck als idealen Bundespräsidenten. Das sehen viele so in diesen Tagen.

Die nächsten Wochen werden bitter für Merkel und für Wulff. Kann sein, das Wulff nicht durchhält. Wer möchte schon gegen den Willen von sehr vielen Menschen Bundespräsident werden? Ein Amt haben, dessen Autorität sich aus der Akzeptanz der Menschen speist und nicht aus der realen Macht?

Nachdem Heitmann seine Kandidatur zurückgezogen hatte, blieb er übrigens bis 2000 Justizminster in Sachsen. Er trat erst nach einem Skandal zurück. Warum sollte Wulff nicht versuchen einen ähnlichen Weg zu gehen? Vieles Optionen, auch der Wechsel in die Wirtschaft, sind attraktiver als ein unbeliebter Bundespräsident zu werden. Für Wulff würde das Leben weiter gehen. Schwierig würde es für  „Mutti“…

Kreative in die Industrie!

Während das Ruhrgebiet noch auf die Kreativwirtschaft setzt ist man in Berlin schon weiter: Industrie soll her. Doch auch die Hauptstadt hat ausser bunten Broschüren nicht viel zu bieten. Von unserem Gastautor Frank Muschalle. Frank betreibt das Blog Frontmotor, stammt aus dem Ruhrgebiet und lebt und arbeitet in Berlin.

Wer ist kreativ?
Ich kenne etliche Anhänger von Richard Floridas These, dass die Zukunft den Kreativen gehört. Aber ich kenne keinen Manager oder Politiker, der sie in Deutschland mal in größerem Stil richtig umgesetzt hätte. Geht es um „Kreative“, fühle ich mich auch als Ingenieur angesprochen. Ich habe an der Entwicklung von StartStop-Automatiken und Hybridantrieben mitgearbeitet. Ich habe Wettbewerbe für Konzerngeschäftsideen und Hauptstadtphotographien gewonnen. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage: Kreativität wird in der Industrie nicht wirklich wertgeschätzt. Das „Management“ von Kreativen, bzw. das Verwerten ihrer Leistungen, schon eher. Ich habe schon länger den großen Plan in der Tasche, um irgendwann den Absprung zu machen. Aber irgendetwas hält mich davon ab.

Richard Floridas Leistung liegt meiner Meinung nach darin, zu erkennen, wie wichtig der Modus ist, in dem Kreative arbeiten. Welches die Bedingungen sind, die sie für attraktiv halten. Aber auch unter welchen Bedingungen, aus Kreativen ein Big Business werden kann. Kreativ sind in diesem Zusammenhang alle, die Werke schaffen, die durch ein gewerbliches Schutzrecht schützbar sind, also Texte, Grafiken, Filme, Fotos, Musik, technische Lösungen und Software.

Die kreativen Geschäftsmodi
Es gibt Kreative, die in Vorleistung gehen. In ihr Werk investieren, ihre Schutzrechte absichern und dann Kunden dafür suchen, die bereit sind, für Lizenzen zu bezahlen. Das sind die Unternehmer in eigener Sache. Sie schaffen Produkte, die sich durch einfaches Kopieren beliebig vervielfachen und als Stücklizenzen verkaufen lassen. Diese Kreativen schaffen Arbeitsplätze in der Entwicklung, Redaktion, im Studio und in der Produktion und sie generieren Steuereinnahmen. Ihnen kommen Multiplikatoreffekte zu.

Und es gibt Kreative, die mögen die gleiche Ausbildung und Bildung genossen haben, und die gleichen Dinge tun, sogar die gleichen Werke herstellen. Der wichtige Unterschied: Sie tun dies im Auftrag. Als Dienstleistung. Ihr Vorteil: Sie müssen keine Investitionen riskieren, kein Eigenkapital beschaffen. Und sie haften nicht. Ihr Nachteil: Sie werden nach Aufwand bezahlt und haben in der Regel eine Klausel in ihrem Dienstleistungsvertrag, nach der sie die Verwertungsrechte an ihren Auftraggeber abgeben. Diese Kreativen sind die Prototypen der Ich-AGs. Sie erfinden das Rad immer wieder neu, im Auftrag für andere. Von Multiplikatoreffekten profitieren sie nur wenig.

Richard Florida und seine Anhänger wie Wolf Lotter meinen erstere, wenn sie von der Creative Class schwärmen. Auch der frühere Blogger, Podcaster und heutige Chefinnovator bei HP, Phil McKinney meinte die Produktentwickler, als er sagte: Kreativität kann jeder lernen. Man muss es einüben, es fällt nicht vom Himmel. Die Politik und viele Wirtschaftsförderungen jedoch haben das Thema lange missverstanden und dachten, hinter mancher Ich-AG lauere ein Steve Jobs.

Richtig ist auf jeden Fall: Nur durch kreative Leistungen schaffen wir neues Wachstum (wenn wir das wollen). Nicht durch Nachahmung und Preisdumping. Einer der wenigen richtigen Sätze von Angela Merkel lautet: Wir dürfen um soviel teurer sein, wie wir besser sind. Aber um besser zu sein, muss man etwas riskieren. Und braucht einen Instinkt für Chancen. Was wir im vergangenen Jahrzehnt aber erlebten war: Ihr müsst um so viel billiger werden, wie wir Euch schlechter managen. Das war die Ansage in vielen Konzernen.

Der freiberufliche Auftragsprogrammierer konkurriert gegen die unschlagbar billigen Konkurrenten aus Indien und China. Der Lizenzgeber aber, der ein Produkt für einen neuen Markt erdacht, geschaffen und mit Schutzrechten abgesichert hat, muss wenig Konkurrenz fürchten. Hat das jetzt jeder verstanden, der Politik gestaltet und Wirtschaftsförderung betreibt?

Berlin und das Ruhrgebiet im Dienstleistungszeitalter
Landes- und Regionalpolitiker haben einige Lernprozesse hinter sich. Und gerade das Ruhrgebiet und Berlin haben sehr ähnliche Lernprozesse hinter sich. Beiden brach die industrielle Basis weg. Sie beobachteten wie Massenarbeitsplätze aus der Produktion nach Fernost exportiert wurden. Ihre Reaktion darauf: Dann müssen wir uns auf das stürzen, was nicht exportiert werden kann: Dienstleistungen. Die müssen immer am Kunden, also im Lande, erbracht werden. Deshalb waren Dienstleistungen das neue Allheilmittel. Doch sie taugten als wirtschaftspolitische Strategie nur dafür, Leute über Wasser zu halten. Beispielsweise in Callcentern. Callcenter haben keine Schornsteine und beschäftigen trotzdem hunderte von Leuten zu beliebig flexiblen Arbeitszeiten. Und nutzen Telekommunikation, waren also nach dem Verständnis von Regionalpolitikern „innovativ“.

Ein früherer Kollege sagte vor fünfzehn Jahren so passend: „Deutschlands Zukunft liegt nicht darin, dass wir uns alle gegenseitig die Haare schneiden.“ Da wussten wir noch nicht, dass es auch eine Dienstleistungswelle für Akademiker geben würde: Dienstleistung, oder gar Beratung, als Euphemismus für „akademische Leiharbeit“. Wieder ein Missverständnis zwischen Politik und Wirtschaft. Der dienstleistende Akademiker ist ein vagabundierender Experte mit Out-of-Area-Einsätzen fern seiner Heimat und Familie. Die Beratungsfirma steuert wenig zu seiner Expertise bei. Die erwirbt er sich im Job. Seine Expertise ist das Einzige, was ihm keiner nehmen kann. Wohlgemerkt, eine Expertise für eine Bedingung, die die andere definiert haben: Softwareprodukte, Prozesse, Rechte, Standards.

Kreativ ist der Experte, der eine unbediente Marktlücke erkennt, und eine Produktidee entwickelt. Einen Prototypen bastelt und an Probanden testet. Sich dann Startgeld bei Freunden und Familien leiht und damit zur Bank geht und weiteres Geld leiht. Das ist mein Verständnis. Doch die meisten meiner Bekannten, die das Zeug hierfür hätten, bleiben lieber angestellte Kopfwerker. Das Ruhrgebiet hat das Malocherethos auf den Kopf übertragen. Berlin wiederum hat seine antikapitalistische Grundhaltung verinnerlicht. Man gründet nicht, um reich zu werden.

Der Kreative – arm, aber sexy
Der Berliner Senat schwamm eine Weile auf der kreativen Welle mit. Weil Berlin so viele Kreative hat: Zig Modedesigner in der Kastanienallee in Berlin Mitte. Tausende „selbständiger“ Softwareentwickler. Aber daraus wurden nur ganz wenige produzierende Unternehmen, die „ansprangen“ und schutzrechtsfähige Standardprodukte in die Welt verkaufen. Wir haben keinen neuen Steve Jobs und keinen neuen Karl Lagerfeld. Und erst recht keine neuen Produktionsstätten mit vielen Arbeitsplätzen. Jedenfalls keine, die das Ergebnis der Berliner Wirtschaftsförderpolitik wäre.

Doch seit einigen Tagen gibt es hier eine neue „Agenda“: Zurück zur Industrie. Oder, als Imperativ und mit Link zur Vergangenheit:

Kreative in die Industrie!

„Hauptstadt im Gespräch“
Vor einigen Tagen hat der aus seiner Lethargie erwachte Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei) einen „Masterplan“ veröffentlicht. Darin drücken die üblichen Verdächtigen von IHK, „Netzwerken“, Wirtschaftsförderungen etc. aus, was Berlin „jetzt“ braucht und dass Berlin „alle Chancen hat“. Man hat aber auch nichts verpasst, wenn man dieses Pamphlet nicht gelesen hat.

Am Samstag, 05. Juni, hingegen fand im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus die zweite „Berliner Ideenkonferenz“ der SPD statt. Motto: „Neue Industrialisierung – Nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften“.

Dort fielen Stichworte, die ich vor Jahren vergeblich versuchte, in der Berliner FDP zu etablieren. Aber heute ging es los. Heute war, um bescheiden anzufangen, die Rede von AEG als Blaupause für Apple, weil schon der alte Rathenau wusste, dass man neuartige Produkte besonders kundenfreundlich gestalten muss, damit sie von Kunden angenommen werden. (Das stimmt: die alten Dreh-Lichtschalter im Keller waren den Drehschaltern nachempfunden, mit denen man davor die Gasleitung für die Beleuchtung aufdrehte.)

Auf dem Podium tummelten sich ein Wirtschaftsprofessor, ein Berater für Wirtschaftsförderung, der Manager des Technologiezentrums Adlershof und sogar eine echte Unternehmerin: Gabi Grützner von der micro resist GmbH. Sie ist auch Beirätin für Mittelstand beim Wirtschaftssenator..

Zuerst befürchtete ich, dies sei wieder mal eine Veranstaltung, bei denen sich die nicht wenigen Angestellten der Wirtschaftsförderung, Landesbank, Stadtmarketing, IHK und öffentlich finanzierten „Netzwerkkoordinatoren“ gegenseitig Vorträge halten und Kaffee und Kekse anbieten. Aber das war doch etwas anders, besser:

Denn während die Philosophie vieler Teilnehmer sonst lautet: „Hauptsache, man wird nichts gefragt“, war das Publikum ausdrücklich zu Ideen und Fragen aufgerufen. Außerdem hatte man mit Christian Stahl einen schlagfertigen Moderator.

Unverzichtbar: Die nacheilenden Propheten von McKinsey
Das Opening besorgte McKinsey mit der sensationallen Erkenntnis, dass Berlin „mehr kann“. Modellstadt für -Achtung: Sensation- Elektromobilität sein zum Beispiel. Berlin sei hier im Wettbewerb mit dem Ruhrgebiet und Singapur. Man müsse „jetzt“ etwas tun.

Ich hatte genau das der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt schon mal vor zwei Jahren vorgeschlagen. Antwort damals: Elektroautos sind zu leise. Die schleichen sich an Fussgänger ran und fahren sie dann um. Außerdem sind die noch völlig unterentwickelt. Sagte mir damals eine wissenschaftliche Angestellte aus der Senatsverwaltung. Wenn nun aber McKinsey das gleiche schreibt und fordert, ist das etwas ganz anderes. Dann ist das professionelle Kreativität aus gutem Hause.

Der Technozentrumsmanager
Der Adlershofer Manager lobte McKinsey ausdrücklich dafür, dass die sich mal „hingesetzt und nachgedacht“ hätten. Das erinnerte mich an die Art, mit der sich Wolfgang Schäuble neulich bei Josef Ackermann für dessen „Engagement“ in Griechenland bedankte…

Der Volkswirt
Der Professor für Volkswirtschaft griff als nächstes das Bild vom Kreativen mit Laptop im Cafe auf, um zu verdeutlichen, dass die neuen Industrien nicht mehr mit großen Hallen und Schornsteinen daher kommen.

Die Unternehmerin
Worauf ihm die Unternehmerin Grützner später erwiderte: „Ich habe schon lange nicht mehr mit einem Laptop im Cafe gesessen habe. Ich muss eigentlich andauernd irgendwelche Aufgaben und Probleme lösen und finde nie Zeit, mit meinem Laptop im Cafe zu sitzen.“

Sie wies darauf hin, dass achtzig Prozent der Berliner Unternehmer weniger als fünfzehn Mitarbeiter haben. Und dass es angesichts des niedrigen Gehaltsniveaus in Berlin schwierig sei, Hochschulabsolventen und ausgelernte Azubis im Unternehmen zu halten. Viele wanderten einfach ab nach Süddeutschland. Kreativität sei auch wichtig, aber zum Handwerkszeug fürs Wachstum gehöre mehr. Denn jedes neue Produkt müsse aus einer erfolgreichen Cash-Kuh finanziert werden.

Kapital? Kein Bedarf
Da fiel mir eine Diskussion aus meinem sozialliberalen Gesprächskreis im Grunewald ein. Ich meldete mich am Mikro: „Ich wundere mich, warum das Stichwort Kapitalbedarf und Unternehmensfinanzierung noch nicht genannt wurde.“ Einwurf vom Moderator: „Sie meinen, nach all den unrealen Zockereien jetzt mal in was Reales investieren?“ – Und ich so: „Genau: Warum kann ich als Berliner nicht in Berliner Startups investieren? Warum werden hierfür nicht mal Fonds aufgelegt und Foren für Anleger und Existenzgründer organisiert?“.

Heftiges Kopfnicken bei der McKinsey Beraterin. Doch Kopfschütteln bei der Unternehmerin. Wie bitte? „Nee, ich kann Ihnen nur raten: Bleiben Sie selbstbestimmt! Holen Sie sich keine Mitbestimmer ins Haus. Die Berliner Banken haben während der Finanzkrise alle weiter gut funktioniert und den Berliner Mittelstand mit Krediten versorgt. Die IBB hat die 250.000 Euro Startdarlehen aufgelegt und die Mikrokredite. Funktioniert alles gut.“

Woran es wirklich hapert
Was ihr viel Dringender fehle seien gute Vertriebsmitarbeiter. Das wiederum wusste ich seit fünf Jahren, als ich mit der IHK Frankfurt/Oder und Professor Fricke von der TFH Wildau mal eine Vertriebs- und Marketinginitiative für Technologieunternehmen organisiert hatte. Da waren wir auch mal in ihrem Unternehmen zu Gast.

Da war ich baff. Mein im Kern immer noch liberales (aber eben sozialliberales) Weltbild ein wenig erschüttert. Dem Berliner Mittelständler fehlt es nicht an Kapital oder Krediten. Die McKinsey Beraterin sagte mir später in der Pause, solche Fonds gebe es inzwischen. Man könne hin und wieder im -nächste Überraschung:- Tagesspiegel davon lesen, oder Werbung sehen.

Was Frau Grützner von der Berliner Politik erwarte, waren nur zwei Dinge: Erstens, werdet schneller. Sie könne selten so lange warten, bis die Politik etwas entschieden habe. Und man werfe im Bezirk nicht alle Regeln um, wenn mal der Bürgermeister wechselt. Und zweitens: Lasst Euch was einfallen, womit Ihr die jungen Leute in Berlin haltet. (Wenn man das so liest, wundert man sich: Ich dachte immer, vor allem die Jugend ziehe es nach Berlin..).

Mein Zwischenresüme, bevor der SPD-Landesvorsitzende Müller- zum „Hard Talk“ (Konfrontationsinterview) musste: Die neue Industrialisierung kommt sehr sozialdemokratisch daher. Die Berliner Unternehmer wollen kein Fremdkapital mehr und leiden nicht unter Kreditklemmen. Sie erwartet von der Politik, dass die Verwaltung schneller wird. Und dass irgendwer die Jugend im Lande hält.

Dazu also wurde noch Gastgeber und SPD – Chef Michael Müller interviewt. Er eröffnete mit einem verblüffenden Statement: „Die Politik will sich zurücknehmen, wenn auf dieser Konferenz über Ideen diskutiert wird.“ Klang das nur in meinen Ohren so schwach..? Was er von der McKinsey – Studie halte, nach der Tourismus, Elektroautos und die Pharmazie bis zu 500.000 neue Arbeitsplätze hergäben? Antwort, und das fand ich gut: „Es ist richtig, so einen hohen und konkreten Anspruch zu haben.“ Und außerdem sei es Gerhard Schröder zu verdanken, dass die SPD wieder über Wirtschaft spreche und Kompetenz beanspruche.

Drei dicke Pfunde, mit denen Berlin im Wettbewerb um die neue Industrialisierung wuchern könne, seien die leeren Großflächen inmitten der gewachsenen Großstadt: Tempelhof, Tegel und der alte Humboldthafen, nördlich vom neuen Hauptbahnhof. Richtig. Mit sowas kann das Ruhrgebiet überhaupt nicht dienen.

Elektromobilität? – Nur schienengebunden
Und dann fragte ihn der Moderator, was er denn von Berlin als Modellstadt für Elektromobilität halte. Müller antwortete: „Also, für Entfernungen unter 100 Kilometern muss eigentlich keiner mit dem Auto fahren. Meine Vision ist die einer Großstadt, in der der öffentliche Nahverkehr so gut ist, dass niemand mehr ein Auto braucht.“

Dieses Statement, ein echtes Statement gegen das Auto als Produkt und für Mobilität als Dienstleistung, brachte den größten Applaus auf der gesamten Veranstaltung. Wir waren wieder am Ausgangspunkt des Diskurses angekommen.

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Merkel geht die Düse

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihrem Übervater, Helmut Kohl, im Regierungsstil immer ähnlicher: kritische Entscheidungen werden ausgesessen, von Visionen keine Spur und parteiinterne Gegner werden wegbefördert. Nun holt sie zum nächsten Schlag aus: Sie will die Kontrolle über die Bundesversammlung.

Die Bundesversammlung, die traditionell den Bundespräsident wählt, ist von vielen schon mit einer herrenlose Kanone verglichen worden, die, aus der Verankerung gerissen, im Mittelalter für die hölzernen Kriegsschiffe eine ebenso große Gefahr darstellten wie die gegnerischen Geschosse. Unkontrolliert schwingt sich die Kanone von einem Ende des Schiffs zum anderen, haut Menschen und Material weg, was ihr in die Quere kommt. Das Ende kann desaströs sein. Genau so etwa fürchtet wohl nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Glaubt man der aktuellen Ausgabe der „Welt am Sonntag“, dann geht der Hosenanzug-Trägerin aus der Berliner Waschmaschine (so die Berliner über das Kanzleramt) gehörig die Muffen. Denn die Regierungschefin und Parteivorsitzende der CDU hat sich gehörig verspekuliert. Weil sie unbedingt der Parteitaktik bei der Benennung des nächsten Bundespräsident den Vortritt vor der Staatsräson gegeben hat, muss sie nun miterleben, wie sich nicht nur die Öffentlichkeit auf Joachim Gauck festlegt, sondern auch die Medienmacher. Ungewohnt offen votiert daher sogar die Springer-Presse gegen Angela Merkel – und damit gegen eine enge Vertraute der Verlegerwitwe von Axel Cäsar Springer. Dieser Schritt ist schon ungewöhnlich genug. Noch ungewöhnlicher ist aber, dass dies dieses Mal nicht im Alleingang geschieht: Auch der Spiegel hält Gauck für den besseren Kandidaten. Der Focus wird nachziehen. FAZ und SZ haben dies bereits gemacht.

Frau Merkel, zu deren Regierungsstile die Politik via SMS und Liebesentzug gehören, steht allein – auch weil sie mit Niedersachsens Ministerpräsident Wulff einen aus den Hut gezaubt hat, der ihr niemals gefährlich werden kann. Das öffentliche Votum für Gauck ist daher auch ein Votum gegen sie als Regierungschefin. Das Volk und die öffentliche Meinung in Gestalt der Medien pochen eindrucksvoll auf ein urdemokratisches Vorrecht: Die verfassungsmäßigen Checks und Ballances, die jeder pluralistischen Gesellschaft zu Eigen ist. Mit Gauck soll ein Gegenpart zu Merkel das Amt des Bundespräsidenten inne haben, um der Regierung auf die Finger zu schauen. Gauck wäre daher der falsche Kandidat – aus Sicht Merkels.

Merkel will daher ihren Kandidaten durchsetzen und kann in der Bundesversammlung auf 21 Stimmen mehr als die absolute Mehrheit zählen – soweit auf dem Papier. Nimmt man nur das rot-grüne Lager sind es sogar 163 Stimmen mehr, weil die Linke Gauck nicht wählen will. Die Nachfolge-Partei der SED und Auffangbecken von früheren Stasi-Mitgliedern will offenbar späte Rache an einem Mann nehmen, der den tiefen Sumpf der ethisch moralischen Verstrickungen von Parteimitgliedern offen gelegt hat. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die frühere SED weiterhin nicht in der Bundesrepublik angekommen ist.
Merkel will in der Bundesversammlung aber trotz Vorsprung auf Nummer sicher gehen, denn es könnte ja die „loose cannon“ das unmögliche wahrwerden lässt: dass nämlich Wulff duchfällt und Gauck gewählt wird.

Die „loose cannons“ haben sogar einen Namen: die unabhängigen Delegierten. Seit der Gründung der Republik ist es usus, dass die Bundesversammlung das Spiegelbild der Gesellschaft darstellt. Also nicht nur Berufspolitiker oder Beamte und Juristen, sondern auch Schauspieler, normale Bürger, Studenten, Wirtschaftsführer. Das Problem an dieser Gruppe: Sie werden zwar von den Parteien vorgeschlagen. Doch ob sie auch richtig wählen, das kann niemand überprüfen. Und so kann es razfaz passieren, dass sie den falschen aus Sicht von Merkel wählen. Daher greift Merkel laut „Welt am Sonntag“ nun zum äußerten: Wulff soll als erster Bundespräsident nicht mehr von der ganzen Gesellschaft gewählt werden, sondern nur von Claceure gewählt werden, die namen- und charakterlos im Ortsverein Neuss-Norf aktiv sind und parteitreu sind. Merkel will nur Partei-Leute und „sicherer“ Wähler an die Wahlurne lassen. Damit wird ein weiterer Tiefpunkt in der politischen Kultur Deutschlands erreicht – und man kann nur hoffen, dass die Geschichte Recht behält: Ein Wechsel im Bundespräsidenten-Amt folgt später immer ein Wechsel im Kanzleramt. Eine geistig moralisch Wende täte gut.

Das ZDF, der Blogger und eine steile Verschwörungsthorie

Nach dem Rücktritt ist vor den Verschwörungstheorien: Das mit Milliarden Euro an Gebühren ausgestatteten ZDF hat in seiner „heute journal“-Sendung steile Recherche-Ergebnisse zum Rücktritt des Bundespräsidenten gebracht. Demnach hat ein harmloser Blogger das Staatsoberhaupt zu Fall gebracht.

Im Jahr 2012 geht die Welt unter. Zweifel sind unbegründet und gehören gefälligst in die Mülltonne. Konkrete Hinweise auf das baldige Ende unseres Planeten gibt es zwar nicht. Aber diese These vom Weltuntergag gewinnt immer mehr Anhänger – immerhin gibt es ja auch ein Indiz dafür: den Kalender der Mayas. Der Jahres-Kalender endet mit dem Jahr 2012 und das ist für Verschwörungstheoretiker Grund genug, die Gleichung aufzustellen, dass das Inka-Volk gar nicht weiterzurechnen brauchte, weil ihnen im fernen Lateinamerika schon klar war, dass die Welt 2012 ihrem Armageddon nah ist. Und der Kalender sagt auch genau den Tag voraus: der 21. Dezember. Unzählige Bücher sind über das Jahr 2012 erschienen, sogar ein Kino-Film – opulent verfilmt. Noch nie hat Roland Emmerich auf der Kino-Leinwand sich so austoben und alles kurz und klein schlagen können, wie bei diesem apokalyptischen Film. Er setzte der Verschwörungstheorie damit ein cineastisches Denkmal.

Ein ganz eigenes Verschwörungs-Denkmal hat nun das deutsche ZDF in seiner „heute-journal“-Sendung mal eben in die mediale Öffentlichkeit gebombt. Der Rücktritt des Bundespräsidenten Horst „Hotte“ Köhler am Anfang der Woche hat einen simplen Grund: Ein Blogger hat das deutsche Staatsoberhaupt zu Fall gebracht. Schon allein die These ist gewagt gewesen und durch investigative Recherche leicht ad absurdum zu führen – zumal der Blogger selbst, ein junger Student der Politik- und Medienwissenschaften dies dementiert und dies auch begründen kann. Es zeigt aber vor allem eins: Das ZDF, mit Milliarden von GEZ-Gebühren finanziert, leistet sich offenbar lieber für etliche Millionen ein neues „heute journal“-Studio, das vor allem an frühere Nachrichten-Sendungen des DDR-Staatsfernsehen erinnert, als in eine gut besetzte und mit erfahrenen Redakteuren besetzte Redaktion. Offenbar ist man in Mainz wie schon so oft an die Grenzen der eigenen Recherche-Leistungen gekommen, um die wirklichen Ursachen des Köhler-Rücktritts zu offenbar. Stattdessen breitet man lieber eine flockig erzählte, auf den ersten Blick spannende und beeindruckende Geschichte auf – die allerdings einen gravierenden Fehler hat. Sie ist falsch.

In dem minutenlangen Beitrag werden stattdessen vermeintliche Twitter-Meldungen, Leserbriefe, Kausalzusammenhänge, Mutmaßungen und Verschwörungstheorien zusammengemixt und der Öffentlichkeit als Faktum präsentiert – aber noch nicht mal die einfachsten journalistischen Grundsätze werden berücksichtigt. Das ZDF hat noch nicht einmal den Blogger zu Wort kommen lassen, dem man den größten Scoop seit der Enthüllung der Flick-Spenden-Affäre andichtete (und der die Geschichte wohl schnell zu Fall gebracht hätte). Um es kurz zu sagen: Es war der vorläufige Höhepunkt es öffentlich-rechtlichen Desaster-Journalismus.

Ich will hier gar nicht von irgendwelchen Flaggen-Verwechselungen durch Praktikanten berichten, die es bei ARD und ZDF gab. Kurze Zeit vor der Blogger-Köpft-Köhler-Theorie wartete das ZDF nämlich schon mal mit anderen obskuren Theorien über eine mögliche Kabinettsumbildung auf, weil ja Ursula von der Leyen Bundespräsidentin werde (was sie ja bekanntlich nicht wird. Aber das hatte wohl das gut bezahlte Hauptstadt-Büro des ZDF nicht so frühzeitig mitbekommen wie andere Medien). ZDF-Mann Thomas Walde, nach dem Aussehen kein Praktikant, sondern ein gestandener Journalist, zuvor Korrespondent in London, haute doch allen ernstes in der Sendung von Claus Kleber, der immerhin einmal Chefredakteur des SPIEGEL werden sollte, freimütig und ohne Relativierungen die jüngsten Spekulationen raus, die in Berlin die Runde machten: demnach der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Kanzleramtsminister werden könne, weil ja Ronald-„Ich komm vom Niederrhein“-Pofalla Arbeitsminister werden können. Hier zeigte sich nicht nur, wie weit das Aushängeschild des ZDF gesunken ist, sondern auch, dass die Menschen beim Mainzer Sender wohl eher mit dem Schieben von Reglern und dem Drücken von Köpfchen und der Auswahl des richtigen Hintergrund-Motivs beschäftigt sind, als mit journalistischer Arbeit, die ihren Namen auch verdient. Zu viele Praktikanten, zu wenig gestandene Redakteure, zu wenig Wissen – das ZDF steht beispielhaft für eine Medienlandschaft, der die Qualität, das Gedächtnis und der Anspruch auf Inhalte abgeht. Nicht ohne Grund gab es in den letzten 20 Jahren nicht einen einzigen Fall, in dem sich die öffentlich-rechtlichen Medien als Aufdecker einer Skandalgeschichte etablieren konnten. Einfach nur im Cafe-Einstein in Berlin an der Straße „Unter den Linden“ zu sitzen, reicht eben nicht aus.

Und nun die Mähr, wie ein Blogger mit Twitter-Meldungen den großen „Hotte“ Köhler aus dem Schloss Bellevue jagte . Dem Blogger und Studenten Jonas Schaible, der im Netz das Blog „beim-wort-genommen.de“ betreibt, waren Köhlers ungelenke Formulierung aufgefallen, in dem der Bundespräsident auf dem Rückflug aus Afghanistan darüber räsonierte, „dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren….“. Das sagte Hotte von Freitag auf Samstag, den 22. Mai. Seit dem thematisierte der Blogger das auf seiner Homepage und twitterte den vermeintlichen Skandal an alle überregionalen Zeitungen, damit dies sich ebenfalls über die angebliche Aufforderung zum Wirtschaftskrieg a la George W. Bush aufregen sollten. Taten sie aber nicht. Erst am Donnerstag griff SPIEGEL ONLINE das Thema auf und holte Oppositionspolitiker ans Rohr, die „Hotte“ für seine angebliche Aufforderung zum Wirtschaftskrieg schelten sollten. Das taten sie auch freilich – danach nahm das Thema an Fahrt auf, was aber eher am Berliner Erregungseffekt liegt, am so genannten PreB-Effekt, als an einer inhaltlichen Substanz. Der PreB-Effekt – benannt nach dem Berliner Szene-Ortsteil Prenzlauer Berg, wo einst die Opposition der DDR lebte, dann westdeutsche Intellektuelle und inzwischen das gesamtdeutsche Medien-Establishment, und LaMas oder Chai-Tees trinkt – sorgte in den Redaktion der Tageszeitungen und Online-Portale für Aufregung. Es wurde gedruckt, gepostet und verlinkt. Die unterbesetzten und unterbezahlten Redaktionen vieler Berliner, Frankfurter, Münchener und Hamburger Medien, die oftmals Jung-Redakteure ohne Erfahrung und Gefühl für Substanz oder Bullshit-Bingo an wichtigen Schaltpositionen sitzen haben, ließen sich vom Mainstream treiben und mutmaßten einen Skandal, den es nun mal nicht gibt.

Fakt ist: Dass Deutschland Wirtschaftsinteressen mit allen Mitteln verfolgt und verteidigt, steht seit Jahrzehnten im Weißbuch der Bundesregierung zu den Nationalen Interessen und sogar im Weißbuch der Bundeswehr, wird von jeder Regierung betont und auch als Vorwand für den Krieg in fernen Regionen als Legitimität herangezogen: Die Interessen Deutschlands werden, so wurden wir belehrt, werden am Hindukusch verteidigt. Das ist alles nicht im vorigen Jahrhundert passiert, sondern in den letzten zehn Jahren. Dass das in vielen großen Medienhäuser und Anstalten allerdings so ohne weiteres als Skandal durchging, muss einen schon nachdenklich stimmen.

Die Mähr von dem Blogger stürzenden Bundespräsident hat genauso eine Substanz wie die Inhalte von Frontal 21-Geschichten. Geschichten müssen nicht mehr stimmen. Sie müssen nur „flockig“ erzählt werden können oder eben gute „Motive“ liefern. Blogger können ebenso wenig einen Politiker köpfen, wie das andere Medien schaffen. In dieser funktionellen Sichtweise sind Blogger nicht besser als die BILD-Zeitung. Sie zeichnen sich lediglich durch eine Kampagnenfähigkeit aus, die den inzwischen verstorbenen Axel Cäsar Springer wohl erblassen ließen, wenn er es noch erlebt hätte. Und viele dieser Kampagnen sind auch eher von subjektiven Wünschen und Vorstellungen geleitet, als von objektiven Fakten. Genauso ist es offenbar beim ZDF gelaufen – nur das hier eine Verschwörungstheorie für das breite Publikum zum Faktum wurde. Und dafür zahlen wir auch noch GEZ-Gebühren!

Gauck!

Joachim Gauck Foto: Matthias HiekelAuf die Frage, ob Christian Wulff oder Joachim Gauck der nächste Bundespräsident werden soll, fällt die Antwort leicht: Gauck!

Joachim Gauck steht mit seiner ganzen Persönlichkeit und seiner ganzen Geschichte für die Werte der Demokratie: Er durfte in der DDR nicht Journalist werden, predigte später als Pfarrer in Rostock gegen die Diktatur. Gauck ging für seine Überzeugungen ein persönliches Risiko ein. Als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und Chef der „Gauck-Behörde“ setzte er sich für die Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen ein. Dafür wurde er, vor allem aus Kreisen der heutigen Linkspartei, immer wieder angefeindet. Gauck war immer jemand, der auf der Seite der Opfer stand, auf der Seite derjenigen, die Mut gezeigt haben.

Das SPD und Grüne den parteilosen Joachim Gauck als Bundespräsidenten vorschlagen zeigt, dass beide Parteien selbstbewusst zu ihrer Geschichte stehen: SPD und Grüne kooperierten im Osten nicht mit den „Blockflöten“, wie es Union und FDP taten. Die Grünen haben ihre Wurzeln direkt in der DDR-Opposition. Sozialdemokraten wurden in der DDR verfolgt und zu Beginn der DDR auch in Lager gesteckt und getötet.

Die Wahl Gaucks ist zudem auch ein klares Zeichen gegen die Linkspartei, die sich kaum für die Wahl Gaucks aussprechen wird. SPD und Grüne zeigen: Es gibt eine demokratische Linke mit einer stolzen antitotalitären Tradition.

Und Christian Wulff? Politisch konturlos ging er immer den Weg des geringsten Widerstandes. Dass er als junger Mann Verantwortung für seine Familie übernahm macht ihn sicher sympathisch. Seine politische Laufbahn verlief glatt. Nie riskierte er etwas. Für was steht Wulff? Für welche Werte würde er etwas riskieren? Man weiß es nicht. Und dass er offenkundig Sympathien für evangelikale Gruppen hat, im Kuratorium von Pro Christ sitzt, macht ihn nicht wählbar. Und deshalb kann es auf die Frage, wer der nächste Bundespräsident werden soll, nur eine Antwort geben: Gauck!

Gaza: Pro- und Contra Israel heute in Duisburg

Während des Protestes gegen den Gaza-Krieg Anfang 2009 brannten in Duisburg Israel-Fahnen und die Polizei stürmte eine Wohnung, um eine Israel-Fahne aus einem Fenster zu entfernen. Heute könnten sich solche Szenen wiederholen.

Für heute Nachmittag, 18.00 Uhr hat das Duisburger Netzwerk gegen Rechts zum Protest gegen den Einsatz der israelischen Marine gegen die „Blockade-Brecher“ aufgerufen. Treffpunkt ist der Lebensretterbrunnen in der Duisburger Innenstadt. Zur Demo gegen Israel rufen neben der Linkspartei, der MLPD und der DIDF Duisburg auch der Verein HDR auf. Der war auch dabei, als es im vergangenen Jahr bei einer Demo gegen den Gaza-Krieg zu antisemitsichen Ausfällen kam und die Polizei eine Wohnung an der Demostrecke stürmte, um unter dem Jubel der Demonstranten eine Israelfahne aus einem Fenster an der Demo-Strecke zu entfernen. Der Verfassungsschutz NRW führt an, dass der  HDR immer wieder antijüdische Hetze auffällt.

Bereits um 17.00 Uhr wollen sich am Lebensretterbrunnen linke Unterstützer Israels treffen und Solidarität mit Israel zeigen. Ein riskantes Unterfangen: Demonstranten die in der Vergangenheit eine Israelfahne zeigten, wurden aus Pro-Palästinensischen Demonstrationen angegriffen. Sich gegen Antisemitismus zu stellen erfordert in Deutschland auch im Jahr  2010 viel Mut.

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SPD: Leutheusser-Schnarrenberger als Bundespräsidentin denkbar

Ursula von der Leyen wird als Favoritin für die Nachfolge von Horst Köhler gehandelt. Nun  hat die SPD der FDP im ZDF-Morgenmagazin ein Angebot gemacht: Eine FDP Kandidatin wäre für die SPD tragbar: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Das sagte zumindest vor wenigen Minuten Sebastian Edathy, MdB und Mitglied im Fraktionsvorstand  der SPD: „Die FDP ist eine der  politischer Kräfte , die seit der letzten Bundespräsidentenwahl an Gewicht gewonnen hat.“ Für Edathy ist Bundesjustizinisterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine wählbare Kandidatin: „Leutheusser-Schnarrenberger wäre eine Persönlichkeit, für die aus Teilen der Opposition Unterstützung kommen könnte.“

Auch Joachim Gauck sei ein Kandidat, der eine breite Mehrheit finden könnte. Lammert, Schäuble und von der Leyen nannte Edathy  nicht überzeugende Vorschläge.

Eine eigenen Kandidatenvorschlag der SPD, auch zusammen mit den Grünen, lehnte Edathy ab: „Wir haben keine Mehrheit.“

Neuer, noch geheimer Verkehrswegeplan entdeckt

Haben sie es schon gemerkt? So beim Fahren mit dem Auto oder mit dem Rad? Vor allem auf Stadtstraßen? Es gibt einen neuen, noch geheimen Verkehrsentwicklungsplan! D.h. man spürt ihn schon, aber er ist offiziell noch nicht bekannt gegeben. Wird er wahrscheinlich auch nie, denn er tritt quasinatürlich in Kraft. Durch Nichtstun. Besser durch Nichtreparatur. Unaufhaltsam aber doch irgendwie unmerklich. Bis ihn niemand mehr ändern kann. Geheim eben.

Vielen Autofahrern werden die zunehmenden Löcher in unseren Straßen nämlich gar nicht auffallen. Zumindest nicht während der Fahrt. Dank lastwagengroßer Räder mit Vierradantrieb und Megafederung. Dank ihres SUVs, ausbuchstabiert Sport Utility Vehicles. Diese Autos, bei denen man sich immer wundert, wieso die überhaupt auf planem Asphalt fahren dürfen, wo sie doch für das Gegenteil gebaut sind. Für das, was man ein Piste nennt und nicht eine Straße. Sie wissen schon: Querbeet, mitten durch die Pampa, über Stock und Stein.

Selbst wenn unsere Straßen in nicht weiter Zukunft nur noch aus Löchern bestehen sollten, ist das für SUV-Piloten eben kein Problem. Im Gegenteil, je mehr je besser. Am besten noch Schlamm drin. Möglichst viel. Das muss richtig spritzen wenn man da durch hobelt. Die SUV-Fans werden deswegen den Plan begrüßen ohne ihn auch nur zu kennen. Für sie trennt sich so endlich auch auf den Stadtstraßen die Spreu vom Weizen, werden trotz mobilem Gleichmacher Tempo 50 die wirklichen Leistungsträger sichtbar.

Höher sitzen als andere ist auch schon klasse. Aber auf andere runter gucken u n d ihnen zeigen, wer´s wirklich bringt, macht erst richtigen Spaß. All den Armleuchtern mit ihren Kleinwagen oder Fahrrädern, die die Löcher umfahren müssen, weil ihnen sonst die Achse bricht oder die Fahrt im Sturzflug beendet wird. All den Losern, die sich ganz ohne Fahrzeug bewegen müssen, weil´s nicht mal zum Bike reicht.

Der SUV-Fahrer als solcher ist sparwillig. Ihm reicht es, wenn die Autobahnen gepflegt bleiben. Denn so ein SUV kann nicht nur in Dreck und Loch, er kann auch sehr schnell auf absolut planer Ebene. Ist halt ein Alleskönner. Und nur so etwas hat Zukunft, wenn die öffentlichen Kassen immer leerer werden. Wenn´s kollektiv nur noch zum Notwendigsten reicht. Wenn sich auch unsere Verkehrswege dem Diktat des Sparens stellen müssen.

Wie gut, dass von unseren politische Leistungsträger in Form der Bundes- und Landtagsabgeordneten sowie der Minister, selber so viele im SUV fahren. Sie werden schon dafür sorgen, dass unsere Autobahnen und sonstigen Schnellstraßen auch weiter für die Höchstgeschwindigkeit tauglich bleiben. Dass nicht an der falschen Stelle und zum Schaden des ganzen Landes und seiner Elite der Kürzungshammer geschwungen wird.

Wie gut aber erst, dass sich unsere Autoindustrie geradezu hellseherisch gegen all die kleinlichen und rückwärtsgewandten SUV-Bedenken unserer Umweltschützer durchgesetzt hat. Dass sie den eisernen Sparwillen unserer Städte und Gemeinden im Sinne des allseits beliebten Public-Privat-Partnership zu unterstützen bereit ist. So sind wir wenigstens dort auf die Krise vorbereitet. Wir müssen die Dinger einfach nur alle kaufen und können damit auch noch Arbeitsplätze sichern.

In holpernden Bussen und Bahnen sitzen mit den armen Schluckern? Im Dauerslalom auf dem Rad und das auch noch bei Matsch und Regen? Eingeklemmt in einem von diesen halsbrecherischen Minigurken in denen man nicht mal einen kompletten Wochenendeinkauf reinkriegt? Und das Ganze auf zerbröselndem Asphalt? Wer will denn so was, wenn er anders kann?

Begrüßen wir also in Anbetracht der Griechenlandisierung Europas den neuen Verkehrsplan mit der für die Straßenkämpfer in aller Welt beliebten und natürlich dem technischen Fortschritt angepassten Parole: SUV oder Tod!

Oder halt Tod durch SUV, wenn man sich so ein Ding nicht leisten kann. Aber für Menschen, die nicht mal mehr so viel Kohle haben, macht das Leben in Zukunft sowieso nicht viel Sinn.