Der ewige Opel-Patient

Bochum muss nach dem geplatzten Deal mal wieder um seine Jobs beim Autobauer bangen

Foto: Ruhrbarone

Bochum. Als sich morgens um kurz vor sechs Uhr die Kameras auf ihn richteten wusste Daniel Hadert sofort: Sein Job ist in Gefahr. „Es ist die fünfte Krise die ich durchmache“, sagt der 42-Jährige Bandarbeiter bei Opel. Aber diesmal sei alles noch viel schlimmer. In der ersten Schicht des Tages sei es still gewesen unter den Opelaner. „Was sollen wir denn noch sagen?“, fragt der schlaksige Mann.

Vielen Arbeitern scheinen am Tag nach der überraschenden Wende von General Motors die Worte zu fehlen. Beim Schichtwechsel rennen sie im Nieselregen zu ihren vorm Werkstor geparkten Astras und Omegas. Sie kennen die Rituale der Krise, die fragenden Reporter, die Kameras. Vor wenigen Monaten erst bangten sie um einen Milliardenkredit der Bundesregierung, dann hofften sie auf einen Verkauf an Magna. Nun beginnt das Spiel von vorne.

„Reine Veräppelung war alles“, sagt Ralf Beneke und setzt sich in seinen historischen und giftgrünen Ascona. Unter der Belegschaft blühen inzwischen ganz eigene Theorien über den geplatzten Deal. „Es ist doch sonnenklar, dass ein Amerikaner einem Russen nichts verkauft“, sagt Beneke. Und die Bundesregierung habe nur versucht, sich über die Wahl zu retten. „Das ist ein ganz übles Spiel“, sagt er und macht mit dem Zeigefinger das Kotzzeichen. Seiner Meinung nach sollte nun nicht mehr über Lohnzugeständnisse verhandelt werden. „Wir haben die letzten zehn Jahre verzichtet und gebracht hat das gar nichts“, sagt er aufgebracht. Am Ende würden alle nur weniger Arbeitslosengeld bekommen. Die Bochumer sind ausgelaugt. Sie haben das Gefühl, bei ihnen würde immer als erstes gespart, schlimmer als am Hauptwerk in Rüsselsheim. „Wir sind am Ende der Kette“, sagt Beneke.

In der Krise sind die Opel-Arbeiter zwischenzeitlich immer mal wieder zu Konkurrenten geworden. Schon immer hat General Motors versucht die einzelnen Werke gegeneinander auszuspielen. Dabei hat bislang jedes Werk bluten müssen. Knapp 6000 Menschen arbeiten bei Opel in Bochum, 35 Betriebsräte wachen über die Löhne und Stellen. Früher eine dankbare Aufgabe: Die zu Spitzenzeiten rund 25 000 Arbeiter verdienten überdurchschnittlich, hatten viele Urlaubstage und jedes Jahr mehr Kollegen. Seit 15 Jahren kriselt es. Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann fordert nun eine harte Reaktion. „Wir können nicht nur zwei Stunden lang die Arbeit nieder legen und dann wird alles gut“, sagt sie mit Blick auf die so genannten „Informationsveranstaltungen“, die am heutigen Donnerstag republikweit stattfinden sollen. Jetzt müssten alle Werke in Europa zusammen stehen. „Wir werden um wirklich jeden Arbeitsplatz kämpfen“, so die Betriebsrätin. Ein bloßer Erhalt der Standorte sage noch gar nichts aus. „Das kann auch heißen das nur noch der Pförtner dort rumsitzt.“ Jahrelanges Feilschen um Stellen und Geld haben die Arbeitnehmervertreterin misstrauisch gemacht.

Vor vier Jahren waren sie noch mächtiger. Mit ihrem wilden Streik hatten sie damals die Produktion in Europa lahm legen können. Diese Druckmittel sind nun verschwunden– General Motors hat nach dem eindrucksvollen Arbeitskampf die Produktion der Werke unabhängig gemacht. Aus Bochum kommen nur noch einige Pressteile für England und Antwerpen. Nun können die Bochumer nur noch ihre eigenen Bänder still legen.

Eine bedrohliche Situation in einer Stadt, die erst im vergangenen Jahr 2500 Jobs bei Nokia verloren hat. Opel ist – neben der Ruhruniversität- der größte Arbeitgeber der Ruhrgebietskommune. Das Opelwerk ist für das Ruhrgebiet nicht einfach nur eine Fabrik. Es war seit der Ansiedlung in den 1960er Jahren ein Symbol für den Strukturwandel, für eine Zukunft nach der Zeche, auf deren Grundstücken die Werke hochgezogen wurden.

Heute reisen Politiker nur noch zu Krisengifpel an. Am heutigen Donnerstag werden sie sich wieder am Werkstor drängeln. Wie vor einigen Monaten und wie vor einigen Jahren. Karina Pietrowska wird dieses Mal nicht dabei sein. Die Produktprüferin „kann nicht mehr.“ Die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden kurzen Haaren arbeitet seit zwanzig Jahren bei Opel, auch ihr Schwager und ein Onkel stehen in Bochum am Band. „Wir stehen ständig kurz vor dem Tod“, sagt sie und schließt demonstrativ ihre Augen. An eine neuerliche Wiederbelebung glaubt Pietrowska nicht mehr.

Mag Panorama (ARD) YouTube als Quelle für das Honecker-Video nicht?

Margot Honecker im Internet-Video (bei Panorama, ARD)Am vergangenen Donnerstag wurde im ARD-Nachrichtenmagazin Panorama dem 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls gedacht. Grundsätzlich eine gute Sache. Man versuchte jedoch auch, mit der in Chile lebenden Margot Honecker, der Witwe des ehemaligen DDR-Diktators Erich Honecker, in Kontakt zu treten und kündigte im Vorfeld auch ein Interview mit ihr an.

Dieses "Interview" besteht daraus, dass eine 82-jährige alte, verbitterte Frau, die sich vorab gegen einen Interviewtermin gesträubt hatte, auf offener Straße von einer ARD-Reporterin verfolgt und angesprochen wird. Margot Honecker schweigt fast komplett und äußert fast nur ihren Willen, an diesem Interview nicht teilzunehmen um dann kurze Zeit später doch noch was zu sagen bzw. zu lachen. Sie lacht nämlich als ihr das Zitat von Willy Brandt ("Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!") genannt wird. Warum sie lacht – das erfährt man nicht, das kann die investigative Reporterin, der es gelungen ist eine 82-Jährige nach einem Marktbesuch oder ähnlichem aufzulauern, nicht mehr klären.

Nach dem ziemlich nichts sagenden Panorama-Bericht erwähnt dann die Panorama-Moderatorin im Abspann ein "Internet-Video", in dem sich Margot Honecker vor ihren Freunden dann etwas offener äußert (siehe Abbildung). Dort äußert sie sich dann auch gleich zur Bundestagswahl, zeigt sich erfreut, dass die Linke mehr Stimmen erhalten hat, die SPD wegen ihrer unsozialen Politik Stimmen verloren hat usw.

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Sport: Max und Moritz‘ nächster Streich

Alte Liebe rostet nicht: Jean Todt, ehemaliger Ferrari-Rennsport-Chef und frisch gebackener Fia-Präsident, und Michael Schumacher, Alltime-Wunderrennfahrer-Ruheständler, blicken auf eine gemeinsame höchst erfolgreiche Zeit auf der Piste zurück – und auch wieder nach vorn.

Wenn nun am Sonntag das letzte Rennen der Formel1 für diese Saison in Abu Dhabi stattfindet, guckt die PS-begeisterte Motorsportwelt schon gar nicht mehr richtig hin, weil der Weltmeister Jenson Alexander Lyons Button längst feststeht. Nein, das wirklich Spannende am Rennsport vollzieht sich zur Zeit fernab des Rampenlichtes, falls Todt Schumi ein Pöstchen anbieten sollte, was allerorten gemutmaßt wird. Ist das eine Art freundliche Ferrari-Übernahme und sollte sich da ein langweiliges Funktionärsleben anbahnen, nachdem Schumachers zweites Sportler-Leben als Motorradfahrer nicht geklappt hat? Flankiert von der üblichen Medienpräsenz mit lukrativen Werbeverträgen von Rolladenkasten-Herstellern und Versicherungen? It’s better to burn out, than to fade away…

Was für ein Mensch ist Alex W.?

Zunächst: Alex W. ist ein Mörder, und zwar einer mit rassistischem und kulturalistischem Hintergrund. Nun beginnt der Prozess gegen diesen Mann, der vor knapp vier Monaten in einem hiesigen Gerichtssaal Marwa El Sherbini mit einem Messer getötet hat, vor den Augen ihres dreijährigen Kindes, sie im dritten Monat schwanger. Die Dresdenerin hatte ihn verklagt, weil er sie unflätig beschimpft hatte. Ihr Mann wurde direkt nach der Tat von einem Polizisten angeschossen. Nun berichtet die deutsche Presse – auf rassistische Weise?

Der Verdacht keimt bei der Lektüre der WAZ auf. In der letzten Woche hatte ich hier eher beiläufig, aber keinesfalls unernst, über die Probleme unrassistischer Berichterstattung über (potentiell) rassistisch motivierte Aktionen und Texte geschrieben. Nun also folgende Zuschreibung für Alex W.: "Russlanddeutscher". In der Süddeutschen dieselbe Formulierung, aber auch "der aus Russland stammende Deutsche". Ich frage einen älteren Herrn am Nebentisch, was ein "Russlanddeutscher" sei. Er sagt: "Na, das kennt man doch von den Sudetendeutschen (mag sein dass das hier auch in Anführungszeichen gehört – Anm. d. V.). Das sind Deutsche, die in Russland leben." Ich verstehe was er meint, er meint Russen mit deutschem Migrationshintergrund, man könnte auch deutschlandstämmige Russen dazu sagen. ("Ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheit in Russland" sagt das Online-Standardlexikon.)

Nun ist es offenbar schwierig, gerade für Begriffe einfach mal übernehmende Journalist/innen, bei der Beschreibung von Rassismus nicht in selbigen zu verfallen, zumindest sprachlich. Denn was besagt "Russlanddeutscher"? Es sagt "in erster Linie deutsch, in zweiter russisch". (Beispiel: Eine Beutelratte ist eine Ratte und kein Beutel.) Aber gibt es Texasdeutsche? Japandeutsche? Man will es gar nicht erwähnen, stammt die Bezeichnung doch ganz klar aus Zeiten eines Expansionsdranges nach Osten, durchaus auch einfach durch Migration – wie auch in Teilen meiner Familie. Meine verstorbene Großmutter mütterlicherseits würde ich z.B. als "Russlanddeutsche" bezeichnen, aber nicht weil ihre Vorfahren zum Teil aus Deutschland kamen, sondern weil sie (die meiste Zeit ihres Lebens) eine aus Russland stammende Frau mit deutschem Pass war. Wahrscheinlich ist sie also ein "ähnlicher Fall" wie Alex W.

Meine Großmutter hatte z.B. keine doppelte Staatsangehörigkeit. Auch so etwas ist ja denkbar. Denn wenn jemand "Russlanddeutscher" (nach Lexikondefinition) ist und gleichzeitig "aus Russland stammender Deutscher" (also anscheinend Deutscher mit russischem Migrationshintergrund), dann wäre diese Person laut Süddeutscher beides. Leider hat diesen Artikel eine Frau mit zur Hälfte deutschem und zur anderen Hälfte ägyptischem Namen geschrieben, in der taz übrigens ein Mensch mit rein ägyptischem Namen, hier findet sich der Begriff "deutsch-russisch". Die Frage stellt sich also immer wieder und auch für mich: Wie Rassismus richtig begegnen, auch sprachlich, wenn über ihn verhandelt wird – ohne ihn zu übernehmen.

Alex W. steht vor einem Gericht Deutschlands (nicht Russlands – und auch nicht Ägyptens). Es heißt, Rassismus sei hier geächtet – auch wenn eine solche Tat in einem Gerichtssaal voller nicht oder falsch einschreitender Menschen möglich ist. Und auch obwohl der Polizist, der ohne Grund auf Marwa El Sherninis Mann schoss, kaum mehr Thema ist. Deutschland sollte vielleicht besser aufpassen, seine Überheblichkeit in Bezug auf Menschenrechte und Fortschrittlichkeit nicht schon in seiner Sprache als rein taktisches Manöver zu entlarven. In Ägypten würde dieser aus Russland stammende Deutsche, dessen Vorfahren einen deutschen Migrationshintergrund hatten, für seine Tat womöglich am Strick aufgehangen. Seine letzten Worte vor der Tat im Gerichtsaal waren übrigens: "Haben Sie überhaupt ein Recht in Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen! (…) Wenn die NPD an die Macht kommt ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt." Dann stürzte er sich auf die schwangere Frau und versetzte ihr 18 Stiche in einer halben Minute. Prozessbeginn ist heute, die Medien werden weiterhin berichten, zum Glück auch außerhalb Deutschlands. (Illustration: jumedia)

 

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Wir raten Sozialdemokraten

Stimmt. Die SPD hat bei den Bundestagswahlen schon einigermaßen verkackt. Aber es gibt ja immer noch super erfolgreiche Sozialdemokraten, bekannt im ganzen Land. Genauer: Wackere Kommunalpolitiker, die es einfach "besser machen". Wie auf der heutigen taz-Anzeige zu sehen. Aber jetzt zu unserem Ratespiel:

Sie kennen es bestimmt aus der Jugendzeit: Wer von den vier Leuten gehört nicht zu den anderen? Wenn es nicht sofort klappt, hilft vielleicht die.

Oder auch die, der und das.

Viel Spaß!

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IAA Vorschau – meine ganz persönliche Geschichte des Verzichts aufs Auto

Seit zehn Jahren lebe ich meistens draussen. Auf der Flucht vor den horrenden Gebühren deutscher Fahrschullehrer habe ich mittlerweile in drei verschiedenen Ländern versucht, einen Führerschein zu machen. Das Ergebnis: Ich kenne keinen besseren Weg, ein fremdes Land kennen zu lernen. Die Geschichte eines Scheiterns.

Nach dem Abi gab ich mein Erspartes lieber für Afrika und für Reisen aus, als zweitausend Mark einem Führerschein hinter her zu schmeissen. Überhaupt hielt ich Autofahren für überholt – wir leben so dicht zusammen, warum muss dann jeder so ein Ding vor dem Haus stehen haben.

flickr.com/G@ttoGiallo

Der erste Versuch: Afrika. Am Ende eines lehrreichen Jahres will ich – interkulturelle Erfahrungen hin oder her – auch noch etwas von Nutzen mit nach Hause nehmen. Ich melde mich in der nationalen Polizeifahrschule an, die auch Zivilisten offen steht. Es gibt stundenlang Theorieunterricht, der Offizier ist engagiert, pädagogisch wetvoll warnt er vor den Gefahren von Alkohol. Bei den Fahrstunden stelle ich fest, dass ich nicht so der praktische Typ bin.

In der theoretischen Prüfung mache ich alles richtig. Ich habe sogar Zeit, mir über die komischen Fingerzeichen Gedanken zu machen, die einer der Prüfer hinter seinem Rücken gibt. Gegen Ende hab ich’s: es sind die Lösungen. Kleiner und Zeigefinger heißt A und D, es sind ja mehrere Antworten möglich. Aber alle Prüflinge können es sehen, haben also alle bezahlt, nur der einzige Weiße nicht?

Die praktische Prüfung besteht aus zwei Teilen. Ein Parcours – rückwärts Einparken ist die schwerste Übung – und ein bisschen Umherfahren im benachbarten Diplomatenviertel, wo man nur links vor rechts beachten muss. Fällt man beim ersten Teil durch, so höre ich, lässt sich nichts mehr machen, schließlich sehen viele Leute zu. Beim zweiten Teil schon eher.

Ich scheitere beim ersten Teil. Beim Rückwärtseinparken geht mir der Motor aus. Nach kurzer Beratung fragt mich der Polizeilehrer, bisher ein Vorbild an Engagement und Unbestechlichkeit, ob ich 60 Mark auftreiben könnte. „Wenn Du willst, dass man Dir hilft, musst Du den Leuten helfen,“ sagt er. Immer noch wenig im Vergleich zu Deutschland, aber ich verzichte, es ist mein vorletzter Tag im Land.

Der zweite Versuch: Kairo. Taxis in Kairo erfüllen alle drei Kriterien öffentlichen Nahverkehrs. Es gibt sie in Massen, sie sind günstig, und man teilt sie sich mit anderen, wenn man in die gleiche Richtung fährt. Dazu gibt es kostenlos Sprachstunden und Landeskunde, denn viele Fahrer unterhalten sich gerne über das Leben im Irrenhaus Kairo, das oft zwei oder drei Jobs erfordert. Einer hat Philosophie studiert und will mir mit dem Führerschein helfen. Er unterrichtet mich auf dem Parkplatz der Oper. Sein Wagen stammt aus den Siebzigern, nur noch Karosserie, Motor und Sitze. Kairos Klima ist optimal, um Autos zu konservieren. Ihre vierzig Dienstjahre sieht man vielen nicht an. Wenn ich in seinem Wagen fahren kann, kann ich jedes Auto fahren, ist seine wichtigste Lektion.

flickr.com/NeilsPhotography

Dann verläuft es sich. Kairo ist vieles, aber vollem eine einzige praktische Prüfung. Ich scheitere an der Stadt, in der sich alles verläuft, scheitere an ihren billigen und stets vorhandenen Taxen. Manchmal treffe ich noch Fahrer, die einen Cousin in der Führerscheinabteilung der Stadtverwaltung haben, aber ich klemme mich nicht dahinter. Berichte lieber über Korruption, da schmiert es sich schlecht selber.

Der letzte Versuch. Ich arbeite am Golf. Öffentlichen Nahverkehr gibt es nicht, nur die Busse, die die Arbeiter aus Indien durch die Gluthitze auf die Großbaustellen bringen. Taxis sind dreimal so teuer wie in Deutschland. Ihe Anzahl ist so verknappt, dass irgendjemand in der Herrscherfamilie dran verdienen muss. Überhaupt funktioniert die Verkehrsökonomie ganz anders, denn Autofahren ist umsonst, eine Tankfüllung kostet weniger als zehn Euro. Also hat jeder ein Auto. Nur ich nicht. Ich bin aufgeschmissen.

Zuerst miete ich mir einen Angestellten des Außenministeriums, dem ich monatlich das gleiche zahle, wie er von seiner Regierung bekommt. Irgendwann stelle ich fest, dass es, wie immer wenn der Staat eingreift und das Angebot reguliert, einen großen Transport-Schwarzmarkt gibt. Inder betreiben informelle Taxifirmen, deren Nummern unter Ausländern zirkulieren. Ich gebe nicht mehr alles, was ich an Steuern spare, für Taxis aus, aber es ist mühsam, die Fahrer wechseln ständig, oft weiß ich am Abend nicht, wie ich am nächsten Morgen ins Büro komme.

Nach einem halben Jahr habe ich meine Aufenthaltsgenehmigung, ich melde mich an, absolviere die einzige Theoriestunde: Ein Offizier geht die wichtigsten Schilder durch. Sein Akzent kommt eindeutig vom Subkontinent. Es stimmt also, dass die Herrscher den Sicherheitsapparat mit Pakistanis auffüllen, weil sie den eigenen Leuten nicht trauen.

Doch ich bin vom Lappen weiter entfernt als je zuvor. Deutsche Fahrschullehrer können sich hier noch was abgucken. Es gibt noch weniger Fahrschullehrer als Taxifahrer, und so läuft man bettelnd über den Übungsplatz der staatlichen Fahrschule. Die meisten Lehrer gucken einen nicht mal an. Sie verdienen prächtig, bekommen für jede gegebene Stunde zwei bezahlt. Wer aus seinem Heimatland einen Führerschein mitbring, bezahlt und bekommt einfach alle Stunden eingetragen.

Schließlich findet eine Kollegin einen, Frauen haben’s einfacher, zahlt ordentlich und er übernimmt mich. Ich absolviere brav alle Stunden, melde mich zur Prüfung an. Falsch. Eine Kollegin meldet mich zur Prüfung an, ich lande auf der Frauenliste. Ich würde mich auch von einer Frau prüfen lassen, aber das ist in diesem Teil der Welt nicht drin. Könnte nicht ein gerade freier Prüfer einspringen? Nein, es geht streng nach Liste.

Ich melde mich wieder an, ein weiterer Monat vergeht. Der Prüfer ist mürrisch, ich mache Smalltalk auf Arabisch, das hilft immer. Ich gebe alles, er bleibt mürrisch. Sind ja auch 45 Grad im Schatten. Es geht über den Parcour, nach dem Anfahren am Berg fahre ich mit Handbremse den Berg wieder runter, beim U-Turn auf der Kreuzung stelle ich den Scheibenwischer an bekomme ihn nicht wieder aus. Überhaupt ist Autofahren nicht so mein Ding, finde ich.

Wenn wir den Planeten retten wollen, haben wir noch viel vor. In Europa vermeiden wir einiges an Emissionen, durch das Umweltbewußtsein vieler Menschen, Fahrräder, die Eisenbahn und den öffentlichen Nahverkehr. Doch wir sind der kleinste Teil der Welt, und woanders fehlt die Bildung, die neuen Mittelschichten wollen konsumieren, die Regime müssen mangels anderweitiger Legitimität Brot und Benzin subventionieren und Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr sind wohl nur in Demokratien so richtig zu organisieren. So würde es sich die ägyptische Regierung aus Angst vor den Protesten der Taxifahrer, mindestens aber der Minibusfahrer nicht trauen, den ÖPNV richtig auszubauen, oder die Benzinsubventionen so zu reduzieren, dass es ein umweltfreundlicheres Gleichgewicht im Verkehr gibt. (Dubai ist ein Fall für sich, und hat es mit seiner letzte Woche eröffneten Metro hinbekommen.)

Europa sollte aber nicht auf andere warten. Zum Beispiel nicht auf mich. Ich bin gescheitert: Leben ohne Führerschein geht nicht. Jetzt habe ich das Ding in der Tasche, und verstehe, dass man bei vierzig Grad im Schatten dreihundert Meter zum Supermarkt fährt.

Ich stelle mir das so vor. Jedes Haus ist ein kleines Kraftwerk, Thermalenergie im Keller und von mir aus Sonnenenergie auf dem Dach. Wenn ich gerade mehr Strom produziere, als ich verbrauche, kann ich den über ein intelligentes Netz meinem Nachbarn verkaufen. Oder jemand tankt draussen an meiner Tür.

 

Afghanistan: Truppen nach Hause, Taliban in den Schurken-Club

Foto. flickr.com / army.mil

Am Freitag hat die Bundeswehr in Afghanistan mit einem von ihr angeforderten Luftangriff viele Dutzend Menschen getötet. Das passiert, wenn man im Krieg ist. Aber ist dieser Krieg nötig? Wegen des Wahlkampfes wollten deutsche Politiker das bisher kaum diskutieren. Immerhin hat der Bundespräsident zu einer gesellschaftlichen Debatte aufgerufen. Auf geht’s.

Warum sind wir in Afghanistan? Zu dieser Frage, und damit unseren Zielen, müssen wir erstmal zurück. Die Antwort: Weil am 11. September, vor mittlerweile acht Jahren, zwei Flugzeuge ins WTC geflogen sind. Es ging darum, innerhalb weniger Wochen die Präsenz von Al-Qaida in Afghanistan zu beenden, und damit weitere aus dem Land geplante Terroranschläge zu verhindern. Dazu mussten die Taliban besiegt werden, die Al-Qaida duldeten.

Dieses ursprüngliche Ziel ist seitdem ziemlich ausgefranst. Ziviler Aufbau, Demokratisierung, Staatlichkeit, Menschenrechte, Bekämpfung des Opiumanbaus kamen Stück für Stück hinzu. Ich halte diese Ziele für unerreichbar, schon gar nicht durch westliche Intervention. Eine ausländische Armee kann Tanklaster in die Luft jagen – aber Stammesdenken, fehlende Aufklärung, Korruption, Klientelstrukturen, mangelnde Staatlichkeit kann sie nicht überwinden.

Zurück also zum ursprünglichen Ziel: wie sorgen wir dafür, dass es in Afghanistan keine Terrorlager gibt, in denen ein Anschlag auf Deutschland geplant wird, ohne dass wir davon mitbekommen? Im letzten Teil der Frage liegt schon ein Teil der Antwort. Wir sollten zurück zu einer Sicherheitspolitik ohne Militäreinsatz, und das ist leider reine Realpolitik. Eine Lösung könnte so aussehen: ein Deal mit den Taliban, Geheimdienste, ein regionaler Politik-Ansatz.

Im Zentrum steht ein politisches Abkommen mit den Taliban: wir ziehen unsere Truppen ab, und ihr habt es nur noch mit der afghanischen Armee zu tun, lasst im Gegenzug Al-Qaida nicht zurück ins Land und sorgt dafür, dass die bestehenden Terrorlager aufgelöst oder zumindest nicht ausgebaut werden.

Um unser eigentliches Ziel zu erreichen, Terroranschläge auf eigenem Boden zu verhindern, setzen wir auf unsere Geheimdienste. Die Welt hat sich seit 9-11 verändert: die wissen mittlerweile, wo Afghanistan liegt. Seitdem hat es zwar Anschläge in Europa gegeben, aber nicht mehr im Maßstab 9-11.

Pakistan spielt eine ebenso große Rolle für die Taliban und Al-Qaida und kann andersrum viel für die Stabilisierung Afghanistans tun. Das Land sollte in den Fokus der Bemühungen rücken. In Afghanistan überschneiden sich außerdem zur Abwechslung mal iranische und westliche Interessen. Eine entsprechende Zusammenarbeit würde die Region ebenso stabilisieren und insbesondere dem Opiumschmuggel weh tun.

Als Joker für alle Weltverbesserer, denen nackte Realpolitik zu nackt ist, kann man es ja weiterhin mit Entwicklungshilfe probieren. Die ist aber ein Thema für sich und schon an wesentlich aussichtsreicheren Kandidaten gescheitert.

Durch diesen Mix würden die Taliban durch ihre militärische Stärke vermutlich wieder die Macht in Afghanistan übernehmen (ich glaube nicht, dass die afghanische Armee es mittelfristig mit ihnen aufnehmen kann – man könnte sie ja aber trotzdem unter der Hand unterstützen, ohne das beschriebene Abkommen mit den Taliban zu verletzen). Über diese letzte Konsequenz sollte von Anfang diskutiert werden. In der Logik westlicher Außenpolitik ist sie aber zweitrangig.

Denn es ist ja nicht so, dass ein Deal mit den bösen Taliban ein Präzedenzfall wäre. Man müsste eher sagen: willkommen im Club! Schurken in aller Welt werden von Europa auch nach dem Ende des Kalten Kriegs noch akzeptiert, weil sie westliche Interessen vertreten. Wir stellen uns gut mit dem Hause Saud und dem Kollegen Ghaddafi, weil wir deren Öl brauchen. Warum nicht auch mit den Taliban, weil wir keine Terrorangriffe mehr wollen? In Sachen Menschenrechten, insbesondere Frauen, nehmen die sich alle nicht viel.

Bleibt noch die Sachen mit der Opiumproduktion, die angeblich Terrorismus finanziert. Aber die hat uns vor 9-11 nicht interessiert und rechtfertigt auch jetzt nicht die Präsenz ausländischer Truppen (die sie ja bisher auch nicht wirklich in den Griff bekommen haben). Es ist in Afghanistan eben nicht alles so schwarz und weiss, wie man es gerne hätte: die Taliban bekommen mittlerweile Gelder aus US-Entwicklungshilfe, und die Behörden verdienen genauso kräftig am Opium wie alle anderen.

Goldman Sachs und die Wälder auf Borneo

Im Dezember gibt’s in Kopenhagen einen neuen UN-Klimagipfel. Thema dabei der Handel mit Emissionszertifikaten. Der soll unseren Planeten entlasten, dürfte aber auch ein Riesengeschäft werden. Das zieht Banken und dubiose Zwischenhändler an.

Matt Taibbi, Kollege bei den Rolling Stones und prominenter Kritiker der US-Investmentbanken, hat vor einigen Wochen einen Frontal-Angriff auf Goldman Sachs gestartet. In seinem Stück beschreibt er, wie die Bank an jeder der Spekulationsblasen der vergangenen hundert Jahre mitgebastelt und -verdient hat. Die Trust-Pyramiden der 30er, der IPO-IT-Boom der dotcom-Blase, der Immobilienboom, der Ölboom.

Seine Kernthese: Mit ihrem Einfluss auf Politik und Regulierer schafft sie die Rahmenbedingungen für diese Spekulationsblasen, an denen sie dann kräftig verdient. Viele ehemalige wechseln auf Regierungsämter. Auch durfte Stephen Friedman, vorübergehend Chef der New Yorker Fed, bei GS im Board bleiben und sogar Aktien der Bank halten. Das wäre so, wie wenn Axel Weber Aktien der Deutschen Bank besäße.

So konnte GS vor der Finanzkrise miese Immobilien-Kredite über CDOs an Investoren verscherbeln, die gar nicht wussten was in den Paketen steckten – über den Verkauf von credit default swaps hat GS dann selber darauf gewettet, dass der amerikanische Immobilienmarkt platzt und damit die CDOs. Obendrein hat GS dann noch beim Rettungspaket für AIG abkassiert:

"In fact, at least $13 billion of the taxpayer money given to AIG in the bailout ultimately went to Goldman, meaning that the bank made out on the housing bubble twice: It fucked the investors who bought their horseshit CDOs by betting against its own crappy product, then it turned around and fucked the taxpayer by making him pay off those same bets."

Am Ende kommt Taibbi interessanter Weise zu einer Blase, für die die Bonus-Junkies bei GS gerade erst noch kräftig Luft holen. Die USA beraten gerade ihre Gesetzgebung zum Handel von Emissionszertifikaten, genannt capandtrade. In der EU gibt es diesen Handel bereits seit einigen Jahren: Emittenten bekommen gesetzliche Obergrenzen für ihre Emissionen, wenn sie die nicht einhalten, müssen sie Zertifikate auf dem Markt kaufen. Die Obergrenzen werden kontinuierlich abgesenkt, mehr Zertifikate müssen gekauft werden, die Kosten für Emissionen steigen und so lohnen sich Investitionen in Technologien mit weniger Ausstoß. Deswegen investiert zum Beispiel RWE, das noch viel Braunkohle in seinem Energiemix hat, in erneuerbare Energien.

Laut Taibbi schätzt Washington den US-Markt für diese Zertifikate in den ersten sieben Jahren auf $646 Milliarden. An diesen Kuchen will GS, und macht kräftige Lobbyarbeit. So gehört der Bank 10 Prozent der Chicago Climate Exchange, an der Zertifikate gehandelt werden können.

Ich habe das Gefühl, dass Taibbi als Amerikaner sich vor allem an noch einer neuen Steuer stört, und dafür GS die Schuld in die Schuhe schiebt. Ich sehe eher folgende Gefahr: wenn Finanzspekulanten in diesen Markt einsteigen, und es tatsächlich zu einer Spekulationsblase kommt, so wie es bei einigen Rohstoffen schon vorgekommen ist, werden bei einer globalen Regelung Wälder und Emissionen in Entwicklungsländern einen plötzlichen Wertanstieg bekommen, mit dem dann westliche Unternehmen bequem ihren Bedarf an Zertifikaten decken können, vermittelt von dubiosen Zwischenhändlern. Ich glaube nicht, dass bei verbreiteter Korruption und fehlender Rechtsstaatlichkeit Behörden und Wirtschaft in vielen Entwicklungsländern einem plötzlichen Wertzuwachs von Wäldern und Emissionen gewachsen wären.

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Polizei darf nur noch Gewaltvideos drehen

Ein ziemlich erstaunliches Urteil des Verwaltungsgerichts Münster. Das beschied soeben: die Polizei darf Teilnehmer an Demonstrationen nur noch filmen, wenn "erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit" bestehen. Immerhin handele es sich um einen starken Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht.

Bild: flickr.com

Geklagt hatten Atomkraftgegner aus dem Münsterland, verteidigt wurden sie von dem Münsteraner (Bürger-)Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, klick. Im Juni vergangenen Jahres hatte ein Kamerafahrzeug der Polizei dauerhaft und intensiv eine – wie heißt es bei den Veranstalters so schön – eigentlich "ereignisfreie" Demo von 70 Atomkraftgegnern gefilmt, die gegen die Urantransporte von Gronau nach Russland protestierten. 

Endlich: Rüttgers Sommerinterview!

Was haben wir gewartet. Uns gefragt: Kommt es noch? Oder lässt er es diesmal wirklich ausfallen – das große "Jürgen-Rüttgers-Sommerinteriew". Doch jetzt ist das Rätsel gelöst.

Noch in bald jedem Sommer räumte JR bislang als Zukunftsminister, CDU-Fürst oder Ministerpräsident mit "lieb gewordenen Lebenslügen" (Rüttgers) auf, die sich das Jahr über angesammelt hatten. Andere machen kräftig Hausputz, Rüttgers lüftete gerne oben herum: Die "CDU sei keine kapitalistische Partei", es würde "zu wenig über Menschen geredet" oder die Spritpreise seien viel zu hoch. Aber ausgerechnet im Vorwahlsommer 2009 schweigt sich der Pulheimer beharrlich aus.

Nach zwei, drei allenfalls höflichen Plaudereien mit WDR und Privaten machte der Rheinländer nichts als Frankreich-Urlaub und Schnauze halten. Doch jetzt wissen wir warum: Rüttgers beweist wieder sein überragendes Gespür fürs politisch-mediale Timing. Denn HIER (ab 1:30) ist es, das grandiose, gewichtige, gewaltige Sommergespräch, Rütte trifft Schlämmer – zwei "linksliberale Konservative" unter sich!

Übrigens hat Tobias Kniebe heute richtige Fragen gestellt zu den Verwirrungen, die entstehen, wenn Schlämmer und andere auf Wirkliche treffen:

"Bin ich noch Jürgen Rüttgers, oder spiele ich ihn nur – und zwar schon seit Jahren? (…) Man darf da wohl nicht zu lange drüber nachdenken." klack