Bochum muss nach dem geplatzten Deal mal wieder um seine Jobs beim Autobauer bangen
Foto: Ruhrbarone
Bochum. Als sich morgens um kurz vor sechs Uhr die Kameras auf ihn richteten wusste Daniel Hadert sofort: Sein Job ist in Gefahr. „Es ist die fünfte Krise die ich durchmache“, sagt der 42-Jährige Bandarbeiter bei Opel. Aber diesmal sei alles noch viel schlimmer. In der ersten Schicht des Tages sei es still gewesen unter den Opelaner. „Was sollen wir denn noch sagen?“, fragt der schlaksige Mann.
Vielen Arbeitern scheinen am Tag nach der überraschenden Wende von General Motors die Worte zu fehlen. Beim Schichtwechsel rennen sie im Nieselregen zu ihren vorm Werkstor geparkten Astras und Omegas. Sie kennen die Rituale der Krise, die fragenden Reporter, die Kameras. Vor wenigen Monaten erst bangten sie um einen Milliardenkredit der Bundesregierung, dann hofften sie auf einen Verkauf an Magna. Nun beginnt das Spiel von vorne.
„Reine Veräppelung war alles“, sagt Ralf Beneke und setzt sich in seinen historischen und giftgrünen Ascona. Unter der Belegschaft blühen inzwischen ganz eigene Theorien über den geplatzten Deal. „Es ist doch sonnenklar, dass ein Amerikaner einem Russen nichts verkauft“, sagt Beneke. Und die Bundesregierung habe nur versucht, sich über die Wahl zu retten. „Das ist ein ganz übles Spiel“, sagt er und macht mit dem Zeigefinger das Kotzzeichen. Seiner Meinung nach sollte nun nicht mehr über Lohnzugeständnisse verhandelt werden. „Wir haben die letzten zehn Jahre verzichtet und gebracht hat das gar nichts“, sagt er aufgebracht. Am Ende würden alle nur weniger Arbeitslosengeld bekommen. Die Bochumer sind ausgelaugt. Sie haben das Gefühl, bei ihnen würde immer als erstes gespart, schlimmer als am Hauptwerk in Rüsselsheim. „Wir sind am Ende der Kette“, sagt Beneke.
In der Krise sind die Opel-Arbeiter zwischenzeitlich immer mal wieder zu Konkurrenten geworden. Schon immer hat General Motors versucht die einzelnen Werke gegeneinander auszuspielen. Dabei hat bislang jedes Werk bluten müssen. Knapp 6000 Menschen arbeiten bei Opel in Bochum, 35 Betriebsräte wachen über die Löhne und Stellen. Früher eine dankbare Aufgabe: Die zu Spitzenzeiten rund 25 000 Arbeiter verdienten überdurchschnittlich, hatten viele Urlaubstage und jedes Jahr mehr Kollegen. Seit 15 Jahren kriselt es. Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann fordert nun eine harte Reaktion. „Wir können nicht nur zwei Stunden lang die Arbeit nieder legen und dann wird alles gut“, sagt sie mit Blick auf die so genannten „Informationsveranstaltungen“, die am heutigen Donnerstag republikweit stattfinden sollen. Jetzt müssten alle Werke in Europa zusammen stehen. „Wir werden um wirklich jeden Arbeitsplatz kämpfen“, so die Betriebsrätin. Ein bloßer Erhalt der Standorte sage noch gar nichts aus. „Das kann auch heißen das nur noch der Pförtner dort rumsitzt.“ Jahrelanges Feilschen um Stellen und Geld haben die Arbeitnehmervertreterin misstrauisch gemacht.
Vor vier Jahren waren sie noch mächtiger. Mit ihrem wilden Streik hatten sie damals die Produktion in Europa lahm legen können. Diese Druckmittel sind nun verschwunden– General Motors hat nach dem eindrucksvollen Arbeitskampf die Produktion der Werke unabhängig gemacht. Aus Bochum kommen nur noch einige Pressteile für England und Antwerpen. Nun können die Bochumer nur noch ihre eigenen Bänder still legen.
Eine bedrohliche Situation in einer Stadt, die erst im vergangenen Jahr 2500 Jobs bei Nokia verloren hat. Opel ist – neben der Ruhruniversität- der größte Arbeitgeber der Ruhrgebietskommune. Das Opelwerk ist für das Ruhrgebiet nicht einfach nur eine Fabrik. Es war seit der Ansiedlung in den 1960er Jahren ein Symbol für den Strukturwandel, für eine Zukunft nach der Zeche, auf deren Grundstücken die Werke hochgezogen wurden.
Heute reisen Politiker nur noch zu Krisengifpel an. Am heutigen Donnerstag werden sie sich wieder am Werkstor drängeln. Wie vor einigen Monaten und wie vor einigen Jahren. Karina Pietrowska wird dieses Mal nicht dabei sein. Die Produktprüferin „kann nicht mehr.“ Die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden kurzen Haaren arbeitet seit zwanzig Jahren bei Opel, auch ihr Schwager und ein Onkel stehen in Bochum am Band. „Wir stehen ständig kurz vor dem Tod“, sagt sie und schließt demonstrativ ihre Augen. An eine neuerliche Wiederbelebung glaubt Pietrowska nicht mehr.